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Kr. 264> ZH. Jahrgang

Heilage ües Vorwärts

Mittwoch, öen 7. 7uni 1422

Durch öen berliner Likörstrom.

Das äußere Bill Berlins , wie es sich einem bei Gängen durch die Straßen darbietet, verändert sich im Grunde genommen von einem Tage zum anderen, ohne daß man«s sonderlich gewahr wird. So hat bereits vor dem Krieg, wenn zunächst auch nur vereinzelt, «ine Umstellung der Ladcnausjtattung eingesetzt. Man begann, von den riesigen und dadurch damals schon recht kostspieligen Spiegel- fenstern abzukommen und die kleineren intimen Schaufenster zu bevorzugen. Besonders augenfällig ist dieser Wandel im Gast- und Schankgewerbe. Plötzlich sah man in irgendeiner Straße ein Ge- schästsschild, darauf stand:.Gute Stube/ Die Ueberschrist war neu und auch die Art der Aufmachung. Man hatte nämlich erhabene und dazu deutsche Buchstaben gewählt, während ganz allgemein auch heute noch fast alle Geschäftsschilder lateinische Buchstaben aufweisen. Dazu das jeden Deutschen anheimelnde Wort: Gute Stube. Das klang so sehr nach Sonn- und Feiertag, nach Ausruhen und sich räkeln auf einem bequemen Sofa, daß man auch schon drin war. Ueber 1000 Likorstuben i« öerlin. Heute kann man in Berlin hinkommen wo man will, die Likör st ub« ist überall. Dom Potsdamer Platz durch die Potsdamer, Bülow. Motzstraße bis hinüber zum Bayerischen Platz und seiner Umgebung findet man etwa im Verhältnis derselben Entfernung, wie in der Siegesallee die Hohenzollern stehen, eine Likörstube neben der anderen. Don der Friedrichstrahe und dem Kursürstendamm mit ihren ungeheuren Fremdensträmen gar nicht zu reden. Ein weiteres Zentrum liegt um den Alexanderplatz mit der Münzstraße. Doch ist hier das Milieu ein ganz anderes als in allen übrigen Gegenden. Nach einer Mitteilung der Berliner Gast- wirtezeitung sind zurzeit über 1000 Likörstuben in Berlin vorhanden. Davon sind in der letzten Zeit allein über 51)0 entstanden. Es scheint aber, als ob jetzt die Likörwelle langsam verebbt. Außer- ordentlich lehrreich ist ein Gang durch diese Likörstuben, wie sie sich etwa in der Potsdamer Straße zusammengefunden haben. Man kann bei genauerem Zusehen drei Zentren feststellen, um die sich die meisten gruppieren. Das ein« liegt am Potsdamer Platz mit der Link- straße, das zweite an der Lühowstraße und das dritte an der Bülow- siraße. Merkwürdigerweise hat der Sportpalast kein Likörzentrum erzeugt. Im Gegenteil beherrscht dort das Bier so sehr das Feld, daß man als Sellenheit«ine allerdings altbekannte Weißbierwirt- schaft findet. Am Potsdamer Platz hat es eine Luxuslikörstube zu Ruf und Ansehen gebracht dergestalt, daß sich ihre Räume von Zeit zu Zeit als zu klein erweisen und immer wieder ausgebaut werden müssen. Innen ist bekanntermaßen alles aus intim-gcmütliche Wir- kung gestellt. Die Preise für Speisen und Getränke sind durchaus dem Charakter der Gäste angepaßt.

