Nr. 137 ♦ 39. Jahrgang
Seilage öes vorwärts
Mittwoch, 22. Marz 1922
Intragskchraus im Rathaus.
Die>n der S t a d l v e r o r d n e t e n v« r s a m m l u n. g zur Reae ysioi rdene Verschleppung wichtiger Ange'-ei, cn- Helten wird durch die Tutsache beleuchtet, daß die Tagesordnung für die gestrig« Sitzung infolge zahlreicher Reste bereits auf 110 Punkte angeschwollen war. Diesmal wurde eine tüchtig« Portion von Anträgen und Anfragen, deren älteste s cho n vor vier Monaten als dringlich eingereicht waren, endlich Erledigt. Längere und zum Teil erregte Auseinandersetzungen gab es besonders bei zwei Anträgen. Einen Antrag der sozialdemotra- tilchen Fraktion, der die Gültigkeitserklärung der vom Magistrot für ungültig erklärten Brotkarten mit den Re» tlomen der Konsumgenossenschaft fordert«, be« kämpften in ihrem chcß gegen die Konsumgenossenschaft die Parteien der Rechten, ober sie konnten die Annahme nicht oerhindern. Bei einem die Kirchen st euereinziehung betreffenden Antrag der Kommunisten oersucht« ein zur Deutschen Dolkspartei gehören. der Pfarrer, die im„Vorwärts" gebrandmarkte Pfändung einer gor nicht tirchensteuerpflichtigen Ar- b e i t e r i n zu beschönigen. Der Antrag forderte nicht eine Aende- rung der Gesetzgebung, sondern«inen Widerstand des Magistrats gegen die ihm durch Gesetz auferlegte Pflicht der Kirchensteuerein- ziehung. Diesem aussichtslosen Unsinn muhte die sozialdemo- kratische Fraktion ihre Unterstützung versagen. « Eine A n f r a g« der Demokraten, die die Ende Januar erfolgte Schließung einiger Schulen wegen Kohlenmangels zum Gegenstand hat, wird vom Stadtbaurat ch o r t e n beantwortet. Aus der Antwort des Stadtrats P ö tz s ch aus die Anfrage de? U. Soz. wegen der in hygienischer Beziehung unhaltbaren Zu- stände auf dem Gebiete der Müllabfuhr geht hervor, daß der Einsatz der„Technischen Rothilfe" vom Polizei- Präsidenten, nicht vom MamÜrot verfügt worden ist. Die A n f r a g e der Dnatl. betr. den Stadtrat C h r i st in Verlin- Mitte wird von Koch (Dnat.) zurückgezogen, da Herr Ehrist sein Amt niedergelegt habe, nachdem er inzwischen nach zweijähriger Ar- bcitslosigteit Arbeit erhalten habe. In Sachen des Fragebogens derGirozentralederStadt B e r li n betr. die Konten der Gewerkschaften und Gewcrtschafts- verbände gibt der Kämmerer auf die Anfrage der Komm, die Erklärung ab, daß es sich lediglich um finanziell« Erwägungen ge- handelt habe, daß von irgendeinem politischen Charak- terderFragekeineRedesei. In der Besprechung wird dem- gegenüber von Schumacher(Komm.) auf die Fasiung des Wort- lauts der Verfügung hingewiesen, die dem Verdacht Raum lasse, daß evtl. zu einer Beschlagnahme der von den Gewerkschaften angelegten Gelder geschritten werden könnte. Kämmerer K a r d i n g ersucht nochma.!?, die Sparkasse aus dem Spiel zu lassen und mit unbeqrün- deien Angriffen zu verschonen, sie nicht zum Schauplatz politischer Streitereien zu machen.