3. Nach Aufhebung der Zuckerzwangswirtschaft ist Zucker- i.'.angel und eine erhebliche Verteuerung des zur Verfügung stehen- den Verbrduchszuckers eingetreten. Die Interessenten haben eine Zuckerwirtschaftsstclle gebildet, die auf privatkapitalistischer Grundlage eine Zwnngsbewirtschaftung des Zuckers durchgeführt hat und eine scharfe Kontrolle der einzelnen Fabriken ausübt. Im Interesse der Allgemeinheit ist die Bewirtschaftung des Zuckers durch das Reich wieder einzuführen. Der Bevölkerung ist pro Kopf und Woche ein halbes Pfund Zucker zur Verfügung zu stellen, außerdem für Säuglinge pro Kopf und Woche ein Pfund extra. Die Preisfestsetzung für den Verbrauchszucker erfolgt unter Berücksichti- gung der tatsächlichen Gestehungskosten mit Zustimmung des Ministers für Ernährung und Landwirtschaft." Einen gleichlautenden Antrag hat die s o zi a l d e m o» kratische Fraktion des Berlin er Stadtparla- m e n t e s der Stadtverordnetenversammlung eingereicht. Nach ihm wird der Magistrat aufgefordert, seinerseits auf die maß- gebende» Regierungsstellen im Sinne der obigen Fordcrun- gen einzuwirken. Die Erhöhung der Getreide umlage ist eine Notwendigkeit besonders im Hinblick darauf, daß die Lebens- Mittelzuschüsse des Reiches erheblich abgebaut worden sind. Wollen wir den Brotpreis nicht allen Schwankungen der Valuta aussetzen, so muß eine erhebliche Menge Getreide, die für den wichtigsten Versorgungsbedarf ausreicht, zu einem angemessenen, aber im Voraus festgesetzten Preis dem Volke zur Verfügung gestellt werden. Für Kartoffeln werden Lieferungsverträge verlangt, die der Lieferant auch wirklich zu erfüllen hat, anstatt sie, wie es seit der letzten Ernte Sitte geworden ist, zu umgehen. Sollen die Verträge eine Sicherstellung des Ernährungsbedarfes her- beiführen, so bedürfen sie einer gewissen Kontrolle, die wirksam nur ausgeübt werden könnte, wenn die Organe der Zwangswirtschaft noch funktionierten. Diese aber sind abge- baut. Daher muß sich das Reich darauf beschränken, den Ab» schluß solcher Verträge zu fördern, unlautere und preistrei- bende Elemente fernzuhalten und die Preise zu regulieren. Die Wiedereinfiihning der behördlichen Zwangswirtschaft für Zucker ist eigentlich nach dem vollkommenen Chaos, das der Zuckcrmarkt unter der Herrschaft der freien Wirtschaft oder vielmehr der Zwangswirtschaft des Wuchers durchgemacht hat, eine Selbstverständlichkeit. Ohne Zweifel werden die Agrarier im Verein mit den Händlern alles aufbieten, um diesen Antrag zu Fall zu bringen, um dann ihre enttäuschten Mitläufer dadurch abzu- lenken, daß sie sich mit Augurenlächeln gegenseitig des Wuchqrs bezichtigen. Die Verantwortungslosigkeit der Interessenten und die Gleichgültigkeit der bürgerlichen Parteien um das Er- gehen ihrer proletarischen Wähler kann die Sozialdemokratie als Arbeiterpartei nicht davon abholten, ihre ganze Kraft für eine Regelung einzusetzen, die das Volk vor einer Er- nährungskatastrophe bewahrt. Leichtfertig hat man sich bisher über unsere Warnungen hinwegsetzt, ohne Plan und Ziel hat man die gebundene Wirtschast abgebaut, und jetzt will man ihre letzten Eckpfeiler umrennen. Das muß ver- hindert werden. Die Sozialdemokratie hat den Weg gewiesen, der zu gel>en ist. Hoffentlich findet sich im Parlament eine M e h r h e i t für ihre wohlbegründeten Forderungen. * Ueber die geplante Getreidewirtschast im neuen Erntejahr be- richtet die BL.'-Korrespondenz: Im Kuratorium, der Rcichsgetreidestelle fand am Donnerstag eine Besprechung mit Vertretern der Landwirtschaft, des Handels, der Mühlenindustrie und der Verbraucher statt, in der der Refe- rentenentwurf der Reichsgctreidestelle über die Setreideord- nung im neuen Erntejahr besprochen wurde. Der Entwurf wird schon in den nächsten Tagen dem Reichsrat, dem Reichsernäh- rungsministerium und dem Reichstag zugehen, da das Gesetz über die Getreidewirtschaft möglichst noch in der ersten Hälfte des Juni in Kraft treten soll. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird die Ge. treideumlage als solche bestehen bleiben, doch soll die Landwirtschaft
