Tit. 127» 39. Jahrgang
Seitage öes vorwärts
Vonnerstag, 16. MLez 1922
wilöe preise auf üem Süchermartt. Vom Bücherfimme! der Zieichgewordene«.
Das Buch hat allgemein einen hohen Preisoufschlog erfahren, der es dem eifrig Lesenden und besonders dem wissenschaftlich Ge- bildeten schwer macht, Bücher in der teueren Zeit zu kaufen. Doch ist der Preisaufschlag im regulären Buchhandel nicht höher als der auf andere Gegenstände des täglichen Bedarfs, er bleibt im Gegenteil zum Teil gegen letztere zurück. Darum florieren die Leihbibliotheken und die billigen Bücher der schlechten Unterhaltungs- literatur, die von großen Berlagsunternchmen bis auf dos letzte aus- kalkuliert sind. Unsere jungen Autoren und Wissenschaftler müssen besonders hart darunter leiden, daß ihre Werke nicht mehr gedruckt werden. Längst aber sind alle Ladenhüter und Restauslagen der früheren Jahre verkauft werden. Das Luxusbuch öer Snobs. Da aber auf der anderen Seite wieder eine Beoölkerungs- schichtung entstand, die dos Geld müheloser und reichlicher als andere Sterbliche verdient, hat der Buchhandel diesen snobistischen und eitlen Dreisen ebenfalls Rechnung getragen. Es werden für diese Leute Luxusausgaben auf echtem Bütten und in kostbaren Einbänden her- gestellt, die, mit einer Rümmer versehen, nur in einer beschränkten Auflage herauskommen. Es gibt Menschen, die sich nur zu 10 oder 20 Personen zusammentun, um für ihre privalsammlung ein werk nuszulegeu, das dann eben nur in 20 Exemplaren vorhanden ist. Wenn sich nun eine solche Gesellschaft noch zu dem ideellen Zwecke zu» femmenfindet, einem bedürftigen Autor auf die Beine zu Helsen (womit die Absicht immer noch nicht entschuldigt ist, denn Bücher werden doch gedruckt, um von vielen gelesen zu werden), so mag es noch hingehen, aber diese Freunde des„Aesthetischcn* finden sich meist nur zusammen, um irgendeine pornographische Unflätigkeik aufzulegen. Eine andere Kategorie sind jene reich Gewordenen, die -Knigqes Umgang mit Menschen" niemals in die Hand nehmen werden. Sie doben sich eine kostbare Bibliothek beim MSbelhändler gekauft, ohne jedoch den Inhalt, die Bücher, mitzuerhclten. Es ist die gleiche Gattung Menschen, die in ihre Zimmer auch die aufgekauf- ten alten Bindcrmeier und Pastcllporträts harmloser Verstorbener hängen und dann angeben, daß die Bilder die Porträts ihrer Ahnen darstellen. Viel ehrlicher in dieser Beziehung handelt ein anderer, der sich von seinem Buchbinder die ganze Bibliothek der gelesensten Schriftsteller in leeren Atrappen hat herstellen lassen. Da er ja doch nicht liest und die Bibliothek hinter den geschliffenen Scheiben immer verschlossen bleibt und es auch niemandem einfallen würde, innerhalb des schweren Reichtums seines Zimmers nach einem Buch zu fragen, so wird dieses Geheimnis ewig nnenrdcckt bleiben. Seltene antiquarische Schätze. Aus dieser snobistischen Cammlerwut heraus, die alles da» besitzen möchte, was der andere nicht erwerben kann, und auch das, was oft mit schweren Opfern dem Mitmenschen nur abgerungen wird, ist auch die Sucht noch alten seltenen Buchausgaben entstanden. Teilweise beteiligt sich auch das Ausland daran, die seltenen Schätze unseres geistigen Volksvermögens für billiges Valutageld zu ent- führen. Soeben wird die Meldung durch die