— Reimann(U. Soz.) will der Spar- tassenverwaltung nicht das Vertrauen entziehen, für die Zukunft müßten aber solche Fehler vermieden werden.— L ö w y(Soz.) stellt fest, daß erst die KPD . aus dieser Angelegenheit eine Haupt- und Staatsaktion gemocht und sich damit blamiert hat. Am 21. November 1321 hoben die Kommunisten und die Un- abhängigen einen Dringlichkeits antrag eingebrocht, der den Hunger st reik in Lichtenburg betrifft und sofortige Frei- lassung und Amnestie der politischen Gefangenen oerlanzt. Nach der Begründung durch L e u p o l d(Komm.) beantragt v. E y n e r n (D. Vp.) U ebergang zur Tagesordnung, da die Angelegenheit schon lange Monate zurücklieg«»nt�den Rahmen der Kompetenz der Der- fommlung überschreit«. Mit 87 oeqen 75 Stimmen wird Uebergang zur Tagesordnung beschlossen.(Pfuirufe auf der äußersten Linden und auf der Tribüne.) Ein Dringlichkeitsantrag der Sozialdemokraten da- tiert vom 22. November 1321: Hei mann u. Gen.(Soz.) fordern Aufhebung des Magistratsbefchlusfes auf Ungültigerklä- r u n g der Drotkarten mit Anzeigen der Konsumgenossenschaft. Arndt(Soz.) rügt. dahderMagistratvordenDäcker- meistern zurückgewichen sei. Stadtrat Richter führt
aus, daß der Magistrat der„berechtigten" Erregung der Bäcker- Meisterschaft Folge geben mußte. In der anknüpfenden Aussprache bemerkt Müller(U. Soz.), daß in dem Verhalten des Magistrats nur eine Verbeugung vor den Bäckermeistern zu erblicken sei. G r ü ß e r lDöckerobermeister, Wirtichoftspartei) erklärt„im Namen von 4000 Berliner Bäckermeistern" eine solche Reklame für„das eine Lichtenberger Geschäft" für völlig unstatthaft. Schließlich wird der Antrag mit 84 gegen KZ Stimmen angenommen. Eine sehr lebhost« und teilweise erregte Aussprache ruft sodann der Antrag Gabel(Komm.) vom 2Z. November 1921 hervor, der den Magistrat veranlasien will, dafür zu sorgen, daß künftig keinerlei städtische Behörden zur Einkreibung von Kirchensteuern benutzt werden. An der Aussprache beteiligen sich nach dem Antrag- steller Dr. Nosenberg, Hauptsteuerdirektor Lange, Pfarrer Kröpelin (D. Dp.), Vinte(Soz.), der vom Magistrat fordert, darauf hinzmvirkn, daß die Gesetzgebung geändert wird, Dr. K ö l i tz(U. Soz.) und K u b«(Dnat Vp.), dessen Aus- führungen auf der Linken stürmischem Widerspruch begegnen. Der Antrag fällt gegen die Stimmen der Kommunisten und Unabhängigen. Die Voriaze wegen Unterstützung nolleidender Kleinrentner wird angenommen. Die Vorlagen über die Schiedssprüche wegen der Arbeiterlöhn« und über die Erhöhung der Werk- tarife werden ohne Debatte zunächst einem Ausschuß überwiesen. G Aus der sozialdemokratischen Sladkoerordnelcnfratklon. Ge- nasse Herrmann hat, weil er Dezirksstadtrat ist, fein Stadtver- ordnetenmandat niedergelegt. Für ihn ist Genosse K a y s« r in die Stadtverordnetenversammlung eingetreten.
vom verkaufen.