Musik und Weltkrise. Bon Dr. Kurt Singer. Das Lied ist aus. Von den letzten, allerletzten Konzerten darf wohl nicht summarisch geschwiegen werden, wenn eine bessere Melodie auftaucht Doch sei nicht vergessen, wie nobel die Kling- l e r- Leute vom ersten bis zum letzten Ton ihrer Kammerkonzerte geblieben sind, wie Waldemar L ü l s ch g und Leonid Kreutzer , die noch schnell ihre Bisitenkarte abgeben, längst Matadors des großen Publikums, auch des musikalisch sichersten, geworden sind. Zwischen heute und derbst wird Furtwängler lein philharmoni- sches Programm stabilisieren, wird ein anderer der Staatsopern- kapelle ideale Forderungen präsentieren. Wird er? Bielletcht ver- gißt die Elitetruppe am Franz-Iofeph-Platz nicht, daß ein Mann von dem programmatischen Ruf, von der harten Gläubigkeit, von der stärkst profilierten Musikontmfigur Houseggers stellungslos geworden ist. Discite moniti! Schillings wird, nachdem die letzten Aufführungen ihn auf dem besten Wege zeigten, zur rech- len Zeit die rechten Leute an die rechte Stelle zu setzen, auf neue Arbeit sinnen. Gibt es neu« Opern? Einen neuen Tenor? Das Landläufige des Repertoires mag die Voltsoper übernehmen. An- regung. Speer und Stachel. H a r t m a n n wolle langsam aus der sorgsamen Stilbürgerlichkeit herauswachsen. Auf Schillings und feine Schar ober bleiben trotz der Dirigentenausrcd« unser« kunst- sehnsüchtigen Augen gerichtet Er hat sich dem schweren„Betrieb" gegenüber stark erwiesen: er gebe uns FZte außerhalb des Alltags — und keine Krise kann ihn rühren. In der Musik, im Konzertbetrieb aber kriselt es bedenklich. Bedenklich auch deshalb, weil Berlin von dieser Reuorientierung des musikalischen Willens nur wenig abnt, nur sporadisch etwas zu fühlen bekommt. Es naht aber d'e Zeit, in der es für den Musiker und für jeden Aufnehmenden ein Nares Wort des Bekenntnisses oder der Ablehnung geben mutz inmitten des Chaos von neuen Kunst- strömungcn. Was unsere Jugend feurig beschwor, daß Wagner letztes Ziel und letzte Bollendung gewesen ist, wurde im schwersten, tragischsten Sinne des Wortes zur Wahrheit: Wagner ist ein Ende, und der Bruch im Riesenbau der Nibelungen ist tiefer und tiefer ge- rissen. Eine Tristan-Nachsolge aber verblutet sich an der in sich wirklich vollendeten Einigkeitsleistung dieses Borbildes Wagner. Brahms schien nn zweiter Beethoven zu sein— schon sängt ein Bruckner an, ihn zu entthronen. De.s Modernste im Bühnenspiel, im programmatischen Sinsoniestil war noch vor 15 Jahren Strauß. Aber sieh': aus Frankreich , aus der Heimat des großen Anregers Bsrlioz, kcn.mt ein treuer Klang, ein Schattenspiel der Farben in die Musik: es wandeln sich Gesetze und Gebräuche, die Mauern der Rhythmik und der Tonleiter, hailig und unantastbar von Anbeginn, scheinen zu fallen. Debussy und Schönberg nahen mit heiligen Fingern heiliger Kunst. Wohin Ihr schaut und hört: Umschwung, Revolution der Geister und Stimmen, Brand und Aufbau, Reu- orientierun.g, Raserei und Tasten im neuen Stil, Wille zum Anders- sein und Pcophetentum dicht nebeneinander. Der Krieg hatte diese zueinandcrstrcbcyden, auseinanderjagenden Kräst« durch Isolierung unfruchtbar, unentwickelbar g' macht. In der Weltkrise aber sucht n»d findet die Musik neue Ziele, neues Land. Kanaan. Adolf W e i ß m a n n femnnsU«U höchster Geistigkeit, mit erkenn tnis-
bei der Aufbringung und Verteilung de» Getreides in störkerem Maße als bisher herangezogen werden, um gewisse Unstimmig- ketten, die sich zwischen den Kommunaloerbänden und den Pro- duzenten in diesem Jahr ergeben haben, zu vermeiden. Es soll bei der Erfassung und Festsetzung der abzuliefernden Mengen mehr als bisher auf die E r t r a g s m ö g l i ch k e i t und die Qualität des Bodens Rücksicht genommen werden, auch soll bei der Selbst- Versorgung die Stärke der Familien und des Personals maß- gebend sein. Die Preise für Getreide dürften sich nicht unwesentlich erhöhen� da die Reichsgetreidestell«, wie dies schon jetzt geschieht, auch im kömnienden Erntejahr zwischen dem Auslands- und dem Inlands- getreidspreis dos Mittel ziehen will. Man rechnet daher zum Herbst mit einer Verdoppelung der jetzt geltenden Brotpreise!
