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!»c. 27 4 ZH. Jahrgang

Seilage öes vorwärts

Dienstag, 17.�tml»ar1H22

Was der SteuerfiskusVergnügen" nennt.

Versteuerte Kultur. Die Steuerverwaltung als Die neue Vergnügung? st euerordnung ist im Aus- schuh der Berliner Stadtverordnetenversammlung beschlossen, die Zustimmung des Plenums ist nur noch Formsache. Da oerlockt«s, einmal darüber nachzudenken, mos alles in der Welt und speziell in Berlin e i nV« r g n ü g e n" s e i n s o l l. Es muß aber vorweg gesagt werden, daß die Berliner Steuerverwaltung und die Ber- lincr Stadtverordneten über die grundsätzliche Frag« diesmal gar nicht mehr zu befinden hatten, weil seit Juni vorigen Jahres die Kommunen durch Reichsratsbeschluß verpflichtet sind, alles das, was das Reich Vergnügen nennt, ohne weiteres zu besteuern. der Steuerfiskus als Kunfirichter. Dos ist das Mißliche bei j«der solchenVergnügungssteuer", daß sie nicht scheiden und trennen kann zwischen Kultur und Un- kultur, zwischen Kunst und Schlund, auch nicht zwischen Erholung und Nervenkitzel, zwischen dem Bedürfnis nach geistiger oder see- lischer Entspannung und dem Taumel von Begierde zu Genuß. Es liegt im Wesen solcher Steuer, daß sie zugleich ein« Steuer aus Kultur wird, denn keine Behörde der Welt und kein Zensor wird hier die Trennungslinie ziehen können. Di« Reichsratsbestimmun- gen sprechen sehr schön vonkünstlerisch hochwertigen Veranstal- tunqen". Mit Verlaub, weise Herren vom Rcichsrat wer Ist Richter über die künstlerische hochwertigkeit? Entscheidet der In- halt der Darbietung oder ihre Form? Ist derFaust", von einer Schmier« gespielt, künstlerisch hochwertig? GehörtSchäme dich, Lotte" ebenso dazu wiehossmanns Erzählungen"? Nein, Berlin hat schon recht daran getan, wenn es sich auf solche Steuer- zensur gar nicht erst eingelösten hat. Der Steuersiskus ist«in schlechter Kunstrich.er. Er hat nur dafür zu sorgen, daß künstlerische Darbietungen und Stunden notwendiger Erholung und geistiger Entspannung nicht unmöglich gemacht werden. Ja, man muß wohl sogar sag«n, daß sie für die breiten Schichten des arbeitenden Volkes nicht noch unmöglicher gemocht werden, als dies heute schon der Fall ist. Als eine lelbstverständliche Pflicht erschien es daher, alle Veranstaltungen zum Zwecke der Volksbildung und der Kunst- pflege wie der Leibesübung grundsätzlich steuerfrei zu lassen, wenn sie ohne die Absicht einer Gewinnerzielung unternommen werden. Gottesdienste und lvahluerfammlungen. Wie weit das Reich hier den BegriffVergnügen" faßt, geht am besten daraus hervor, daß der Berliner Steuerousschuß es für notwendig hielt, ausdrücklich festzulegen, daß Gottesdienste, politische und gewerkschofttich« Versammlungen nicht als steuerpflichtige Ver­gnügungen anzusehen seien. Aber es gibt fraglos auch da Grenz- fälle. Künstlerische Darbietungen während eines Gottesdienstes, Ge- dächtnisfeiern für Verstorbene auf der einen Seite, deutschnationale Wahlpropaganda mit Orchesterbegleitung auf der anderen ist das Vergnügen oder nicht? Und es ist hierbei zu bedenken, daß ein Trauerspiel nach Ausfassung des Steuersiskus ebenso ein Vergnügen ist wie ein Tingeltangel, ein wisienschastlicher Vortrag ebenso wie Vreiskegeln und Boxkämpfe, ein Kirchenkonzert ebenso wie ein Tanztee oder eine Würfelbude. Schunü unü Spielwut. Eine Freilassung der gewerbsmäßigen Darbietungen war aus den eingangs angeführten Gründen unmöglich. Es mußte deshalb auf der anderen Seite dafür gesorgt werden, daß in einer Zeit, wo auch hochwertige Kunst und harmloses Vergnügen zur Füllung des leeren Stadtsäckels beitragen müssen, all der Schund und Kitsch und Schmutz, der sich auchvergnügen" nennt, entsprechend hoch zur Steuer herangezogen wird. Bon unserem sozialistischen Standpunkt aus mußte man dabei der Versuchung widerstehen, die Steueroer- waltung als moralische Anstalt zu betrachten, d. h. auf dem Umweg über eine hohe Besteuerung Schund und Kitsch und kapitalistische Vergnügungsfabriten unmöglich machen zu wollen. Wir wissen, daß man durch ein« solche unzulängliche Bekämpfung einzelner Symptome die Krankheiten unseres Volkslebens nicht heilt. Wenn man z.B. die Glücksspielapparate, wie e» fehl geschehen ist. mit einer Z0-7N.- Steuer scheinbar unmöglich macht, so rottet man damit natürlich die Spielwut nicht aus. sondern treibt sie höchstens von der offenen Straße in die heimlichen Winkel, in die keine Polizei und kein« Steuerocrwaltung hineindringt. Leider haben auch unsere unabhängigen Freunde sich hierbei von dem polizeilich kapitalistischen Denken nicht ganz freimachen können. Eine Stenerverwalhing muß versuchen, Geld hereinzukriegen. Sie hat wohl die Pflicht, kul-