Zeitungen verbreitet, daß das„Leipziger Museum für Buch und Schrift" beabsichtigt, die zweiutldvierzigteilige Gutcnberg-Dibel, die zu den kostbarsten Schätzen des Museums gehört, nach Holland zu verkoiisen, um da- d'urch die Mittel zum Weiterbestand des Museums zu gewinnen. Das Angebot auf dieses seltene Buch beträgt 10 INillioncn Mark; doch repräsentieren dies« 10 Millionen den Wert, den Deutschland durch den Verlust des ersten Zeugen der welterschütternden beut- schen Erfindergcbe der Duchdruckerkunst erleidet? Die Antiquariats. kataloge der jüngsten Zeit weifen demgemäß auch Zahlen auf, die anscheinend für Tollhöusler bestimmt sind. Bücher, die vor dem t Kriege noch mit einer oder mehreren' Mark zu erstehen waren, sind gleich mit Tausenden von Mark ausgezeichnet: ohne den zwingenden Grund zu verraten, mit dem diese Preise motiviert werden. Es ist, als ob diese Händler wie die Spinne im Netz sitzen und auf das Opfer warten, das in ihre Maschen fällt. Der Schunö auf üen Straßenwazen. Früher waren die in den Berliner Straßen stehenden offenen Buchhandlungswagen die reinen Fundgruben für den bibliophilen Sammler: heute müßte ein Drillant eher auf den Berliner Straßen zu finden fein als ein fclches Buch auf einem Wagen. Jeder alte lateinische Schmöker hat sofort eine Auszeichnung erhalten, für die
> man sich vor dem Kriege die schönste Goethe-Erstausgabe hätte kaufen können. Größtenteils sind die wagenverkäufer nur die Au- 1 gestcllien großer Anliqncrialsbuchhaudlungen. die allen Ramsch aus den PrivaibibUoiheken auf die Magen werfen, während die guten Sachen sofort in die Auktionen der Spezialisten hineingeschoben wer- den. Wenn ein Privatmann Bücher verkaufen will, so kann er gewiß sein, daß ihm auch für seine Kostbarkeiten nur Preise geboten werden, die der Vorkriegszeit entsprechen. Verkauft er sie an seinen Buchhändler, der vom Antiquariat keine Ahnung hat, io ist dieser Mann gewiß evtschuld'gt: sofort aber, wenn dos Wert vom Spe- kulanten entdeckt wurde, tonn er. damit rechnen, daß er es zu einem Preise ausgezeichnet findet, der ihn auf Monate hinaus der Sorge enthoben hätte. Es kann sich nur empfehlen, dotz man sich mit einem genauen Verzeichnis der Bücher, die man verkaufen will, an die Bibliothekare einer öffentlichen Bibliothek oder an einen sonstigen Vertrauensmann wendet, um einmal den Wert des Buches an sich festzustellen, da diese Stellen bei dem imaginären wilden Markt ja auch keine Preise festmachen können. Sodann wende man sich erst an eine für solid geltende Buchhandlung, von denen es einige in Berlin gibt, die den wilden Markt nicht mitgemacht hoben und doch Weltruf besitzen. Man gehe z. B. in die S o r t i m e n t s b u ch- Handlung„Vorwärts", die jederzeit gern bereit ist, den tat- fächlichen Wert von Büchern einzuschätzen. Auch kauft sie zu ange- messencn Preisen gute Bücher an. Seispkele öer Preissteigerung. Wie sehr die Preise differieren, sei hier an einer kleinen Zu- sammcnstsllung sich. bar: Dorat:„ßcs Baisers", mit Titeloignctte und Kupfern van Eisen, Marillier Afiamet, Baquoy, Binet usw.. Poris 1770. Der Katalog nevnk den Preis mit 120 000 Mark, das Werk wurde Im Frieden mit durchschnittlich S00 Mark gehandelt, der schönen Kupfer weaen. Man biete jedoch das Werk einem Händler an und wird erstaunt sein, welch sträflicher Eigennutz sosort zwischen Angebot und Taxe liegt.