Dämmert es! Tevtschnationale Kritik an der Rechtsprechung. Im„Tag" stellt ein Dr. M. P. Bergleiche zwischen zwei Urteilen der letzten Zeit an. Ein Mann, der einer Gemüsehändlerin den Schädel zertrümmert, die Kehle durchschnitten und sie dann beraubt hat, ist nur wegen Totschlags unter Zubilligung mildernder Um- stände zu vier Iahren vier Monaten Gefängnis verurteilt worden. Dagegen hat der Führer einer Räuberbande, die in das Haus einer Dam« der Hochfinanz eindrang, diese fesselte und ihr dann ihre Schmucksachen raubte, ohne daß die Dame persönlich Schaden gc- nommen hat, vier Jahr« und drei Monate Zuchthaus erhalten. Herr Dr. M. P. wittert hier etwas wie eine Klassenjustiz: die schwere Tat gegen eine Frau aus dem Volke sei milder bestraft war- den als die leichtere Tat, die an einer vornehmen Dame verübt wurde. Das ist ja soweit ganz einleuchtend. Aber warum fällt die deutschnationole Presse, nicht zuletzt der„Tag", immer mit Wu!» gekreisch über uns her, wenn wir einmal zwei Urteile Vergleichs- weise nebeneinanderstellen? Ist dos Recht, Fehler der Justiz zu kri- tisseren, ein Monopol der rechtsstehenden Presse? Aber die Erklärung ist sofort zur Hand. In den vom„Tag" tri- tisierten Fällen handelt es sich nämlich um zwei Schwurgerichts- urteile. Die Schwurgerichte sind der Reaktion und dem Berufs- richtertum ein Dorn im Auge, und beide arbeiten mit vereinten Kräften auf die Abschaffung der Schwurgerichte hin. Deshalb darf die Rechtsprechung der Schwurgerichte in der abfälligsten Weise tritt- siert werden. Diese Kritik wird auch von den Organen des B e- rufsrichtertums auf das lebhafteste unterstützt. Wenn wir aber nebeneinanderstellen, daß zwei Berufsrichterkam- m e r n die Beleidigung eines sozialistischen Mnisters mit ZG) M. Geldstras«, die eines voltsparteilichen Professors mit drei Monaten Gefängnis ahnden, die Aufforderung zum Mord an Pazifisten mit lGX> M. Geldstrafe, die Beschmierung eines Kaiserdenkmals mit zwei Iahren Gefängnis usw. usw., dann schlagen dieselben Leute Purzel- bäume moralischer Entrüstung! Ermäßigung der Transporttarife fürpapier. Berlin , IS. Mai.(WTB.) Bei der bekannten Notlage der Presse infolge der hohen Materiolpreise hat der Reichsverkchrsminister dorn Antrag des Bereins Deutscher Zciwngsverleger stattgegeben und mit rückwirkender Kraft vom 1. Mai 1SZ2 ab Zeitungsdruck- papier aus der Torifklass« A in die Tarifklasse B des Eisenbahngütertarifs versetzt. Der Lusnahmetarif gilt für Fracht- gut bei Aufgab« in Wagenladungen von und nach allen Stationen der deutschen Reichsbahn. Die Sendungen müssen an eine Zeitungs- oder Zeitschristendruckerei gerichtet sein. So dankenswert das Entgegenkommen des Reichsvsrkehrs- Ministers ist, so bedeutet doch die Ermäßigung der Tarife nur einen kleinen Ausschnitt au» der seit langem gesor- derten Hilfsaktion. Noch immer ist nichts zur Herabsetzung des Papierpreise« selbst geschehen, der bekanntlich 80mal so hoch ist wie vor dem Kriege. Wir fordern erneut, daß die Regie- rung mit der gebotenen Beschleunigung eingreift, damit die deutsche Presse nicht dem Zusammenbruch preisgegeben wird.
