Nr. 22 39. Jahrgang Ausgabe
Nr. 11
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Freitag, den 13. Januar 1922
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Poincaré bildet ein Kabinett.
Ein Ueberblick über die heutige Berliner Morgenpresse zeigt, daß die Ueberraschung über das gestrige Ereignis von Paris groß, aber der Schrecken darüber vielleicht doch fleiner ist, als man in Frankreich erwartet hatte. Die meisten Blätter gehen von der Annahme aus, daß Poincaré die Regierung übernehmen wird, und es läßt sich denken, daß dieser fran zösische Politiker nicht die allerbesten Zensuren erhält.
Es ist son gestern hier gesagt worden, daß die deutsche Politif jeder neuen Regierung Frankreichs , wie immer fie heißen mag, mit völliger unvoreingenommen heit gegenübertreten muß. Auch wir halten den Beweis für erbracht, daß die Politik Poincarés im Sommer 1914 in einem erfennbaren Gegensatz zu dem Friedenswillen des französierkennbaren Gegensatz zu dem Friedenswillen des französi schen Volkes gestanden hat. Aber da wir berufen sind, nicht Geschichte zu schreiben, sondern Politit zu machen, so tommt es uns viel mehr darauf an, was Herr Poincaré , wenn er Ministerpräsident wird, tun wird, als darauf, was er früher einmal getan hat. Die Gefahr aber, daß große Dummheiten geschehen, ist noch immer geringer, wenn ein Politiker von Er fahrung und Intelligenz das Erbe Briands übernimmt, als wenn es ein fleiner Jünger Poincarés tut, der seinen Mangel an Begabung durch Uebereifer auszugleichen versucht. Die eingetretene Wendung der Dinge macht es nötig, Deutichlands Rechtslage noch einmal zu unter fuchen. Deutschland hat die Reparationsfommission um teilmeisen Aufschub für die Raten ersucht, die am 15. Januar und am 15. Februar fällig werden. Dieses Ersuchen ist gestellt worden im Sinne des Art. 234 des Friedensvertrages, der die Reparationskommission ermächtigt, die Zahlungsfristen auszubehnen und die Tilgungsraten zu ändern. Ein dem deutschen Ersuchen entsprechender Beschluß fann mit mehrheit ge fakt werden, nur wenn nicht bloß Zahlungsaufschub, sondern vollständiger oder teilweiser Schulderlaß beschlossen werden foll, ist Einstimmigkeit erforderlich.( Art. 244, Ani. II§ 13). Das Verfahren, das einzuschlagen ist, wenn Schlungsaufschub nicht bewilligt wird und Deutschland trotzdem nicht zahlt, wird in Art. 244 Anl. II§§ 17 und 18 geregelt, wo es heißt: Rommt Deutschland irgendeiner feiner Verpflichtungen aus diesem Teil des gegenwärtigen Vertrags nicht nach, so zeigt der Aus schuß diese Nichterfüllung unverzüglich jeder der beteiligten Mächte an und teilt ihr gleichzeitig seine Vorschläge über die im Hinblid auf diefe Nichterfüllung angebracht erscheinenden Maßnahmen mit.
Die Maßnahmen, zu denen die alliierten und affoziierten Regie. rungen, falls Deutschland vorjählich seinen Verpflichtungen nicht nachtommt, berechtigt sind, und die Deutschland sich verpflichtet, nicht als feindliche Handlungen zu betrachten, fönnen sein: wirtschaftliche und finanzielle Sperr- und Bergeltungsmaßregeln, überhaupt folche Maßnahmen, welche die genannten Regierungen als durch die Um stände geboten erachten.
hat die Politik Briands vereitelt, er soll nun zeigen, wie es besser gemacht werden fann. Das ist vollkommen logisch, und die offene Logit der Tatsachen ist immer besser als irgendein trügerisches Spiel. Vielleicht hat Herr Poincaré den Ehrgeiz zu zeigen, daß er nicht nur Krieg, sondern auch Frieden machen kann, und es wäre gut, wenn solchem Ehrgeiz feine Schranken gesetzt würden.