„Siugler-Mcnzel: Geschichte Friedrichs des Großen", Leipzig 1840. Ein Werk, das gar nicht selten, aber wegen seiner schönen Holzschnitte von Menzel lehr be- gehrt ist, wird heule mit 500 Mark noch reichlich bezahl!, die Kataloge führen es jedoch bis 5500 Mark als Verslelgerungstaxe aus. Wehe ober dem, der darauf hineiiiföllt, seine guten Bücher in die Auktion zu bringen: er kann gewiß sein, daß er in den meisten Fällen noch Geld auf den Erlös darauf zahlen muß. Sehr seltene und allseitig gekaufte Bücher stirb die Schriften vvserer Klassiker und Romantiker. Goethes Schriften von 1787—00 mit Kupfern von Ehodowiecki u. a. mit dem Erstdrucke von„Faust, ein Fragment", gehören zm den seltensten Büchern der Weltliteratur und rechtfertigen schon emen gewissen hohen Preis. Bürgers Ge- dichte, die Schriften von Kleist , Grabbc, Arndt, Schenkendorff u. o., deren eigentlicher Markt erst im späteren Verlauf der Jahrzehnte entstand und deren Erstausgaben darum nicht viele vorhanden sind,«erden teuer bezahlt und sind natürlich der Stolz jedes ecknen Bibliophilen. Heines erste Ausgabe des„Buch der Lieder", die Jahr- gänge des„Wandsbcker Boten" von Mathias Elaudius und andere schöne Büchlein werden dem Leser so ungefähr einen Tip geben, was in einer Bücherfaminlung als gut zu bewerten ist. Aon den modernen Autoren erreichen die Erstnuc gaben von Hauptmann. Dehmel, R'.lckc, Stephan George u. a. auch bereits hohe Preise: j« nachdem die Umstände und der Markt die ersten Werke der werdenden Dichter selten gemacht haben. Der wilde Büchermarkt ist eine Abart der Erscheinungen auf allen Gebieten des heutigen Mcrrktvcrhältnisses: es ist überall das- selbe, wenn gehandelt wird. Da die lebenden Werte nicht mehr ausreichen, müssen die toten Dinge herangezogen werden, um den Ausgleich zu schaffen. Es ist so, wie mein Großvater, ein einfacher Landmonn, sagte:„Da leben Menschen in den Städten, von denen man absolut nicht weiß, was sie arbeiten und wovon sie leben!"
Lauter Seife.
Es werden auf allen möglichen Ausstellungen so viel sonderbare Dinge ausgestellt. Waruni soll man es nicht auch einmal mit Seife versuchen? Die ganze Seifenherrlfchkeit, einst bestimmt in Schaum aufzugehen, die uns heut« in den seltsamsten Figuren und
Mustern dargeboten wird, gab sich tm Lehrcrvereinshaus am Alexanderplatz ein Stelldichein. Die Ausstellung bot auch dem schau» lustigen Nichtfachn.ann allerlei Anregung. Da sah man Kristallsoda» »och nicht geschlagen, in eigentümlichen Gebilden. Seifenpulver, los« und in Packungen, Waschseife, schwarze Faß seife und olle die so nötigen Seifen, die zur Dornahme derber Reinigungen unbedingt erforderlich sind. Dem Schönheitsbedürfnis des einzelnen tragen die zahlreichen Toilettefeifsn Rechnung. Die blumigsten Namen und Düfte führen und beherbergen sie. Akazie, Lavendel, Rose, Beilchen, Flieder, fein abgestimmt für empfindliche Nasen, doch fehlt auch nicht das Patfchuli in seiner Aufdringlichkeit. Für Leute, deren Geldbeutel es erlaubt, für Kleinigkeiten viel auszugeben, oder für verwöhnte Damen, zu deren Gepflogenheiten es gehört, sich alle möglichen Geschenks machen zu lassen, kommen schön geformte Seifenstück« in Frage, die mit Silhouetten