starker Einfühlung, mit haarscharfer Kritik die Zeichen und Bor- zeichen dieser elementaren Wandlung in seinem Buch„Die Musik in der Weltkrise"(Deutsch « Bcrlagsanstalt). Es ist ein glühendes Eifern in Weißmanns Buch, ein beredter Kampf um die Wahrheit, um das Scheiden zwischen Führern und Geführten, Propheten und Scheinheiligen, Genies und Gauklern. Nicht das Resultat dieser verantwortungsvollsten Untersuchungen ist ent- scheidend— denn wer erkennt heut« den echten Ring?—, sondern die Form, der Ausdruck, die Gestalt von Ergebnissen, die nur ein wirklicher Kenner der Weltmusik und nur ein Fanatiker der Ge- rechtigteit vor sich selber kritisch zuwege bringt. Für Weihmann ist die Musik ein Teil der Kultur, und es ist nur konsequent, wenn durch das Buch dev"kllhne Gedanke zieht, es tonn« sich im Bild der Musikentwicklung das Bild der sich zerreißenden, zerrissenen und wieder aufstrebenden Welt spiegeln. Höchst Problematisches wächst sich in bezwingender Dialektik ost in Totsachen aus, Bewegtes und Fließendes scheint schon feste Form bekommen zu hoben, das pcr - sönliche Urteil, reich gestützt, stürzt Borurteile, Fehleinstellungen un- barmherzig nieder. Aber alles, auch das Apodiktisch«, ist Respekt vor der Kunst, ist Andacht im Tempel des Heiligsten, ist Wort gewordenes Mussk-Erleben. So lesen wir dies Buch, das best«, dos von freier, Metaphysisches ahnender Höh« über Gegenwartsmusik als Kulturfattor geschrieben wurde. Ein Borwärts-Buch, ein gerades Bekenntnis, ein Buch der Verantwortung. Die Geschichte wird über seine Einzelsragen Recht sprechen. Der Charakter, di« Ge- sinnung, das Fundament, das Ethos bleibt.
Zum Tode Wilhelm»«. Leube. Unter den Vertretern der inneren Medizin in Deutschland ist Wilhelm v. Leube, der jetzt in hobem Alter von fast 80 Iahren zu Stuttgart gestorben ist. lange Jahre einer der populärsten und meistgeronnten gewesen. Er ha'te zu jener Zeit über ein Vierteljahrhundert lang den Lehrstuhl der inneren Medizin an der Unidersität Wllrzburg inne, und es waren vor allem di« an Lerdauungskrankheiten Leiden- den, die aus ganz Deutschland herbeiströmten, um bei Leube Rat und Hilfe zu suchen. Der hervorragende Kliniker war zu Ulm am 14. September 1842 geboren und wurde, nachdem er vorher in Jena und Erlangen gelehrt hatte, 1885 auf den Würzburger Lehr- stuhl berufen. 1S11 trat er in den Ruhestand. Seine Wissenschaft- lichen Verdienste beireffen vor allem Vervollkommnungen in der Anwendung der Magensonde und Magcnpumpe. Dazu kommen eindringende Studien über die Ernährung bei Magen-Darmkrgnk- hellen. Auf seinen und Rosenthals Angaben beruht die sogenannte „Leubesche Fleischlösun g", die sich bei der Ernährung Magenkranker weithin durchsetzte. Georg v. Hauberriffer, der Erbauer des Münchener Rat- Hauses, ist gestern im Alter von 81 Iahren gestorben. Er gehörte als Architekt nicht zu den schöpferischen Naturen, sondern war der Typus des gebildeten Epigonen, der in Ermangelung einer eigenen persönlichen künstlerischen spräche sich für seine Werke der Ausdrucksformen früherer Zeiten bediente. Als„Gotiter" begann er. Er war erst 25 Jahre alt, als ihm beim Konkurrenzousschreibcn für die Errichtung eines Rathauses in München der Sieg zufiel. Anderthalb Jahrzehnte später war der Bau vollendet und Hauber- risser wandte sich der deutschen Renaissance zu. Zahlreiche Aufträge
