Nr. 77 �39. Jahrgang
Seilage ües vorwärts
Mittwoch, 11. Januar 1922
Ohne Hemd und Strümpfe! Das mitfühlende bürgerliche Herz und das Elendsfest der Armseligen.
Vor einiger Zeit brackite der.Berliner Lokal-An�eigcr' unter fidjtlichem Behagen einen Slimmung�artilel mit der schönen Ueber- schrift.Pennerball'. Nach der die bilterste Not, aus der mit eigener Kraft so leicht keiner herausfindet, verhöhnenden Darstellung des Scherlblattes habe die Stadt Berlin mitfühlenden Herzens am Weihnachtsheiligabend jedem Gast des städtischen Obdachs in der Fröbelftrafie ein Geldgeschenk von SO M. überreichen lafien. Freude- strahlend seien die Obdachlosen sofort in Trusps nach der nahen Danziger Strofie gezogen, hätten hier einen Kneipensaal gemietet und bei einem schnell arrangierten Pennerball das Geld im Hand- umdrehen verjubelt. Nach einigen Stunden seien die Obdachlosen kreuzfidel in der Palme wieder angelangt, hätten sich mit dem Pennerball entschuldigt und seien zum zweiten Mate eingelafien worden.»Das Weihnachtsgeschenk der Stadt war ja auch so nett angelegt', schlicht mitfühlenden Herzens der Bericht. Wir sind der Sache nachgegangen. Sie hat sich natürlich wesent- lich anders zugetragen. Nur ein kleiner Teil von Obdachlosen kam auf die.unerhörte' Idee, auch einmal ein paar Stunden lang .leben' zu wollen. Ein WeihnachtSrausch war eS, aus verzweifelter Stimmung, aus dem Schicksal des Vegetierens geboren. Haben denn die Scherlblattschreiber eine Ahnung, was eS bedeutet, im Wmter obdachlos zu sein? Haben sie jemals außerhalb ihrer molligen Betten in Wind und Wetter, in dürftigster Kleidung, heim- los auf der Strohe gelegen? Wissen sie, dah die riesige Schar der bis zum Platzen gemästeten LuxuShunde im Berliner Westen eS tausendmal besser hat als die Unmenge der Obdachlosen? Man könnte sich daS billige Vergnügen leisten, dem.Pennerball' die Freudenfeste der Schwerindustrieritter und die Orgien der über- vielen ländlichen Kriegsgewinnler, die gar nicht wisien, was sie in ihrem Uebermul mit den aufgestapelten Papiergeldhaufen anfangen sollten, entgegenzuhalten. Vielleicht schlägt den Herrschasten daS soziale Gewissen doch ein wenig bei der erneuten Äufrollung von ElendSbildern, wie sie so grausig kaum ein anderer Ort als ein grohstädtischeS Obdachlosenasyl tagtäglich zeigt. ?m öaöe. Eine Füll« nackter, schmieriger Menschenleiber drängt sich vor dem fuhhoch mit warmem Wasicr gefüllten Bassin und unter den Brausen. Die Kleider... nicht doch... die Lumpen sind ge- bündelt in die.Brenne' gewandert, um sie wieder einmal— wie oft schon?— zu entlausen. Bester werden davon die Kleider nickt, nur ungezieierfrei. Wenigstens für ein paar Tage ist das sckeuh- liche Gelier verschwunden. Tann hat man im Verkehr mit Leidens- genossen sckon wieder eine ganze Menagerie ausgetangen. Di« inxisten melden sich ja gar nicht zum Baden, sind schon abgestumpft gegen ihr IammerloS, lassen sich von den Läusen halb auffresten. Die hier baden, tragen alle um den Hals eine Schnur mit einer Blecknnmmer. Entsetzlich, diele übelduttenden Leiber I Wie kann es anders sein bei solchem Leben, ohne eigene« Dach über dem Kopf! Viele Körper sind mit Pickeln, Flecken, blutrünstigen Stellen oder gar offenen Wunden wie übersät. Für manchen, der sich noch Reinlickleitsgetühl bewahrt bat, ist es eine Oual, hier zu baden. Er tut es in der äußersten Not. Die am schlimmsten mitgenommenen Obdachlosen, deren wunder Körper Ekel erregt, bat man schon ausgesondert und in die.Wanne gesteckt. Da kann auch von den Köpfen das Ungezieler getilgt werden. Andere bocken unter den Brausen und holen sich mit den Fingernägeln das