moralische Anstalt. Vergnügen als Broterwerb. ! turelle Bedürfnisse und soziale Notwendigkeiten zu berücksichtigen, aber sie hat nicht den Zweck, die Welt besser zu machen. Und sie hat nicht die Macht dazu. Selbstlose Kapitalisten. Der Steuersiskus hat auch kein Interesse daran, irgendein Gewerbe durch seine Steuer totzumachen. Kühe, die man melken will, schlachtet man nicht. Es war daher notwendig, die wirtschaft­lich« Lage der Gewerbe, die sich das vergnügungsbedürsnis ihrer Mitmenschen zur Brotquelle gemacht haben, genau abzuschätzen. Der Steuerousschuß hat sich diese Aufgabe nicht leicht gemacht, er hat etliche Dutzend Sachverständiger aus den verschiedensten Gebieten angehört und alle berechtigten Bedenken berücksichtigt. Daß aber dieSachverständigen" hier samt und sonders auch Interessen- t e n waren, machte die Aufgabe einigermaßen schwer. Wenn man nach dem Wortlaut dieser Interessenten hätte urteilen wollen, so ständen alle Stätten der Vergnügungen, der Kunst und der Volks- belustigung unmittelbar vor dem völligen Ruin und man müßte be- wundernd den Hut vor all den selbstlosen und idealistischen Mit- menschen ziehen, die ihr Kapital zinslos hinauswerfen, nur um ihren armen Mitmenschen ein paar Stunden des Vergnügens in all dem Elend dieser Tage zu verschassen. Die Selbstlosesten von allen wären dann an erster Stelle die Herren vom F i l m k a p i t a l und die K i n o b e s i tz e r. Ihnen schließen sich die C a f e h a u s- b e s i tz e r unmittelbar an. Und wenn sie alle gegen eine kräftige Vergnügungssteuer protestieren, so geschieht es natürlich nicht um ihrer selbst willen, sondern nur um ihre Arbeiter und An- gestellten vor der Brotlosigkeit zu bewahren! Es gibt doch noch Idealisten in der Welt, und in Berlin offenbar ganz be- sonders viel! verschwenüung unü Not. Aber richtig ist natürlich, daß eine vieltausendköpfig« Schar von Arbeitern heute im Dienste der Vergnügungsindustrie steht. Vom Theater über die Gastwirtschaften bis zu den Rummelplätzen zieht sich eine ununterbrochene Kette von kapitalistischen Betrieben, die Tausende von Arbeitern und Angestellten beschäftigen und die sich ausschließlich die Befriedigung des Vcrgnügungsbedürfnisses ihrer Mitmenschen zum Ziel gesetzt haben. Auch hier zeigt sich überall der Zug der Zeit zum Großbetrieb auf der einen Seite und zum Spiel und Nervenkitzel aus der anderen. Di« schlichten Karussells aus Großvaters Tagen ringen nur noch mühsam um ihre Existenz, Drahtseilbahnen undGeschicklichkeitsopparate" niachen ihnen er- folgreiche Konkurrenz: auch die Jugend will heute schon spielen und gewinnen oder ihre Nerven aufpeitschen. Und Zirkus und Variete kämpfen einen fast aussichtslosen Kampf gegen diezeitgemäßeren" Vergnügungsstätten: Kabaretts,Revüen " und Boxkämpfe. Bars, Dielen und Likörstuben schießen wie Pilze aus der Erde. Es gibt ja so viel Leute, die Geld haben, in Berlin ! L«ute, denen es allabend- lich auf ein paar ijundertmarkscheine nicht ankommt. Was Wunder, daß sich unsere so feinhörige und feinfühlige kapitalistische Ber- gnügungsindustrie schnell darauf ein- und umstellt! Hoffen wir, daß die neue Vergnügungssteuer wenigstens einen kleinen Bruchteil dieser verschwendeten Gelder für wichtigere Aufgaben, für kulturelle und sozial« Zwecke rettet! Es gibt ja soviel Armut und Elend und geistige Rot in Berlin !

