Deutfihlanös Wirtsthaftslage.
Bei der Weiterberatung des Etats des Rcichswirtschafts- Ministeriums in der gestrigen Sitzung des Reichstags begründet Abg. Korell(Dem.) die demokratische Interpellation, die fragt, wie weit die Verhandlungen mit Frankreich oder der Interalliierten Kam- Mission gediehen sind, die die endgültige Beseitigung der E m s e r Stelle bezwecken. Reichswirtschastsmimster Schmidt: Die Rsichsregierung beklagt die Schwierigkeiten, unter denen das Rheinland leidet. Schweren Gerzens haben wir den Kontroll- maßnahmen zustimmen müssen, weil durch die Besetzung eine große Menge Waren nach Deutschland hereingekommen sind, die volks- wirtschaftlich außerordentlich schädlich für Deutschland waren. Große Mengen Wein und Liköre sind gegen unseren Wunsch und unser Interesse hereingekommen. Wir haben der Geschäftswelt keinen Zweifel gelassen, daß Waren ohne Erlaubnis einer deutschen Stelle nach Deutschland nicht weiter transportiert werden dürfen. Zu- widerhandelnde haben die Folgen unerlaubter Einfuhr zu tragen. Leider kann ich nicht die Tausende von Klagen persönlich prüfen. Sehr erwünscht wäre es mir, wenn Herr Korell die Einzelfälle mir zur Nachprüfung vorher übergeben hätte. An der Einfuhr von Teppichen haben wir kein Interesse. Bisher habe ich alles getan, um Unzuträglichkeiten zu besei- tigen. Es sind Vereinfachungen eingetreten, gemein- same Richtlinien erlassen. In dem Augenblick, wo die ganze Kontrolle den Zollbehörden überlassen wird, werden die Be- schwerden verschwinden. Bei der Weineinfuhr sind wir bis zum 10. Januar 1323 an den Versailler Vertrag gebunden, wonach wir mehr Wein hereinlassen müssen, als unserem Weinbau zuträglich ist. Wegen der Emser Stelle sind die mit der französischen und englischen Regierung gepflogenen Verhandlungen leider bisher zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. Wir können natür- lich nicht unsere Einfuhr einer dauernden ausländischen Handels- kontrolle unterstellen. Alle Beschwerden werden verschwinden, wenn die Ueberwachungsstellen ausgehoben und die ganze Sache auf den Zoll gesetzt wird. Damit ist die Interpellation erledigt. Abg. Harkleib(Soz.): Die Außenhandelsstellen sollen Sorge tragen, daß ein Reichs- Vertreter in sie hineinkommt, der den ganzen Anforderungen ge- wachsen ist. Wenn das Reichswirtschaftsministerium zur Reform der Außenhandelsstellen übergeht, so müsien besonders die Ar- b e i t e r dabei berücksichtigt werden. Es handelt sich hier um die Gleichheit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Behaup- tung, daß der Arbeitnehmer nichts von der Angelegenheit verstände. ist hinfällig. Gerade durch die Mitarbeit in den Außenhandels- stellen werden die Arbeitnehmer sich in die Materie einarbeiten und mehr Gefühl für die Verantwortung und die Tragweite ihrer Ar- betten bekommen. Dadurch wird vor allem ein« Schleuder- konkurrenz der deutschen Industrie verhütet, wie wir sie in den letzten Iahren erfahren mußten. Heute macht sich bereits ein Rückgang in der Ausfuhr bemerkbar. Bei den Stahl- lieferungen nach Bulgarien ist die deutsche Industrie von der bel- gischen Industrie in bezug auf die Billigkeit um ungefähr 14 Proz. überflügelt worden. England hat durch seine Wirtschaftspolitik die Tendenz im Innern Deutschlands unterstützt, daß unsere Preise den Weltmarktpreisen angeglichen werden müssen. Das muß Be- rücksichtigung finden besonders bei den Industrien, die ihre Roh- stosfe aus dem Auslande beziehen. Die Kautschukindustrie, die zu 70 bis 80 Proz. auf den Auslandsmarkt angewiesen ist, hat infolge der deutschen Preise an den Weltmarktpreis keinen Absatz
