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Nr. 27 39. Jahrgang Ausgabe A nr. 14
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Dienstag, den 17. Januar 1922
Der italienische Botschafter Frassati überreichte gestern abend dem Reichstanzler die Einladung an die deutsche Reichsregierung zu der am 8. März stattfindenden Wirt schaftskonferenz in Genua . Das Einladungsschreiben hat folgenden Wortlaut:
„ Herr Reichskanzler!
Gemäß einer Entschließung des Obersten Rates der alliierten Mächte beehre ich mich, eine Abschrift einer Entschließung zu übermitteln, welche am 6. Januar 1922 durch die alliierten Regierungen auf der Konferenz von Cannes angenommen wurde. Im Einklang mit dieser Entschließung und auf Weifung meiner Regierung beehre ich mich, die deutsche Regierung zur Teilnahme an der Wirtschafts- und Finanzfonferenz einzuladen, die in Genua am 8. März Ich bitte Sie, mir die Namen Ihrer Delegierten und der Begleiter mitzuteilen.
1922 eröffnet werden wird.
Genehmigen Sie, Herr Reichskanzler.. Dem Einladungsschreiben ist der Text der bereits veröffentlichten Entschließung beigefügt, die durch die Konferenz von Cannes am 6. Januar angenommen wurde. Unter den in der Entschließung zur Teilnahme ausdrücklich aufgeforderten Mächten werden außer Deutschland Desterreich, Un garn, Bulgarien und Rußland genannt.
Rathenaus Bericht.
Der Sozialdemokratische Parlamentsdienst schreibt: Das Reichstabinett nahm am Montag abend den Bericht Dr. Rathenaus über die Verhandlungen und fand eine vertrauliche Debatte über die Besprechungen mit den die Eindrüde Don Cannes entgegen. Anschließend
Bertretern der Ententemächte statt.
Die Ablehnung des Führers der französischen Radikalen, Abg. Herriot, in das Poincarésche Kabinett einzutreten, ist eine der für die Beurteilung der neuen politischen Lage in Frankreich wichtigsten Tatsachen. Sehr interessant ist der Bericht, den Herriot über seine Unterredung mit Poincaré vor feinen Fraktionsfreunden erstattet hat, und den wir aus den Pariser Blättern entnehmen:
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An dieser Stelle ist des öfteren darauf hingewiesen wor den, daß die deutsche Regierung genötigt ist, sich für die Die Ressorts der Reichsregierung sind bereits mit der Aus- Rechte der Deutschen in dem an Polen fallenden Teil arbeitung einer Denkschrift beauftragt, die die Bedingungen Oberschlesiens besondere Garantien geben zu lassen, der Reparationstommission behandelt. Es ist zu erwarten, da die polnische Regierung dem Deutschtum in dem ehemalig daß die Grundlagen dieser Denkschrift schon am Mittwoch im preußischen Gebiet von Bosen und Westpreußen nicht nur nicht Auswärtigen Ausschuß bekanntgegeben werden. Im Reichs- den vertraglich festgelegten Schutz angedeihen läßt, sondern tag wird der Reichstanzler wahrscheinlich am Donners- auch die Deutschen aus diesen Gebieten herauszudrängen sucht. tag die Regierungserklärung über die Verhandlungen in Die polnische Regierung ging mit einer Schärfe vor, daß sich Cannes und über die Absichten des Reichskabinetts abgeben. selbst der Oberste Rat gezwungen fah, einzugreifen. Wir In parlamentarischen Kreisen rechnet man damit, daß wissen uns frei von nationalistischen Ueberempfindlichkeiten zur Deckung der Verpflichtungen eine Inlands- oder Aus- und irgenwelchen Haßgefühlen. Wir gestehen Polen , landsanleihe notwendig wird, zu deren Berzinsung und als jungem Staat, das Recht zu, fich in seinem Tilgung die Industrie zwangsweise herangezogen werden eigenen Hause selber einzurichten. Wir verstehen es, wenn muß. Bereits in Cannes hat die deutsche Delegation teinen man in Warschau die polnische Eigenart zunächst einmal mögZweifel darüber gelassen, daß Deutschland nie in der Lage lichst fest im Staat verantern zu müssen glaubt. Aber es geht sein wird, in diesem Jahre alle zehn Tage 31 Millionen Gold nicht an, daß man die Parteien, die mit im Hause wohnten, mart zu zahlen. Die Wirkung des guten Eindrucks, den die ehe man den Befiz antrat, nun ohne weiteres auf die deutsche Delegation in Cannes hinterlassen hat, und insbe Straßefeßt. Hier seht das Recht der kleinen Völker, das sondere die Birkungen der Rede Rathenaus, verspricht man Recht der nationalen Minderheiten ein. Und dieses Recht ist sich erst von der Konferenzin Genua . Auch über diese fester Bestand des Bölkerrechts, dem sich das Staatsrecht zu Konferenz haben mit deutschen Delegierten in Cannes Vorbeugen hat. besprechungen stattgefunden. Es fand ein Gedankenaustausch darüber statt, wie man sich den Aufbau der Oft
staaten denkt.