Der Zukunsts-Woltenkratzer. Der Verein zur Beförderung des Gewerbefleißes zu Berlin veranstaltete am 9. Januar eine Aussprache über das Hochhaus. Der Schweizer Städtebauer, Architekt Martin Mächler , hielt einen«inleitenden Vortrag über das Hochhaus und d i e Grohstadtbildung. Er führte aus, daß das Hochhaus nicht nur«in Einzelproblem ist, sondern auch ein Problem des Städte- und Staatcnbaues, ein Kulturproblem ersten Ranges. Die gcschicht- liche und konstruktive Entwicklung zeigte er an amerikanischen Bei- spielen. Cr charoktcrisierte diese als den Ausdruck eines kühnen Unternehmungsgeistes, hoher Intelligenz, großen Organisation?- talentes, zugleich aber auch als den Ausdruck einer rein materiellen

Lebensauffassung, einer durch diese bedingten Typisierung, Normali. sierung und verhängnisvolle regellose Massenanhäufung. In Deutschland hat die staatliche Aussicht den Hochhausbau ver- hindert. Mächler zeigte deshalb als Parallele die Gigantenentwick- lung der deutschen Ozeanschiffe und zog folgende Schlußfolgerua. gen aus der geschichtlichen Erkenntnis für den Hochhausbau in deutschen Großstädten: Trennung von Wohn- und Ge- schäftsstadt, Verlegung der Industrie außerhalb der Stadt in zweckentsprechende Industriegebiet«, Schaffung einer Verkehrsanlage, die für eine weitere Aufeinanderschichtung der Stockwerke ausreicht, Beseitigung der Kopsbahnhöfe. kontinuierlicher Außen- und Inncnverkehr, Ordnung der inneren Geschästsstadt nach dem Ausstellungsprinzip in Branchen-, Ver- waltungs- und Frcmdenbezirke. Für die Branchenbezirke fordert er eine Regelung der Grundbesitzverhältnisse durch Zusammen- legung kleiner Grundstücke zu einem für den Hochbau ausreichenden Grundstück und acht Stockwerke bei einer Höhe von 1% Straßen­breiten. Als Mittelpunktsausdruck der Arbeitsgemeinschaften schlägt er das Turmhaus bis zu einer Höhe von 199 Metern vor. Sein« Vorschläge demonstrierte er am Problem Groh-Berlin . Die daran anschließende Aussprache gestaltete sich sehr lebhaft und anregend. Die Einwände waren die bekannten technischen und finanziellen Bedenken, die von den Fachleuten als unerheblich be- zeichnet wurden. köhn obenauf. Er verNagt 32 000 seiner Einleger wegen Glücksspiels. Di« Unverfrorenheit des früheren Wettkonzerninhabers Karl K ö h n scheint in der Untersuchungshaft wo er den drohenden Fäusten seiner von ihm geschädigten Einleger unerreichbar ist einen Gipfel erklommen zu haben. Köhn hat gegen sämtliche an dem Konzern beteiligt gewesene Einkger weg«n Glücksspiel bzw. Beteiligung am öffentlichen Glücksspiel, bzw. Beihilfe zum Vergehen gegen das Glücksspiel- g e s e tz bzw. zum Vergehen gegen den jj 3 des T o t al i. fatorgesetzes Strafanzeige erstattet. In dieser Anzeige wer- den vom Verteidiger Köhns folgenderechtliche Gesichtspunkte" geltend gemacht: Die Tätigkeit der Wettkonzcrninhaber bzw. Köhns Tätigkeit bestand nur darin, die Einzahlungen der Einleger am Totalisator und eventuell beim Buchmacher unterzubringen. Von den Buch- machern abgesehen, sind also in erster Linie die Ein- leger die S p i e l e r. C?) Es kann gar keine Rede davon fein, daß etwa die Einleger nicht gewußt haben sollten, daß sie ihr Geld zum Zweck« des Wettens gegeben haben. Dies habe jeder Ein- leger schon durch die Reklamen und Prospekte wissen müssen, und bie Absicht der Einleger ging selbstverständlich dahin, durch die so zweckentsprechend wie möglich anzulegenden Wetteinsätze Spieler- gewinn« und damit einen Zuschuß zu ihrem Einkommen zu erzielen. Wenn ein Konzerninhaber wegen gewerbsmäßigen Glücksspiels be- straft werden kann, so liegt logischerweise auf feiten der Einleger derselbe Tatbestand bzw. eine Beihilf« vor. Köhn sagt dann in der Anzeige weiter wörtlich: Ich muß jedenfalls mit aller Ent- schiedenheit darauf hinweisen, daß es nicht angängig ist, gegen mich wegen Vergehens gegen das Glücksspielgesetz usw. vorzugehen, die Einleger aber als die eigentlichen Spieler zu schützen. Es ist ein Erfordernis des Gesetzes und der Gerechtigkeit, daß gegen die An- gezeigten, denen auch zivilrechtliche Ansprüche auf Rückzahlung nicht zustehen, worüber in letzter Instanz das Reichsgericht zu entscheiden haben wird, die erforderlichen Ermittlungen angestellt und das weitere veranlaßt wird." So weit der unverwüstliche Köhn selbst. Sollte seine Anzeige von Erfolg begleitet sein, so würden die Berliner Gerichte wohl für die nächsten Jahre mit Arbeit versorgt sein, da allein für Berlin etwa 32 000 Einleger in Frage kommen. Einer der Mörder der Frau Krell, der Kaufmann Koppe, der zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt wurde, ist im Gefäng- nis einem Herzschlag erlegen. Schwerer Rodelunsall. Der 21 Jahre alte Armaturendreher Erich M a ch a n aus Spandau wurde gestern auf der Havel « cbaussee in der Nähe des Kaiser- Wilhelm- Turmes im be- s i n n u n g s l o s e n Zustande aufgefunden. In einem Kranken- wagen der Spandauer Rettungsstelle schaffte man ihn nach dem Spandauer Krankenbanse, wo der Arzt eine schwere Gehirn­erschütterung feststellte, die er sich beim Sturz mit einem Rodelschlitten zugezogen hatte.