mehr. Der Export der Kautschukindustrie nach Eng« land, Frankreich und Italien ist völlig zerstört. Die deutsche Zementinduslrie hat es fertig gebracht, zugunsten der ausländischen Aossuhr niedri- gcre Preise sestzusehen, pro Waggon 30 Gulden, während sie die Zu» landpreise aus 1068 M. für den Waggon herausgesetzt hat. Die Her- absehung der Preise für das Ausland beträgt in deutschem Geld« über 2000 Dt. Das sind unhaltbare Zustände. Wir halten es für gerechtfertigt, daß die Zementindustrie mit der höchsten Ab- gabevon 10 Proz. belastet wird, zumal im Innern an Bau- stoffen großer Mangel herrscht. Wenn man das Vaterlandsliebe nennt, dann sind wir Sozialdemokraten anderer Meinung. Die Ausrechterhaltung der Ausfuhrkontrolle ist daher eine unbedingte Notwendigkeit, und zwar so lange, als wir in Deutschland noch unter Wanenmangel leiden und keine Ueberproduk- tion haben. Die Folgen einer Aufhebung der Kontrolle wären un- übersehbar. Bereits nach der Revolution gab es in Deutschland eine Zeit, wo für zahlreich« Industriezweige die AusfuhrkontroNe aufgehoben war. Wenn das Ministerium sie doch wieder eingefiihrt hat, so ist das ein Beweis dafür, daß die Industriellen den deutschen Markt von Waren größtenteils entblößt haben und nur ihren eigenen Profit dabei im Auge gehobt haben. Wir verlangen daher die Bet- beHaltung einer strengen Ausfuhrkontrolle. Abg. Brandes(U. Soz.) verlangt vom Wirtschaftsministerium Einführung von Eisen Höchstpreisen. Abg. hoch(Soz.) bekämpft den deutschnationalen Antrag. Die Abstimmungen werden zurückgestellt.— Sämtsiche Entschließungen des Ausschnsies werden bei den einzelnen Titeln mit angenommen. Damit ist der Haushalt des Reichswirtschaftsmini» steriums erledigt. Es folgt öer Haushalt des vorläufigen Neichswlrtfihastsrats in Verbindung mit dem Vorschlag des Beamtenausschusses, die Gehaltsverhältnisse der Beamten des Reichswirtschaftsrats in Uebereinstimmung mit den Beamten der anderen deutschen Par- lamente endgültig zu regeln, sobald der Vorläufige Reichswirt- schaftsrat die verfassungsmäßige Stärke erhalten hat. Abg. Malhahn(Komm.): Es ist eine Schande, daß dieses er« nannte, nicht gewählte Parlament schon zwei Jahre in der demo» kratiichen Republik besteht. Abg. Hammer(Dnat.): Den Borschlag des Beamtenausschusses unterstützen wir. Darauf wird der Haushalt des Vorläusigen Reichswirtfchastsrat» samt dem Vorschlag des Beamtenausschusses angenommen, ebenso der Haushalt des Reichsfinanzministeriums, nach kurzer, unwesent- Ncher Debatte auch der Haushalt kür den Rechnungshof de« Deutschen Reiches, ebenso der Haushatt der Reichsschuld und der allgemeinen Finanzverwaltung. Daraus wird die Sitzung auf eine halbe Stunde unter« brachen. Nach Wiederaufnahme der Sitzung werden die Haushalte zur Ausführung des Friedensvertrags und für das Auswärtige Amt debattelos angenommen. Zum erften Etat auch eine Ausschuß- entschließung, m welcher eine Denkschrift über die Verluste am deutschen Volksvermögen infolge der Friedensverträge und Nebenabkommen, nach dem Goldwert berechnet, verlangt wird. Eingegangen ist noch eine deutschnationale Interpellatton, dt« sich gegen die Verhandlungen der Regierung mit der Interalliierten Kontrollkommission über die Gestaltung der Schutzpolizei ohne Be- fragung des Parlaments richtet. Freitag, 4 Uhr: Deutschnationale Interpellation über die Schuvo, Pachtschutzordnung, Haushalt des Reichstags.— Schluß *44 Uhr.