„Kaufen ist leicht verkaufen schwer"—«enigstens soweit es sich nicht um Gegenstände handelt, die zur Befriedigung der Lebens- notdurft dienen. Einen Sack Kartoffeln wird man reißend los und die Preisbestimmung hängt nur vom eigenen Gewissen ab. Aber handelt es sich um einen Schmuckgegenstand, um ein Buch, eine wert- volle Vase usw., so liegt die Sache anders. Die Zahl der Säufer ist beschränkt, wenn man von dem Wege des Inserierens absieht, der wohl manchen zahlungsfähigen Kauf- lustigen, ober auch manche dunkle Existenz herbeiführt, die im Trüben fischen möchte. Man ist also meist auf die einschlägigen Geschäfte angewiesen, die mit dem Antauf und Wiederverkauf von Kostbar- leiten und Raritäten sich abgeben. Da stellt sich nun stets die Frage ein:„Welchen Preis fordern Sie?" Bei der Umwertung aller Werte eine kniffliche Dache, denn die Marktlage, die Valuta und noch manches andere spricht mit. Vor allem die Mode. Was Du vor 10 oder 20 Iahren verhällnismäßig teuer erworben hast, hat heute ge- ringeren Wert, als vielleicht ein Stück, das seinerzeit nur wenig ge- kostet hat, aber seitdem von Sammlern begehrt wird. So schwankt man meist haltlos hin und her: man möchte nicht zuviel fordern, um nicht gleich abgewiesen zu werden, man möchte aber auch nicht als „der Dumme" dastehen, der den Wert seines Eigentums nicht kennti vielfach kann man beobachten, daß dje Leute, die verkaufen wollen oder gar müssen, einen übertrieben hohen Preis fordern, um dann ihre Hoffnung auf Absatz vernichtet zu sehen. Wer 10 000 M. fordert, wird bei dem sachverständigen Käufer ein Achselzucken erzielen, wenn der Gegenstand nur 1000 oder 2000 M. wert ist. Man könnt« nun sagen, bittet doch den Käufer, seinerseits ein Angebot zu machen. Aber das wird stets abgelehnt, von den re- spektabelsten Firmen wie von den kleinen Schachern. Ein Ausweg ist verschiedentlich angebahnt worden: man hat Beratungsstellen ein- gerichtet, die ein Urteil abgeben und die, da sie meist mit Museen u. Vgl. Instituten in Verbindung stehen, zugleich darauf acht geben können, daß künstlerisch Eigenartiges für die Allgemeinheit gesichert werd«. Ob dieser Weg aber allgemein gangbar ist? Mancher scheut sich, seine Notlage anderen zu offenbaren, und nach Rot sieht es doch immer aus, wenn jemand aus seinem Besitz Gegenständ« veräußert.
Ein anderer Weg ist mit der Bestellung von Taxatoren gegeben, wie solches z. B. für Juwelen in Berlin der Fall ist. Wenn einer solchen Amtsperson etwas zur Schätzung unterbreitet wird, liegt nicht immer der Gedanke aus der Hand, daß ein Verkauf bcabsichtigt ist. Erbschaftsangelegenheit-n, Vermögensfeststellung u. a. können in Frage kommen Den Ausbmi dieser Stellen, von denen das große Publikum im allgemeinen nichts weiß, sollten sich die Käufcrkreise angelegen sein lassen— sie würden donw am ersten dem Verdacht entgehen, daß sie Notlage und Unkenntnis des Anbietenden aus- nutzen. Der ganz freie Verkehr hat selbst ans dem besten Trödel» markt seine Bedenken. Seffer als ihr Ruf... Rechtfertigung der Neuköllner Wohnungsamkbeamlen. Ende vorigen Jahres gingen aufsehenerregende Artikel durch die gesamt« Presse, in denen behauptet wurde, in einem Meaditer Prozeß habe die Beweisaufnahme„ein erschreckendes Bild über die Zustände beim Neuköllner Wohnungs- o m t e" ergeben, und es sei festaestellt, daß Rechercheure sich mit 100— 8000 M. haben bestechen