-Im Nebel See Liköre. Kunstgewerbler und Raumkünstler arbeiten fast immer sehr ge- schickt zusammen, um diese Zimmer entstehen zu lassen. Ganz charak- teristisch für alle diese Lokale ist, daß sie das volle helle Tageslicht verdammen. Ueberall herrscht ein schummeriges Dämmern, und selbst des Nachts, wenn die Lichter brennen, ist es kein Strahlen und Glänzen, dazu der Rauch der Zigarren und Zigaretten und der er- regende Duft der Getränk« selber. Alles das ist bewuhtermaßen ge- schaffen, um die verführerische Stimmung zu erzeugen, die ganz dazu angetan ist. das kritische Bewußtsein in Punkto Gcldausgabe möglichst einzuschränken. So versinkt das Opfer im Nebel der granatroten, braunen und lüstern grün und gelb irrisierenden Liköre. Geradezu raffiniert werden die Außenseiten gestaltet. In der Potsdamer Straße findet man in einem etwa aus den 90er Jahren stammenden Haus eine neue Likörstube eingebaut, zu der ein entzückendes gotisches Spitzbogenportal führt wie zu der Behausung eines Klausners. Mit besonderer Sorgfalt werden die meist ganz schmalen und mäßig hohen Schaufenster behandelt. Aus dem Innern lockt das zärtliche Seufzen einer Geig«, das elegante Glissando eines geschickten Klavierspielers, die inbrünstigen Akkorde einer Guitarre. Das alles wirkt wie die Verheißung schöner Stunden und dos alles wird bewirkt durch den Schnaps. In der Pots- damer Straße hat denn auch ein solches Lokal das erlösende Wort gefunden und aus seine Schaufenster geschrieben: Wein- und Schnapsschänke. Da weiß man gleich wie und wo. Ein wenig einfacher und gemütlicher geht es um den Alexanderplah herum zu. Da trifft man neben den Kinos, die von vormittags 11 Uhr ab den ganzen Tag zu Ehren deutscher Filmkultur Filme wie.Der blasse

Hermann* oderDer Mord in der Nacht* oderDer Mann mit den 30 Frauen* oderDas Haus ohne Türen und Fenster* spielen, Lokale, die sich schlicht, einfach und deutlichSchnapsquclle* nennen oderKognak- und Likörstube" oderPräpelhalle. Man sieht da am hellen Tage merkwürdige Herrschaften herumstteichen. Wieder ganz anders sieht es um den Bayerischen Platz herum aus. Hinein , kommt man dort nur, wenn man feine Glieder mit einem Smoking umhüllt hat und hinaus, wenn man zum mindesten einen Likör genossen, zum mindesten 30 M. kostet. öeöenkliche Auswirkungen. Weder dem Volkswirtschaftler noch dem Sozialhygieniter kann diese abnorme Entwicklung gleichgültig sein. Die Einrichtung einer modernen Likörstube ist unter 400 000 bis 500 000 M. nicht mehr zu haben. Die Jahresmiete bettägt vis zu 200 000 M. Tagesrein- verdienste von 8000 bis 10 000 M. sind zwar nicht die Regel, aber auch nichts Seltenes. Das Merkwürdige ist, daß Konzessionen aus- gesprochen für Likörstuben niemals verliehen werden, sondern immer nur auf Grund von§ 33 der Gewerbeordnung für Schank- Wirtschaft, die nicht oersagt werden kann, wenn gegen den Nach- suchenden keine Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, daß er das Gewerbe zurVöllerei, des verbotenen Spiels und der Unsittlichkcit* mißbrauchen wird. Dem Konzefsionsmhaber nachzu- weisen, daß seine Likörstube keineSchankwirtschaft* ist, wird nicht gelingen. Es scheint, wenn man diese Verhältnisse km ganzen be- trachtet, daß der Krieg mit seinen unseligen Nachwirkungen auch hier sein böses Spiel treibt. War doch die Zahl der Schankwirt- schaften in Berlin von 11 384 im Jahr« 1911 auf 8887 im Jahre 1910 zurückgegangen, um dann bis 1919 wieder auf 9437 