Zwecklose DwkuPon. Kautsky und„F-reiheit'". Die„Freiheit" beschäftigt �ich in ihrer Sonntagsausgabe mit dem bekannten, hier mehrfach zitierten und besprochenen Llufsatz K a u t s k y s„Mein Verhältnis zur 1ISP." in höchst sonderbarer Weise. Sie vermeidet es ängstlich, auch nur ein Wort von Kautskys Ausführungen wiederzugeben, wo sie aber doch genötigt ist, auf sie einzugehen, sucht sie den Anschein zu ' erwecken, als handle es sich um Ausführungen nicht Kautskys, sondern des„Vorwärts". Es war aber nicht der„Vorwärts", sondern K a u t s k y, der in seinem Aufsatz die folgenden Thesen aufgestellt hat: 1. Die Gründung der IISP. ist auf kommunistische Ein- flüsse zurückzuführen. 2. Das Leipziger Aktionsprogramm ist für die UZP. nur noch ein toter Buchstabe. 3. Das Fortbestehen der USP. ist kein Nutzen, sondern ein Schaden. 4, Der kommunistische Einschlag in der USP. ist das Hindernis der Einigung. Solange die„Freiheit" nicht den Mut findet, ihre Leser mit dieser Tatsache bekannt zu machen, bleibt jede Diskussion zwecklos. heißgelaufene� wagen. Deutschnationale Kartoffclspende und Eisenbahnbetrug. Aus Eisenbahnerkreisen wird uns folgender seltsame Fall mit» geteilt: Der Oeffentlichkeit ist ja bekannt, wie die„notleidenden" und kartoffelarmen Agrarier ihre Parteigenossen reichlich mit richtiggehenden deutschnationalen Kartoffeln versorgen konnten. Jetzt oersucht der„0 st p r e u ß i s ch e Heimatbund" in trauter(Bs- meinschaft mit einzelnen führenden Eisenbahnbeamten, die Eisenbahner für seine Zwecke einzufangen. Uns weht ein günstiger Wind die Abschrift folgenden Schreibens auf den Tisch, von dessen Inhalt ein„Unbefugter" Kenntnis nehmen konnte._ Osterode (Ostpr.), den 13. März 1322. Euer Hochwohlqebcren werden die Streiktage der Eisenbahn- beamten und der Eisenbahner vom 1. bis 3. Februar d. I. noch in Erinnerung sein Ein kleiner' Teil der Beamten und Eisen- bahner hat unter großen Schwierigkeiten und unter Einsetzung der persönlichen Sicherheit den Eisenbahndienst innerhalb der Kreis- grenze Liebemühl— Gilgenburg— Hohenstein— Osterode so gut es sich unter den liegenden Verhältnissen ermöglichen erließ, aufrecht- erhalten und damit den Kreisbewohnern einen wohl im allgc- meinen als auch persönlichen Interesse liegenden großen Dienst erwiesen. Wir, die Krcisbewohner alle ohne Ausnahme, werden - in uns das Gefühl der Dankbarkeit den braven Mannen gegenüber haben und durch ein äußeres Kennzeichen dieses innere Dank- bar'-itsempfinden zum Ausdruck bringen wollen. Die Not der heutigen Zeit legt uns in diesem Falle die Verpflichtungen auf, nicht unsere Dankbarkeit durch Ueberweisung von Geld, sondern Naturalien zum Ausdruck zu bringen. Die Lieferung von . Roggen, Kartoffeln, Gerste und Erbsen wird wohl am meisten erwünscht sein. Die Zahl der Eisenbahnbeamten und Eisenbahner inkl. der an obengenannten Strecken liegenden Stationen beträgt 351. Für dtese'bittet der Unterzeichnete als Kreisleiter des Heimat- b u n d e s in weitreichendstem Maße je nach persönlicher Leistungs- fähigkeit um Lieferung von Naturalien. Mitteilungen, wieviel von jeder Art geliefert wird, find spätestens bis 30. März d. I. dem Unterzeichneten zu machen. Lieferung hat nur an den von hier aus bekanntzugebenden Stationen zu erfolgen. Säcke werden auf den angegebenen Etationen zum Umschütten bereitgehalten. Kern, Kreisleiter des Heimatbundes Osterode (Ostpr.), Korstein bei Geierswolde. Der„Unbefugte" schwieg und beobachtete. Er sah folgendes: Plötzlich fuhr eines Tages der Eisenbahningenieur K r a m e l l, der Vorstand der Betriebswerkstätt« Osterode i. Ostpr. mit einer Loko- motive, die er als Probemaschine bezeichnete, nach der 53 Kilometer entfernten Station Bergling. und holte von dort einen mit Lebens- Mitteln beladenen Clm.-Wagen, d. h. einen lö-Tonnen-Wagen ab. Damit die Sache nun nicht unnötig auffiel, wurde dieser Wagen von dem Herrn Ingenieur fälschlicherweise als„heißläufer" bezettelt und
