Die Angelegenheit ffermes. Ein neues Schreiben der USPD . an den Reichskanzler. Die Unabhängige Reichstagsfraktion bat in der Angelegenheit Hermes ein neues Schreiben an den Reichskanzler Dr. Wirth gerichtet, das folgenden Wortlaut hat: Sehr geehrter 5)err Reichskanzler! Der Vorstand der Reichstagsfraktion der USPD . hat unter dem 10. d. M. an Sie ein Schreiben gerichtet, das sich mit den in der Presse gegen den jetzigen Reichsfinanzminister Dr. Hermes er- hobenen Vorwürfen befaßt und drei Tatfachen enthält, von deren Richtigkeit wir uns überzeugt haben. Wir haben Ihnen diese Tatsachen unter Vermeidung jeg- licher Schlußfolgerung unterbreitet und um eine Stel- lnngnahme der Reichsregicrung gebeten. Als einzige Aeußerung da- zu ist bisher nur der Brief des Rcichsfinanzministers Dr. Hermes an den Herrn Reichskanzler vom 11. März 1922 bekannt geworden. Er wurde durch die Presse verbreitet, scheint also auch nach Ihrer Meinung keine ausreichende Antwort auf unser Schreiben vom 19. d. M. zu sein, da er zu keiner der drei Tatsachen unseres Schreibens vom 19. d. M. positiv Stellung nimmt. Er begnügt sich vielmehr damit, eine Schlußfolgerung zu verneinen, die unser Brief nicht gezogen hat, bestätigt also indirekt unsere An- gaben. Der Vorstand der Reichslagsfraklion der USPD . richtet deshalb erneut an die Reichsregierung das Ersuchen, nunmehr ih r e r s e i t s zu den in unserem Schreiben vom 10. d. M. mitgeteilten Tatsachen Stellung zu nehmen und diese Stellungnahme der Fraktion der un° abhängigen Sozialdemokraten zu übermitteln. Sie hält das umso- mehr für notwendig, als das unbegreifliche Schweigen der Reichs- regierung in weiten Kreisen der Bevölkerung den Eindruck erweckt hat, als ob die Reichsregierung den Standpunkt ihrer Vorgängerin verlassen hat, wonach„das Ministerium unter keinen Umständen jemand in seinen Kreisen dulden kann, an dessen Ehre ein Makel klebt'. Hochachtungsvoll Reichstcgsfraktion der Unabhängigen Sozialdemokraten. Zu dem Antwortschreiben des Ministers Hermes haben wir seinerzeit Stellung genommen. Uns würde als zweck- dienlichste Lösung der Angelegenheit erscheinen, wenn der vom Reichstag eingesetzte Untersuchungsauschuß seine Ar- beiten möglichst beschleunigen würde, was um so eher möglick erscheint, als die Angelegenheit in der Oeffentlichkeit ziemlich bis ins letzte erörtert worden ist.
noch strittigen Fragen von den km Pkenmn durch die Dsutfchnatio« nalen verstärkten bürgerlichen Koalitionsparteien überstimmt werden. Adolf Hoffmann platzte da mit dem zündenden Witz in das gespannt lauschende Haus:„Jetzt verrät er dte ganze Kiste!" Die Rechtssozialisten werden sich zu dieser Mitteilung Helfferichs zu äußern haben. Mit einfachem Dementieren wird aber nicht viel getan fein. Man wird die Vorgänge bei der Spezialberatung der
Mn unsere Abonnenten!