»> Eine selksame Nachk. Roman in vier Stunden von Lanrids Brünn. Danke, ich habe genug!" sagte sie, ohne sich umzudrehen. Was soll denn das heißen? Erst wurden Sie doch ganz poetisch. Sie dürfen sich von Ihrem Mann nicht anstecken lassen. Das wissen Sie doch, daß diese trockenen Juristen Kanzleitinte statt Blut in ihren Adern haben." Hjarmer lächelte müde. Sind wir wirklich so schlimm, Doktor! Aber im Ernst wenn man still in eineni Wagen sitzen muh und die Wiesen um einen herum dampfen, wird es einem auf die Dauer doch recht kalt nicht?" Frau Helwig näherte sich vom Kamin. Freilich und mit Ihnen, Doktor Sylt , kann man gar nicht rechnen!" sagte sie.Sie sitzen ja den ganzen Tag auf Ihrem Rad. Aber mein Mann ist an Zimmerlust ge- wohnt." Und der Herr Amtsvorsteher." fiel Fräulein Selma ein, bekommt fast immer Kopsschmerzen, wenn er sich von einem Wagen durchrütteln lassen muß." Der Doktor schlug mit der Hand aus. als fächelte er eine Fliege fort. Ja ja das kommt von dem ewigen Im-Zimmer- Hocken. Wissen Sie was, mein lieber Amtsvorsteher ich bätte Lust, Ihnen dasselbe zu verordnen, wie neulich Mamsell Berg auf dem Ziegelhof." So, Mamsell Berg!" sagte Hjarmer und lachte. Wer sollte übrigens glauben," fuhr Doktor Sylt fort, daß dieses Reibeisen einst ein« junge, gefeierte Dorfschönheit gewesen ist. Jetzt ist sie vor jahrelangem Wohlleben bei dem alte Hilsöe gottesfürchtig geworden." Na, was war's also mit ihr?" fragte Hjarmer und ver- barg ein Gähnen mit seiner weihen Hand. Sie plagt mich immer mit ihren sauren Absonderungen. wie sie ihr kleines, eingebildetes Magenübel nennt und die Mixtur* Es war wohl der rote Saft?" Frau Helwig verzog die Oberlippe zu einem Lächeln. Ja," antwortete Doktor Sylt mit unerschütterlichem Ernst,mein bekannter Universal- und Wundersaft wollte Uuyt vRrren.*