geschmückt sind. Ein auserlesener Geschmack war hier an der Arbeit und fügte Form, Farbe und Silhouette zum passenden Dreiklang. Ideenreichtum und Phantasie kann man bei den Scifenpuppen anbringen. Die so mangelhaft oder überhaupt nicht bekleideten kleinen Kinder hat man sich bald übergesehen. Daher treten setzt Neuheiten aus lauter Seife auf den Plan. Holländerpörchen, Puppenköpfe, Neger und, als Glücksbringer, Schweine und Elefanten. Da jedoch Ostern vor der Tür steht, sieht man in großen Mengen Kücken, Hasen, aus dem Ei kriechende Kücken und Ostereier. Genau aber wie die vom Zuckerbäcker her bekannten Sachen jetzt in Seife nachgebildet werden, so auch die Scherzartikcl. Man erblickt Du- katenmännchen, Schrippen usw. Zur wahren Augenweide werden die ausgestellten Kerzen. Da gibt es behäbige Kirchenlichter von unglaublichem Umfang, Klavier- lichter mit Gold und Troddeln, mit Papierüberzug, mit Silhouetten und Wachsblumen, ferner Gsburtstagslichter, Kerzen für den Weih- nachtebaum, für den Rauchtisch und— zum Skatspiel. Als Erinne- rung an vergangene Zeiten aber paradiert, der nach und nach so ganz aus der Mode gekommene— Wachsstock.
der schwarzweißrote Straßenrummel. Die„harmlosen" Demonstranten. Der schwarzweißrote Stroßcnrummel am letzten Sonntag dürste für einige der Teilnehmer recht üble Folgen nach sich ziehen. Sie werden sich wegen Londfriedensbruchs undWiderstan- d es gegen dir Staatsgewalt zu verantworten haben. Ein Teil der Rechtspresse, insbesondere der„Lokal-Anzeiger", hatte sich bemüht, die flegelhaften Ausschreitungen zu entschuldigen. Der Schupo, die nach Ansicht dieser Blätter niemals scharf genug gegen demonstrierende Arbeiter vorgehen kann, wurde rücksichtsloses Ein- greifen gegen diese Demonstranten zum Borwurf gemacht und sucht, die ganze Angelegenheit eis äußerst harmlos hinzustellen. Das Polizeipräsidium gibt nunmehr über die Borgänge folgende Dar- ftellimg: Am Sanntag vormittag beteiligte sich die sogenannte Fahnen- aruppe des Verbandes nationalgesinnter Sol- oaten, Gruppe Bülcw, mit einer Fahne des deut- fchen Herold zunächst an der Mittelstandsdemonstration im Lustgarten. Vom Lustgarten zog die Gruppe, begleitet von«ine? großen Schar, e.uf Umwegen nach dem Westen. Nachmittags gegen S Uhr belästigte der Zug in der Nähe der Kaifer-Wilyelm- Gedächmiski eche die Straßenpoffonten und hindert» den Verkehr. Die Ausschreitungen der Demonstranten nötigten die Polizei zum Eingreifen. Im Verlauf dieser polizeilichen.Maß- nahmen wurden von den Demonstranten auch Tätlichkeiten gegen die Polizeibeamten verübt. Die Teilnehmer an der Demonstraton, soweit ihre Namen feststehen,«erden sich dem- nächst vor dem Strafrichter wegen Londfriedensbruchs und Widerstands gegen die Staatsgewalt zu verant- warten haben. Die Vorgänge werden auch den Landtag beschäftigen, wo di» Kommunisten folgende„Große Anfrage" eingebracht haben: Am Sonntag, den 12. März, hat in Berlin ein Zug antisemitischer, mit mit Hakenkreuzen geschmückter Radaujünglinge Passanten, die sie für Juden hielten, tätlich angegriffen. Auch mehren sich die Fälle von Roheitsakten infolge antisemitischer Propaganda. Was gedenkt dos Staatsministerium zu tun, um solcher antisemitischen Propaganda entgegenzutreten und Ausschreitungen dieser Art vorzubeugen?
