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Nr. 362 ZH. Jahrgang

Heilage öes Vorwärts

Donnerstag. 3. Mguft1�22

Jugendliche Ehegatten. Vom Kinderschuh in den Ehepantosfel. Mit 16 Jahren verwitwet und geschieden.

Diü 3dt, von der der Dichter singt:Als ich noch im Flügel- kleide"; scheint für unseren weiblichen Nachwuchs nicht mehr ganz die alte Bedeutung zu haben und der einstigen Reize verlustig gegangen zu sein. Das erste nicht mehr halblange Kleid, die ersten langen chosen zur Konfirmation bedeuteten einst den Beginn eines neuen Lebensabschnitts. In unserer Zeit aber wird dieses Stadium zu- weilen gletl übersprungen und aus den noch nicht abgelegten Kinder- schuhen gleich in den Ehepantosfel getreten. Die nachfolgende preußische Statistik der Jahre 19141918 dürfte manches Kopf- schütteln zeitigen. Kinderchen. Was soll man dazu sagen, daß im Atter von 15 bis unter Jahren 92 Mädchen sich verheirateten, ja daß in diesem ausklin- gsnden Kindesaltsr sogar 2 verrviitwete und 2 geschiedene Irauen gezählt werden! Zwar bestimmt§ 1393 des Bürgerlichen Gesetz- buches: Ein Mann darf nicht vor dem Eintritt der Volljährigkeit, eine Frau nicht vor der Vollendung des sechzehnten Lebensjahres die Ehe eingehen; es scheinen daher in unseren Fällen Dispense vor- zuliegcn. Doch verfolgen wir unsere Statistik weiter:

Man sieht, die jungen Mädchen steigen viel beherzter in den Ehestand als die jungen Männer, was wohl einerseits an ihrer größeren Frühreife liegt, andererseits aber an zwingenden Gründen, die sie zur frühen Heirat drängen. Die gleichen Erfahrungen gewinnt man aus den für Deutschland 1917(ohne Elsaß-Lothringen ) errcch- neten Zahlen. Auch hier in diesem einen Jahr 9 Ehefrauen unter Jahren. Bemerkenswert sind folgende weitere Zahlen: » Weiblich !mct Gesamtzahl 16 bis unter 17 Jahren... 266 17.. 18.... 1 366 18.. 19.... 4 590 19., 20.... 10770 20.. 21.... 18731 Aus den bisher gemachten Mitteilunzen erhellt nur entweder das Alter des jugendlichen Ehemannes oder der jugendlichen Ehe- fräu. In wieviel Fällen sind nun beide Teile jugendlich? Dos Der- höltnis ergibt sich aus folgenden Tabellen: Im Reich 1317.

Männlich Gesamtzahl

293 1 029 2 580

Junge Maöchen und alte Männer. Interessant ist schließlich auch die Beobachtung, in wieviel Fällen die ganz jungen Mädchen alt- Männer geheiratet haben. Wenn wir nur Männer über 50 Zahre berücksichtigen, so haben in Preußen solche zwischen 50 und 60 Jahren 5 Mädchen Zwischen 16 und 17. 9 unter 18 und 35 unter 19 Jahren geheiratet; im Reich im Jahre 1917 Z Mädchen unter 17. 5 unter 18 und 14 unter 19 Jahren. An Männer über 60 Zahre verheirateten sich in Preußen 7 Mädchen