Gesetz über die Getreiöeumlage. In der gestrigen Kabinettssitzung wurde außer Genua auch der Entwurf eines Gesetzes zur Getreide» Umlage besprochen. Der Entwurf wird jedenfalls noch mehrere Aenderungen erfahren. Er soll am Freitag in Druck gegeben und alsbald dem Reichsrat zur Beratung vorgelegt werden.
Wie es gemacht wird. Geheimnisse der kommunistischen Parolenküche. Immer wieder versuchen die Kommunisten in den Betrieben Stimmung zu machen und Massen auf die Beine zu bringen für die Parole„Einheitsfront" und„Weltarbeiterkongreß". Mit welchen Mitteln man dabei vorgeht, möge folgender Dorfall erläutern, der uns von einem sozialdemokratischen Betriebsrat sehr anschaulich geschildert wird: Erscheinen da 1 0 M a n n im Arbeiterratszimmer, um den Be- triebsrat zu sprechen. Der Vorsitzende richtet die Frage an sie: „Was wollt ihr?" Zunächst Schweigen. Auf erneutes Befragen ergreist endlich einer das Wort und sagt:„Wir verlangen, daß der Betriebsrat Maßnahmen ergreift, um die Einheitsfront herzustellen, die polstischen Gefangenen zu befreien und den Welt- arbeiterkongreß herbeizuführen." Der Vorsitzende antwortet: „Ja, Kollegen, damit kann ich nichts anfangen, wie wollen wir dies bewerkstelligen?" Wiederum Schweigen. Der Vorsitzende dringt wester auf sie ein. Darauf ergreift ein Betriebsratsmitglied der KPD. das Wort und erklärt, die Kollegen seien von ihren Mit- orbeitern aufgefordert worden, den B e t r i e b s r a t zu beaustragen, eine Kommission zu der am heutigen Tage in Berlin tagenden Neunerko mm i s s i o n der Exekutiven zu senden und folgende Forderung dort zu unterbreiten: 1. Herstellung der Einheitsfront der polltischen Parteien. 2. Befreiung der politischen Gefangenen in Deutschland . 3. Sofortige Einberufung eines Weltarbeiterkongresses. Er führte weiter aus, daß in der Kommission alle polltischen Parteien und auch Parteilose vertreten seien. Auf mein Be- fragen teille mir ein Mitglied des Betriebsrates des in Frage kam- wenden Betriebes mit, daß von der SPD. niemand in der Kommisston sei. Hierauf ergriff ich das Wort und gab folgend« Erklärung ab: Die SPD . ist bereit, die Forderungen zu unterstützen unter folgenden Bedingungen: 1. daß die politischen Gefangenen in allen Ländern befreit werden müssen, 2. daß die Herstellung der Einhestsfront auch ehrllch gemeint fein müsse, 3. daß die KPD. sich verpflichtet, dafür einzutreten, daß auch die Sozialrevolutionäre Partei und die Partei der Menschewiki in Rußland als gleichberechtigte Partei auf dem Weltarbeiterkongreß vertreten sein müssen. Die KPD. hüllte sich zunächst in eisiges Schweigen und gab dann die Erklärung ab, daß sie nunmehr kein Interesse mehr an der Behandlung dieser Frage im Betriebsrat habe und da» Weitere würde ja nachfolgen. Ein Kollege von der USPD. erNärte, daß es eigentümlich sei, daß ausgerechnet Partei- lose die Herstellung der Einheitsfront der politischen Par- teien fordern und lehnt« es ebenfalls ab, auf die Forderungen«in- zugehen. Auf meine weiteren Erkundigungen in dem betreffenden Be- triebe wurde mir erklärt, daß man dort niemand beauf- tragt habe, eine derartige Forderung beim Bettiebsrat zu stellen. So kommen also jetzt die berühmten„Stimmen aus den Be- trieben", Kommissionen und Resolutionen zustande! Die KPD .» Fraktion hat mit ihrer