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Nr. 296.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­fährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. fret in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags: Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage, Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 8,30 Mt. pro Quartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Desterreichs Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3 Mt.pr.Monat. Eingetr. in der Post- Zeitungs- Preisliste für 1894 unter Nr. 6919.

Vorwärts

11. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Bersantmlungs- Anzeigen 20 Pfg. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen= tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonns und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet.

Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adrese:

Sozialdemokrat Berlin ,

Berliner Bolksblatt.

Bentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2. Donnerstag, den 20. Dezember 1894. Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Arbeiter! Parteigenossen! Trinkt kein boykottirtes Bier!

Moch einmal die Imsturzvorlage. Aus unserem Leserkreise wird uns die folgende Kritik der Umfturzvorlage eingesandt:

I.

"

Die

oder

Die Vorlage ist sehr gefchickt verfaßt. Der neue§ 111 fetzt ist es unter Umständen, wenn solche Handlungen gerühmt oder sofort mit einer Verdreifachung der Strafe ein. Selbstverständlich als erlaubt dargestellt werden. Letzteres geschieht häufig in der werden wir diefe völlig überflüssige Verschärfung ablehnen, aber Weise, daß zwar die Gesezwidrigkeit der Handlung nicht in Ab­fie tritt hinter dem anderen Inhalte der Vorlage weit zurück. rede gestellt, diefe aber vom Standpunkte einer angeblich gerechteren Sanz neu ist der§ 111a, gegen den die schärfsten Angriffe von Weltanschauung zu entschuldigen oder zu beschönigen versucht seiten der Grenzboten" gerichtet sind. Dieser Paragraph ist wird." auch wirklich ein wahres Monstrum, der, in seiner jetzigen Nun wage es noch einer, Karl I., Ludwig XVI. oder Nero Angesichts der juristischen Interpretationskunst, die wir Fassung angenommen, dem geistigen und politischen Leben unseres und Caligula vor den Richterstuhl der Geschichte zu zitiren und Voltes den Garaus machen würde. Jeder Zeitungs- ihren gewaltsamen Tod von dem Standpunkt einer angeblich foeben beim Falle Liebknecht zu bemerken Gelegenheit hatten, ist es bringend geboten, jede einzelne Bestimmung der Umsturz- artikel, jedes historisches Werk, jede öffentliche Rede, gerechteren Weltanschauung zu entschuldigen oder zu beschönigen! jedes dichterische Werk, das einen Vorgang der Ver- Aber nicht nur die unparteiische Geschichtswissenschaft ist ver vorlage auf ihre mögliche Tragweite genau zu prüfen. Den gangenheit bespricht, der der nach Ansicht des Staats- nichtet, auch die Dichtkunst ist aufs schwerste bedroht. Ob man Fall Liebknecht haben wir blos erwähnt, um den reaktionären anwalts nicht ganz im Einklang mit irgend einem Paragraphen Schiller's" Wilhelm Tell " und" Die Räuber " konfisziren wird, Geist des neuesten Kurses und die vom Uebereifer seiner Organe des deutschen Strafgesetzbuchs steht, kann und muß richterlicher darüber sind wir noch im Zweifel, aber wahrscheinlich ist es; beliebten Gesetzesauslegungen möglichst deutlich zu charakterisiren. Man muß sich in den weitesten Kreisen flar darüber