«Z
Die Macht der Lüge.
Roman von Johann Lojer. Er stapfte die Treppe hinauf und ging ins Schlafzimmer, um andere Sachen anzuziehen. Aber wie er feine Hofen aus hatte und den blauen Cheviotanzug anziehen wollte, ließ er die Hände wieder sinken und seufzte tief:„Ist das nun nicht eine Schande und Spott," dachte er.„Erst hilfst du dem Wann in all deiner Gutmütigkeit, dann mußt du blechen, dann gibt's Zank zu Haufe, und dann läufst du herum und machst dich lächerlich. Und jetzt bist du wahrhaftig noch drauf und dran, dein Weib in der ganzen Gegend zum Gespött zu machen. Nein, alles muß doch ein Ende haben...1" Er blieb sitzen, die neuen Hofen in der Hand. Das haßliche Bild Wangens von gestern war nun noch viel häßlicher geworden. Denn eigentlich war der doch auch heute an allem schuld.„Und für so einen willst du..."©er Bauer warf plötzlich die Cheviothose fort und zog die alten wieder an. Denn> wenn er aucfi die Klage beim Amtmann jetzt rückgängig machte,. für das Gerücht mußte er ja doch einstehen. Und zu Wangen fahren und ihn um gut Wetter bitten. Den Mann bitten! Niemals! Nie in alle Ewigkeit! j Nein, da mußte sich aber doch irgendeine Hintertür noch � finden lassen Er mußte sich dos überlegen. Knut Norby faß plötzlich im Unglück fest, an dem er gar nicht richtig selber schuld war, für das er aber die Berant- wortung tragen mußte. Darum fühlte er die Verantwortung auch nicht so schwer, wie sonst. All das Elend, das heute über � sein haus gekommen, das war nur der Dank dafür, daß er � gutmütig gewesen war und dem Kerl geholfen halle. Eigent- lich war Wangen an allem schuld. Es wurde dunkel, und der Alte saß In der kleinen Kam- mer. da hörte er von nebenan den kleinen Knut lachen: er stand auf und wollte hineingehen, blieb aber an der Tür stehen. Er konnte den kleinen Knut heute nicht sehen. „Dielleicht hatte der auch seine Hand mit im Spiel, als dein Vater lo elend umkam," mußte er denken und sab das Kind vor sich. Jedenfalls war Wangen damals auch auf dem Markt in Lillelzammer gewesen. Und so vergeht ein Tag und noch einer. Der Alte geht>
wie auf Nadeln. Aber jedesmal, wenn er etwa hinauf wollte und sich umziehen, um zum Amtmann zu fahren, Holle er sich halb unbewußt das Bild Wangens hervor, erinnerte sich schlechter Dinge von ihm, setzte ihn bei sich selber in ein lächer- liches oder schlechtes Licht, übersäte ihn mit abstoßenden Feh- lern,— und so nahm er sich immer wieder die Kraft, zu warten, und immer unmöglicher wurde es ihm, sich so tief vor diesem Menschen zu demütigen. Wenn Wangen nun daran schuld war, daß sein Sohn sich zu Tode gefahren hatte? Aber wenn auch dieser Gedanke Knut Norby krank machte vor Wut. ging er doch immer noch wie auf Nadeln. Der Augenzeuge, Jörgen Haarstü!., war freilich tot. Aber von seiner Unterschrist konnte Knut Norby nicht weg. Da mußte sich noch ein Ausweg finden lassen. 