Erklärung, die sie in unserem Betriebsrat ab- gegeben, den Beweis erbrocht, daß es ihr tatsächlich nicht um eine ehrliche Herstellung der Einheitsfront zu tun ist, sondern, daß sie lediglich glaubt mit dieser Parole an die Massen heran- zukommen, nachdem alle anderen Parolen endgültig versagt haben. Es muh nun mal mit aller Deutlichkeit ausgesprochen werden, daß ein solcher Unfug unter keinen Umständen von unseren Partei- genossen in den Betrieben mitgemacht werden darf. Innerhalb der Arbeiterschaft nimmt niemand mehr diese„Parole" ernst und wenn man im Betriebe darüber spricht, dann lachen s elb st dieKom- m u n i st e n darüber. Die ganze Aufmachung ist weiter nichts als Theater._ Die Dilanz von Genua . Ter Bericht des Reichswirtschaftsministers Schmidt. Im Volkswirtschaftlichen Ausschuß des Reichs- tages berichtete Reichswirtschastsmimster Schmidt am Mittwoch über die Verhandlungen der wirtschaftlichen Kommission auf der Genueser Konferenz. Die wirtschaftspolitische Situation der südeuropäischen Agrarstaaten bezeichnete er als im ganzen g ü n st i g, während die großen Industrieländer außer- ordentlich schwer unter der Zerreißung der europäischen Wirtschasts- zusammenhänge leiden. Frankreich ist nach seiner wirtschaftlichen Struktur im verhältnismäßig geringem Grade von der Wirtschast anderer Länder abhängig, und darin liegt auch ein wesentlicher Grund für die Aggressivität seiner Politik. Die Verhandlungen in Genua haben gezeigt, daß Rußland nicht in der Lage ist. sich selbst zu Helsen , sondern auf Jahre hinaus von den westlichen Staaten unterstützt werden muß. Diesen Tatbestand hat die Regierung klar erkannt und ist bereit, ihm durch eine erhebliche Modifizierung seines Wirtschasts- fystems Rechnung zu tragen. Das westeuropäische Ka- pital wird sich an der russischen Wirtschast nur unter rein kapi- talistischen Formen beteiligen. Soweit es die innerpolitische Stim- mung in Ruhland erlaubt, wird daher die Sowjetregierung auf industriellem wie auf agrarischem Gebiet die notwendigen Kon- Zessionen an das westeuropäische Wirtschaftssystem machen. Es herrsche grundsätzliches Einverständnis darüber, daß das System des W e l t w i r t s ch a f t s k r i e g e s, wie es heute noch beliebt wird, als unschädlich anzusehen ist. Die Erschwerungen des internationalen Warenaustausches sollen daher baldmöglichst abgebaut werden, wobei natürlich Rücksicht genommen werden muß auf die nationale Produktion und die Persorgung des inneren Marktes. Die in bezug auf die F r e t h e i t des Roh- ftosfverkehrs gefaßten Beschlüsse tragen den Erfordernissen der deutschen Wirtschast in vollem Umfang Rechnung. In der ein» festigen Meistbegünstigung des Versailler Vertrages sah die deutsche Delegation eines der Hauptübel der nationalen Wirtschaft, und sie wurde bei diesem für die künftige deutsche Handelspolitik entfchei. denden Vorstoß von der überwältigenden Mehrheit der Konferenz- tellnehmer unterstützt._ Regierungskrise in(Defterreich. Der Bundespräsident hat der Bitte des Bundeskanzlers Schober um Enthebung vom Amte Folge gegeben und gleichzeitig den Bundeskanzler und die übrigen Mitglieder der Bundesregierung mit der Fortführung der von ihnen Innegehabten Acmter betraut. Das italienisch-russische Handelsabkommen ist unterzeichnet worden.