Was verordneten Sie ihr dann?" Also da verlor ich neulich die Geduld. Ich fühlte ihr den Puls, sah mir die Zunge an, und dann sagte ich:Sie müssen tanzen, Mamsell Berg!"Tanzen?"Ja, sie müssen durchaus tanzen!" sagte ichebenso wie in alten Zeiten aus den Erntefesten: und wenn sie können, müssen sie auch dazu singen, damit wir die Säure aus den Absonderungen herauskriegen."' Mamsell Berg und tanzen!" Hjarmer lachte beim Ge- danken daran. Was ist denn dabei? Sie ist doch erst um die fünfzig herum: und Tanzen soll einst ihre schwache Seite gewesen sein." Au!" sagte Fräulein Selma und lachte, daß ihre starken weißen Zähne sichtbar wurden.Da wurde sie wohl böse." Sie zog ein etwas saures Gesicht, das will ich nicht leugnen: denn seitdem sie Haushälterin ist, mit schwarzem Kleid und doppelter Goldkette, erinnert sie sich nicht gern der Zeit, als sie nur Cbristine Hansen war und ein jeder sie zu einem Sechstritt auffordern konnte." Was antwortete sie?" fragte Frau Hjarmer und setzte sich auf ihren gewohnten Platz zwischen Tisch und Kamin. Sie strich mit ihren starten Lederständen über ihr schwarzes Kleid und sagte, es wäre ja leider eine bekannte Tatsache, daß das Böse die Welt regiere." Es läutete heftig an der Haustür. Der Amtsvorsteher sprang nervös auf. Wer kann das sein mitten in der Nacht?" Fräulein Selma lauschte angestrengt, mit offenem Mund. Ich habe keinen Wagen gehört!" Das ist natürlich einer der lieben Patienten," sagte der Doktor mit tiefer Resignation,der ausfindig gemacht bat, daß sein Arzt sich einen Augenblick Ruhe gegönnt hat! Ich will mich nur lieber gleich ausmachen!" Doktor Sylt stützte die Hände auf die Armlehnen und stob seinen schweren Oberkörper aus dem bequemen Stuhl. Der Amtsvorsteher aber, der niemals mit Bewußtsein seine Pflicht versäumte, sei sie groß oder klein, beeilte sich, ihm zu- vorzukommen. bleiben Sie doch sitzen, lieber Doktor? Ich gehe schon, um zu öffnen" Er ging durchs Kontor und ließ die Tür hinter sich ossen stehen,

3. Ach, Herr Jesus !" klang eine trockene, bebende und knarrende Frauenstimme aus dem Kontor.Was'n Unglück, was'n Unglück!" Doktor Sylt erhob sich überrascht. Das ist, meiner Treu, Mainsell Berg!" sagte er und lauschte. Ich bin gelaufen, was meine Beine mich tragen wollten!" klang es wieder. Dann hörte man des Amtsvorstehcrs hohe, nervöse Stimme: Kommen Sie doch herein und sagen Sie, was ge- schehen ist!" Kurz darauf stand eine große, eckige Frauengestalt in der Tür. Sie war schwarz gekleidet und trug eine kleine Spitzen- Haube auf dem farblosen, glattgekämmten 5)aar, das in der Mitte gescheitelt war. Die Züge waren regelmäßig und schienen einst, schön gewesen zu sein: aber die Jahre hatten die Rundung der Wange und des Kinns genommen, alle Linien gestrammt und die Züge streng gemacht. Die lange, knochige Nase gab dem Gesicht etwas seltsam Vogelartiges. Die großen, hellgrauen, etwas hervortretenden Augen hatten einen dunklen Rand um die Pupillen, wodurch der Ausdruck gleichzeitig gierig und scheu, aufmerksam und berechnend wurde. Darunter saßen zwei scharf abgegrenzte, blaurote Flecke gerade auf den Backenknochen. Sie stützte sich einen Augenblick gegen den Türpfosten und warf einen stastigen, scheuen Blick auf die Anwesenden: dann raffte sie sich zusammen und grüßte. Guten Abend!" sagte sie und strich sich mit der groben. knochigen Hand über das stramme, verzerrte Gesicht, und stöhnte gleich daraus wieder. O, du mein Gott, mein Gott!" Sie wankte und griff durch die Luft, als ob sie fallen würde. Der Amtsvorsteher faßte sie bei der Schulter, um sie zu stützen, und führte sie langsam zu dem nächsten Stuhl am Tisch. Frau Helwig war einige Schritte auf sie zugegangen. Eine plötzliche Angst verursachte ihr solches Herzklopfen, daß ihre Beine zitterten. Aber so sagen Sie doch, was geschehen ist!" sagte sie. (Fortsetzung folgt.)