unter 17, 8 unter 18 und 10 unter 19 Jahren; im Reich im Jahre 1917 2 Mädchen unter 17, 2 unter 18 und 6 unter 19 Jahren. Was zum Schluß die Mädchen unter 16 Jahren anlangt, so ist der älteste ihrer Ehemänner nach der preußischen Statistik 38 bis 39 Jahre, nach der des Reichs 27 bis 28 Jahre alt. Ein noch höheres Alter des Ehemannes würde in diesen Fällen auch zu unnatürlich und ungleich sein. Es geht auch so. In einer kleinen Stadt bei Berlin wird ein Fest gefeiert, eine jener Unterbrechungen der Arbeit für den Kreis der Wohlhabenden, an deren Ausbau der Mcnschengeist intensive Kraft verschwendet. Bald ist es eine Einweihung, bald ein Schützen-, Ernte- oder Sport- fest, das zur Extraausspannung des Körpers und des Geistes lockt, aber auch schon des Tag des Jahrmarkts wird als halber Festtag angesehen an Gründen fehlt es selten. Man begnügt sich auch nicht mit einem. Tage, sondern nimmt gleich zwei oder drei in Anspruch das gefüllte Portemonnaie hält ja denBetrieb" bis zur Erschöpfung aufrecht. Und daß die ganze Stadr wenigstens scheinbar an den Feiern teilnimmt, sclbst dann, wenn die Honoratioren unter sich sind, beweist der Fahnenschmuck, der vor allem die privaten Gebäude ziert. Da kann man nun die gewiß erfreuliche Tatsache konstatieren, daß die Herr- sch'aften jetzt mit cinemmal über einerichtiggehende" Rcichsfahne verfügen:S ch w a r z- R o t- G o l d, das bisher soviel verlästerte Symbol der deutschen Freiheit. Die schwarzweißroten Fahnen sind verschwunden oder sie haben eine eigentümliche Wandlung erfahren, indem ihnen das Rot ausgeputzt wurde, so daß die Preußenfahne: schwarzweiß, allerdings in etwas schmächtigem Format übrig ge- blieben ist. Bürger, die der neuen Zeit ihre Reverenz erweisen wollen, ohne zu tief in den Geldbeutel zu greifen, knüpfen dann wohl noch ein kleines Fahncnband inSchwar-Rot-Gold an die Spitze der Fahnenstackge so schützt das Reich den alten Preußenstaat. Man wird diese Wandlung nur freudig begrüßen können das Trotzen mit der Fahne des untergegangenen Reiches hatte etwas Kindisches. Und die Moral: Rur fest den Gedanken an die Republik in die Köpfe gehämmert, dann fügen sie sich. Es geht eben auch so. <kin Schädling. Verurteilung eines ehemaligen Stadtrates. Unter der schweren Anklage der Bestechlichkeit hatte sich der frühere Stadtrot und Kaufmann Ernst Andrer aus Weißensee vor der Ferienstrafkammer des Landgerichts II zu verantworten. Der Angeklagte, der früher Brauereivertretcr war, dann als Ge- meindefchöffe in die Gemeindevertrewng Weißens« gewählt wurde, war Mitglied der UCP. und wurde schließlich Stadtrat. Als solcher wurde ihm die Leitung des Wohnungsamts in Weißensee übertragen. Der jetzigen Anklage zufolge soll er sich in dieser amtlichen Stel- lung wiederholt schwere Unregelmäßigkeiten haben zu schulden kommen lassen. Die Anklage behauptet, daß er sich von einem Drogisten Anders Schnaps und Wurst schenken ließ, ferner soll er von einem gewisien G n u s ch k der in Weißensee ein Grundstück erworben hatte und dieses nicht selbst bewohnen konnte, die Summe von 4000 M. erhalten haben, umgewiss« Schwierigkeiten" aus der Welt zu schaffen. Schon vor der Zoh- lunq hatte ein« ausgedehnte Kneiperei von 5 Uhr nach- mittags bis Mitternacht stattgefunden, die am nächsten Tage bis in die späten Nachmittagsstunden ihre Fortsetzung fand, um, wie der Angiklagte sich ausdrückte,den Affen aufzuwärmen". Durch«ine Zeitungsnotiz, die dem Angeklagten den Vorwurf der Bestechlichkeit machte, kam der Stein ins Rollen. Als der Ange- klagte vor den Bürgermeister P f a n n k u ch zitiert wurde, legte er kurzer Hand seine Acmter nieder. Trotz dieses merk- würdigen Verhaltens bestritt der Angeklagte vor Gericht jede Schuld und ließ durch Rechtsanwalt Dr. Sack einen umfangreichen Zeugenapperat aufbieten, daß die Belostungszeugen unglaubwürdig seien. Nach einer mehrstündigen Beweisaufnahm« beantragte der

Staatsanwalt eine Geldstrafe von 5000 M. Ueber diesen Antrag ging das Gericht weit hinaus und verurteilte den Angeklagten zu einer Gefängnisstrafe von 1 Jahr, zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von drei Jahren. Die 4000 M. wurden für versallen erklärt und der An- geklagte wegen Fluchtverdachts sofort verhaftet. In der Begrün- d u n g des Urteils führte der Vorsitzende u. a. folgendes aus: Es handelt sich hier nicyt um einen kleinen Beamten, sondern um den Äorsteher eines Wohnungsamtes, dessen Stellung in heutiger Zeit von besonderer Bedeutung ist. Der Angeklagte wußte, daß in der Oeffentlichkeit den Beamten der Wohnungsämter ohnehin schon Bc- stechlichkeit nachgesagt wird. Aus diesem Grunde hätte er besonders auf den guten Ruf seiner Dienststelle Wert legen müssen. Der An- geklagte hat lediglich aus schnödem Eigennutz gehandelt und so dem Gerücht der Bestechlichkeit der Wohnungsämter neue Nahrung zugeführt, demzufolge nur der reiche Mann heute eine Wohnung bekommt. Aus diesem Grunds mußte das Gericht auf eine ganz exemplarische Strafe erkennen.

