Einzelbild herunterladen
 
Nr. 394 39. Jahrgang
Heilage öes vorwärts
dienstag, 22. August) 9'
dm Reiche öer Maschinen.
in.*) aiBi, i���renzt con. der Hutten-, Wiebe-, Sickingen- und Ufnaustraße, ein seltsames Fabrikgrundstück, richtiger: Fa- b r i t e n grundstück. Es sind dort, ohne durch Mausrm oder Zäune getrennt zu sein, drei Fabriken oereinigt: die Turbinen- fabritderSlEG., die Osramglühlampenfabrit und die Fabrik von Loewe  , außerdem laufen noch die Eisenbahn- Waggons, die Material für die B e r l i n- A n h a l t i s ch« M a- schinenfabrik heranbringen, über die auf diesem Grundstück liegenden Gleise. Di« Turbinenfabrik, der heute unser« Aufmerksam- keit gilt, wurde im Jahre 1303 hier»ingerichtet und sie ist einer der kleinsten Betriebe des AEG.-Konzerns, denn in ihr schaffen,nur" rund 4000 Arbeiter, um die modernste und trotz mannigfacher konstruktiver Feinheiten einfachste Dampfmaschine, die Turbine, zu erzeugen. * Die Turbinenkatheörale. An der Ecke der Hutten- und Wiebcstraße ragt ein architektonisch hervorragend durchgebildetes Bauwerk zu 26 Metern Höhe auf. Wie ein Knstallpalast steht es da, und das Licht flutet ungehemmt von ollen Seiten in das weite Innere, das stch reckt wie das Schiff einer riesenhaften Kathedrale. Doch da ist nichts von Feierlichkeit und Ruhe zu finden. Diese Kathedrale, die nur vom Sang der Arbeit widerhallt, ist angefüllt mit Maschinen und Maschinenteilen, mit Werkzeugen und Menschen, die darin herumwimmeln wie Ameisen in ihrem Bau. Jedes Fleckchen ist rationell ausgenutzt und trägt fein Arbeitsstück. Die ganze Atmosphäre ist von" einer Erregung erfüllt, wie sie nur intensivstes und dabei verantwortlichstes Schaffen zu erzeugen vermag. Das Auge kann unmöglich die Fülle der Ein- drücke, die sich hier darbieten, aufnehmen. Ein Chaos von Ma- fchinen, von schwingenden und drehenden Teilen, von Menschen- leibern und Eisen ist das einzige, was der unvorbereitete Besuchen zunächst wahrnimmt. Erst allmählich erkennt er die Ordnung, die das Ganze dennoch beherrscht und in ihm wächst die Achtung vor den Leuten im schlichten Gewände, die hier tagein tagaus im Reiche der Maschinen wirken. In der groß?» Halle der Turbinensabrik stehen Werkzeug- Maschinen jeder Art und jeder Größe. Aufmerksam beobachten die Großdrehcr" auf ihren Bänken die riesigen Wellen für die Tur- bincn oder Dynamos  , von denen der Drehstahl unerbittlich Span auf Span   herunterschält, bis das richtige Maß erreicht ist. Dohr- Maschinen senken ihre Spipalbohrer in die eisernen Leiber der Ma- fchinengehäuse. Auf einer großen, metertief fundamentierten Auf- spannplatte ist die Grundplatte einer großen Turbodynamo be- festigt und eine Fräsmaschine von ganz besonderer Art fräst die große Fläche sorgsam ab, wobei das Werkstück festliegt, während der ratierenA« Fräser in der Längs- und Höhenrichtunq bewegt wird. Zwischen all diesen kreischenden und knirschenden Maschinenunge- heuern stehen die.Dorzcichner" an ihren sauberen Eiientischen, den -Anreiftplalten", und zeichnen mit unerschütterlicher Ruhe auf den mit Schlemmkreid« bestrichenen Flächen der Maschinenteile alles nach, was auf den Zeichnungen angegeben ist, damit die' Männer an den Arbeitsmaschinen sichere Anbaltspunkte für das Eingreifen der von der Maschine bewegten Werkzeuge haben. Dlaschinen- bauer lagern mit großer Sorgfalt Wellen ein. Mit dem Schaber gleichen sie letzte Ungenauigkeiten aus. Ueber dem Ganzen aber thronen sicher und ihrer Verantwortlichkeit bewußt die Kranführer, die in dieser mit Maschinen geradezu gepflasterten Halle die Zentner- lasten, die an den Ketten ihrer Kräne dahinschweben, mit fabel- hafter Genauigkeit gerade auf dasjchmale Plätzchen setzen, das noch frei ist. Ein falscher Hebeldruck genügt, um