lassen. Das Gericht hat den Mahr- � heitsbeweis als vollkommen gelungen angesehen und deshalb die� wegen Beleidigung Angeklagte freigesprochen. Im Bezirksamt.Neu- kölln hatte infolge eines Dringlichkeitsantrages der kommunistischen Fraktion Stadtrat Tresfert als Vertreter des Wohnungsamtes leincr- zeit erklärt, der Sachverbalt fei verdreht und nicht objektiv dar- gestellt, und es würde Berufung eingelegt werden. Ja der Bor-- Handlung vor dem Landgericht II legte der Vertreter des Mieter- Verbandes das gesamte Material, das er in den letzten Monaten ge- sammelt hatte, vor. Es wurde aber durch eine Meng« von Zeugen nachgewiesen, daß zwar mehrmals Versuche gemocht worden sind. Rechercheure mit höheren Geldbeträgen zu bestechen, daß aber diese Versuche in keinem einzigen Falle gelungen sind. Das Gericht stcLte am Schluß fest, daß nicht einmal der Schatten cines> Beweises erbracht fei für die Behauptung, die Beamten des Neuköllner Wohnungsamtes feien bestechlich. Es fei im Gcgen-- tell nachgewiesen, daß die Beamten ollen Versuchungen widerstanden und die angebotenen Geschenke und Versprechungen in anerkennenswerter Weise zurückgewiesen hätten. Die Angeklagte wurde desh rlo zu 300 M. Geldstrafe e v. Gefängnis und Tragung sämtlicher Kosten des Verfahrens verurteilt. Der Fall sollte all denen, die leichtfertig Behauptungen in die Weit setzen, die sie nicht beweisen können, zur Warnung dienen.
Nus üunklen Tagen. U/s Jahre Zuchthaus wegen Totschlags. Der Prozeß gegen die früheren Reichswehrsoldaten, den Schlosser Adalbert Arndt und den Stud. Ing. Arthur Schneider wegen. der Erschießung zweier Händler im März 1919 wurde gestern zu Ende geführt. Die Geschworenen bejahten die Schuldfrage wegen versuchten Totschlags und schwerer Körperverletzung unter Versagung mildernder Umstände. Der Staatsanwalt beantragte je 1� Jahre Zuchthaus und gegen Arndt noch wegen unbefugter Mitnahme eines Revolvers 1 Woche Gefängnis. Nach kurzer Beratung des Gerichts verkündete Landgerichts« direktor Dr. Weigert das Urteil dahin: Bei der Abmessung dos nach dem Wohrspruch der Geschworenen zu fällenden Urteile ist b«- rücksichtigt worden, daß die Angeklagten noch jugendlichen Alters- sind und durch die Versagung mildernder Umstände schon schwer be- troffen werden. Das Gericht steht nicht an zu erklären, daß die nach dem Spruch der Geschworenen feststehende Tat der Angeklagten die schärf st« Verurteilung verdient, nicht nur, daß bei der Tat die einfache Lust an Roheit die Triebfeder gewesen ist, sondern auch wegen der Bestialität, die die Ehrfurcht vor dem Tode hat völlig vermissen lassen, indem man die Erschossenen zunächst aus einen Müllhaufen geworfen und die Leichen dann später auf der Fahrt im Lastauto einfach an beliebiger Stelle abgeworfen hat. So- bald die beiden Opfer nach Zurücklegung des weiten Weges vom Eden-Hotel in dem Gefängnis in der Lehrter Straße eingeliefert waren, kann man sich nichts Abscheulicheres denken, als daß sie nach dem Dreschkommando:„Raus, sie sind da" aufs ärgst« mißhandelt wurden. Die Cr- regung der damaligen Tag« rechtfertigt in keiner Weife diese verabscheuenswerte Handlung. Der Gerichtshof hat auf eine Gesamtstrafe von je 1� Jahren Zuchthaus erkannt, es aber abgelehnt, auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte zu erkennen. Beide Angeklagte wurden sofort in Hast gewonnen.
Die Macht der Lüge.