Die Schwierigkeit bei der Erledigung und Beantwortung der Bedingungen der Reparationskommission liegt darin, daß man von Deutschland feste Angaben darüber verlangt, was es zu leisten imftande ist. Selbstverständlich werden solche Angaben nur in beschränktem Umfange möglich sein, zumal die Beränderungen der Wirtschaftslage fich nicht voraussehen lassen, und besonders fein leberblick darüber möglich ist, wie sich die deutschen Produktions- und Absatzverhältnisse bei einem dadurch gesteigerten Erhöhung der Gestehungskosten der Infortschreitenden Abbau der Lebensmittelzuschüsse und bei der dustrie gestalten werden.
lich auf das Konto des nationalen Blocks, und nicht zuleht Boincarés felber zurückzuführen. Der Populaire" weist die Erklärung Poincarés, daß er persönlich nichts gegen eine Hinzuziehung der Sozialisten hätte, mit Entrüstung zu rüd und verurteilt auf das schärfste diesen Poincaréschen Bergleich mit der Lage von 1914, der nur geeignet sei, die Situation noch schlimmer zu gestalten, als sie es ohnedies schon ist.
Poincarés erster Ministerrat.
Paris , 16. Januar. ( EE.) Heute vormittag von 9-12 Uhr fand ein französischer Ministerrat statt, in dessen Verlauf das Brogramm für die nächsten Arbeiten der Kammer aufgestellt wurde. Es wurde beschlossen, in erster Linie den Gefeßentwurf über das Mietsrecht, die Banque industrielle de Chine und das neue Refrutierungsgesetz zu behandeln. Poincaré machte Mitteilung von der Uebernahme des Kolonialministeriums durch Sarraut, der sich telegraphisch dazu bereit erklärt hatte.
handlungen zwischen den deutschen und den polnischen DeleNach den bisherigen Erfahrungen sahen wir den Bergationen in Oberschlesien nicht mit sonderlicher Hoffnungsfreude entgegen. Wir wußten, daß in einer Reihe von Fragen, darunter Fragen von weittragender Bedeutung, ein Uebereinkommen mit Polen unschwer zu erzielen sein werde, da Polen an einer raschen und friedlichen Erledigung Dieser Materien das größte Interesse hat. Polen ist ohne Deutschlands Mit hilfe in seinem neuerworbenen Gebiet zum großen Teil hilfe in feinem neuerworbenen Gebiet zum großen Teil fommenheit, wenn sie dem Bemühen ihrer polnischen arbeitsunfähig. Es war deshalb von den in Frage kommenden deutschen Delegationen eine weitgehende ZuvorBerhandlungskontrahenten, zu einem schnellen Abschluß zu gelangen, entgegenfamen, ohne sich von dem Verhandlungsgang in anderen Kommissionen beeinflussen zu lassen. Es wäre aber falsch, wenn die polnische Regierung daraus den Schluß zöge, der für Polen günstige Teil der Verhandlungen fei zu einem in gewisser Hinsicht endgültigen Abschluß gelangt, in den anderen Fragen fönne man nun leichtfertig einen Streit mit den Deutschen vom Zaun brechen und gegebenenfalls einen Schiedsspruch provozieren. Die Dinge liegen vielmehr so, daß wir den gesamten Fragentompleg als eine Einheit betrachten, aus dem nicht willkürlich einige Gebiete herausgelöst werden können, ohne eine Verständigung über das Gesamtproblem aufs ernsteste zu gefährden. Wir stüßen uns hierbei auf das Urteil der nach Oberschlesien ente fandten Kommission des Internationalen Gemertfchaftsbundes und auf das des Völkerbundes, die beide zu der Ansicht gelangten, das gesamte Wirtschaftsleben Oberschlesiens sei derartig aufeinander eingespielt, daß eine Lösung des Problems, die nicht zu gleicher Beit eine befriedigende Gesamtlösung bedeute, einen Zusammenbruch nach sich ziehen müsse.