kostbare Arbeiten un- widerruflich zu vernichten. Neben Turbinen in jedem Baustadium ragen am End« der Halle   Dieselmoloren von etwa 1500 Pserdeslärken auf, und der Vergleich zwischen diesen modernen Rieseb mit einer gleichstarken winzigen Turbine gibt ein anschauliches Bild von den Gegensätzen, die in diesem Titanenreich Herrschen. In anderen Teilen der weiten Halle werden Induktoren für die großen Dynamomaschinen hergestellt, die, von den Turbinen an- getrieben, elektrischen Strom für tausendfache Zwecke erzeugen. Don besonderem Interesse ist die Herstellung der Spulen, für die unter anderem auf einer besonderen Maschine breite flache Kupferschienen hochkant im rechten Winkel gebogen werden, und man weiß nicht, ob man dem Konstrukteur dieser Maschine oder dem Arbeiter, der pe bedient, mehr Achtung bezeugen soll.
Eine technische Meisterleistimg.
So einfach die Turbine in ihrem grundsätzlichen Aufbau ist, so hoch ist dennoch der Genauigkeitsgrad, der bei ihrer Herstellung ver- langt wird. Disserenzen von 1Iim Millimeter können katastrophale folgen nach sich ziehen, und so unierliegen alle Teile, die zum Zu- sammenbau komme», einer besonders sorgsältigen Kontrolle. Die Turbine besteht im Grunde geirdmmen aus einem Gehäuse, das die Leitschauselu" enthält, die den Dampf in die Richtung leiten, die nötig ist, um mit größtem Tlulzessekt auf die Schaufeln derLaus- räder" zu treffen, die auf eine Welle ausgekeilt im Innern des Ge- Hauses gelagert sind. Der Dampf wirkt also auf die Schaufelräder ähnlich wie der Mühlgraben auf das Wasserrad. Während bei der Kolbendampsmaschine die Ausdehnung des Dampfes zur Arbeits- lcistung nutzbar gemacht wird, wirkt bei der Dampslurbine die Strömungsenergie", die gleich der Masse mal- der Geschwindig­keit des Arbeit-dampfes ist. So ist denn auch die Umdrehungszahl der Turbine eine so hohe, daß sie unmittelbar- mit der Dynamo ge- kuppelt werden kann. Für. den Antrieb von Schissen muß die. Um- drehungszahl der Turbinen entsprechend der Propellergeschwindig- keit ganz erheblich vermindert werden. Die Größenoerhältnisse und damit auch die Leistungen der Tur- binen sind ständig gewachsen. Während für das Großkraftwerk In Golpa, das zum Teil auch Berlin   mit Strom versorgt, Maschinen von 16 000 Kilowatt Leistung gebaut wurden, die die Bewunderung der Fachkreise erregten, sind jetzt sür das Kraftwerk in Goldenberg Bei Köln   a. Rh. Turbinen von 50 000 Kilowatt im Bau, nachdem bereits zwei von diesen Ungeheuern geliefert wurden und mit Er- folg arbeiteten. Welche einschneidende Wirkung die Herstellung dieser Maschinen hatte, möge die Tatsache beweisen, daß es zunächst nötig war, die Bahnsirecke Berlin   Köln   auf ihre Festigkeit zu unter- suchen und teilweise zu verstärken, um die Belastung durch den Transport dieser schworen Maschinenteile ertragen zu können. Auch in der Fabrik selbst mußten besondere Hcbevorrichknngen gebaut und die Gleisanlagen befestigt werden. Ferner wurde ein beson- derer Transportwagen von den Linke-Hyfmann-Werken in Breslau   geliefert, da selbst der schwere Eeschützwagen von Krupp in Essen diesen Belastungen nicht gewachsen war. Trotz sorgfältigster Untersuchungen vermochte der zunächst gelieferte Wagen nicht den gestellten Anforderungen zu genügen, und erst eine zweite Aus- führung erwies sich als einwandfrei. Man kann sich vorstellen, welche Leistung sowohl Transport als auch Montage dieser schwe- ren Maschinen mit ihren umfangreichen Kondensatoren war, und es ist als ganz hervorragende Rleisterleistung der Ingenieure und Arbeiter zu westen, daß diese Maschinen, die hier in der Fabrik nicht zur Probe' laufen konnten, nach ihrem endgültigen Einbau im Kraftwerl Goldenberg den auf sie gesetzten Erwartungen voll entsprechen.