auch der Betriebswerkstätt zugeführt. Reparaturen erfolgten au dem Wagen jedoch nicht. Nach zwei Tagen fand sich in der Betriebswerk- statt auf dieselbe Art und Weise noch ein derartiger wagen ein. Außerdem fuhr der Wcrkstättenvorsteher G u n i n nach auswärtigen ' Stationen und brachte Säcke mit Getreide. Alle Lebensmittel wurden l nach einem Schlüssel, den der Herr Eissnbahningenieur aufgestellt ! hatte und auf den ein Rechenschaftsbericht bis heute nicht vorliegt, an solche Beamte und Arbeiter, die sich am Streik angeblich nicht beteiligt hatten, verreilt. Um das Defizit der Eisenbahnen etwas erhöhen zu können, haben die leitenden Beamten der Betriebswerkstätt den Wagen mit Lebensmitteln wie auch das ganze Getreide frachtfrei befördert. Wie ein solches Verfahren juristisch bezeichnet werden muß. darüber mögen sich die Rcchtsgelehrten den Kopf zerbrechen. Aber es wird ja jedem Schrankenwärter schon eingeprägt, daß auf Grund des Erlasses des Reichsverkehrsministeriums vom 25. April 1322 — E. II. 20. Nr. 87222— Geschenke nur mit Genehmigung der vorgesetzten Behörde angenommen werden üürken. Wir machen den Herrn Reichsverkehrsminister auf diese Vorkommnisse in seinem Ressort aufmerksam und fragen ihn, ob er damit einverstanden ist. poilu statt Wilhelm. In Metz wurde in Anwesenheit Poincares an der Stelle, an der ehemals das Denkmal Kaiser Wilhelms l. stand, die Statue des P o i l u, der den Sieg personifizieren soll, enthüllt. Anläßlich der Verleihung der nordamerikanischen Kriegs- medaille an die Stadt Verdun , hielt Poincare in Erwiderung auf die Festrede des nordamerikanischen Botschafters H e r r i ck«ine Rede, in der er u. a. sagte: Der gute Sinn des amerikanischen Volkes werde bald die Le> gende vom französischen Imperialismus beseitigt haben. Angesichts der Gefahren, denen Frartfreich stets ausgesetzt gewesen sei, und nach den erduldeten Leidest müsse jedermann von gutem Glauben verstehen, daß die für die Reparationen festgesetzten Summen nicht mehr herabgesetzt werden könnten. Wenn der gerechte Schadenersatz, der versprochen worden sei, nicht bezahlt werde, dann mühten sich die Männer guten Glaubens davon Rechen- schaft abgeben, daß Frankreich gezwungen sei, eine Macht zu unter. halten, um sie in den Dienst seiner Forderungen zu stellen. Frank- reich halte sein Heer nicht deshalb ausrecht, um Paradezwecken zu dienen oder Ruhm zu suchen. Man hätte das Recht, Frankreich streng zu beurteilen, wenn es ungerecht« Forderungen unter- stützen würde, wenn es andere Nationen unterdrücken wollte und wenn es sich allen friedlichen Abkommen widersetzen würde. Derartige Absichten habe Frankreich nie gehabt. Es habe gegen- über Deutschland den Beweis außerordentlicher Mäßi- g u n g gegeben. Bis jetzt hätten die Franzosen schon 24 Milliarden Frank für den Wiederausbau der oerwüsteten Gebiete bezahlt. Dia zerstörten Dörfer in der Gegend von Verdun könnten nicht wieder aufgebaut werden, die Felder seien zur Unfruchtbarkeit verdammt. Di« Bevölkerung aber zeige sich ebenso mutig im Frieden wie wäh. rend des Krieges, sie habe also ein Recht, das zu verlangen, was Deutschland ihr versprochen habe. Die besiegten Völker dürften nicht ungestraft derartige Verpflichtungen verletzen. Wenn der Friede Deutschland gestatten würde, sich auf Kosten Frankreichs zu bereichern, dann würde die Sache, die die Vereinigten Staa- ten und Frankreich zusammen verfochten hätten, eine Niederlage erleiden und das wäre für Frankreich der Ruin und eine Er- niedrigung.