Wir haben das Arbeiten verlernt... Die berufsmäßigen Lobfönger der kapitalistischen Epoche zeich- neten sich von scher durch einen absoluten Mangel an Gefühl für die Röte der Arbeiterwelt aus. Der„schlemmende Müllkutscher" ist bereits zu einer feststehenden Figur in der Borstellungswelt all derer geworden, die ihrer vorherrschenden Stellung durch die Umwälzung verlustig gegangen sind. Und schreibselige junge Leute, die irgend- einem großkapitalistischen Blatt iür kärgliche Bezahlung ihren Witz üben müssen, suchen ihren Auftraggebern und den satten Lesern zu imponieren, wenn sie die Arbeiter witzelnd b e- schimpfen. Im„Tag", der Rebenansgobs des„Berliner Lokal- Anzeiger", leistet sich heute einer der strebsamen Herren diese Probe seiner Geisteskultur: Roch fünf Jahre blühender sozialistischer Weizen und wir sind gründlich eine Zlolicn von Faulenzer» mi! unfähigen Knickebeinen. So recht westeuropäisch und demokratisch. Mit viel, sehr viel Schuh vor Arbeit oder Arbeiterschuh. mit noch mehr Boxern, Hahnenkämpfcn, unterirdischen Opiumlokalen und sadistischen Ularlcrsalons für die ganze und halbe Welt. Roch fünf Jahre genössifches Glück und wir haben das Arbeilen ganz verlernt. Dann wird es wahrscheinlich so eingerichtet sein, daß die Bollarbeiter nur noch vier und die Lehrlinge nur noch eine Stunde täglich zu arbeiten haben. Das steht in einem Stimmungsbild über die Reichstagsvcrhand- tung, die sich mit den Fragen des L e h r l i n g s f ch utz e s gegen übermäßige Ausnutzung durch ihre„Lehrherren" beschäftigte! Man muß den Schmus zweimal lesen, um ihn nur halbwegs begreifen zu können. Opiumlokale, Boxer, Hahnenkämpfe, Marter- salons— das alles ist„genössifches Glück"! An all diesen Auswüchsen der kapitalistisch-übersättigten Schiebcrmoral soll jetzt der Sozialis- mus schuld sein! Die Arbeiter, die im stetcn Kampfe um eine Sicherung ihrer Existenz der kapitalistischen Auswucherung in der Preisgestaltung fast wehrlos ausgeliefert sind, müssen sich von dem Federgewaltigen des schwerindustriellen„Tag" als Faulenzer, Tage- dicbe und Sadisten beschimpfen lassen. Ist die Entrüstung am Platze? Rein, man kann die jungen Leute nur bedauern, weil sie ohne eine Ahnung vom Existenz- kämpf des Handarbeiters lediglich zum Gaudium satter Philister solche Spähe verzapfen müssen. Sie haben augenscheinlich heut« schon— das Arbeiten verlernt, wenn anders sie es über- Haupt gelernt hotten! die Regierungsbildung in Sraunschweig. Braunschwcig. 18. Mai. (WTB.) Der„Volksfreund" teilt heute zur Frage der Regierungsbildung einen Briefwechsel der Landtagsfraktion der SPD . mit der demokratischen Fraktion und der unabhängigen Fraktion mll, aus dem hervorgeht, daß die Demo- traten die sogenannte Kleine Koalition(Unabhängige, Mehrheitssozialisten und Demokraten) wegen der Haltung der Unabhängigen in der Frage der Regierungsbildung ablehnen. Sie er- klären, daß sie sich nur an der sogenannten Großen Koalition (Sozialdemokraten, Demokraten und Rechte) beteiligen werden und schlagen vor, die darüber bereits begonnenen Verhandlungen in Kürze fortzuführen. Die Unabhängigen erklären, daß für sie nach wie vor nur eine rein sozialistische Regierung in Betracht käme. Der„Volksfreund" schreibt hierzu, die Situation sei nun ge- klärt. Es würden wahrscheinlich keine Neuwahlen erfor- derlich sein, sondern es würde zur Bildung der sogenannten Großen Koalition kommen.