Diese Maschinen werden besonders gern in Fischereifahrzeuge und Küsteusegler eingebaut und gleich mit dem dazu gehörenden Pro- peller. geliefert. Das Kraftwerk der Fabrik ist seiner besonders übersichtlichen Anlage wegen sehr bemerkenswert. Haupt» und Hilfsmafchinen sind gleichmäßig übersichtlich angeordnet und können so sorglich gewartet werden. Im ganzen gewinnt man den Ein- druck, als ob die Fabrikation auch hier schon wieder längst über den zur Verfügung stehenden Raum hinausgewachsen sei. Es ist, als i-b ein Riese seine Fesseln sprengen wolle.
Soll öer Zoo fthließenl
vom Maschinenteil zur fertigen Maschine.' Die sogenannte alte halle der Turbinenfabrik zeigt in ihrem Innern ähnliche Bilder, wie sie in der neuen großen Halle zu sehen sind. Auch hier erkennt man bald, wie der Fabrikotionsgang ge- regelt Ist: an der einen Seite der Halle kommen die unfertigen Maschinenteile hinein, ans der anderen Seite ver'.äzt die zusammen- gebaute Maschine den Raum. So findet man beim Durchschreiten der Halle   Turbinen in jedem Baustadium. Auf einer sehr tief funda- mentierten Grundplatte ist eine Fräsmaschine aufgestellt, die Zahn- räder mit größter Präzision möglichst erschütterungsfrei fräsen soll. In einem provisorischen Bauwerk an der Sickingenstraß«, gegdn- über dem eigentlichen Fabrikgebäude, werden die Tausende von Tur- binenschauseln hergestellt. Etwa halbrund profilierte Eisenstangcn werden zunächst gerichtet und gefräst, dann gezogen und schließlich von Halbautomaten weiter bearbeitet und in Stücke geschnitten, Der Unifting der Schaufelräder, der eine Rille trägt, nimmt dann die Schaufeln auf, die auf einer SpezialMaschine eingebracht und schließlich durch an ihnen sestgenietete Bandagen unlöslich mitein- ander verbunden werden.