— Nach einer Meldung der„Ehicago Tribüne" aus Koblenz hat der Befehlshaber der amerikanischen Truppen am Rhein vom Kriegsdepartement telegraphisch die Anweisung erhalten, 1000 bis 1200 Mannschaften und Offiziere auf unbestimmte Zeit im Brückenkopf Koblenz zurückzuhalten. Einem Vertreter der„Chicago Tribüne" versicherte der nord- amerikanische Generalmajor Harbor, daß es der Wunsch der deutschen Regierung sei, amerikanische Truppen weiter- hin am Rhein verbleiben zu lassen, weil dadurch eine Gewähr für eine objektive Verwaltung des Rhsinlandes gegeben sei. So- lange sich die amerikanischen Truppen am Rhein befänden, sähe die deutsche Bevölkerung darin die Gewähr für«ine unparteiische Verwaltung. Ein Kongreß französischer Kriegspensionierter in Clermont-Ferrand beschloß mit einer Mehrheit von 144 000 ver- tretenen Stimmen, aus ihre Forderung für die Erhöhung der Kriegs- Pensionen im Hinblick auf die schwere Finanzlage zu verzichten.
Aus dem Rheinlande wird der„Frankfurter Zeltung" ze- schrieben: Seit mehreren Wochen befolgt die Rheinlandkommission die ständige Praxis, gegen die Versetzung von Beamten aus dem unbesetzten ins besetzte Gebiet Einspruch zu erheben: selbst dann, wenn die Beamten dem nicht besetzten Teil der Rheinlande ange» hören. Was ist französischer Imperialismus? Einer Londoner Blättermeldung aus Kairo zufolge besagen dort eingetroffene Berichte, daß die Franzosen einen Vertrag mit dem Herrscher des arabischen Gebiets von Hedscha , I b n Saud, abge- schlössen haben, wonach die Franzosen Jbn Saud Waffen, Mu- nition und Geld liefern und ihm militärische Unterstützung gewähren, wenn er von Hedschas oder von Mesopotamien aus ange- griffen werde. Der Vertrag dehne das Gebiet Jbn Sauds aus und sehe die Erweiterung der Grenzen des f r a nz Lfischeu Mandats über den Hauran vor. Außerdem bestimme der Vertrag, daß sich Jbn Saud in jeder möglichen Weise der Bildung einer arabischen Föderation unter der Aegide Großbritanniens wider- setzen solle. Jbn Saud verpflichtet sich, Frankreicki in Syrien militärisch zu unterstützen, wenn es von Mesopotamien aus ange- griffen werden sollte.„Daily Expreß " weist darauf hin, daß— England Jbn Saud jährlich M 000 Pfund Sterling bezahlt. Italiens Volksparteien gegen Frankreich . In der italienischen Kammer erklärte der Führer der K a t h o- tischen Volkspartei, Mattei-Gentili, der deutsch -russische Ver- trag sei eine Notwendigkeit für beide Länder. Er verlangte die A u f r o l l u n g der Reparationsfrdge, weil ohne Frieden am Rhein der Frieden in Europa unmöglich sei. England und Italien seien der Aufrollung der Reparationsfrage günstig, ebenso Amerika , wie die Debatte im Senat und die Ausführungen des amerikanischen Handelsministers zeigten. Amerika stelle die Neuordnung der Repa- rationen als eine Bedingung für seine Beteiligung an den euro - päischen Fragen auf. Die Anwesenheit schwarzer Besatzungs- truppen im Rheinland fei bedauerlich: Frankreich habe sie jüngst stark vermehrt, obwohl Moral und Hygiene ihre Entfernung ver- langten. Die öffentliche Meinung Italiens bitte das befreundete Frankreich um Zurückziehung der schwarzen Besatzungstruppen. Auch verlange Italien die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund. Der Sozialist Lucci tadelte den französischen Militarismus, der übermäßige Forderungen an Deutschland stelle. Ferner machte der Redner England den Vorwurf, daß es selbstsüchtigerweise nur eine unvollständige Revision der Versailler Bestimmungen oerlange. Maßnahmen gegen?rlanü. Der amerikanische Dampfer„Seattle ", mit Ladung für Kauf- leute in Tralee (Irland ), wurde in der Bucht von Tralee durch ein englisches Kriegsschiff angehalten. Die Untersuchung ergab große Mengen M u n i t i o n in Fässern versteckt. Sie wurde beschlagnahmt. Der Kommandant von Ulster verbot die Ausfuhr von Nahrungsmitteln, Kohlen, andrem Heizmaterial, Petroleum und anderen Gütern nach der irischen Grafschaft Donegal , die hauptsäch- lich auf solche Zufuhr angewiesen ist. Ein Ueberfall Ende voriger Woche auf die Lager von Explosiv- stossen in den Kohlengruben im Südwesten von L a n c a- shire war nach einer Londoner Meldung von Bewaffneten aus- geführt. Sie erbeuteten