Ungeziefer unter der Haut hervor. Der Krieg schuf soviel« EntlauiungSansialten. Zehntaui'ende, die in ihrem Leben nicht an solche Parasiten dachten, wurden ibr Opfer. Hier ist auch im Frieden alle Tage Krieg... unaufhörlicher Krieg gegen die Läusebrut. ES gehl zum Anziehen. Auffallend schnell kriechen die Obdachlosen in ihre Lumpen hinein. Viele haben kein Hemd, keine Strümpfe. Ooer das.Hemd' ist ein undefinierbares, schwarzgraucs, lochduicksiebteS Etwas, die Strümpfe sind schmutzige Lappen oder ZeitungSbogen. Vor den flimmernden Augen tauchen seidene Hemden und Florstrümpfe für 150—200 M. aus. Was sind beute geschenkte 50 M.. wenn man sonst gar nickt?, noch nicht ein-
mal eine eigene Bleibe bat und sich begraben lasten kann! Nicht tür eine Miclschlafstelle reicht es, wenn auch der knurrende Magen sein Recht verlangt. Müden Schrilles schleichen die Obdachlosen hinüber zu den Drabtpriticken, löffeln ihren Mebllleister und denken... nein, sie denken überhaupt nichts. Nur schlafen, schlafen.. Seim fisplarzt. Wer gor nicht mehr weitertippeln kann oder sonstwie sich ernst- lich kranl fühlt, meldet sich zur Sprechstunde des Asylarztes. Stumps vor sich hinstarrend, wie geistesaawesend, oder stöhnend vor Schmerzen kauern sie auf dem Korridor, bis die Tür des Arzt« zimmers sich öffnet. Die langen Sitzbänke des kahlen Raumes sind aus eine größere Zahl von EleudSgestolten eingerichtet. Im Winter gibt es hier genug zu tun. Ein freundliches Frauchen, altes Obdachfaktotum. findet für jeden, der hier landet, ein gutes Wort... die M e d r z i n t a n t e. Die Füße und Beine werden ausgewickelt aus blutigen Lappen und Lumpen. Wer ein halbwegs brauchbare« Strumpfpaar bar, dünkt sich reich. Wie konnten die Menschen mit solchen geschwollenen, zerfetzten, eiternden Füßen überhaupt noch laufen? Was müsten die erduldet haben, che es soweit kam. Warum haben sie sich nickt früher gemeldet... ja. warum? Und noch ganz andere Krankheiten, welche die scheuß- lichste Not gebiert, bieten sich dem entsetzten Auge... jauchende Wunden, verkrätzte Gelenke, halb brandige HautflSchen. Die Medtzintanie reinigt die Wunden, salbt, verbindet, tröstet. Einer nach dein andern bnmpelt hinaus. Wobin? Manche finden Auf- nähme in dem kleinen Obdachlozarett. Einige mir Lungen- entzündung, Rheumatismus oder anderen bedenklichen Erkrankungen werden dem Krankenhause zugewiesen. Die meisten wandern ruhelos, heimloS weiter auf wunden Füßen... wohin? * DaS ist der.Pennerball' von der Kehrseite. Da habt ihr einen Griff nicht in den schmalen Beutel der Stadl Berlin , sondern in eins der traurigsten Menschheitskapitel. Wollt ihr die Obdach- losen verhöhnen, so untersucht erst einmal, wer und was diese Menschenschicksale verschuldet hat. Wohl wird euch bei dem Er- gebniS nicht werden. Hunderte, ja Taufende, die heute noch ge- legentlich oder häufiger in der Frövelstraße landen, haben den vcr- lorenen Krieg mitgemacht, haben das E. K. über irgendeinen Zaun geworfen und gehen betteln. Als Soldaten waren auch die Penner gut genug. Cln Sallettkorps auf See Anklagebank. Schon wieder ein neuer Sikllichkeiksprozetz. Diesmal sind es die Tänze der schönen Celly de Rheydt und ihrer Schülerinnen, die es einigen Eiferern angetan und ihnen nicht eher Ruhe gelassen hoben, als bis sie ihr Ziel, den Prozeß, er- reicht hatten. Unter dem Vorsitz des Landgerichtsdirektors Jeep begann dieser Prozeß gestern vor der Strafkammer des Land- gerichts I. Die von Staotsanwaltfchaftsrat H ö e r vertretene Anklage lautet auf Erregung öffentlichen Aergernistes, Verbreitung unzüch- tiger Abbildungen ujw. bzw. Anstiftung hierzu und richtet sich