Roman von Johann Bojer. Loch nun war ihm der Weg zum Amtmann versperrt. Jetzt mußte er es schon s, weitergehen lassen. Und jedesmal, wenn er danach von neuem die bittere Unwahrheit gesagt hatte, fühlte er den Zwang, es immer noch einmal zu sagen, um Zusammenhang hineinzubekommen. Aber immer stand er dann da und blickte der gefährlichen Lüge nach, die von seiner gigenen Zunge aus sich verzweigte, in der Gemeinde umging, jeden Tqg wuchs, wie ein Gespenst, das sich eines Tages gegen ihn selber richten würde. Und doch muhte er dem Gespenst zu weiterem Wachstum verhelfen, er durfte nicht wanken, keine Furcht zeigen— gleichwie ein Tierbändiger, der der Bestie nicht den Rücken wenden darf, eine andere Möglichkeit gab es jetzt nicht. In den dunklen, schneeschweren Wintertagen stopfte der Alte aus dem Hofe umher, verschwand in einer Scheunentür, kam aus einer anderen wieder heraus, nörgette hier und da und bildete sich ein. etwas zu tun und tat doch gar nichts. Wußte er sich unbeobachtet, dann konnte er stehen bleiben und auf sein« Stiefel starren. Dann schüttelte er den Kopf:„Wenn nur dieser Hcrkufsen nicht wäre.. Aber der saß dort oben wie«in Troll, der den Kopf zum Himmel streckt. Und wie stets, wenn Norby Unglück hatte, fragt« es spottend und reizend quer übers Tal:„Wie geht's, Norby? Hast du Aerger?" � � � „Armer Bater!" sagte Jngeborg in der Küche zu ihrer Mutter.„Er sieht jetzt so blaß und elend aus, er kann un- möglich ganz gesund sein." „Ja." antwortete die Mutter, diese Geschichte nimmt ihn wohl mit. Sehr angenehm kann so etwas ja auch nicht sein, aber unser« Schuld ist es doch nicht. Das muß sich Wanqen schon selber zuschreiben." Ingeborq verdoppelte ihre Sorg« um den Vater, seit sie zu bemerken glaubt«, daß es ihm schlecht gehe. Wie rührte es sie, daß er diese Geschichte sich so zu Herzen nahm. Da konnte man sehen, wie gut ihr Vater war. �Sie hatte es immer ge- wüßt, daß er der best« Mensch aus der ganzen Erde war. Aber wie erschrak das arme Mädchen, ol? es eines Tages hörte. Wangen habe gesagt, nicht er. sondern Norby müsse ins
Zuchthaus. Bis dahin hatte sie ein gewisses Mitleid mit Wangen gehabt, well er schuldig war. Aber nun wurde er in ihren Augen ein Unmensch. Und wenn es ihm nun gelang, den Vater ins Unglück zu bringen! Las wagt« sie der Mutter gegenüber nicht auszusprechen, und weil sie niemanden hatte, dem sie ihr« Angst anvertrauen konnte, wurde dies« nur immer größer und begann ihr nachts den Schlaf zu rauben. Da suchte sie Trost bei Gott und betet« jeden Abend lange, heiße Gebete. Sie wußte, sie mußte selber erst würdig zu beten werden, wenn ihre Bitten erhört werden sollten.— Und je mehr sie das Döse in sich selber zu. überwinden vermocht«, glaubte sie auch zu merken, daß ihr« Gebete tröstende Antwort empfingen,— ustd allmählich war ihr. als sei ihr Vater um- geben von guten Mächten, die ihn beschützen wollten. Wie glücklich sie das machte. Jetzt war Wangen unschädlich. Er sollt« es nur versuchen,«s würde ihm nichts nützen! Und das müde, traurig« Mädchen begann von nun an heller zu blicken und rascher zu gehen, als habe sie ein« heim- liche klein« Freud « in sich glühen. Das Unwetter zwischen Norby und seiner Frau hatte sich oerzogen. Aber niemals war es ihm so unmöglich, wie jetzt. ihr den ganzen