Tausende von Zündern und entkamen mit ihrer Beute in Kraftwagen. Das Unternehmen wird als das Wert irischer Extremisten angesehen. Lloyd George will angeblich Neuwahlen in Irland ausschreiben; er erwartet wohl vom Volkswillen den Frieden. An der Grenze der irischen Grafschaften Fermanagh und Dane- gal wurden britische Truppen beim Einmarsch in Petligo angegriffen. Artillerie wurde eingefetzt, die Angreifer vortrieben und der Anführer gefangen genommen. Ein Polizist wurde getötet. Eine britische Granate tötete sechs Aufständische. In Oberschlesien sind die Feiertage für dortige Begriffe ruhig oerlaufen. Abg. R y m e r ist zum Wojwoden Polnisch-Obcrschiesiens ernannt, der Regierungskommissar Z u r a w s k i- Taschen zum Stell- Vertreter.—„Daily Telegraph " schildert, wie eine Bande polnischer Gewalttätiger beim Erscheinen englischer Truppen in die fran- z ö s i s ch besetzte Zone flüchtete._
Der rote Minister. Don Erna Büsing. Di« Leute, die nur eine Vergangenheit haben, schmerzt es, daß es eine Gegenwart gibt, und erfüllt es mit Wut, daß Fortschritt- lich« an«ine Zukunft glauben. Sie sind vergrämt und bitterböse auf di« Republik , weil sie ihretwillen den Verlust ihrer gottgowoll- ten Abhängigkeit buchen müssen. Diese Leutchen haben herzlichstes Mitleid mit sich selbst und verhökern ihr Geknickssein als Dauerware. Im Kopf haben sie weiter nichts als die monarchistische Idee und ihr« Lebenssäfte sind schmälende Wut und heimtückische Angriffs- lust. Di« aber nimmt hauptsächlich ihn zum Ziel, ihn, den roten „Würdenträger". Nicht immer greift sie zu so groben Waffen wie Revolver oder Zyankaliumspitze. Es gibt sanftere Mittel, die für den Angreifer weniger gefährlich, im übrigen aber ebenso wirksam sind. Es gilt, den roten Minister oder was er sonst sein mag, in den Augen der Menge abstoßend, unwürdig, lächerlich erscheinen zu lassen. Der rote Minister fährt ,m Auto vorbei. Das sehen ein paar Leute mit Orden- und Titel-verfüßter Vergangenheit. Sofort flammt die Empörung aus. Man ist doch ein großes Tier von früher, das muß man unbedingt bekunden. Im Augenblick erwachsen dem Eni- rüsteten Helfershelfer.„Nein, es ist wirklich entsetzlich," und die von der Republik bezahlte Lehrerin, die in der Geschichtsstunde unver- drossen die Kinder alte Hohenzollernlegenden herbcten läßt, macht «in verrenkende' Halsbewegung wie ein Huhn, das versehentlich heißes Wasser geschluckt hat. und gackert los:„Ja, das ist es ja! Wenn diese Leute noch bescheiden blieben! Aber nein, die Allüren der Großen müssen sie nachahmen. Ja, ja, wie kommt der sich wohl vor in dem Zluto!" Der rote Minister fährt in der Straßenbahn. Im Augenblick kommt Entsetzen in die Leute mit Paradevergangenheit.„Nein, so was, es ist enssetzlich. Das ist es ja eben, diese roten Minister, sie verstehen nichts aus sich zu machen. Darum kommen wir auch nicht vorwärts. Unser« Vertreter imponieren der Welt nicht mehr. Man denke nur einmal an England. Was gelten dort ein alter lltame und vornehmes Benehmen. Und bei uns fährt ein Minister in der Straßenbahn! Es ist unglaublich, die Leute können eben nicht Distanz halten. Eine gewisse Wolke der Unnahbarkeit muß solche Personen umgeben." Der rote Minister geht zu Fuß. Sofort sind die Patrioten auf- gebracht:„Der Minister geht zu Fuß! Muß der Zeit haben! Ja, ja, die Herren haben's geschafft, die machen sich's leicht. Wenn Bülow früher zur Erholung nach Norderney fuhr, dann mußte dort das Postamt verstärkt werden. So viel hatte der in seinen Ferien zu tun. Selbst wenn sie noch so gerne wollten, fanden die früheren Würdenträger gar keine Zeit zum Spaziergang. Die mußten immer im Auto von einer Behörde nach der anderen rasen. Aber heuzu- tag« schleüdert der Minister gemächlich zu Fuß. Solche Vorbilder werden gegeben. Da ist es wahrlich»ein Wunder, wenn kein Mensch mehr arbeiten will und das ganze Volt oerlumpt."