Seamtenftrei? irnA Schtchpolkze!. Eine Erklärung dcS Reichsverbandcs der Polizeibeamten. Der Reichsoerband der Polizeibeamten D e u t f ch l a n d s, der in dem bereits veröffentlichten neuesten Erlaß des Ministers Genossen Sevcring gegen das Streik- recht der Polizei besonders genannt ist, nimmt zu der Behaup- tung des Ministers, daß er durch feine Haltung während des Eisenbahnerstreiks und durch die von ihm herausgegebenen „Weisungen" in den Reihen der Schutzpolizei verwirrend und irreführend gewirkt habe, in folgender Zuschrift Stellung: „Der Erlaß des Ministers befaßt sich mit der Stellungnahme des Reichsverbandes zur Streikfrage in einer Form, die wir im Interesse der von uns vertretenen Beamtenschaft nicht unwioer- sprachen lassen können. Der Reichsoerband steht grundsätzlich auf
Die gewaltige Teuerung, die seit Monaten über Deutschland geht, wirkt auch im größten Ausmaße auf die Herstellungskosten der Presse, die unter dem Druck des Papiersyndikats und der Monopol- stellung der Zellftoffabrikanten steht. Die PreisefürPapier werden den Zeitungsverlegern einfach diktiert. Gegen den ßem Standpunkt, daß er zur Erreichung seiner beamtengewerkschaft Friedenspreis von 20 Pf. für ein Kilogramm Papier stieg der Preis' lichen Ziele die Anwendung des Streiks als mit den Grundsätzen im Dezember v. I. auf 4,20 M.. das 21fache des Friedenspreises. � des Beamtenrechts unvereinbar verwirft. Sein Programm sprang ganz unerwartet auf 7 M. für Januar, 7P0 M. im Februar,! besagt weiter, daß dte Polizei bei allen wirtschaftlichen Kämpfen 8,25 M. im März und soll im April sogar 11 M., also das. strengste Neutralität zu wahren hat. Der Reichsverband
Eine Leipziger Sensation. Am letzten Donnerstag hat bekanntlich Herr Helfferich im Reichstag eine Rede gehalten, die die Erfolge der sozial- demokratischen Forderung nach einer energischen Besitzbesteue- imng mit einiger Uebertreibung hervorhob, sonst aber nichts Neues und Bemerkenswertes enthielt. Die„Freiheit" vom Freitag morgen schrieb dazu, vollkommen zutreffend, folgendes: Die Rede helfferichs bot kaum elwas Neues. Mit Heftigkeit wandte er sich gegen das Kompromiß, weil es den Besitz zu st a r k belaste, die Volkswirtschaft ertöte, und weil seine Partei nichts tun wolle, um die Reparationspflichten zu erfüllen. Gestern nun wurde im Reichstag unter allgemeinem .Hopfschütteln die„Leipziger Volkszeitung " vom Freitag abend von Hand zu Hand gereicht, worin über dieselbe Rede folgen- des erzählt wird: Dann hielt Helfferich eines seiner bekannten kriegerischen Trom- petenkonzerte. Das wichtigste an seiner Ausführung war eine„Eni- l Lllung", mit der er Bewegung hervorrief. Er sagte, die Deutschnationalen seien nur äußerlich von dem Kompromiß- geschäft ausgeschlossen worden. Es bestehe aber unter den Bätern des Kompromisses eine geheime Abmachung, wonach die Entfchei- bung über verschiedene strittige Punkte des Steuerwerkes in die Hände der Deutschnationalen gelegt sei. Die Rechts- soziaUsleu hätteu sich einverstanden damit erklärt, daß sie bei den
SSsache des Friedenspreises noch übersteigen. Neben dieser Steige rung des Papierpreises gehen auch die Preise aller übrigen Her- stellungsmateriallen ständig in die Höhe. Hinzu kommt natur- gemäß die Erhöhung der Gehälter und Löhne der Angestellten und Arbeiter. Unter dem Druck der gesamten Preissteigerung gerät die Presse, insbesondere die Arbeiterpresse, der nicht die Hilfs- mittel, wie sie einem großen Teil der bürgerlichen Presse zur Der- fügung stehen, in arge Bedrängnis. Die Ärbeiterpreste, in Berlin der„Vorwärts" als Zentral- organ unserer Partei, muß aber als Rückgrat der politischen und ge- werkschaftlichen Arbeiterbewegung, als Vertreter der wirtschaftlichen Interessen der gesamten werktätigen Bevölke- rung und als Vorkämpfer für eine höhere Kultur
enthält sich in diesem Sinne grundsätzlich jeder Einwirkung auf die dienstliche Tätigkeit der Polizeibehörden und der Polizelbcamten. Das sind die Richtlinien, die unseren Landesverbänden bekannt und auch bei dem letzten Eisenbahnerstreik zu befolgen waren. Wenn wir trotzdem den Ministerien dos Innern von Reich und Staat sowie der Presse noch einmal unsere durch Programm diktierte Haltung mitteilten und die bekannte„Weisung" unseren Landes- verbänden übermittelten, so wurden wir hierzu einmal durch den Umstand veranlaßt, daß die Oeffentlichkeit damals durch die Meldung von Streikgeldersammlungen von den Angehörigen eines Polizei- beamtenverbande» über die Zuverlässigkeit der Schutzpolizei im Zweifel war. Des weiteren wurde den Aertretern des Reichsverbandes in einer in den ersten Togen des Streiks im Reichs-