Dampfer Earl Legten! Am Sonnabend wird die Reederei Hugo S t i n n e s in Wilhelmshoven einen neuen Dampfer vom Stapel lassen. Dieser soll den Ramm„Carl Legten" tragen. Der Reichspräsident, ein alter Freund Legiens, ist zum Stapellauf eingeladen und hat diese Einladung angenommen. Infolge des tschechoslowakischen Generalstreiks, der gestern abend 6 Uhr begann und 24 Stunden dauern soll, ist die Fernsprechver- bindung Prag — Berlin unterbrochen.
wurden ihm zuteil und er schuf Rathäuser in Wiesbaden , in Kauf- beuren, Stadthäuser und Villen im„Butzenscheibenstil". Dann wechselte er zwischen Renaissance, Gotik und Frühgotik— immer vornehm und kultiviert im Geschmack, aber nie zu eigenwüchsigem Schassen gelangend. Der Stil, die eigentliche Kunstsorm erwuchs nicht aus dem Innersten seiner Werke, sondern diente ihnen nur als Schmuck und Zierrot. Cr lebte und schuf nicht im Geiste der alten Meister, sondern er benutzte ihre hinterlassenen Gewänder zu historischen Maskeraden. Unter den gelehrten, künstlerisch impotenten Archi- iekten, die der europäischen Baukunst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Gepräge gaben, war Hauberrisser einer der sympathischsten, weil er in seinem Schaffen immer ehrlich blieb und sich von Schwulst und Bombast fern hielt. Aber mehr war er nicht. I. S. vrunner aus der Walze. Aus Frciburg i. B. wird uns ge- schrieben: Wir Frciburger Studenten wurden am vorigen Montag recht merkwürdig überrascht. Herr Professor B r u n n e r kam, um uns— aufzuklären! Um Mißverständnissen vorzubeugen: In anderer Beziehung. Um seine Rolle im„Rcigen"-Prozeß und seine Begriffe von neuer Kunst klarzulegen, hatte er das größte Audi- torium der Universität gemietet. Und Drunncr sprach vor ungefähr 5G) Zuhörern, hauptsächlich Studenten, sprach nur von sich. Verlas Huldigungsschreiben an sich, pries seine beiden kerndeutschen Recht- fertigungsschriftcn und wetterte gegen die Stellungnahme der Ge- richte und der Berliner Zeitungen, gegen Fulda und Witkowski, gegen die Berliner Theaterdirektoren, und gegen die, die äugen- blicklich Führer des Volkes sind, aber keine sein sollten! Also sprach der Herr Regierungsrat Prosesior Brunner, ein auf die Ver- sassung vereidigter Beamter. So spricht Herr Brunner, uin, wie er selbst sagt, die eingeschlafene öffentliche Meinung aufzurühren, um diese fremden Kunstanschauungen, wie sie im..Reigen" oder im .„Hühncrhof" gipfeln, zu brandmarken und die Verfechter dieser un- sittlichen Ideen, diese Gcricht-gutachter, zu bekämpfen. So spricht ein Beamter des Staates, dessen Gericht sein Urteil über den Wert des„Reigen" und des Herrn Professor Brunner gesprochen bat.— SeitwannläßteseineBehördezu.oaßeinerihrer Beamten zur Verftbchtunq von staatsdrohenden Privatanschauungen Reisen durch die Provinz und s e l b st in die Schweiz u n t e r n i in M t? Seit wann läßt eine Behörde solche Beschimpfungen der Staatsautorität, solche Hetz- und Propagandareden, wie sie ein Brunner hält, zu? Rur der Besonnenheit und Disziplin der Freiburgcr Studenten war es zu verdanken, daß es in der erregten Masse zu keinerlei Ausschrei- lungen teils gegen Brunner selbst, teils aber gegen jüdische oder nicht deutschnationale Zuhörer kam. Interessant ist es auch, daß Brunner bei Beginn seines Vortrages versprach, sich nicht in den „Kreisen des Reigen zu drehen" und eine Diskussion am Schluß seines Bortrages zuzulassen, trotzdem aber n u r den„Reigen"-Prozeß behandelte und angeblich wegen Zeitmangels später keine Dis- kussion zuließ. Dagegen stcllte'cr für den nächsten Tag einen'wetten Bortraa in Aussicht, dessen Besuch ich leider versäumte. Liegt in diesen Vorträgen wirklich, wie Brunner behauptete, dos erste An- zeichen der Wiedergesunduna Deutschlands? Soweit der Freiburger Bericht. Wir können die Richtigkeit der mitgeteilten Tatsachen im einzelnen heute nicht nachprüfen, möchten aber den Borgesetzten des eHrn Brunner Gelegenheit geben, sich mit der Sache zu"befassen und sich dazu zu äußern.