anzusteigen. Die halbamtliche Deutsche Reichshauptstelle gegen den Alkoholismus , die Behörden und Regierungen in Fragen der Gesetzgebung und Verwaltung von Alkoholangelegenheiten berät, sieht einen Ausweg aus dem Ueberhandnehmen von Likörstuben nur in dem sog. Ge- meindebestimmungsrecht, einer Art lokalem Volksentscheid, wonach innerhalb eines Gcmeindebezirts durch Abstimmung aller Wahlbe- rechtigten Beschränkung des Alkoholgewerbes beschlossen werden kann, die sich entweder auf alle geistigen Getränke oder nur auf einzelne, z. B. Branntwein, erstreckt. « Mag bei dem gesunden und gut genährten und gesättigten Mann ein Schnäpschen auch keinen Schaden anrichten, so darf doch nicht ver. schwiegen werden, daß die besondere Art, die Liköre zu würzen und damit die Erregung wichtiger Rervenzentten hervorzurufen, sie für die Jugend am aller ungeeignetsten macht. Hier ist Warnung durch- aus am Platze! Außerordentlich bezeichnend aber für die Zustände, die uns anscheinend noch bevorstehen, ist doch wohl die Tatsache, die derAbstinente Arbeiter* kürzlich berichtete, wonach die im In- stitut für Gärungsgewerbe abgehaltenen Unterrichtskurse für Destilla- teure und Likörfabrikanten überfüllt sind, doppelt so viel Hörer haben als früher und daß heute schon Vormeldungen für 1923 vor- liegen. Die Ursachen öer Valöverwüstung. Die weitgehende Beunruhigung, die die plötzlich und ganz un- erwartet wieder eingesetzte rücksichtslose und unverständliche Ab- holzunng weiter als gesichert geltender Waldflächen im Bezirk Groß. Berlin hervorgerufen hat, hat den Städtbaudirektor E l t a r t ver- anlaßt, durch das Nachrichtenamt der Stadt Berlin ein« längere Erklärung zu geben, der wir einiges entnehmen. Vorausschicken wollen wir aber, daß aus Grund uns gewordener zuverlässiger Mitteilungen im Gebiet des 20 Bezirks(Reinickendorf ) tatsächlich bereits folgende Waldflächen heruntergeholzt wor- den sind: Bei H e i l i g e n s« e 125 Hektar, bei Frohnau 43 Hektar, bei Hermsdorf 39 Hektar, bei L ü b ar s 29 Hektar, bei Waidmonnslust 12 Hektar und bei Tegel 30 Hektar, zu- fammen 287 Hektar 1112 preußische Morgen, also ein Stück, das insgesamt noch größer ist als der ganze Berliner Tiergarten . Daraus mag man ersehen, wie groß die Gefahr der Entwaldung Groß-Berlins ist. Es muß, so schreibt nunmehr Direktor Elkart , vor aller Oeffentlichkeit einmal erörtert werden, ob solche Abholzungen nötig ! und dann zu dulden sind, oder ob schöne Waldflächen, die«inen

Erholungsort der Großstadtbevölkerung bilden, anderen Interessen geopfert werden. Gewisse Waldflächen in der Umgebung Berlins sind zurzeit als Dauerwaldflächen durch den Zweck- o« r b a nd gesichert worden und in den Besitz der Stadtgemeinde Berlin übergegangen. Diesen Waldflächen droht somit keinerlei Ge- fahr. Daneben sind aber noch manche Waldstücke teils im Privat. besitz, teils im Staatsbesitz verblieben, bei denen man der Entwicklung, ob sie als Dauerwald bestehen bleiben sollen oder nicht, offenbar zurzeit nicht vorgreifen wollte. Auf Drängen der Sied» lungsgesellschaften hat im Jahre 1919 das Landwirt. s ch a f t s m i r, i st e r i u in verschiedene Flächen aus dem Staats- besitz den Siedlungsgesellschaften für eine etwaig« Besiedelung über- wiesen. Das Kaufrecht muhte jedoch bis zum 1. März 1922 ausgeübt sein. Das Angebot schließt auch den Kauf des darausstehenden Holzes mit ein, und zwar zu einem für heuttge Verhältnisse äußerst günstigen Preise. Dieses