Der englische Außenminister Lord Curzon ist um 9,10 Uhr in Baris eingetroffen. Er wurde von Poincaré empfangen, der heute Zwei Forderungen sind es vor allem, die Polen nicht erdie Geschäfte des Außenministeriums übernommen hat. füllen zu können glaubt: das Verbleiben der deutschen GeDer frühere Präsident Deschanel richtete an Poincaré einen, werkschaftsorganisationen im neupolnischen Gebiet bei ihren Brief, daß er ihn beim Wiederzusammentritt des Senats über die Mutterorganisationen und die Garantie, daß das deutsche auswärtige Politit interpellieren werde. Deschanel erklärt Eigentum in diesem Teil vor einem zwangsläufigen Zugriff ausdrücklich, daß er das neue Kabinett mit einem Gefühl des Ver- von polnischer Seite gesichert ist. Im ersten Fall handelt es trauens interpellieren werde. Der„ Intransiegeant" glaubt, daß die sich, wohlverstanden, um eine soziale und nicht um eine Rammer Poincaré am Donnerstag nach der Verlesung der ministeriel- politische Forderung. Deutschland denkt nicht daran, in dem len Erklärung mit 450 Stimmen ihr Vertrauen aussprechen werde. verlorenen Landesteil einen wie auch immer gearteten politischen Druck auszuüben und hat das gleich nach dem Spruch des Völkerbundes dadurch zum Ausdruck gebracht, daß es einen flaren Trennungsstrich zwischen den politischen Parteien hüben und drüben zog. In sozialer Hinsicht ist aber eine starte Anlehnung an Deutschland notwendig, da hier( auch nach dem Urteil der neutralen Sach
Ich habe dem Ministerpräsidenten geantwortet, daß ich eine Mitarbeit in seinem eigensten Interesse nicht annehmen könnte. Ich würde sonst nämlich zwangsläufig in die Lage gekommen sein, von würde sonst nämlich zwangsläufig in die Lage gekommen sein, von meinen Fraktionsfreunden Opfer zu verlangen, die sie kaum zu gestehen könnten, oder mir selbst gewiffe Opfer aufzuerlegen, die ich nicht zu bringen gewillt bin. Im übrigen bin ich der Ansicht, daß es dem Wesen des Parlamentarismus entspricht, daß die Abgeordneten der sich in der Minderheit befindlichen Parteien auf ihren Abgeordnetenbänten verbleiben müssen. Um meine Ablehnung zu begründen, habe ich weiter dem Ministerpräsidenten gegen über auf die feindselige Haltung der gegenwärtigen Rammer gegen die Radikalen hingewiesen, welche fich noch vor wenigen Tagen gelegentlich der Wahl eines Bizepräsidenten offenbart hat, als die Mehrheit den Abgeordneten Buech, einen Abtrünnigen, unserer Partei, unferem Fraktionsvorsitzenden vorzog. Doch ließ Herr Poincaré in freundschaftlicher Weise nicht nach und sagte mir: Unter den gegenwärtigen Verhältnissen dreht es sich lediglich um die aus märtige Politit. Ich habe bisher nur drei Mitarbeiter feft beftimmt; ich überlasse Ihnen eine Art Optionsrecht für den Rest. des Ministeriums und ermächtige Sie, Ihre Parteifreunde um ihre Unterstützung zu ersuchen. Ich möchte ein Rabinett der nationalen Einigteit auf breitester Basis bilden, das Der Rat der Volkskommissare hat, wie WTB. meldet, das Ander jetzigen Situation angepaßt wäre, und die Rabitalen könnten ja unmöglich einer solchen Regierung die Unterstügung verweigern." gebot der Staatsbant, dem Boltskommiffariat für Landwirtschaft „ Darauf antwortete ich dem Ministerpräsidenten," berichtete hundert Milliarden Papierrubel zur Weiterverleihung