Berlin   ist in Gefahr, seine populärste Bildungsstätte zu ver- lieren. Bon maßgebender Seite wird uns die zurzeit äußerst be- denkliche wirtschaftliche Lage des Zoologischen Gartens in folgendem geschildert: Jedes Theater, jedes Kino kann seine Eintrittspreise heute fast ganz ohne Gefahr der Geldentwertung entsprechend erhöhen. Anders steht Sue Sache bei dieser Schau- und Bildungsstätte. Bestrebt, weiteste Volksschichten mit der Tierwelt bekannt zu'machen, kann man hier nicht die zur Erhaltung des Ganzen notwendigen hohen Eintrittspreise fordern. Die Haupteinnahmequelle des Zoologischen Gartens ist der S o m m e r. Es muß also im Sommer mit den Eintrittspreisen soviel verdient werden, damit im Winter, wo die Besucherzahl erheblich nachläßt, davon gewirtschaftet werden kann. Vier Monate hindurch, vom Mai bis August, währen die Haupt- besuchszeiten des Zoo. Leider ist dieser Sommerverregnet" und das hat zu wesentlichen Stockungen im Besuch geführt, so daß die Einnahmen in diesem Jahre eben gerade für den Bedarf des Sommers ausreichen. Die immer weiter treibende Teuerungswelle hinterläßt auch im Zoo ihre gefährlichen Wirkungen. Futter- t o st e n und das enorm teure Heizmaterial saugen die Geld- lassen vollständig aus. Ein kleines Beispiel: Um das Futter für die Tiere zu beschaffen, müssen pro Jahr 2Vi Millionen Mark aufge­bracht werden. Die Heizung erfordert etwa 2 300 000 Mark. Und diese fast 5 Millionen Mark sollen allein durch die Eintrittspreise aufgebracht werden. Das ist natürlich nur unter allergünstigsten Verhältnissen möglich. Ein Elefant kostet heute weit über 600 000 Mark und er ist wohl mit der größte Fresser des Zoo. Seine Füttc- rungskostcn belaufen sich- im Durchschnitt täglich auf etwa 1200 M. Der Zoo, der im Jahre 1913 mit etwa 2000 verschiedenen Tierarten auswarten konnte, zeigt heute, trotz des Krieges und der veränderten Verhältnisse noch weit über 100 Arten. Sind soundso viel Tiere da, so muß auch eine entsprechende Anzahl von Wärtern vorhanden sein. Das Defizit des Zoologischen Gartens beträgt 4 Millionen Mark. Es besteht die Aussicht, das Defizit um 3 Millionen ver- ringern zu können, und zwar durch eine dreimonatige Schließung. Das Tiermaterial muß natürlich auch im Winter ge- füttert werden, aber die Schließung von vier bis fünf Tierhöusern erspart zunächst die gewaltigen Heizungskosten. Die Bewohner dieser Tierhäuser legt man mit anderen Tieren zusammen und schränkt so die Wövterzahl um 60 Mann ein. Wir wollen hoffen, daß es nicht soweit kommt. Auch im Winter hat der Zoo seine Reize, und es ist der Wunsch Hundcrttausender, daß er seine Pforten stets offen hält. Reich, Staat und G e- m e i n d e haben jetzt das Wort. Werden nicht schnellstmöglich Garantien für die Offenhaltung geschaffen, dann hat Berlin  eine seiner wichtigsten Bildungsstätten für einige Zeit verloren!
') SieheVorwärts" Nr. 255 und 334.
Neben der Hauptfabrikation sind auf dem Wert eine Reihe durchaus achtunggebietender Rcbcnbetriebe untergebracht. Außer der Schmiede und der Modelltischlerei, die immechin noch als Teile der eigentsichen Turbinenfabrik gelten müssen, werden in weiten Sälen auch noch Rolakionspumpen und Glühkopsmokoren hergestellt, Maschinen, bei denen das Betriebsöl durch eine glühende Zylinder. Haube entzündet wird und dann durch seine Explosion Arbeit leistet.
19Ö Jfijöt
Einheitlicher Nilchpreis. Neue Beschlüsse der städtischen Ernährungsdeputation. Am gestrigen Montag mittag hat die Ernährungsdepu- tation des Magistrats getagt und mehrere Beschlüsse gefaßt, die für die Ernährung der Berliner   Pevölkerung von Bedeutung sind. Zunächst ist beschlossen worden, mit dem System der Milchoerbilligung zu brechen. Bisher erhielten werdende Mütter und Kinder Milch, die billiger war als die im freien Verkehr befindliche. Die Milchverbilligung geschah in der Weise, daß die Milchhändler auf die freie Milch einen gewissen Prozentsatz auf- schlagen mußten, der dann vom Milchamt der Stadt Berlin   zur Berbilligung der Kartenmilch verwendet wurde. Das Kartensystem soll zwar beibehalten werden, doch wird die Kartenmilch genau
16]
Der Sprung in die Welk. Ein Jungarbeiterroman von Arkur Zickler.