billige Holzongebot war es vor allem, das die Siedlungsgesellschaften dazu führte, von dem Angebot noch in letzter Stunde Georauch zu machen. Um das Holzgeschäft sofort verwertbar zu machen, haben die Gesellschaften, wie in Hermsdorf und Tegel ort den ganzen Holzbestand an eine private Holzhandelsfirma verkauft. Geschäftsinteressen sind es daher, die trotz der für einen Holzschlag ungünstigen Jahres- zeit dazu führen, sofort den Kahlschlag der Flächen vorzunehmen. In Hermsdors wurde die Arbeit infolge Einspruchs der Bevölkerung eingestellt. In Tegelort dem noch «in« größere Bedeutung als Erholungsplatz für die Berliner Be- völterung zukommt, sollte jetzt begonnen werden. In den Kaufver- trägen war nun seitens des Landwirtschaftsministeriums festgelegt, daß die Fläche zu keinem anderen Zweck verwertet werden darf, d. h. daß sie, falls«ine Besiedelung nicht angängig ist, Wald bleiben sollte. Gegen ein Kahlschlagen dieser Waldflächen aus öffentlichem Besitz müssen daher Ministerium, Gemeinde, Verwaltung und Bevölkerung solange st ä r k st e n Ein. s p r u ch erheben, als nicht feststeht, daß die AbHolzung dieser Fläche im Gesamtmteresse der Bevölkerung gelegen ist. Die Be, völkerung Berlins würde es aber zurzeit nicht verstehen, wenn der Wald in Tegelort, dem größten Ausflugsort des Nordens, fast unmittelbar bis zur Wasserfläche abgeholzt würde, nur damit einige Häuser gebaut werden können, für die an anderer Stelle geeignetes Siedlungsland zu finden ist. Es muß Aufgab« des neuen Berlins sein, alle Waldflächen, die als Erholungsplätze für die Bevölkerung auch über den Umfang des Dauerwaldes hinaus nunmehr als not- wendig erkannt sind, durch Festlegung eines generellen Grünflächenplanes zu schützen. Ein Verkauf solcher Flächen seitens des Landwirtschaftsministeriums an irgendwelche Interessenten muß unterbleiben_ kein Teilstreckentarif. Di« vom Magisttat soeben den Stadtverordneten unterbreitet« neue Vorlaae über die Erhöhung des Straßenbahn» fahrpreises auf 4 Mark hat infolge mißverständlicher Auf, fassung einer Bemerkung der Vorlage in einem Teil der Oessentlich- keit zu der Annahme geführt, als ob die städtische Verkehrsoerwal. tung mit dem 4-Marr-Tarif zugleich einen Teilstreckentarif von 3 M. einführen wolle. Diese Annahm« ist völlig unbegründet. Einen Teilstreckentarif und Zonentarif für das gesamte Netz der Berliner .Straßenbahn haben sowohl die Verkehrsdeputatton als auch der Magisttat und die Stadtverordneten abgelehnt. Es handelt sich jetzt lediglich darum, wie auch aus der Magistratsvorlage hervorgeht und in der Sonntagsausgabe desVorwärts* bereits kurz mitgeteilt wurde, in einem bestimmten Verkchrsgebiet einen Versuch mit einem ermäßigten Fahrpreis von 3M. für kurze Gesamt. st r e ck e n(keine Teilstrecken) zu machen. Hierfür kommen in erster Linie die ehemaligen Vorortstraßenbahnen in Spandau , Kn- penick, Heiligcnsee und die Teltower Krcissttaßenbahnen in Lichterfelde und Steglitz in Frage. Auf der Linie Fried- richshagen bis Müggelsee ist jetzt ein ermäßigter Fahrpreis von 2 M. eingeführt worden, weil die Stteck« mit ihren 2H Kilometern und schwacher Benutzung sonst gänzlich ohne Verkehr geblieben wäre. Die ermäßigten Fahrpreise in diesem Sinne entsprechen einem Be- schluß, den die Vcrfehrsdeputation in ihrer letzten Sitzung bei der Beratung des 4-Mark-Tarifs gefaßt hat, wonach die kurzen Außen- linien der ehemaligen Vorortstraßenbahnen durch einen niedrigeren Gesamttarif, der dieser weiteren Verlehrsabwanderung entgegen» wirken soll, gegenüber den langen Jnnensttoßenbahnlinien bevorzugt werden sollen die teure Butoörofchke. vorgehen gegen die Fahrlverweigerer. Die sich bei den Berliner Droschkenchauffeuren und Droschken» kutschern immer mehr einbürgernde Unsitte, eine Fahrt in eine ent,