werden. Verfolgung unterliegen, wenn die fragliche Handlung auch nur ganz sicher aber ist es, daß Die Weber " beschlagnahmt werden Jede objektive Geschichts- und daß Gerhart Hauptmann nach Plößensee wandert. daß wir auf das Schlimmste gefaßt sein müssen. Erfüllen im geringsten entschuldigt wird. wir uns deshalb einmal mit staatsanwaltlichem Geiste, so schwer ſchreibung ist damit unmöglich gemacht. Alle Bücher über die Kriterien des§ 111a find sicherlich gegeben; darüber fann fein franzöfifche und englische Revolution, über die Revolution von Zweifel aufkommen. Vielleicht wird man ihm auch mit den es uns auch werden mag, und gehen wir die einzelnen Para: 1848 u. f. w. müssen strafrechtlich verfolgt werden, wenn der SS 126 und 130 zu Leibe gehen, die überhaupt nicht nur die graphen der Umsturzvorlage genau durch. Wir werden manches Autor eine objektive Würdigung dieser Ereignisse versucht und deutsche, sondern die ganze Weltliteratur gefährden( f. u.). Auch Beilchen im Verborgenen blühen sehen, das den ungeübten Auge nicht schlankweg erklärt, daß das französische, das englische Bolt ein die Freiheit der gerichtlichen Vertheidigung ist durch den Wort­des Laien entgangen wäre. Wir stellen im Folgenden den Wortlaut des geltenden Haufe von Narren und Verbrechern war, als es sich gegen seine laut des§ 111a in Frage gestellt. Man wird häufig nicht für Könige und ihre Echandwirthschaft empörte. Die deutsche Ge- mildernde Umstände oder gar Freisprechung plädiren können, Rechts und den der Umsturzvorlage neben einander: schichtswissenschaft ist mit diesem Paragraphen einfach vernichtet. ohne ein Verbrechen oder Vergehen wenigstens bis zu Das geltende Recht. Die Umsturzvorlage. Grade als Die Werke der Gegenwart und der Vergangenheit, die irgend einem gewissen erlaubt darzustellen § 111. Wer auf die vor-§ 111. 28er auf die im§ 110 einem Staatsanwalt mißfallen, tönnen ohne weiteres( f. 11.) be- vom Standpunkt einer angeblich gerechteren Weltanschauung bezeichnete Weise zur Begehung bezeichnete Weise zur Begehung schlagnahmt und ihre Verfasser eingesperrt werden. Wie weit zu entschuldigen". Wenn man die Immunität der Abgeordneten einer strafbaren Handlung auf einer strafbaren Handlung auf das geschehen wird, läßt sich heute noch garnicht sagen. Und nicht refpeftirt, so wird man vielleicht auch noch die Geschworenen fordert, ist gleich dem Anstifter fordert, ist gleich dem Anstifter das ist ja gerade das Unerhörte bei dieser Vorlage, daß nun- verfolgen, die vom Standpunkte einer angeblich gerechteren zu bestrafen, wenn die Auf- zu bestrafen, wenn die Auf- mehr beinahe alles, was dem Staatsanwalt und seinen Vor- Weltanschauung ein Verbrechen entschuldigen" und den Thäter forderung die strafbare Hand- forderung die strafbare Hand- gefeßten nicht paßt, strafbar ist und daß wir der Willkür ohne freisprechen. lung oder einen strafbaren Ver- lung oder einen strafbaren Ver- jeden Schutz ausgeliefert sind. Wir wissen nicht, welche Orgien Weder in der Presse noch in Versammlungen wird man fuch derselben zur Folge gesuch derselben zur Folge gehabt die Reaktion noch feiern wird, aber die Fälle Sybel und Vorgänge der Vergangenheit und Gegenwart besprechen können, habt hat. hat. Ist die Aufforderung ohne Treitschke geben doch zu denken, so daß man auf alles gefaßt ohne in die Nezze dieses herrlichen Paragraphen zu fallen. Ist die Aufforderung ohne Erfolg geblieben, so tritt Geld fein muß. Die deutschen