Ueber Osnabrück   waren sie nach Münster   gelangt. Ihr Ziel war das westfälische Industriegebiet: überall hatten sie gehört, daß sie aus den Hütten und Zechen bestimmt Arbeit finden würden. In der Münsterschen Herberge war eine ge- diegene Zunft beisammen: ein Gitarrenspieler wußte alle Lieder, die auf den Landstraßen zwischen Mosel   und Weichsel  . Eider und Saoe gesungen werden und das ist allerhand. Am schönsten war es im Schlafsaal. Wenn der Vizeboos das
Licht verlöscht hatte, ging das Geschichtenerzählen los. In der Dunkecheit waren die Stimmen und Seelen anders als am
Tage, klarer und voller. Die Alten hatten so viel erlebt, und die Jungen hatten so viel vor. und weil-sie aus allen Richtun- gen der Windrose hergekommen waren und weil ein jeder eine andere Philosophie hatte, gaff�es nichts Kurzweiligeres, als diese Gespräche im Finstern. Da waren bekannte Gestalten, die jeder alte Kunde kannte: der verlumpte Baron, der den Rhein  , und der Heiland, der die Landstraßen zwischen Mailand  und Neapel   unsicher machte. Da wurde der Direktor des Dresd- uer Arbeitshauses lobend erwähnt oder der Boos in der Wiener Penne Pokorny durch den Kakao gezogen. Man pries die Bauern von Schleswig   und sprach mit Verachtung von den sächsischen. Die Jungen schwärmten von Erlebnissen mw hüb- schen Mädchen, die Alten von guten Mahlzeiten. Einer war in der Fremdenlegion gewesen und wollte es bis zum Korporal gebracht haben: er schimpfte auf die Araberweiber und kannte ein Dutzend französi'cher und spanischer Flüche. Es machte ihm Vergnügen, die versckiedenen Trompetensignale nachzuahmen, und das gelang ihm so gut, daß man für Augenblicke glauben konnte, in einer Kaserne von Sidi-bel-Abb6 zu liegen und nicht in einer Penne des Münsterlandes. So schimmerten einmal die Terrassen von Trieft, dann wieder die Türme von Kopen- Hägen oder der ewige Schnee des Gotthard   in die dumpfe Herbergsnacht, und verwehte sehnsüchtige Seelen grüßten sich wie Schiffe, die aneinander vorüberfahren. Hinter Münster  , an der Straße nach Hamm  , siegen zwei Klöster. Lange Wege, an dunklen Bäumen vorbei, führen zu den Pforten. Das Tor des Nonnenklosters war verschlossen, bei den Mönchen aber wurde ihnen geöffnet, und ein seltsam schön« Man« gab den Frnmde» Milch«vd weißes Brot.
Während sie aßen klang eine Orgel zu tiefem Männergesang: ein Hauch weltfremden Friedens umwehte sie und machte sie still. Hans dachte, ob wühl auch für ihn einmal eine Zeit kommen würde, da er sich nach einem solchen Haus und so frommer Gemeinschaft flüchten müßte, wo er singend und auf Gott   schauend das Ende seiner irdischen Tage erwarten könnte. Das waren die Gedanken, die von diesen Mauern ausströmten: das Leben flieht wie ein Traum, ist nur eine Gebärde, die sich selbst nicht kennt. Im Nebenraum sprach eine hohe Männer- stimme langsam und lackt:
Was ist einer, was ist einer nicht? Eines Schattens Traum ist der Mensch. Doch wenn ein Strahl von Gott auf ihn fällt, dann ist ein heller Glanz um den Mann und ein seliges Leben... Lange noch schwangen diese Worte in Hans nach: sie zitterten zwischen den Sonnenstrahlen, die auf den Feldern lagen, atmeten aus den grünen Bäumen uiid klangen aus den Mittagsglocken. Die Landschaft veränderte sich. Wie Titanen, die sich aus der Erdkruste   herausbrachen, tauchten Hochöfen auf, rußige Effenwälder mit schwarzem Gewölk, Fördertürme, auf denen