Der Ruf durchs Fenster. 124 Roman von Paul Frank. Rufe des Unmutes wurden vereinzelt hörbar, denen Zischen antwortete, das Opposition ebensogut wie Zustimmung bedeuten konnte, worauf wieder Applaus, diesmal anhalten- der, einsetzte, der von jenem Geräusch verstärkt respektive ab- gelöst wurde, das entstand, als die Herren in den vorderen Parkettreihen mit den Spitzen ihrer Spazierstöcke auf den Boden trommelten. Die Billctteure und Programmverkäufer waren nicht im- stände, die Ursache der Verzögerung mitzuteilen; alles sah auf die Uhr. da die achte Stunde beinahe um zwanzig Minuten überschritten war. Als der eiserne Vorhang sich hob, wurde dieses Ereignis von ironischen Zurufen begleitet, während von den oberen Rängen Beifallsklatschen niederprasselte. Viele sahen zum Kronleuchter auf und erwarteten, daß er verlöschen würde. Nichts von alledem trat jedoch ein, und die Habiwös merkten mit Befremden, daß der Zwischenvorhang herab- gelassen war. Die gnomenhafte Silhouette des Regisseurs Pater wurde sichtbar, die sich linkisch verneigte. Ein Chorus von Stimmen wurde laut, ein ohren- betäubendes Getöse schwang über den Köpfen der Leute, die zumeist von ihren Sitzen sich erhoben hatten. Regisseur Pater stand schweratmend, aber geduldig da; nur seine Blicke irrten hilfesuchend durch dgs Haus. Schließlich erhob er die Hand. Ruhe!* rief eine kräftige Männerstimme; andere wiederholten das Wort. Es dauerte immerhin geraume Zeit, ehe leidliche Stille eintrat. Ich erfülle meine Pflicht,* sagte Regisseur Pater, dessen Antlitz kalkweiß vor dem roten Samt des Vorhanges stand, mit seiner klaren, glasigen Stimme,einem verehrten Publi- kum mitzuteilen, daß die heutige Vorstellung nicht stattfinden kann...* Hier erhob er energisch die Hand, um möglicher- weise nch meldenden Widerspruch zurückzuweisen.Weil..." f"?te er. eindringlich skandierend, hinzu.Herr Albert Reuß plötzlich verschwunden ist..

Er wartete die Wirkung seiner Rede gar nicht ab, son- dein trat eilig hinter den Vorhang. Vorerst war es totenstill im Hause geworden; hieraus brach wütend entfesselter Lärm los. Die Leute fragten ein- ander, ob sie auch richtig verstanden hätten... Die ein- ander fremd gewesen waren, hatte die gemeinsame Erregung verbrüdert. Die wenigsten schienen gesonnen, das Theater zu verlassen, da man eine Fortsetzung erwartete. In dichten Knäueln standen Herren und Damen beisammen und be- sprachen das Ereignis. Die eiserne Kurtine senkte sich kreischend nieder. Die Lichter erloschen allmählich. Herr Hendrik van Hülst, der anfangs gelähmt in seinem Fauteüil zusammengesunken war, erhob sich nun und bahnte sich in höchster Erregung rücksichtslos den Weg durch das Ge- wühl. 9. Der Kopf des Rigaer Polizeipräfekten Alexander Tudolin erinnerte in mancher Hinsicht, vor allem des haarlos, gleich- sam poliert erglänzenden Schädels wegen, den nur im Nacken ein schwarzer, von einem Ohr zum andern reichender Haar- kränz zierte, um der unwahrscheinlich rund und hochgezoge- neu, gleichmäßig verlaufenden Brauenbogen, der aus hell- blauem Glas gefertigt scheinenden Augen und des wie mit Tuschs auf die Oberlippe gepinselten Schnurrbärtchens willen, an den Schädel eines japanischen Götzen... Tudolin hob das Hörrohr ab, schob mit der linken Hand den feinen Nickelhebel auf einen der zahlreichen, mit Nummern versehenen Metallknöpfe, drückte zunächst mit der Zeigesinger- spitze den Taster nieder und sagte hierauf:Guten Abend, Doktor Drosdow... Wollen Sie doch zu uns herüber kom- men... ich bin in meinem Bureau...