Wirtstholft Die Tagung des Reichsverbandes der deutschen Industrie. Am 22. und 23. Mai, unmittelbar unter dem Eindruck der Genueser Konferenz, tagte in Hamburg der Reichsverband der beut- schen Industrie. Wieder wurde eine große Zahl von Reden gehalten, deren manche deutlich die Sorge vor einem drohenden Rückschlag der Konjunktur zum Ausdruck brachte. Sonst unterschied sich die Tagung wenig von anderen öffentlichen Beratungen der großen Verbände. Das Programm war umfassend und beleuchtete alle wichtigen Gegenwartsfragen, ohne wesentlich Neues zu bringen. Unter den Referaten ist erwähnenswert ein Vortrag Dr. August Müllers, der seine Eindrücke von einer Rußlandreise wiedergab und von dem großen Vertrauen des russischen Volkes zu der deutschen Leistungsfähigkeit zu berichten wußte, aber davor warnte, daß bei der Wiederaufnahme von Geschäften mit Rußland baldiger Gewinn zu erwarten sei. Der Bankier Max Warburg warnte mit Recht angesichts der Geldknappheit vor fieberhafter Gründertätigkeit und verlangte, man müsse alles daran setzen, lebenskräftigen Unternehmungen über die schwierigen Zeiten hinwegzuhelfen. Seine Rede klang aus in dem Wunsche, die deutsche Zwangsanleihe mit der geplanten internatio- nalen Anleihe in Zusammenhang zu bringen. Wenig wurde zum Thema der Gemeinwirtschaft gesagt, ein Thema, das einstmals auch unter Industriellen noch„modern war, als man die zusammengefaßte Macht der Arbeiterschaft fürchten mußte. Diesmal fand Geh. Rat Bücher bei der Behandlung der Konferenz von Genua spöttelnde Worte über den Einfluß der Demokratie auf die Völkerpolitik.„Die Masse schreit gegen den Einzelnen an, das ist aber jetzt die herrschende Führungsmethode, sich dem Schreien der Masse anzupassen." Diese flache Witzelei beweist nur erneut die Tatsache, daß die Unternehmer sich als Abfolutisten fühlen, und zeigt, wie wenig sie sehen wollen, daß die Führer oft gegen sie schreien müssen, weil sie ihnen dazu alle Veranlassung gaben. Sind es nicht gerade die annexionistischen Rechtsmänner des Reichs- Verbandes gewesen, die die unoersöbzOiche Atmosphäre in der Welt- Wirtschaft schaffen halfen, an deren Ueberwindung die Menschheit jetzt arbeitet? Eine interessante Aussprache zwischen Industrie- und Handels- Vertretern gab es bei dem Referat des Direktors Hans Krämer , der zunächst über Genua sprach. Der Gewinn der Konserenz bestehe darin, daß die Rückkehr zu Handelsverträgen freigemacht wurde. Frankreich hat uns offen die Meistbegünstigung versagt. Es will die Besetzung des Ruhrgebiets erzwingen, um seine Industrie mit der deutschen zu verflechten. Dann kam er auf die inneren Wirtschaftsfragen. Zum System der Vorkriegszeit zurückzukehren, sagte er, wird schwer, ja fast unmöglich sein. Die Fahne des Freihandels dürfen wir nicht eher erheben, bevor wir nicht den festen Boden sicherer Kalkulation wieder unter den Füßen haben. Die Verarmung Europas und die Zerstörung der Verkehrswege vcr- hindere, daß in einem Menschenalter der Wirtichaftsstand von 1914 wieder erreicht wird. Aber mit Pessimismus ist nichts anzufangen, es muh ein Ausgleich geschaffen werden. Gegen einige Redewendungen Dr. Krämers, die auf mangelndes Entgegenkommen insbesondere de» Hamburger Handels gegenüber der Industrie hinwiesen, erwiderte ein Vertreter der Ham- burgerHandelskammer, der Handel wolle gern die Industrie als seine Schwester anerkennen, erwarte aber von ihr nicht Hiebe, sondern Liebe. Jetzt sei es vielfach so, daß die Industrie zu d i k- t i e r e n oersuche, zum Beispiel bei der A u ß e n h a n d e l s st e l l e. Die Industrie werde sich aber hoffentlich überzeugen lassen, daß ein guter Auslandsverkehr nur durch den 5)andel möglich sei. Aus dem Referat Industrie und Verkehr von Robert B l o h m ist hervorzuheben, daß dieser das Eifenbahndefizst an der