Das internationale Berlin . Eine Rekordziffer des Ausländerverk�ehrs weist die amtliche Statistik des Berliner Fremdenverkehrs für den abgc- laufenen Juli nach. Unter 128 053 hier eingetroffenen Fremden waren, mach der Feststellung derZentrale für den Fremdenverkehr Groß-Berlins", 32 403 Ausländer. Damit ist zum ersten Male ein Anteil von 25 Proz. der Ausländer in Berlin erreicht und sogar überschritten. An er st er Stelle erscheinen diesmal statt der benachbarten Schweden die Amerikaner mit 3964 Gästen. Schweden nimmt diesmal den zweiten Platz ein mit 3945, Dänemark folgt mit 3457, die Tschechoslowakei , deren Kronenwährung im Lause eines Jahres Geltung und Kauf- kraft um das Fünfzehnfache gesteigert Hot, tritt zum ersten Male mit 3319 Besuchern auf. Holland schließt sich mit 2499 an, O e st c r- reich mit 2289, Rußland mit 1985, Norwegen mit 1704, Polen mit 1684, Ungarn mit 1623, E n g l a nd mit 1488, die Schweiz mit 1149, Frankreich mit 824, die B a l k a n st a a t e n mit 773, Italien mit 647, Belgien mit 517, Spanien mit 400, Asien mit 259, Afrika mit 177, die Türkei mit 176 usw. Die Anziehung der gesunkenen Markwährung tritt darin zutage, daß namentlich in der zweiten Hälfte des Juli der Ausländerzuzug sich steigerte._ DieHeldmaschine'. Ein« neue Bande von Dollarfabri kanten ist von der Falschzeldabtcilung der Reichsbank unschädlich gemacht worde-i. Die Gauner arbeiten in der Weise, daß sie den Inhaber einer Hundertdollarnotc suchen und ihm nun erzählen, daß sie eine Erfindung gemacht hätten, die es ihnen ermögliche, nach einer Originaldollarnote Nachbildungen herzustellen. Es finden sich auch solch« Leute, und dann zeigt man ihnen eine ,.M a s ch i n e zum Ge l d m a ch e n" und zahlreiche Fläschchen, die in dem Hinter- zimmer eines Restaurants untergebracht sind. Unter endlosen Vorbereitungen wird dieGeldmaschine" in Betrieb gesetzt, nachdem die Dollarnote hineingctan ist. DerErfinder" der Ma- schine schwitzt fürchterlich und nach langer Zeit kommt ein schwaches Abbild der Originalnote zum Vorschein. Der Besitzer der echten Dollarnote bemerkt, da er durch die langen Vorbereitungen er- müdet ist, nicht, daß es sich um ein Spiegelbild handelt. Der Erfinder " erklärt, daß die Maschine noch länger arbeiten müsse, um bessere Scheine zu erzeugen. Er geht danneinen Augenblick" hin- aus und kehrt nicht zurück. Der Eeldmann bleibt allein bei der Maschine Wenn er sich zuguterletzt seine neue Not« aus der Ma- schine herausnimmt, so erkennt er, daß seine alte echte oer- s ch w u n d e n ist und daß für ihn nur ein wertloses Stück Papier zurückgeblieben ist. DerErfinder" hat während seiner schwierigen" Vorbereitungen durch den Verwechselungs- l r i ck die Hundertdollarnote in seine Tasche gebracht. Mit der Ma- schine, die er dem Geldmann zurückläßt, kann dieser noch weniger anfangen als er selbst. Fachleute erklmen ihm bald, daß sie ledig- lich aus einem Jnhalationsapparat. einer kleinen Elektrisiermaschine oder dergleichen besteht. Die Bctro- genen machen meistens keine Anzeige, weil sie irrtümlich annehmen, daß sie sich selbst auch strafbar gemacht hätten. Die Bande, die jetzt verhaftet wurde, bestclnd aus drei Mann. DerErfinder" war ein Kaufmann Hirsch Schöhn aus Libau , seine Gehilfen spielten ein Friseur S« r e p e aus Danzig und ein Kaufmann S i d n e y Günsberg aus London . Die Verhafteten wurden gestern dem Untersuchungsrichter vorgeführt 30 000 M. konnten ihnen noch ab- genommen werden. Betrogene, die noch keine Anzeige gemocht haben, werden ersucht, sich bei Kriminalkommissar von Lieber- ma n n,.Kurstraße 49, zu melden.