Historiker scheinen noch nicht begriffen Uebrigens wird der Staatsanwalt meist noch die Wahl haben, Erfolg geblieben, so tritt Geldstrafe bis zu sechshundert Mark zu haben, was ihnen droht. Anders können wir es uns nicht ob er nicht lieber auf grund der§§ 126 und 130 vorgehen soll. ftrafe bis zu sechshundert Mark oder Gefängnißstrafe bis zu einem erklären, daß sie sich noch nicht zu einem energischen Protest auf- Man nehme z. B. an, die Serben jagten ihrer edlen Milan zum oder Gefängnißstrafe bis zu Jahre und, sofern es sich gerafft haben. Oder lassen sie sich etwa durch die Sirenentöne Teufel, und irgend eine Zeitung erzähle dieses Ereigr., ohne einem Jahre ein. Die Strafe um die Aufforderung der Motive verführen? Da heißt es freilich:( Die Bestimmung) ihre gerechte Genugthuung darüber zu unterdrücken. Dann wird darf jedoch, der Art oder dem zu einem Verbrechen steht fonach wissenschaftlichen Darlegungen und namentlich einer der Staatsanwalt, falls es ihm paßt, die Zeitung beschlagnahmen Maße nach, feine schwerere sein, handelt, Gefängnißfachlichen Besprechung und Beurtheilung geschichtlicher Vorgänge und gegen den Redakteur auf grund des§ 111a, event. in als die auf die Handlung selbst strafe bis zu drei Jahren in feiner Weise entgegen." Aber wohl gemerkt, das steht in den Verbindung mit dem neuen§ 130 drei resp. zwei Jahre Ge angedrohte. ein. Die Strafe darf jedoch, Motiven, die für Staatsanwalt und Richter gar nicht in Betracht fängniß, wahrscheinlich auf vier Jahre abgerundet, beantragen. der Art oder dem Maße nach, tommen! In dem Gesetzes text, der allein maßgebend ist, fehlt Hat der Unglückliche vielleicht noch gar aus seinem Schiller feine schwerere sein, als die auf diese Ausnahme! Das Warum ist nur allzu klar! Die Vorlage die folgende Stelle zitirt: die Handlung selbst angedrohte. will die Gefeße ihrer starren Festigkeit berauben und in Kautschuk §111a. Gegen denjenigen, verwandeln. Die Geschichtswissenschaft fällt unbedingt in die welcher auf die im§ 110 be- Knechtschaft des Staatsanwalts; die im§ 110 bezeichnete zeichnete Weise ein Verbrechen Weise" ist nämlich folgende: Wer öffentlich vor einer Menschen­oder eines der in den§§ 113 menge, oder wer durch Verbreitung, oder öffentlichen Anschlag, bis 115, 124, 125, 240, 242, 253, oder öffentliche Ausstellung von Schriften, oder anderen so kann er seine Kenntniß der deutschen Klassiker mit fünf 305, 317, 321 vorgesehenen Ver- Darstellungen" u. f. w. Dazu fommt noch, daß nach Jahren Zuchthaus und Stellung unter Polizeiaufsicht büßen müssen. geben anpreist oder als er der ebenfalls geplanten Verbesserung des Preßgesetzes derartige Der Kampf gegen den§ 11la ist teine Parteis laubt darstellt, finden die Schriften ohne richterliches Urtheil beschlagnahmit sache, sondern eine Pflicht der ganzen Nation. Strafvorschriften Anwendung, werden können. Wir möchten wissen, was den Staatsanwalt Die Ehre des deutschen Volkes verlangt, daß die nach§ 111 Absatz 2 für hindern kann, die Wissenschaft zu fnebeln? Er fann sich sogar seine Vertreter dieses Attentat auf seine den Fall der Aufforderung zur auf eine andere Stelle der Motive berufen, die ihm wohl besser höchsten Güter, auf die Freiheit der Wissen= Begehung einer solchen straf- paffen wird: Nicht minder aufreizend und gefährlich, als die fchaft, Kunst und öffentlichen Meinung rundweg baren Handlung gelten. unmittelbare Aufforderung zur Begehung strafbarer Handlungen ablehnen.