die Seilräder sirrten, Schachtbäuser mit singendem Läutewerk. Hohe Seilmasten standen im Land und reichten sich schwebende Karren zu, gefüllt mit Kohle und Erz. Holprige Gleise glänz- ten durch die Felder, rote Koloniehäuser lösten die Gehöfte ab. Hamm  , die schwarze Stadt, rückte heran und brüllte mit Dampf- sirenen den Wanderern entgegen. Trostlose, häßliche Straßen nahmen sie auf, umkrallten sie: hier müßt ihr bleiben und euren Schweiß lassen, arbeitet oder hungert! Eine graue Schicht legte sich über alles, über Steine und Gerät, über Ge- sichter und Seelen.' Hie? stöhnte und ächzte alles mit müder Erregtheit, das Eisen und di" Menschen, die ineinander ver- nietet waren und sich ohne Maß und hoffnungslos hassen mußten. Es heißt, daß der Weg zum Himmel ein schmaler, die Straße zur Hölle ein breiter sei breit ist die Chaussee, die aus der Stadt hinaus nach den Zechen Radbod und de Wendel führt. Wie langleibige Raubkatzen liegen die Zechengebäude vor den Schächten, die sie auswühlen, und fauchen aus ihren Essen funkende Gier. Die der Erde entrissene Kohle häuft sich zu Bergen und wandevt rastlos in das Land hinaus,
Hans und Rudi stellten sich bei der Arbeiterannahme. Der Bergbau braucht immer neue Menschen zum Verschroten. Drei Tage Tagbau  , dann Einfahrt in die ewige Nacht. Doch vorerst sollten sie zur Stadt zurück zur Untersuchung des Stuhlgangs: Wurmkranke wurden nicht eingestellt. Mit dem Untersuchungs- schein in der Tasche traten sie den Rückweg an, mitgespült von dem schwarzen Strom der Grubenarbeiter: denn es war ge- rade Schichtwechsel. Der Abendschein lag auf den Kaminen, die wie blutige Götzen leuchteten. Ein unheimliches Schlacht» feld, dachte Hans. Mit einemmal riß es beide fort: sie liefen immerzu, durch die Stadt, über sie hinaus, in-die Nacht hinein. Fort, nur fortl Doch das Revier hatte sie und ließ sie nicht mehr los. Ueberall blitzten die Lichter der Werke, flammten die Oefen in die Sterne hinein, von überall her' dröhnte und stöhnte der Kampf mit den Gewalten der Erde. Müde uyd frierend schlotterten sie dem Tagwerden zu. Sie schämten sich ihrer Feigheit, erkannten die Unentrinnbarkeit des Schicksals und nahmen sich vor, in Dortmund   Arbeit zu ergreifen. Hart ist die Welt und will mit harten Händen bezwungen werden.
Arbeiterkinder tummelten sich auf den Wegen der Kolonie. An den Zäunen Gruppen von plaudernden Frauen. Das Werk polierte und zischte. Eine kleine Hand griff nach Hansens Rock. Er lachte und hob das Kind auf den.Arm:Wie heißt du denn?" Kathrinchen...", piepte die Kleine fröhlich und zupfte an Hansens Krawatte.Bist d» nicht ein neuer Onkel?" Hans nickte ernsthaft. Da lief eine Frau hinzu, lächelte und sagte: Sie schmiert sich immer an, die Deern, und hat schon ein« Reihe Onkels, hauptsächlich wegen Bonbons.' Sie scheinen fremd zu sein, suchen Sie jemand?" Die Frau hieß Pierkämper, ihr Mann war Vorarbeiter auf dem Werk, und sie hatte ein Bett für zwei Mann frei. Die Freunde steckten die Beine unter einen neuen Tisch, auf dem kräftiges Essen geliebt wurde. Pierkämper war ein um» gänglicher Mann: er riet ihnen, in der Kokerei zu arbeiten, wo er selbst beschäftigt war. Nach dem Abendessen gingen sie auf«hr kleines Dachzimmerchen und hockten sich ans Fenster. Ueber den Oefen loderte Flammenschein, drinnen aber rumorte, klirrte und stampfte es wie in einer Höllsnküche. (Fortsetzung folgt.)
H