erhalten werden, und nicht nur das, sondern selbst bei finanziell;ministtrium des Innern erfolgten Rücksprache seitens des
größerem Opfer ein« weitere Verstärkung und Verbreitung erfahren. Wir haben trotz der sprunghaften Steigerung des Papierpreises und aller sonstigen Ausgaben für die Herstellung de»„Vorwärts" in den letzten Monaten mit einer Erhöhung des Abonnements zurückgehalten, um die Abonnenten, die unter der plötzlich einsetzenden und rapid steigenden Teuerung zu leiden haben, nicht noch mehr zu belasten. Doch jetzt müssen wir, dem Selbsterhaltungstrieb folgend, zu einer Erhöhung des Abonnement spreises schreiten. Wir setzen den Bezugspreis fkr April auf 30 Tl. pro Exemplar und Monat fest. Die Gestehungskosten werden durch diese Erhöhung nicht ge- deckt. Es ist nur möglich, mit diesem Preise aiiszukommen, wenn wir so wie bisher durch unser« Abonnenten unterstützt werden, in- dem sie bei ihren Einkäufen die Inserenten des„Vor- wärts" berücksichtigen, wodurch diese veranlaßt werden, den„Vorwärts" für Anzeigen dauernd zu bemchen. Wir hegen die feste Ueberzeugung, daß unsere Abonnenten und Leser die Derechtigimg der absolut erforderlichen Erhöhung des Be- zuzsprcises anerkennen und nach wie vor trotz der Erhöhung treu zum„Vorwärts" stehen werden. Verlag und Redaktion des„vorwärts".
Steuergesehe genau beobachten müssen. Liegen die von dem Deutsch - nationalen behaupteten Abmachungen tatsächlich vor, so wäre das der Gipfel parlamentarischer Schieberei der rechtssozialistischen Führung und ein Betrug der eigenen Partetanhänger. Es handelt sich hier anscheinend in der Tat um einen be- sonderen Fall, der aber nur den bedauernswerten Verfasser dieser Notiz selber angeht. Die„Leipziger Volkszeitung " wird gut tun, ihren Lesern schleunigst mitzuteilen, daß ihr Berliner Parlamentsbericht nur das Produkt einer erkrankten Phantasie war. Sonst wird diese frei erdichtete Schauer- ballade über eine nie gehaltene Rede Helfferichs durch alle Versammlungen geschleppt, und es wird notwendig wer- den, dort mit der dann nötigen Rücksichtslosigkeit zu sagen, was über eine solche Art von„Berichterstattung" zu sagen ist.
Ministerialdirektors Dr. Falck erklärt, daß der Reichsminister des | Innern in Anbetracht der durch den Eisenbahnerstreik geschaffenen I Lage die Stellungnahme des Reichsvcrbandss zur Streikfrage zu wissen wünsche, und daß es infolge einer vom Vorsitzenden des �„Verbandes der Polizeibeamten Preußens", Herrn Schräder, ab- ! gegebenen„sehr bedenklichen" Erklärung und der Beunruhigung der ' Bevölkerung über die Zuverlässigkeit der Schutzpolizei unbedingt erforderlich sei, daß der Reichsverband nicht nur seine ! Mitglieder zur Ruh« und Besonnenheit aufzufordern, sondern auch ! der Oeffentlichkeit seine Haltung zur Streiksrage mit- zuteilen habe. Es ist zum mindesten eigenartig, daß die vom Reichs- minister Dr. K o e st e r und der Oeffentlichkeit als richtig anerkannte Haltung des Reichsverbandes im Eisenbahner- streik seitens des preußischen Innenministers eine derart ab- wegize Beurteilung sindet. Nach den von uns gemachten Ersah- rungen kann man mit Recht annehmen, daß Minister Severing durch einen verantwortlichen Ratgeber über diese Tatsache ein- seitig informiert worden ist." Die„Weisungen", die der Verband während des Eisen- bahnerstreiks den ihm angeschlossenen Landesverbänden tele- graphisch zugehen ließ, hatten folgenden Wortlaut: „Die Polizei ist das Vollzugsorgan der verfassungsmäßigen Re- gierung. Sie hat Skaaksautorität und Staaksmohl zu schützen und den dazu gegebenen Gesehen und Verordnungen zur Achtung zu ver- Helsen . Diesen Aufgiben kann nur eine Polizeibeamtenschaft ge« recht werden, die zur volksgewollten Regierung in einem unlöslichen Treueverhältnis steht und die übernommenen Dienstpflichten restlos und Immer erfüllt." Nach unsere' Auffassung sind diese Weisungen inhaltlich un anstößig und, wie ja auch ihre Entstehungsgeschichte zeigt, in der b e st e n Absicht herausgegeben. Für die An- nähme des Reichsverbandes der Polizeibeamten, daß Genosse Severing von einer verantwortlichen Stelle über die Haltung und Absichten des Reichsoerbandes falsch imformiert worden ist, liegt danach zum mindesten eine gewisse Wahr- scheinlichkeit vor. Wir hosfen, daß dieses Mißverständnis sich klären wird.