* Eine Minute später stach der braune Spitzbart des Gerufenen durch den geöffneten Türspalt; gleich darauf hob sich die zierliche Silhouette Dr. Drosdows wirkungsvoll von der grünen Polste- rung ab. Sein Gesicht drückte die höchste Ueberraschung aus. da er nicht mir seinen Vorgesetzten, sondern, um diesen ver- sammelt, eine nicht unbeträchtliche Anzahl Herren antraf. Sie sind erstaunt, mich zu so später Stunde hier zu sehen, mein lieber Drosdow...?" Dieser bob abwehrend die Hand. Ich will Ihnen das erklären," fuhr der Präfekt fort. Ehe er jedoch den Satz zu vollenden vermochte, schrillte das Telephonsignal, so daß Tudolin die Hörmuschel zur Hand

nehmen niußte.'Hier Polizeipräfektur..." sagte er.Ja­wohl... ich bin selbst anwesend. Meine Verehrung, Herr Redakteur... Sie haben Glück, meinen Sie? Da will ich nicht widersprechen... Ich fürchte jedoch, daß Sie dieses Glück nicht lange genießen werden... Da ich nämlich, wie Sie sich vorstellen können, bis an den Hals in Arbeit stecke.., Haben Sie keine Angst: ich will Sie mit einem Herrn ver- binden, der Sie ganz genau informieren wird... Er sagt Ihnen, was wir wissen. Mehr dürfen Sie nicht verlangen I Einen Augenblick, mein lieber Herr Redakteur... meine Ver- ehrung... ich will nur Doktor Drosdow verständigen...* Er legte das Hörrohr auf den Apparat zurück.Sehen Sie. sagte er,das ist der Grund, weshalb ich Sie zu mir gebeten habe. Die Zeitungsredaktionen werden der Reihe nach an- klingeln... Ich kann mich nicht damit befassen..." Keineswegs...* beeilte sich Dr. Drosdow beizu» pflichten. Sie informieren die Herren,, nicht wahr? Und ganz gleichmäßig... Wobei natürlich jeder glauben muß, dag er alles erfahren hat, während die anderen nichts wissen. So- bald ich neues Material erhalte, verständige ich Sie sosört. Jedenfalls müssen Sie sich auf eine ausgiebige Sitzung ge- faßt machen, lieber Kollege. Bist« senden Sie mir sofort Kom- missär Ljubatschow herüber, den ich bei der Protokollaufnahme brauche... Ich habe da noch eine Einvernahme, durch die wir vielleicht wichtige Aufklärungen erhalten können...* Nachdem Dr. Drosdow sich empfohlen hatte, wendete der Präfekt sich an die wartenden Herren:Ich bitte Platz zu nehmen, soweit die vorhandenen Stühle das zulassen." Ich werde von Ihrer gütigen Erlaubnis gern Gebrauch machen..." seufzte Direktor Adrian Weißwasser, dem die Beine allmählich den Dienst versagten: gleich ihm ließ sich Herr Hendrik van Hülst, hochrot im Gesicht, schweratmend, sichtlich leidend, in ein Lederfauteuil fallen. Unterdessen telephonierte der Präfekt anhaltend und un- verdrossen.Sind Sie's, Lewakowski... Haben Sie auch alle Stastonen verständigt? Personalbeschreibung? Ob der Vermißte blondes Haar gehabt hat?" Hellblond!" rief der Theoterdirektor. Hellblond," wiederholte Tudolin.Haben Sie genügend viele Agenten zur Verfügung? Die meisten sind schon aus« geschickt? Sehr gut... Ich bin mit Ihnen zufrieden, Lewa» kowski. Wenn Sie eine Auskunft benötigen, können Sie mich in meinem Bureau erreichen!"(Fortsetzung folgt.)