4. Henrik Wangen stieg aus dem verschneiten Kristiania - zuge und eilte mit seiner Handtasche in der Hand an der Menschenmenge vorbei nach Hause. Er grüßte niemanden. Dieser Konkurs ruinierte das halbe Kirchspiel, und er wußte, die Leute blickten ihm nach, wie einem Schuft, den sie am liebsten verprügeln würden. Er war etwa fnnfunddreißig Jahre, hvch und schlank ge- wachsen, mit rötlichem Bart und einem feinen, jugendlichen Gesicht. Aber er ging wie ein alter Mann. Sein demütiger Gang von einem Großhändler zum anderen in der Hauptstadt mar vergeblich gewesen. Und es graute ihm davor, fetzt nach Haufe zu kommen, da seine Frau dann endlich die Wahrheit erfahren mußte. Henrik Wangen war der Sohn eines Schulzen, der ein Kasiendefizit gehabt hatte. Er hatte mancherlei versucht, und war Landwirt gewesen, als er sick, mit der Tochter eines reichen Bauern verheiratetes Ihr Vater, der sich lange ge- wehrt Halle, fetzte wenigstens durch, daß feine Tochter mit, ihm in Gütertrennung lebte. Zlber als Wangen die Ziegelei wied-er in Betrieb nobm. schenkte nicht nur seine Frau ibm ihr Vertrauen und gab ihm ihr Geld, fondern in seiner Begeisterung und Beredsamkeit bekam er auch ibren Dater, Bruder und viele andere dazu, ihm große Summen anzuver» trauen.— Und jetzt? Als er über die Brücke kam, wo ein Häuflein Arbeiter-
Häuser sich� den hang hinaufziehen, begegnete er einer ge» bückten Gestalt in verschlossenem Mantel, Pelzmütze, mit eingefallenem Mund und einer goldenen Brille über der roten Habichtsnase. Wangen blieb stehen, öffnete seine Handtasche und holte eine in Papier gewickelte Flasche hervor. Die hatte er aus der Stadt mitbringen sollen. Der Mann mit der Brille lächelle der Flasche zu wie etwas äußerst Kostbarem und nahm sie unter den Arm.„hör mal/ sagte er grin- send,„ich muß dir eine schöne Neuigkeit erzählen." Aber Wangen war schon weitergegangen, er dachte an seine Frau. die jetzt das vierte Kind erwartete. Ob sie wohl ertragen wüvds, was er ihr jetzt erzählen mußte? Doch der andere folgte ihm und faßte seinen Arm.„So warte doch und hör zu!" sagte er mit einem Kistigen Lachen. „Komm einen Augenblick herein und oersuch die Flasche." „Nein, ein andermal," sagte Wangen und ging schneller. Van diesem oersoffenen Konsul aus der Hauptstadt, den seine Familie hier auf dem Lande in Pension gegeben hatte, war Wangen leider schon mehr als einmal verführt worden. Aber jetzt hatte er sich vorgenommen, vollständig nüchtern nach Hanse zu kommen. Doch der andere hatte ihn nun unterge- faßt und sprach so einschmeichelnd zu ihm, daß er sich zuletzt doch in dessen kleines Haus ziehen ließ. Als sie in die niedrige Stube traten, wo es nach Toddy und Tabak stank, bockte schon eine dürre Schneidergestalt am ieenster und legte Karten. Das war der Dritte im Bunde zu >->piel und Schnaps, ein aller, gichtbrüchiger Rechtsanwalt, der ,chon lange keine Praxis mehr hotte. Er hieß allgemein der „ehemalige zukünftige Staatsminister". „Setz' dich doch," sagte der Konsul. Aber Wangen blieb mit dem Reisssack in der Hand stelzen.„Spielchen machen?" fragte der Mann am Fenster und grinste in seinen weißen Vollbart,„hall's Maul." antwortete der Konsul und beeille sich ein paar Gläser zu füllen.—„Jetzt wollen wir erst einmal einen Dreistern genehmigen" „Rein, ich will nichts haben," sagte Wangen.—„Aber was wolltest du mir denn durckaus noch erzählen?"—„Setz' dich doch bloß hin. mein Kind." lachte der Konsul und HHt das Mas gegen das Fenster.„Jcb muß doch sagen, die Welt ist schlechter, als ich gedacht hatte." Und das wollte viel heißen, denn der Konsul pflegte die Leute nicht gerode sehr milde zu beurteilen. (Fortsetzung folgt.)