Wurzel gepackt wissen wollt«, ohne jedoch zu oerraten, wie man das machen könnte. Der Ueberführung der Reichsbahnen in einen gemischtwirtschaftlichen Betrieb widerriet er. Das ist um so interessanter, als die Industrie nun seit ihrer berühmten Hilfsaktion an der Frage herumdoktert, wie man die Bahnen dem Staat nehmen könnte, allerdings unsachlich und schon darum erfolglos. Noch be- merkenswerter ist die Begründung, die er seiner Stellung gab. Er meinte, aus dem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen sei vorläufig kein Nutzen zu erwarten! Das ist ein offenes Eingeständnis, daß man von einer Privatisierung der Reichsbahn jedenfalls in nächster Zeit sich selbst in Kreisen der Industrie nicht viel verspricht. Um so unverständlicher ist ihre Forderung. Es scheint, als ob die In» dustriellen auch nach der Abfassung ihrer Vorschläge noch viel weniger wüßten, was sie eigentlich wollen, als die von ihncnsso gern gelästerte Regierungsbureaukratie._
Tagung der Preisprüfungsstellen. Die Vertreter der Landes-, Provinz, und Bezirks« Preisprüfungsstellen haben unter Beteiligung der Reichs« und vieler Landesbehörden und unter dem Vorsitz des Reichswirt« schaftsministeriums im 23. und 24. d. Mts. ein« Konferenz in Dresden abgehalten. Die gegenwärtig sehr unsichere Wirtschaft« liche Lage führte zu einer lebhaften Aussprache. Behandelt wurde die immer schwerer gewordene Aufgabe, unlautere Preisgebahrung von angemessener zu scheiden. Man faßte folgende Resolution: Eine Abänderung der Preistreibereiverordnung erscheint zurzeit nicht wünschenswert. Die gegenwärtige Fassung der Verordnung ermöglicht es, dem Interesse der Gesamtwirtschaft in vollem Umfang Rechnung zu tragen. Eine etwaige Abänderung hätte sich auf die Anfügung einer Bestimmung zu beschränken, welche zum Ausdruck bringt, daß Preiswucher nicht vorliegt, wenn der Preis der Marktlage, insbesondere den unter amtlicher Mitwirkung bekanntgemachten Börsen- und Marktpreisen entspricht, sofern nicht durch Warenmangel oder durch erhebliche Schwierig« leiten War« an den Markt zu bringen oder durch unlautere Machen« schaften eine Notmarktlage geschaffen ist. Für den Fall bei Notmarttloge und in denjenigen Fällen, in denen sich eine Markt- läge der Natur der Ware nach nicht bilden kann, bleibt es bei dem Grundsatz der Preisberechnung nach den individuellen Ge« stehungskoften unter angemessener Berücksichtigung der zwi« sehen Einkaufs- und Verkaufszett eingetretenen inneren Geldentwertung. Die Frage der Milch» und Butterpreise sowie der Kartoffelversorgung nahm großes Interesse in Anspruch. Es wurde vor allem eine scharfe Ueberwachung der Butterauktionen befür- wartet. Der Kartoffelbeschafsung sieht man noch immer mtt Sorge entgegen, da der Erfolg der Lieferungsverträge noch nicht abzusehen ist. Daneben wurden die Verhölwisse der Kohlen- Verteilung, die Organisation der Preisprüfungsstellen und die Geld, entwertung als Bilanz- und Kalkulationsproblem erörtert.
Zemeutlieferuug für den Kleinwohnungsbau. Der ReichZwirt- sibaftSminister Hai an den Norddeutschen gementverbanb ein Schreiben gerichtet, in dem er für den Bereich des Norddeutschen und des Rheinisch-westfälifchen Zementverbandes bestimmt, daß die Zementbelieferung des mittelbar und unmittelbar aus öffentlichen Mitteln bezuschußten KleinwohnungS- b a u e s Bis zur Höhe von 1.6 Tonnen(--- 30 Sack) für eine Klein« Wohnung bevorzugt zu erfolgen hat. Die� Landesregierungen werden diejenigen Stellen bestimmen, welche mit der Prüfung der Anträge auf bevorzugte Belieferung betraut werden sollen; sie werden ein Verzeichnis dieser Stellen unmittelbar den Zement« jyndikaten und den Verkaufsstellen der Zementindilsirie zugehen lassen, Die Belieferung hat nach Maßgabe des Prüfungöer« g e b n i s s e s zu erfolgen.