Sie Atisboa. Don Edgar Hahnewald . Sie tag nachts im strömenden Regen mitten auf der Straße. «Kne Kontoristin, die unterm Regenschirm, von Wind und Wetter umpeitscht, nach Hause schritt, sah sie als dunklen Klumpen liegen, hob sie auf und nahm sie mit, ohne zu erkennen, was für ein Pelzstück sie eigentlich gefunden hatte, ob Skunks oder Kaninchen. Luch da- heim war das nicht festzustellen. Die Boa glich.einem schmutzigen, ersosfenen Hund. Die Kontoristin reinigte dts seiden« Futter vom Schlamm und hängte das Pelzstück zum Trocknen auf. Als sie am nächsten Abend von der Arbeit nach Hause kam, hatte sich dieses nasse, verklebte Fell in eine Jltisboa verwandelt, in eine herrliche Jltisboa aus vier Fellen mit vier kleinen Tierköpfen. Unter dem Streicheln einer weichen Bürste gewann der braunschwarz und goldbraun geflammte Pelz seine köstliche Schönheit wieder, und die vier niedlichen Jltisköpse blitzten mit echt blanken, Nugen, schwarzen Perlenaugen. Die Kontoristin legte die Boa um und betrachtete sich im Spiegel. Sie sah reizend aus. Sie drückte das zarte Fell gegen das Gesicht. Das tat wohl wie eine Liebkosung. Dann rückte sie den Pelzschmuck so, daß die Köpfchen und die buschigen Schwänze aus die Schultern jfa liegen kamen. Das kleidete sie noch besser. Es sah flotter aus. Und nun holte sie das blaue Tuchjackett aus dem Schrank, zog es an, legte die Boa um und drehte sich, ganz allein in ihrem ungeheizten Zimmer, vor dem Spiegel und stieß kleine Schreie des Entzückens aus. Sie fühlte schon im voraus die Wonne, mit diesem köstlichen Pelz geschmückt, am Arme ihres Liebhabers den strahlenden Raum eines Cafös zu betreten. Aber— man mußte die Boa ändern lassen, mußte das Futter und die Seidenrüsche abtrennen, die vier Fellchen auseinander- nehmen und zum Kürschner tragen. Der mußte dann ein ganz neues Fasson daraus machen. Sonst... Und da fiel der Kontoristin ein, daß ja die Boa eigentlich nicht ihr gehöre. Aber— eine Jltisboa verliert niemand, der kein Geld hat. Sicher war die Verliererin reich. Und sie war eine anne Kon- toristin. Ihr hatte das Glück eine Sehnsucht erfüllt, denn ihr billiger Fuchs war schon recht abgetragen. Und in scheuer Sorge, die Boa wieder hergeben zu müssen, streichelte sie das goldbraune Fell, hielt es von sich ab und blickte den kleinen Iltisköpfen zärtlich in die Perlenaugen. Zwei Tage später stand in der Zeitung eine Verlustanzeige: Eine Jltisboa usw. Die Kontoristin las die Anzeige, legte die Boa um, trat vor den Spiegel, las die fünf Druckzeilen wieder, trat wieder vor den Spiegel. Zwischen Tisch und Spiegel fand ein lautloser 51ampf zwischen Gut und Böse statt. Und schließlich, In einer leise schmerzlichen Betäubung und unter dem Wirrwarr innerer Stimmen, setzte sich die Kontoristin hin und schrieb eine Postkarte. Am nächsten Abend, als sie nach Haufe kam,«artete die Eigen- tümerin schon aus sie. Es gab ei» stürmisches Wiedersehen zwischen itzr und. der Jltisboa. Ae hatte den dazu gehörigen Muss mitgebracht