Ich frage mich: auf welche Weise muß sich ein Minister vor- wärts bewegen, wenn er bei diesen scharfen Kritikern keinen Anstoß erregen will? Und ich komme zu der Ansicht, daß es in der Welt sehr viel Schöneres gibt, als roter Minister der deutschen Republik zu sein. Ilebcr mittelalleclichen und modernen Expressionismus sprach Professor G o l d s ch m i d t im Aulagebäude der Universität vor einer Hörerschaft, unter der bekannte Männer der Wissenschast auf- fielen. Die Primitivität frühmittelalterlicher Bilder hat manche Betrachter, so führte Prof. Goldschmidt aus, zwischen Mittelalter« lichem und neuzeitlichem Expressionismus eine innere Gemeinsam- keit erkennen lassen. Daneben aber besteht ein schorfer Gegensatz. Der moderne Expressionist gibt einer Summe von Eindrücken eine seinem eigenen Empfinden entsprechende geometrische Form oder er akzentuiert irgendeine Teilerscheiniing, um durch dies Heraus- heben einem bestimmten Gefühl Ausdruck zu verleihen. Als geistig kann der moderne Expressionismus nur im Gegensatz zu dem in früheren Richtungen der bildenden Kunst herrschenden Bestreben angesprochen werden, die Natur möglichst getreu zu imitieren. Nicht der Intellekt ist das Wesentliche, sondern die Phantasie, die die Natur nach der persönlichen Eigenheit des Künstlers umbildet.— Dagegen war der mittelalterliche Expressionismus im eigentlichen Sinne geistig. Die Anlehnung an die Natur tritt gegen die Lust an Formen in den Hintergrund, die häufig in die Sucht, zu schnör- kein, übergeht. Das, was am häufigsten zu Vergleichen mit dem modernen Expressionismus geführt hat. Unbekümmertheit um dos Natürliche, ist im Mittelalter Ausdruck der Verwendung über- lieferter Bildworte.' Eiyc Handlung, Bewegung, ja ein Körperteil hatte sein bestimmtes herkömmliches Bildwort, und aus den alten Bildern kann man stets solche Formeln herauslesen. Die Gemälde können als ornamentale Zusammenfassungen einzelner Bildworte bezeichnet werden. Während im Mittelalter der Aus- gangspunkt der bildlichen Darstellung Ueberlieferung ist, drückt dem heutigen Erpressionismus die Phantasie und das eigene persönliche Wollen des Künstlers seinen Stempel auf. Dieser Gegensatz schließt nicht aus, daß sich der moderne und der mittelalterliche Expressionismus in der seelischen Wirkung auf den Beschauer zuweilen berühren. E. D— r. Hans Dütfchke-Abend. Es klingt wie der Stoff zu einer Novelle: Ein vierundsiebzigjähriger, schwerhöriger Greis, seines Zeichens pen- sionierter Professor, beweglich wie ein Jüngling, spricht heute über Tasso, morgen über Dante, ein andermal über Hamlet und schüttelt in der wenigen freien Zeit, die ihm der Kampf um das tägliche Brot läßt, Melodien aus dem Aermel. um die ihn manch ein gefeierter Symphoniker beneideii könnte. In weiten Kreisen unbekannt, findet er eine kleine Gemeinde von Sängern und Sängerinnen, Geigern und Pianisten und gibt mit ihnen vor einer kleinen Schar von Gästen ein ausgewachsenes Konzert: Sonaten für Klavier und Geige, eigen» artige Gesänge, Balladen und musikalische Eharakterköpfe in Form melodischer Fugen, Klavierstücke voller Kraft und Anmut, und er selbst mit Feuereifer an allem ausführend beteiligt, so daß man nicht weiß, ob mau den Reichtum an Melodik, die Mpjerijche Phantasie