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Der Sprung in die Welt. Ein Iungarbeikerroman von Slrtur Zickler.

Der Herr Pfarrer strich sich seinen Knebelbart und sagte: Selig sind die Armen, denn das Himmelreich ist ihrer, und selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich bc- sitzen. Dessen wollen wir stets eingedenk sein auf unserer Lebensbahn. Dami.t wollen wir für heule schließen." Die Iungens erheben sich und strömten aus der Sakristei ins Freie. Da rief der Pfarrer einen von ihnen zurück. Rudi Sonntag nahm die Mütze, die er eben aufs Ohr gestülpt hatte, wieder ab.Wenn du den Hans Onfreder triffst, so sag ihm, daß ich mir seine Schwänzereien nicht gefallen lasse. Wir haben noch vier Stunden vor der Konfirmation, wenn er die nicht einhält, werde ich ihn nicht konfirmieren und damit basta. Sag ihm das!" Rudi"machte einen unbeholfenen Diener und ging. Draußen wartete eine Schar von sechs Jungen. Sie waren neugierig.Was ist los?" Onfreder ist ein Aas," sagte Rudi.Schneider will ihn nicht konfirmieren, weil er nicht kommt, wenn Gottes Wort hingelegt wird. Ich habe Hans heute vormittag gesagt, daß es Krach gibt, aber er meinte, er sei kein Freund von Leinöl und ist heute nachmittna mit seiner Bande in die Heide ge- zogen, um den Letzten Mohikaner zu mimen." Sie liefen an den Mietsgärten entlang. Es war ein wilder Frühlingsabend. Zartes Rot tönte den westlichen Ho- rizont.Hallo," rief einer,ich wette, dort kommen die Mohi- kaner." Eine verwegene Schar kam den Feldweg herauf, Iun- gens und Mädels, mit braun beschmierten Gesichtern und bun- tem Behang. Sie waren mit Flitzbögen und Knüppeln ausge- rüstet; ihr Häuptling trug einen Kopfschmuck aus Kräften- federn. Beim Anblick der Präparandenschüler stießen sie den Kriegsruf aus. Hallo Onkreder! Halte die Luft an!" schrie Rudi und ging auf den Häuptling zu. Hugh," antwortete Onfreder und seine Zähne blitzten aus dem dunkel bemalten Gesicht.Was hat der Medizin- mann gesagt? Hat er den Donner Manitous auf mein Haupt beschworen? Sprich. Gefährte meiner Pfade, es soll ihm kein Kaar gekrümmt werden,,..__________