Der kommende Mann wird natürlich gleich in seiner ersten Rede der Welt zeigen, wie es gemacht werden muß. Er wird die nationalistische Rechte in Entzüden verseßen und vielleicht fogar einen jo strengen Kritifer wie Herrn Daubet zum Schweigen bringen. Über Politif ist eben etwas anderes als bloße Rhetorit, und mit Worten, die Herrn Daudet gefallen, fann man weder die auswärtige Lage Frankreichs verbessern noch die französischen Finanzen in Ordnung bringen.
Briand sagte zum Echluß, er fei gezwungen gewesen, seine De. miffion zu geben, meil er anderenfalls der Besprechung der angefündigten Interpellationen hätte zustimmen müssen. Auf die Interpellationen würde er aber nicht haben antworten fönnen, ebenso wäre es ihm unmöglich gewesen, den Schluß der Debatte abzuwarten, ohne daß die Arbeiten des Obersten Rates unterbrochen würden, und das letztere sei unmöglich gewesen.
Cannes , 12. Januar. ( Havas.) Der Oberste Raf wird am Freitag vormittag 11 Uhr zusammentrefen. Die Mitglieder der Reparationsfommission werden dieser Sigung nicht beiwohnen. Die deutsche Delegation wird nicht angehört werden. Der dem Minister der Auswärtigen Angelegenheiten zugeteilte Direktor für Das tann man vielmehr nur, indem man sich ein über politische Angelegenheiten, Carode, wird bei der Sitzung Frantragendes Gewicht im Rat der Mächte verschafft, oder indem reich vertreten. Er hat von Briand die Anweisung erhalten, fich man den Weg einer direkten Berständigung mit als Beobachter zu verhalten und nicht in die Debatte einzuDeutschland beschreitet. Aber schon ganz gewiß fann greifen. Es ist wahrscheinlich, daß in diefer Sigung der Oberste man es nicht durch die Zerreißung des Bersailler Vertrages, Rat die Aufhebung der Tagung beschließen wird. der Frankreich an seine Alliierten bindet, und durch die Bollführung militaristischer Luftstöße.
Die Aera von Briands Nachfolger muß also der Welt, einfchließlich Deutschlands , eine angenehme Enttäuschung bringen, wenn fie nicht für Frankreich mit einer peinlichen Ueber raschung enden soll.
Die Kabinettsbildung.
Die deutsche Delegation reist heute abend ab.
Briands Abschied von Lloyd George . Paris , 13. Januar. ( Havas.) Briand hat an Lloyd George folgendes Telegramm gesandt:
In Anbetracht der politischen Umstände, die ich bei meiner Anfunft in Paris oorgefunden habe, war ich der Ansicht, daß es mir nicht möglich sei, den Borjitim Ministerrat zu behalten. Da ich dem Herrn Präsidenten der Republik den Rücktritt des KaParis, 13. Januar. ( WIB.) Der Präsident der Republit binetts unterbreitet habe tann ich nicht nach Cannes zurüdmillerand hat gestern abend Raymond Poincaré ins Elle te bren, um an den Arbeiten des Obersten Rates teilzunehmen. berufen und ihn erfucht, die kabinettsbildung zu übernehmen. Ich bitte Sie, dies unseren delegierten Kollegen mitzuteilen und ihnen Boincaré hat erklärt, er werde Freitag mit mehreren seiner Freunde gleichzeitig meine Bitte um Entschuldigung und das Bedauern zum Rücksprache nehmen und im Laufe des Tages dem Präsidenten seine Ausdruck zu bringen, daß ich die Zusammenarbeit mit ihnen aufAntwort übermitteln.„ Excelsior" glaubt zu wiffen, daß die Antwort geben mußte. Bas Sie, mein lieber Herr Lloyd George , betrifft, fo die Poincaré heute dem Präsidenten der Republik überbringen werte, tut es mir befonders leid, daß ich die Unterredungen, die wir im die Annahme der Kabinettsbildung sein werde. Die krise werde Interesse unferer beiden Länder und im Interesse des europäischen fchon heute abend gelöst sein.