— als Beweis. Sie selber war Berkäuferin. Und die Jltisgarnitur schenkte ihr ein Liebhaber. Er war längst fort, verschollen, wie das eben so zugeht— das geschenkte Pelzwerk hatte sich als dauerhafter als die Liebe erwiesen. Die glückliche Eigentümerin drehte sich vorm Spiegel und lachte sich und der wiedergefundenen Boa um ihre Schultern zu. Und der Spiegel zeigte ihr das«igen« Bild, wie er. der Kontoristin das ihrige gezeigt hatte, als sie sich in die Boa schmiegte. Die Perlenaugen der vier Jltisköpse blitzten unparteiisch aus dem Glase zurück. Die Kontoristin betrachtet« neidlos die Fremde und hielt dabei den Hundertmarkschein, den Ihr die Eigentümerin glückstrahlend in die Hand geknittert hatte. Sie war auf eine merkwürdige Art froh. Die Fremde vorm Spiegel wandte sich um, drückte die Boa lieb- kosend gegen Hals und Wange und sagte heiter und glücklich: „Glauben Sie mir, ich hatte schon gar nicht mehr darauf ge- rechnet, die Boa wiederczubekommen. Wirklich— man hört ja immer sagen, daß die Menschen so schlecht geworden sind und daß man nichts wieder bekommt, wenn man etwas verliert und jemand es findet. Und nun habe ich die Boa doch wieder bekommen." Die Kontoristin fühlte einen hellen Stolz in sich aufsteigen. Sie begriff, was die andere unklar aussprach und was sie selbst auch nicht klarer hätte ausdrücken können: sie begriff, daß sie einem fremden Menschen den Glauben an die Menschen erleichtert hatte, den andere erschütterten. Und sie faltete sorgsam den Hundertmarkschein nach Art der Frauen so oft zusammen, bis er nur noch ein Flöckchen von der Größe einer Briefmarke war, und schob ihn in das zierliche, für die Zeit der Geldentwertung viel zu winzige Portemonnaie. Die beiden Mädchen reichten sich die Hände und drückten sie, und beide waren froh aus Gründen, die voneinander gar nicht so sehr verschieden waren. Die Verkäuferin ging, geschmückt mit Muff und Boa. Und während sie durch die dunkle Straße lächelnd dahinschritt, ertappte sie sich dabei, daß während des Gehens Ihre Augen unbewußt suchend auf den Granit des Fußsteiges hinsahen. Und ein Wunsch kam ihr zum Bewußtsein, der fast zur Sehnsucht anwuchs. Sie wünschte, daß sie etwas finden möchte, eine Prosche, ein« Brieftasche— irgend etwas Wertvolles. Sie wünschte, daß sie etwas sinden möchte, damit sie es aufheben und auf dem Fundbureau abgeben könntr.