gegen folgende Personen: die Tänzerin Frau Cäcilie S e w e l o h geb. Funk, genannt.Celly de Rheydt ", die Tänzerinnen Grolle, Schulz, Hanke und Wittenbecher, den Theaterunter- nehmcr Oberleutnant a. D. Alfred S e w e l o h, den Kabarett- direktor Heinz Fu ß. die Inhaberin eches photographischen Ateliers Frau Margarete W i l l i n g e r, den Photographcn Alois Klar , den Kaufmann Hans Neu mann, den Kaufmanu Fritz Perle- b e r g, den Phatographen Guido S e e b e r, den Kaufmann Paul Gotthelf, die 17jährige berufslose Helene Plaszewski, den Weinhändler Zach und den Wächter Wilhelm Barth. Acht Rechts- anwätle fungieren als Verteidiger. Als Sachverständigen sind ge- laden: Mar von Schillings, Hans von Putlitz, Gustav Rickelt , Julius Lieban, Profestor Zickendraht, Direktor Illing und Dr. Fritz M. Meyer. Nach Eröffnung der Sitzung ergibt es sich, daß die Angeklagten Neumann und Zech nicht erschienen sind. Das Gericht beschließt,
das Verfahren gegen diese beiden Angeklagten abzutrennen. Der Sitzungssaal macht einen eigenartigen Eindruck. Vor dem Richter- tisch ist ein großer Filmvorführungsapparat aufgestellt, an der gegenüberliegenden Wand steht ein großer Projeklionsschirm. Diese Vorbereitungen waren notwendig, da die An klage nicht nur die Tänze in natura, sondern auch die von dem Ballett aufgenommenen Filme, die zum Tcil in der Weindiele des Angeklagten Zach vorgeführt wurden, für u n- züchtig hält. Unzüchtig sollen auch nach der An- klage die im„Lindentabarett" ausgestellten Photographien des Celly-de-Rheydt-Balletts sein. Zu Beginn der Verhandlung entstehen längere Erörterungen, da von Rechtsanwalt Dr. Arthur Wolfs als Verteidiger der An- geklagten Scweloh der Antrag gestellt wird, im Rahmen einer ge- schlossenen Privatvorstellung das Celly-de-Rheydt-Ballett dem Ge- richtshof vorzuführen. Nach einer kurzen Vernehmung der Angeklagten zur Person und. zur Sache sollen die Filme in dem verdunkelten Saal vorge- führt werden. Vorher stellt Staatsanwaltschaftsrat H ö e r den Antrag, die Oeffentlichkeit auszuschließen, da bei der Vorführung der Filme geWiste Erörterungen notwendig würden, welche geeignet seien, das Scham- und Sittlichkeitsgefühl zu verletzen. Das Gericht beschließt, die Oeffentlichkeit auszuschließen, jedoch der Preste und dem mit Rücksicht auf das jugendliche Alter der augeklagten Tänzerinnen anwesenden Ver. treter der Jugendwohlfahrtspflegc die Anwesenheit zu gestatten. Ferner beschließt das Gericht, die Vorführung der Tänze selbst am Donnerstag, den 12. Januar, vormittags 10 Uhr, in dem.Neuen Theater am Zoo" stattfinden zu lasten. Es wurden nunmehr die Filme.Walzer",.Frühlingstänze", „Opiumrausch" und.Die Nonne" vorgeführt. In der Veweisauf- nähme beantragte Rechtsanwalt G r ü n f p a ch die Ladung des früheren Kultusministers Konrad H a e n i f ch, des Stäatskommif- fars Geheimrat Dr. W e i s m a n n und des Oberregierungsrats v. G l a f e n a p p, welche mehrere Male das Ballett, das jetzt in der .Rakete" ollabendlich wieder vorgeführt würde, gesehen haben. Diese Herren hätten erklärt, daß die Vorführung einen hohen künst- lerischen Wert habe. Insbesondere sei in Gegenwart des Prä- fidenten Gustav Rickelt von der Biihnengenostenschaft, des Inten- danten von Putlitz und des Direktors Illing davon gesprochen worden, daß das Ballett eine Schöpfung von hohem künstlerifchen Wert« fei. In der Verhandlung kam dann noch zur Sprache, daß der Film von der Heimlicht-Gesellfchaft an eine Weindiele am Kur- fiirstendamm verkauft worden war, die ihn allabendlich durch einen Nachtwächter, der nebenbei K i n o o p e r a t eu r war, ihren Gästen vorführen ließ.