Friedens begonnen hatten, nicht zu Ende führen konnte, die ich so
Paris , 13. Januar. ( ED.) Dem„ New York Herald " zufolge gern zu einem guten Enderfolg geführt hätte. Ich hoffe, daß mein teilte Poincaré fpät nachts Millerand die wahrscheinliche Zusammen- Nachfolger fie mit Ihnen wieder aufnehmen wird und daß er, glüdfehung des Kabinetts wie folgt mit: Außenminifter Poincaré ; licher als ich, die Absichten wird verwirklichen können, die wir angekrieg Barthou; Marine Candry; Juffiz Doumergue; Finanzen Caffeyrie; Landwirtschaft Jean Durand; Pensionen Maginot; Wiederaufbau Loudeur; 3nneres Maunourg.
Die Sozialisten für Kammerauflösung. Paris , 13. Januar. ( EB.) Die sozialistische Gruppe ber Kammer hat eine Tagesordnung angenommen, in der sie erflärt, daß die durch die Demission Briands geschaffene Lage Frankreich der Gefahr aussehe, noch mehr isoliert zu werden inmitten eines Europa , das noch voller Kriegsgefahr sei. Es gebe keinen anderen Ausweg aus der Lage, als die Rammer aufzulösen und neu wahlen auszufchreiben.
Die Frage, ob zu den hier angedeuteten Maßnahmen auch die Besehung bisher unbefetten deutschen Ge biets gehört, ist umstritten, ehrlicherweise muß fie aber verneint werden, da der XIV. Teil des Vertrages das Gebiet, das zur Sicherung für seine Ausführung besetzt werden kann, Die Gruppe der republitanischen Fraktion der Kamgenau umgrenzt und das dort angegebene Gebiet tatsächlich mer, die 240 Abgeordnete umfaßt, hat ebenfalls eine Tagesordnung besetzt ist. Als Sicherungsmaßnahme fommt danach eine angenommen, in der sie erklärt, daß sie auf den engen ZusammenAusdehnung nur der Besagungsfristen, nicht der Beschluß der Alliierten und auf den Fortbestand der franzö⚫ fagungs zone in Betracht. fisch englischen Entente das Hauptgewicht legt.
Erklärungen Briands.
strebt hatten.
Ich bitte Sie, den Ausdruck meiner besonderen Hochachtung und Ergebenheit entgegenzunehmen.
Das Urteil der französischen Presse. Paris , 13. Januar. ( EP.) Ere Nouvelle" schreibt zum Rücktritt Briands: Diejenigen, die Briand im Rücken erdolchten, werden die ersten Opfer ihrer schlechten Handlungsweise sein. Niemals waren die Sieger so verlegen über ihren Sieg.
Beuple" fchreibt: Es gibt feine Regierung, die eine andere Politit machen fann als Briand, oder fie müßte mit allen anderen Rationen brechen und sich in ein Unternehmen von unfinnigen Gewalttätigkeiten stürzen.
Der igaro" schreibt: Poincaré steht Schwierigkeiten gegenüber, die 12 Monate einer Politit im Großen angehäuft haben. Seine Gegner fuchen ihn als einen Fanatiker hinzustellen. Wir, bie wir ihn fennen, lachen über diefe Legende. Wir er warten von Boincaré eine geschickte und schmiegsame Politit, die
aber die Intereffen Frankreichs nicht verlegt.
Deuore" schreibt: Briand hat gestern vielleicht den größten Erfolg feiner politischen Laufbahn errungen. Kenner find fich darüber einig, daß er mindestens 420 Stimmen erhalten hätte.