oder die rein pianistische Leistung mehr bewundern soll. Und der Schluß der Novelle, soll sie entsagend verklingen oder dem ichajfens- freudigen Greise die letzten Jahre seines Lebens mit cinem Schimmer von Anerkennung vergolden? Armer, nein reicher, weltfremder Hans Dütfchke, warum schreibst du keine mondänen Tän.ze, keine süßliche Operettcnmusik auf erotische Texte, warum gefällst du dir in Schumannschen Träumereien und Brahmscher Romantik? Vielleicht wird dir die Nachwelt eine Zeile des Nachruhms gönnen: Welch' liebenswürdiges Talent! Schade, daß dich keiner kannte. A. Fr. Die indische Bewegung hat in der Zeit nach dem Krieg eine besondere Kräftigung erfahren durch die Annäherung der beiden stärksten Volksteile Indiens , der Hindus(218 Millionen) und der Mohammedaner(57 Millionen). Mar Grühl hebt das in dem soeben erschienenen Sonderheft„Indien " der Zeitschrift„Zeiten und Völker" hervor. England hat den Gegensatz: Hie Hindu— hie Moslem immer zu seinem Vorteil wahrgenommen und bewußt ge- nährt Die Hindus waren immer die eigentlichen Träger der indischen Freiheitsbewegung, die Moslems dagegen suchen durch ein Zusammenarbeiten mit der englischen Regierung für ihre Sache Vor- teile zu erringen. Die Lösung der Kalifatsfrage durch die Engländer im türkenfeindlichen Sinn hat jetzt aber zu einer Annäherung der beiden Gruppen geführt. Die indischen Mohammedaner standen auf der Seite der Türkei und di« Hindus unter Führung zAandhis erklärten ihre Zustimmung. Diese Emmütigkeil verleiht zusammen mit vielen andern Gründen der gegenwärtigen indischen Bewegung eine Stärke, die sie niemals vorher besessen hat. Das Schulzimmer. Der Aufsatz eines Volksfchülers über das Schulzimmer wird in„Reclams Universum" mitgeteilt.„Das Schul- zimmer besteht aus der Wandtafel, den Bänkdn, den Tintenfässern, dem Lehrer und dem Stock," schreibt der angehende Schriftsteller. „Die meisten Sachen sind sehr alt und abgenützt. Nur der Stock muß immer neu sein. Wer noch später in die Schule kommt als der Lehrer, ist der größte Faulenzer und wird durch diesen bestraft. Der Lehrer hat mit dem Stock ein Loch in das Gelobte Land ge- stoßen. Mit dem Globus macht er die Sonnenfinsternis. In der Freiviertelstunde essen wir eine halbe Stunde unser Butterbrot. Der Schulinspektor lobt uns immer, aber der Lehrer ist doch froh, wenn er wieder fort ist. In der Turnstunde springen wir über den Bock. Der Lehrer springt zuerst, daß es kracht. Dann springen wir auch und stärken unsere Glieder. Der� Lehrer macht uns zu ordentlichen Menschen, denn Fleiß bricht Eis."
BiSmarck-MonumentalauSgabe. Wie wir hören, ist eine Gesamt» auögabe der Werke Bismarck « im Entstehen. Der Stoff wird in mehren Abteilungen gegliedert, deren Bearbeitung folgende Herren übernonuneu haben: Archivrat Dr. von Petersdorff(Polilische Schriften bi« 1862), Dr. Friedrich Tdimme(Politische Schriften von 1862— 13Sa), Dr. Joachim Kühn(Bismarck und die Presse). Pro!. Dr. Schüller(Bismarcks Reden) Prot. Dr. Andrea«(Bismarck « Gesvrache), Pros. Dr. Windelband(Bismarcks Briese), Vrwatdozent Dr. Ritter(Gedanken und Erinnerungen).— Dal Werk beginnt jein Erscheinen im nächsten Jahr mit den Politischen Schriften.