valenttn haüp. Zum 100. Todestage des Gründers der ersten Blindenanstalt, von Dr. G n b i c r- K n i b b e. Am 19. März sind 100 Jahre verflossen seil dem Tode Valentin Haüys, des Gründers der ersten Blindenanstalt der Weit und uner- müdlichen Borkämpfers der Blindenfürsorge. Vlentin Haüy wurde am 13. November 174fi als Sohn eines Handwerkers in einem Dorfe der Picardis geboren. Er studierte Sprachwisscnschasteu und erhielt bald eine Stelle als Beamter im Ministerium des Aeuhern in Paris . Ein Erlebnis traurigster Art ließ in ihm den Plan reifen, zu dessen Durchführung er die besten Kräfte seine» Lebens ver- braucht hat,
In einem Pariser Kaffeehaus sah Valentin Haüy eine aus Blin- den zusammengestellte Kapelle, deren Mitglieder, mit Narrcnklcidern kostümiert, zur Belustigung der Volksmenge dienten. Der Menschen- freund wurde von Ekel bieriiber ergrissen und sann auf Mittel und Wege, diesen unglücklichen Opfern menschlicher Spottlust seinen hellenden Arm zu bieten. An einer Kirchentür griss er einen I8jährigen blinden Vettler auf und begann ihn schulmäßig zu unter- richten. Der Unterricht wie das ganze Beginnen war vollkommenes Neuland, und dem erst Z7jährigen standen Freunde und Berater nicht zur Seite. In dieser Zeit kam eine hochbegabte blinde Wie- nerin, Maria Theresia von Paradies, auf einer Konzertreise auch nach Pari», wo Haüy mit ihr in Berührung trat. Fräulein von Paradies war eine Meisterin des Orgelspiels und der Gesangskunst und hatte sich selbst mancherlei Hilfsmittel zur Erlernung und Ausübung der Schrift und Rechenkunst angeeignet. Die Früchte dieser Be- gegnung kamen Valentin Haüy sehr zu statten, und ermuttgt durch diese Erfahrungen, begann er sein Unternehmen. Seinen ersten Zögling konnte der Franzose schon� am Ende de» Jahres 1784 der Philanthropischen Gesellschaft vorführen, die, überrascht durch die Erfolge, ihm die Mittel zur Gründung einer Blindenschule zur Ber- fügung stellte. Die Zeit der französischen Revolution brachte auch diesem jun- gen Unrernehmen große Schwierigkeiten, aber die Revolutionsregie- rung ließ 1791 die zu einem Institut vereinigte Blindenanstalt und Taubstummenanstalt aus Staalskosten unterhalten. Der Schul- und Handfertigkeitsuntcrricht der Blinden bewegte sich in jenen Zeiten des tastenden Aerfuchens nur in den einsachsten Formen. Man hatte weniger im Auge, die Blinden ein einträgliches Handwerk zu lehren, als sie durch Ausübung leichterer Handfertigkeiten aus der geisttötenden Oed« des Alltags herauszuheben. Napoleon I. vereinigte die Schulanstalt für junge Blinde mit einem Heim für alte Blinde aus Gründen der Gcldersparnis. Ba- lentin Haüy wurde mit einer Pension abgefunden. Erst im Jahre 1806 wurde die unhaltbare Bereinigung der beiden Anstalten auf- gehoben und ein besonderes Institut für junge Blinde gegründet. Im Jahre 1806 fand Valentin Haüy , dessen Ruf sich weit ver- breitet hatte, noch einmal Gelegenheit, für seinen Gedanken zu werben und die Früchte seiner Arbeit den Blinden nutzbar zu machen. Der russische Kaiser Alexander I. rief ihn in diesem Lahre nach Petersburg , um dort die Gründung einer Blindenanstalt vor- zubereiten. Auf seiner Durchreise durch Berlin gelang es Valentin Haüy , Friedrich Wilhelm III. so für den Gedanken der Blinden- erzichung einzunehmen, daß dieser noch im gleichen Jahre die Gründung der ersten Blindenanstalt in Preußen befahl. Nach einem elfjährigen Aufenthalt in Petersburg kehrte Valentin Haüy — ohne wesentlich« Erfolg«— wieder nach Pari» zurück, wo er unbeachtet und lern vom Werk seines Lebens am 19. März 1822 die Augen schloß. Die letzten Jahrzehnte haben in der Entwicklung des Blinden - wescns und der Dlindenfürsorg« große Fortschritte aufzuweisen, aber allzuviel« blind« Männ «r und Frau«n, denen das Hauptwerk kaum mehr Lebensinhalt gibt, befinden sich in großer Rot. Sie können nicht den Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt mit Erfola auf- nehmen. Ihnen muß die Unterstützung des Reichs und der Länder daher vornehmlich zuteil werden, um nicht Tausende unaufhaltsam dem wirtschaftlichen Zusammenbruch zutreiben zu lassen. Der Reichsdeutsche Blindenverband E. D., Berlin , der die 74 in Dsuischland bestehende« Blmdenvireine lest dem Jahre iSH2 zu