Auf alle Fälle geht aus dem Bertrag flar hervor, daß Maßnahmen im Sinne der zitierten Bestimmungen nur von der Gemeinschaft der verbündeten Mächte, niemals aber Paris , 13. Januar. ( WIB.) Briand erklärte gestern abend von einer einzelnen unter ihnen getroffen werden können. Wenn man es ganz fraß ausdrücken will, so fann man sagen: Bariser Journalisten, sein Entschluß, zurückzutreten, sei endDas Echo national", das Blatt Clemenceaus, schreibt: Frankreich hat nach dem Vertrag gegenüber Deutschland über gültig. Er mürde unter ten gegenwärtigen Umständen nicht Briand hat gestern erklärt, daß weder das Barlament noch das Land haupt kein Recht, denn Träger aller dieser ungeheuren aus bereit sein, das Amt des Ministerpräsidenten wieder zu über ihm folgen würde. Aber in der Art, wie er sich zurückgezogen hat, dem Vertrag hervorgehenden Rechte ist die Gesamtheit nehmen. Man fönne nur mit einer festen Mehrheit, die mit der Dollführte er ein politisches Manöver, das alle Bürger, denen der Verbündeten, nur durch sie kann Frankreich von Deutsch - Regierung zufammenarbeite, die Geschäfte führen. Besonders das nationale Interesse am Herzen liegt, verdammen müssen. Betit Parifien" schreibt: Es werde jegt leicht sein, die land Geld erhalten, nur von ihr fann Frankreich bevollmäch unter den gegenwärtigen ernſten Umständen sei diese Mitarbeit tigt werden, irgend etwas gegen Deutschland zu unternehmen. unerläßlich. Er Briand - habe nicht den Eindruck gehabt, Franzosen noch einmal anzufchuldigen, die Störenfriede des Im Bewußtsein dieser Rechtslage hat Briand für ein daß diese Mehrheit die Regierung fräftig genug unterstüße. Es europäischen Friedens zu sein. Die erste Aufgabe des neuen Minigutes Einvernehmen mit England gewirkt, und wegen dieser fei nicht genug, daß nach einer Rede applaudiert werde. fteriums werde sein, das Mißverständnis, das zwischen Frant. reich und England entstanden sei, zu beseitigen. Bielleicht feiner Englandpolitik hat er in Frankreich so heftige Opposition Briand sprach sein Bedauern darüber aus, daß die Ergebnisse, die würden bie beiden Regierungen von London und Paris , gewißigt gefunden, daß er vorzog, statt sich weiter dem auf ihm lasten- man in Cennes erzielt habe, nicht richtig abgefchäßt worden seien. durch die schmerzlichen Erfahrungen, einsehen, daß es Verhandlungen den Drud auszusetzen, freiwillig das Feld zu räumen. Schon bezüglich der Reparationen hätten die Alliierten gebe, die man viel leichter in der Ruhe der Kanzlei als auf Er hat nach pädagogischen Grundsägen gehandelt, etwa wie Frankreichs fich zu Opfern bereit ertlärt, ohne öffentlichem Marktplatz oder auf Konferenzen mit großem Apparat eine Mutter, die das Zimmer verläßt mit der Erklärung, daß daß die Rechte Frankreichs im geringsten vermindert wurden. Was oder auf internationalen Kongreffen führe. fie bei so ungezogenen Kindern nicht bleiben fönne. Man hat die Besprechungen mit England angehe, so hätten diese zu einem Journal" erklärt: Die Entscheidung Briands sei doppelt be. ihm das Leben zu schwer gemacht, man hat ihm die Demüti- Borentwurf geführt, der hervorragenden Wert für die Sicherheit dauerlich, erstens, weil sie das Land mitten in folgenschweren Bergung einer Rückberufung aus entscheidenden Verhandlungen der beiden Länder und für den festen Bestand ihrer gegenseitigen handlungen eines gefchidten Advokaten beraube, ber nach Paris auferlegt, nun geht er, mögen diejenigen, die Beziehungen darstelle, Briand hob hervor, daß dieser Borentwurf durch seine Geschmeidigteit mehr als einmal schon gefährliche Kon. die Sicherheiten, die der Bertrag von Versailles Frankreich Briands nicht besprochen und feiner Abstimmung unterworfen wor flikte vermieden habe; alsdann aber auch, weil die Erklärung das angerichtet haben, sehen, was daraus wird! Die Lage, in der sich Frankreich heute befindet, ist vor biete, ganz und gar nicht vermindere, sie seien beträchtlich den sei. Briands Nachfolger tönnte alfo teine feste allem von Poincaré verursacht worden, und so ist es selbst- perstärkt. Er habe die bestimmte Hoffnung, daß sein Nach Unterlage des Parlamentswillens über die in Cannes erörterten verständlich, daß sich alle Blicke zunächst auf ihn richten. Er folger die diplomatischen Besprechungen zu Ende führen werde. Fragen gegeben werden,