Rudi richtete seinen Auftrag aus.Hat er dos ge- sagt..." meinte Hans nachdenklich,ich werde es mir merken. Gehst du jetzt nach Hause warte, ich komme mit." Dann verabschiedete er sich von seinem Stamm. Hans sah wieder europäisch aus. Er rieb sich mit dem Handtuch ab und sagte zu Rudi, der auf dem Sofa saß: Brenn die Lampe an, wir wollen den Carnegie lesen. Wir sind kaum in der Hälfte des Buches, bald ist Schulentlassung, und du weißt doch, wir wollen Millionäre werden. Ich halte dafür, wenn wir es genau so machen wie Carnegie, muß uns das gelingen. Mein Alter sagt immer:Ans dir wird nischt, holleluja!" und will ich ihm das Maul mit Geld stopfen." Rudi räkelte sich auf dem Sofa:, mir ist gerade so stimmungsvoll. Mit dem Carnegie warten wir noch ein Weilchen und das Millionärwerden hat auch Zeit. Horch mal, die Luftschaukel!" Bon unten quengelte ein LeierkastenTV> Flurs.md Strifcs" herauf. Hans setzte sich aufs Fensterbrett und trommelte an der Scheibe den Rhnthnms zur Melodie. Vom Trockenplatz, der dem Hause gegenüberlag, blinkten die Lampen der Luftschaukel herauf, deren Gondeln sich munter schwangen. Hans bekam es mit der Sehnsucht.Rudi, hast du Geld?" Ich habe dreißig Pfennig vom Kaufmann fürs Kartoffel- schleppen bekommen." Das klappt ja. Ich habe noch zehn. Auf. laß uns das verprassen!" Sie stürmten die Treppe hinunter, vier Stufen auf einmal. An der Schaukel trafen sie eine Menge Bekannte, darunter einige Mädels gleichen Alters, die süße Augen mach- ten, um mit in die Gondeln zu kommen. Die beiden legten ihr Vermögen in Schaukelmarken an, nahmen jeder ein Mädel mit in die Schiffchen und wetteten, wer zuerst oben sei. Die Lampen schwangen und der Sternenhimmel bäumt'e sich über ihnen, der Leierkasten sana Fröhlichkeit, und süße Melancholie ins Blut, die Gesichter der Mädchen waren heiß und liah, Haare und Kleider flogen. Als die Marken alle waren, lösten Hans und Rudi zeit- weilig den alten Schaaf, dem die Luftschaukel gehörte, an der Drehorgel ab und ergatterten sich damit Freifahrten, bis ein gewaltiger Appetit sie nach Hause trieb. Sie hatten eine Reihe Gelegenheiten erfaßt, Geld zu ver- dienen, die ihnen nicht nur gestatteten, ihren Müttern zuweilen

unter die Arme zu greifen, sondern ihnen auch die Möglichkeit gaben, sich kleine Vergnügungen zu verschaffen, ohne die ihnen das Leben zu langweilig gewesen wäre. So besorgten sie in den Nachmittagsstunden Botengänge, die ste mit einer Ge- fchwindigkeit erledigten, welche bei ihren Auftraggebern hoch geschätzt wurde. Als Antrieb zu diesen Läuferleistungen hatten sie alte Kinderwagenräder in Benutzung, die beim Alteisen- bändler für einen Groschen zu erstehen waren und sogar auf Gummi liefen. Durch die Nabe eines solchen Rades wqrde ein Holzpflock getrieben, gelenkt wurde mit einer Latte und das leicht voranrollende Rad balf, besonders auf dem Asphalt, weite Strecken mit viel weniger Mühe als ohne diesen Schritt- macher überwinden. Am Sonnabendnachmittag um drei Uhr traf sich die Fuß- ballbande auf dem Exerzierplatz. Mit Ziegelsteinen wurden die Tore markiert, eine bereits arg ramponierteAume", wie der Fußball genannt wurde, blies man mit vereinter Lungen- kraft prall auf und rempelte dann drei Stunden lang mit Feuereifer ein Goal nach dem anderen, wenn die arme Aume nicht vorzeitig ihre getretene Gummifeele aushauchte. Pünktlich um sechs Uhr wurde das Wettspiel abgebrochen, Badehosen wurden aus den Taschen geklaubt, und alles lief zumGermaniabad". Das war ein großes Schwimmbassin der Vorstadt und an diesem Tage um diese Zeit so überfüllt, daß die nackten Leiber nur so durcheinander quaddelten. Man drängte sich unter den Duschen, die, sechs an der Zahl, Wasser- ströme verschiedener Wärmegrade niederstrahlten, und stürzte sich dann von den Wippen herab in das kühle Bassinwasser. wo es am tiefsten war. Sich in der Abteilung für Nicht- schwimme? zu ergehen, galt als verächtlich und eines aus- gepichten Vorstadtjungen unwürdig lieber einmal beinahe ersaufen! Nur die Dreimeterwippe galt als standesgemäß. trotzdem oder gerade weil sie ibre Tücken hatte. Hans war der erste Sprung vom höchsten Brett noch in schmerzlicher Er- innerung. Wenn man nämlich nicht senkrecht in die Wasser- fläche stieß, sondern mit dem Bauch aufklatschte, erlebte man eine grimmige Ueberraschung; Hansens Nabelgegsnd schim- merte damals drei Tage lang in den schönsten Regenbogen- färben, aber den Hechtsprung hat er seither tadellos heraus. Auch andere Rekorde wurden aufgestellt, man wettete, wer am längsten unter Wasser bleiben könne, und ein unbestech- licher Schiedsrichter patzte auf, daß keinerVorschuß" holte. (Fortsetzung folgt.)