Feuilleton.

Im Exil.

von Marie Kunert .

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Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht. Wenn der Gedrückte nirgends Recht fann finden, Wenn unerträglich wird die Last

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Zum legten Mittel, wenn kein anderes mehr Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben.

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er an den Sekretär und unterzeichnete: Lehrer am Schweizer den Preis davongetragen. Ich habe einen Brief Gymnasium zu Vevey ." Er erlaubte nun auch seiner erhalten von Herrn René Messant, unserem Preisgekrönten, Mutter, die vor Ungeduld brannte, ein so angenehmes Ge- der Lehrer am Gymnasium zu Vevey im Kanton Waadt ( Nachdrud verboten.] heimniß aller Welt zu enthüllen, die Sache unter ihren ist. Stimmen schwirrten durcheinander. Man staunte, Freunden und Bekannten auszuplaudern. In wenigen man wunderte sich, als plötzlich der ehrwürdige Anatole Stunden war ganz Vevey von dem großen Ereigniß unter- Dusaule( Du weißt, daß er hin und wieder bei Deinem Roman von Georges Renard . Autorisirte Uebersetzung richtet, und in den nächsten Tagen wurde René mit einem Better Dubourg verkehrt) rief: René Messant? In Vevey ! wahren Wolkenbruch von Briefen und Besuchern über- Halt, den kenne ich. Gewiß, ich irre mich nicht. Die Sache schüttet, die alle den Preisgekrönten beglückwünschten. ist sogar außergewöhnlicher, als Sie denken, meine Herren. Er tam mit der Post des nächsten Morgens und ent- Ach, nun werden wir Sie nicht mehr lange behalten, Wir haben einen Exilirten, einen Kommunard preisa hielt die von dem Sekretär der Akademie unterzeichnete fagte Rosa Krang melancholisch, und dieses vorzeitige gekrönt, der von rechtswegen in Neu Kaledonien sein amtliche Benachrichtigung, daß das Manuskript Nr. 90 von Bedauern war die größte Freude für die glückstrahlende müßte." Das scheint ungeheure Bestürzung in der Versammlung der mit der Führung der Preisbewerbung betrauten Kom- Mutter. Aber René litt, denn unter all' den Glückwünschen Die Akademie - eine Aufrührerin, mission als das beste befunden, daß alsdann das ver- fand er nicht diejenigen, welche für ihn die werthvollsten erregt zu haben. fiegelte Kouvert, das den Namen des Autors enthielt, ge- gewesen wären. Noch immer wußte er von den Roveray- eine Revolutionärin, ohne es zu wissen, eine Begünstigerin öffnet worden und daß der Preis von 2000 Frants der in schen Damen nichts. der umstürzlerischen Ideen, mit ihren Lorbeeren das Haupt Zu Ende der Woche empfing er einen zweiten Brief eines Rebellen krönend dem Rouvert enthaltenen Angaben gemäß Herrn René -man muß gestehen, daß das ein starkes Stück war! Messant zuerkannt sei. Diese Benachrichtigung war an die von Lucien. Er war folgendermaßen abgefaßt: Adresse, die er angegeben, gesandt worden, nämlich an Wie sehr hattest Du Recht mein lieber Freund, als Aber was thun? Der alte Birague, der Eyminister Herrn Lucien Morlet in Paris , Rue Meuilmontant, 84. Du Deinen Namen nicht beifügtest, sowie daß Du in des Kaiserreichs, bat um das Wort: Meine Herren, sagte Lucien begiückwünschte seinen Freund warm, fügte aber contumaciam Verurtheilter, ein unverbesserlicher Feind der er feierlich, die Akademie kann feinem jener Menschen den den Rath hinzu: heutigen Gesellschaft bist. Höre nur, was sich in der Preis zuerkennen, welche die heiligsten Dinge angegriffen Laß zunächst die Zeitungen die Nachricht verbreiten. legten Sigung der hochweisen Akademie zugetragen hat. haben und die Frankreich verpflichtet war, aus seinem Warte einige Tage, ehe Du an die Akademie schreibst. Ich erzähle nach dem Bericht eines Augen- und Ohren- Schooße zu entfernen. Das hieße mit den Aufständischen pattiren! Ich beantrage, daß die Akademie von dem ges Dann wird es Zeit sein, daß Du sagst, wer Du bist. Du zeugen: mußt die gute Alte etwas schonen, die in Ohnmacht fallen Der Sekretär sagte in dem säuerlichen Tone, den Du faßten Beschlusse zurücktrete und den Preis auf eine der fönnte, wenn sie hört, daß Du ein so schreckliches, blut- an ihm teunst, zu seinen Kollegen: Meine Herren, in übrigen Arbeiten, die sie über dasselbe Thema empfangen dürftiges Ungeheuer bist." diesem Jahre ist uns etwas Außergewöhnliches begegnet. hat, übertrage. das allen, die in Der Vorschlag fand zuerst Beifall. Ja, ja, unter­Zwei Tage später fonnte René seinen vollen Namen Bei unserem Preisausschreiben, in einer großen Pariser Zeitung lesen. Alsdann schrieb französischer Sprache schreiben, offen stand; hat ein stützt! rief man von allen Seiten. Unterdessen erhob sich

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