verständigen) in Bolen noch alles im argen liegt, und es tann Herriot weiter ,,, daß, um ein derartiges Ministerium zu bilden an die Bauern zur Saatzeit vorzuſtrecken, angenommen. Wie uns in feiner Weise befriedigen, wenn diese Anlehnung nur man weiter nach links gehen und sogar die Sozialisten zum Ein- DE. berichtet, hat sich im Bestande des Allrussischen Zentralegekutiv in den schon durch ihren Namen äußerlich als sozial sichtbaren fritt veranlassen müßte, die ja für die Landesverteidigung eintreten. fomitees eine aus 30 Mitgliedern bestehende Fraktion der par Institutionen gesucht wird. Der Schutz der sozialen EinrichHerr Poincaré stimmte mir zu, machte jedoch kein Hehl daraus, daß teilofen Bauern gebildet. Die neue Fraktion wird sich vor. tungen würde Gefahr laufen, ein Feßen Papier zu bleiben, eine derartige„ Operation" gewisse Gefahren in sich berge. wiegend mit der in Aussicht stehenden Reform der Agrargefeße be- wenn nicht die Macht der gewerkschaftlich geIch fügte schließlich hinzu, daß nach meiner Ansicht die Lage nicht faffen, um eine Stabilisierung der landwirtschaft- einten Arbeiterschaft hinter ihr stände. von einem derartigen Ernfte sei, daß sie die Wiederholung der poli- lichen Berhältnisse zu erreichen und die Arbeit der Regie tischen Opfer des Jahres 1914 erforderlich machen, daß wir aber, rung mit den Wünschen der Bauern in Einklang zu bringen. Es falls er die Lage für ebenso gefährlich wie damals besteht der Plan, auch bei den lokalen Sowjets ähnliche Frat tionen der parteilofen Bauern zu schaffen. Ferner wird die Bildung hielte, bereit wären, ihm unsere Mitarbeit zu von Bauernausschüssen bei den bestehenden Agrarabteilungen und die Einführung von Agrar Gerichtshöfen erwogen, welche Nach dem Bericht des Populaire" soll Boincaré darauf über die Agrarstreitigkeiten entscheiden und den Bedürfnissen der hin erklärt habert, er beurteile allerdings die Lage als Bauern möglichst schnell Gehör verschaffen sollen. Damit bestätigt ebenso ernst wie im Jahre 1914. Indessen ist dieser sich unsere Bermutung, daß die Parteilofen zur wirtschaftlichen Vergleich offenkundig nur Stimmungsmache, um die Radi 2 ufbauarbeit in Rußland mehr als bisher herangezogen falen zu födern, und sich eine möglichst große Mehrheit zu werden. Die Meldung hingegen, daß die Sowjetregierung beabsich. fichern. Frankreichs Lage mag zwar nach dem Abbruch der tigt, Parteilofe auch in einflußreiche Regierungsstellen aufzunehmen, Konferenz von Cannes etwas heifel sein, sie ist aber ausschließ scheint auf falschen Informationen beruht zu haben.
fichern."
"
Diefe
Macht aber auf sich gestellt und von den Muttergesellschaften abgetrennt auszuüben, würde den verbliebenen Rumpfgewertschaften bei dem Terror Andersdenkender und den trostlosen gewerkschaftlichen Zuständen in Polen ein Ding der Unmöglichkeit sein. Wie sehr die gesamte Arbeiterbewegung in Polen zerbrödelt, ergibt sich aus der Tatsache, daß die pol nische Sozialdemokratische Partei innerhalb eines Jahres von 100 000 Mitgliedern auf etwa 51 000 zurückgegangen ist. Anders wären die Drangsale, unter denen der polnische Arbeiter zu leiden hat, auch gar nicht zu erklären. Soll Deutschland seine hochwertigen Arbeiter in PolnischOberschlesien demselben Elend preisgeben?