Zusammenhang zu erzählen. — Kurz nach den Festtagen saß der Alte im breiten Schlitten und fuhr Jung-Laura zur Station, da in der Stadt die Mädchenschule wieder anfing. Es war ein frostklarer Tag mit hellem Himmel und glitzernden Schnecflächcn. Der harte Schnee knirscht« unter den Schlittenkufen. Der Dauer saß in seinem Pelz und warf ab und zu einen heicklichen Blick auf seine Tochter. So hübsch wie heute hatte er sie noch nie gesehen. Der Frost machte ihr junges Gesicht so rot und ih5e Augen klar und leuchtend blau. Und je öfters sie diese Augen auf ihn richtete, während sie mit ihm schwatzte, um so mehr schämte er sich darüber, daß er dieses Kindes Zutrauen nicht länger verdiente. „Du mußt uns etwas öfters als früher schreiben," sagte er geradeaus, als wenn er zum Pferde spräche.„Wir wollen doch gerne wissen, wie es dir ergeht." Beim Lebewohlsagcn auf der Station, als der Zug schon ungeduldig fauchte, hatte er die größte Lust, sie auf die Stirn« zu küssen. Aber Liebkosen lag Norby nicht, und er begnügte sich, ihr einen Extrataler in die Hand nu stecken.„Kauf' dir was dafür," sagte er. Das war sein Kuß. Al? er wieder im Schlitten saß und noch Haufe fuhr, fühlte
er sich ganz allein auf dieser Welt. Und wer konnte wissen, in was für Unheil er nun fuhr, wenn er nach Haus« zurückkehrte. In Norby angekommen, begegnet« ihm Marit auf der Liele. „Lu hast doch nicht die Erklärung vergessen?" fragt« sie. Sie meinte die schriftliche Erklärung für den Großhändler, bei dem Wangen jenes Dürgschaftsdokument hinterlegt hatte. „Eilt das denn so?" brummte der Alle, während er den Pelz auszog. „Acht Tage liegt es nun schon- hier. Und gestern tele» phonierte er sogar an und fragte, wo es bliebe." Norby ging langsam in sein Zimmer. Di« Erklärung lag fertig geschrieben da. Aber wenn er auch jetzt zu Hinz uns Kunz von Dangens Fälschung gesprochen hatte, fiel es ihm. doch ganz anders schwer, seinen Namen darunter zu setzen. Marit war ihm gefolgt und stand wartend an der Türe. „Muß das jetzt sein?" Der Alte hob langsam die Augen zu ihr, während er mit der Hand nach seinem Brillenfutteral suchte. „Ich muß sowieso zur Post, da kann ich es mUnehmen." Marit fühlte sich in dieser Angelegenheit als treibend« Kraft: sie hatte Angst, er könne hinter ihrem Rücken ihr ganzes schönes Gebäude wieder einreißen. Nun taucht« er die Feder ein, hielt aber wieder inne und saß da, den Blick auf Johann Sverdrups DiU> gerichtet. „Das ist eine häßliche Geschichte," sagte er zu dem Bilde. „Tja!" zuckte sie mit den Schultern.„Man muß sich und das Seine schützen, wenn's noch Recht und Gesetz gibt im Lande." „Ja doch," seufzte der Dauer. Und wieder sah er das Ge, spenst, das wuchs und wuchs und über ihn herfallen würde, sowie er zurück wollte. Und langsam unterschrieb er: Knut O. Norby. Aber als seine Frau schon längst fortgegangen war, stand er noch da und schaute hinterher. Da hatte er etwas ins Rollen gebracht, was er nicht mehr einholen konnte. Denn jetzt war's geschehen. Jetzt batte er seinen Namen unter eine falsche Er- klärung gesetzt. Der Name Knut O. Norby hatte von nun an nicht mehr einen so guten Klang wie früher. „Du mußt dir jetzt etwas Arbeit machen." dachte er und zuckte die Schultern.„Dann wird dir vielleicht leichter zumute." (Fortsetzun'z folgt.)