,Sportverlag§orm vnü Bor der 3. Strafkammer des Landgerichts I begann gestern die Verhandlung gegen den aus der Untersuchungshaft vorgeführten Inhaber des verkrachten Wettkonzerns, des ehemoli- gen Kellners Heinrich S u n d o r f, dem N.-2l. Dr. Julius M e y e r l als Verteidiger zur Seite steht. Der Beschuldigte ist nicht nur wegen Betruges, unlauteren Wettbewerbs und gewerbsmäßigen Glücks» spiels, sondern auch wegen Konkursoerbrechens angeklagt. Der Angeklagte, der«in Informationsbureau für Wetten hatte, betrieb feit dem 1. Januar 1920 nach Klanteschem Muster einen Wettkonzern, dem er die schön klingende Firma„Sportverlag Form und Klaste" verlieh. In den Zeitungsannoncen und den verschickten gedruckten Prospekten wurde der Anschein erweckt, es handle sich bei dem Kon- zern um eine„Bank". Die Geschäfte gingen recht flost, besonders nachdem eine Reibe von Agenten in Sachsen für das Unternehmen wirkten. Di« Ent- wicklung war ungefähr dieselbe wie bei anderen Konzernen: den Kunden wurde die Verdoppelung ihrer Einlagen nach zwei Monaten versprochen,„Verluste ausgeschlossen". Der Angeklagte war ober genötigt, Anfang September seine Zahlungen einzustellen. Einge- zahlt waren 12 Millionen Mark, die Unterbilanz betrug 9 Millionen Mark. Wo diese Summe geblieben ist, ist nicht aufzuklären gewesen. Der Angeklagte bleibt, wie alle seine Kollegen auf diesem Ge- biet«, dabei, daß sein Wettsystem schließlich arotze Gewinne für die Einzahler gewährleiste. R.-A. Dr. Julius Meyer I behauptete, daß der Angeklagte, der In einfachen Verhältnissen lebt«, keinen ein- zigen Einzahler durch falsche Angaben qetäuscht habe.— Für die Verhandlung sind zwei Tage angesetzt. Wir werden das Urteil mitteilen.
-i Eine selksame Nachk. Roman in vier Stunden von Laurids Bruun . „Was sagte der alte Herr Hilsoe?* „Das wird Sie kaum interessieren, Frau Hsarmer."' Jetzt war sie es, die mit Bitterkeit an die alten Tage er- innerte.' „Wir waren doch einst Freunde!" sagte sie und sah zur Seite, während die seine Stirnfalte über der Nasenwurzel sichtbar wurde. Werner suchte vergeblich ihren Blick zu fangen, dann er- zählte er weiter: „Ich sorgte dafür, daß niemand mich sah. Er hatte mir ja verboten, jemals wieder zum Hof und in diese Gegend zurückzukehren— ich, der dem Namen Schande gemacht hatte!" „Und was antwortete er?" „Ms ich die Kaution nannte, die gestellt werden sollte, wurde er wütend bei dem Gedanken, daß er mir nach der Wechselgeschichte Vertrauen erweisen solle. Der alte Hilsöe vergißt nicht. Was sich einmal In ihm festgebissen hat, läßt ihn nicht wieder los. Aber da lief mir die Galle über. Ich sagt« ihm die Wahrheit ebenso wie damals, als er mir die Tür wies." „O Werner— Sic verderben immer alles mit Ihrer Heftigkeit!" „Ich sagte ihm, wenn er seinerzeit seiner Nichte nicht den armen Steuermann versagt hätte, den sie liebte, so hätte er sie nicht ins Grab gebracht— und dann hätte er ihrem un- ehelichen Sohn nicht den Namen zu geben brauchen, dem er später Schande gemacht hat. O, ich hätte ihn niederschlagen können wegen all der Schlechtigkeiten, die er an meiner armen Mutter und an mir begangen hat!" Frau Helwig ball'e die Harö in unwillkürlichem Zorn. „Der alte Halsabschner'er! Dann war also alles vergeb- lich?" sag'e sie und lab jbn mit ihren grauen Augen an, in denen plötzlich dunkle Glut«"'stammte. Werner bemerkte nicht ihren Blick. Seine Gedanken waren bei dem Alten, der sein Leben verbittert hatte von Kindheit an. ..Vielleicht war es fein Gewissen," fuhr er nachdenklich fort,„oder er fürchtete, daß ich mir etwas zuleide tun würde:
denn als ich die Gitterpforte öffnete, rief er mich in den Garten zurück, zog seine Brieftasche hervor und gab mir fünf Hundert- kronenscheine. Dafür sollte ich mich equipieren— und was die Kaution anbelange, so könne ich dem Fabrikanten ja sagen, daß mein Onkel tot sei. Aber ich solle so heimlich fort- reisen, wie ich gekommen sei. Er wolle kein Gerede in der Gegend über meinen Besuch." Frau Helwig hatte sich ihm in tiefem Mitgefühl genähert. Jetzt sagte sie, wie das Herz es ihr eingab, ohne sich Zeit zu lassen, die Worte zu wägen: „Und dann kamen Sie zu mir?" Wieder sah er hastig zu ihr auf: und diesmal trafen sich ihre Blicke. „Ja, Frau Hiarmer!" sagte er.„Denn Ihnen galt mein zweites Anliegen." „Wenn ich nun nicht allein gewesen, wäre?" „Ich wäre nicht fortgereist, bevor ich Sie gesprochen hätte." 0 Es war etwas in seiner Stimme, das sie von neuem zur Abwehr zwang. „Sie müssen wissen. Frau Hjarmer," fügte er hinzu, und seine Stimme bebte so stark, daß auch sie zu zittern begann, „daß nichts in all diesen Iahren mich so gequält hat wie die Ungewißheit über Sie." „Welche Ungewißheit?" fragte sie leise. „Ich meinte, daß Sie mir gehörten— seit jener einen hellen Nacht!" Er flüsterte es fast.„Und als ich hörte, daß Sie verheiratet seien, da dachte ich: das ist deine Schuld: du hättest deiner ersten Eingebung folgen sollen: jetzt büßt so- ! wohl sie wie du dafür, daß du deinem Instinkt nicht gehorch! i host: du hättest sie den letzten Abend nehmen sollen, anstatt sie zu fragen— wie ein Mann die Frau in seine Arme nimmt, � die sein ist." ! Frau Helwig kämpfte nickt mebr. ihre Bewegung zu ver- bergen. Seine Worte hasten sie überrumpelt, sie beugte sich vor iwd lr-gt? fast atemlos: ,.i'nd i-�— m'y mosten S'e fetzt?" Werner richtete ff''' auf. tr-st ganz h'Af an ff» f-eran unb nahm i're Annen mit feinem kamen, festen Blick gefangen. „Ich wanie wissen, ob Fran H'armer g'ücklich sei—- oder ob Helwig Lönkeldt wie in alten Tagen mir gehörte." Frau Helwig verbarg die dunkle Glut in ihren Augen unter den halbgeschlossenen Lidern, indem sie ihren Kopf znrückbog und veraekttch v-ehnchi», jhve Kxct»
und Ruhe zu zwingen.„Und wenn ich nun— wenn Frau Hjarmer nun nicht glücklich gewesen wäre?" Werner neigte sein Gesicht dem ihren zu— so dicht, daß sie seinen warmen Atem auf ihrer Stirn fühlte, als er ant- wartete: „Dann hätte ich Helwig Lönfeldt mit mir in die große, freie West hinausgenommen!" 7. Fräulein Sindal kam schnell aus dem Eßzimmer. Als sie den Fremden sah, blieb sie mit einem Ausruf stehen und starrte ihn überrascht an. Frau Helwig und Werner fuhren auseinander, und Ihre Hände suchten sich eine hastige Beschäftigung an der Stickerei auf der Tischecke. „Ich bitte um Entschuldigung!" Fräulein Sindal machte Miene, sich zurückzuziehen: ihre großen blauen Augen aber konnten sich nicht losreißen. Frau Helwig wurde rasch Herr ihrer Bewegung. „Bitte, Fräulein Sindal," sagte sie,„bleiben Sie nur!" Während das junge Mädchen sich dem Tisch näherte. stellte Frau Helwig vor:„Ingenieur Hilsöe— Fräulein Sindall" Werner machte eine kurze Verbeugung, ohne das junge Mädchen anzusehen, das sich noch nicht von seinem Erstaunen erholt hatte. Frau Hjarmer nahm die Stickerei in die Hand und begann sie sorgfältig zusammenzufalten. „Herr Hilsöe ist ein alter Freund von mir," sagte sie ruhig.„Er ist hier auf der Durchreise. Wir haben seinerzeit im Pensionat viel zusammen musiziert. Wollten Sie etwas von mir, Fräulein Sindal?" Das junge Mädchen strich die aschblonde Locke von den Augen zurück. „Ellen wirft sich so unruhig im Schlaf hin und her und hat solch» heiße Stirn. Ich fürchte, sie hat Fieber. Frau Hjarmer!" "stau Helwig sah hastig auf. mit nach oben!" sagte sie und legte die Stickerei in den Nähtisch. Dann wandte sie sich zu Werner, der aus Ihrem Blick und ihrer Haltung verstand, daß er jetzt gehen müsse. Er. richtete sich auf. ging einen Schritt auf sie zu und streckte ihr seine Hand entgegen. (Fortsetzung folgt.)