JTt. SZ2 ♦ ZH. Jahrgang
Seilage öes Vorwärts
Freitag. IS. November 1922
Wenn der Dollar auf etwa 6IXX1 steht(augenblicklich etwa 8000), hat unsere Mark ungefähr nur den 1400> Teil ihres früheren Wertes. Wer ein Zwanzigmarkftück besitzt, erhält dafür von der Post oder der Reichsbank 20 000 M., b. h. wer fein Geld vor dem Kriege nicht auf die Sparkasse gerragen hatte, sondern in blanken goldenen Stücken daheim irgendwo gut versenkt aufbewahrte und nur 1000 Mark gespart hatte, der ist jetzt im Besitze von 1 Million P a p i e r m a r k, mit der sich, heute in Deutschland noch allerlei an- fangen läßt. Umgekehrt verdient derjenige, der 30 000 M. im Monat einnimmt, in Wirklichkeit nur 30 M., wenn man den Goldcmkaufs- preis des Reiches als Maßstab benutzt oder gar nur etwa 21,40 M., wenn man das Einkommen am Dollar mißt. Vom Standpunkt des valutastarken Ausländers arbeiten wir also außerordentlich billig, wir arbeiten geradezu für ein Trinkgeld. Untersuchen wir nun eine chaushaltrechnung vom Oktober dieses Jahres, die genaue Angaben über Ausgaben und Einnahmen einer Berliner Familie enthält, und vergleichen wir die Preise, wie sie stch in Papiermark und in Goldmark(1 Mark— 1000 Mark) darstellen, mit den Preisen, die für gleiche Mengen im letzten Jahre vor dem Kriege im Durchschnitt zu zahlen waren. Das Einkommen der Familie belief sich im Oktober aus 22 000 Papiermark, die auf folgende Weise verwendet wurden: Ausgaben für Lebensmittel. Lackwaren.
Fahrgeld:
Weitere slusgaben.
Die Gesamtausgabe für SedenSmittel...... 17 052,80 17,05.28 77,72 , sächliche Ausgaben..." 4 120,— 4,12 0 67,16
zusammen 21 17�,80 21.17.2S 144,87
Während also der Preis für die Goldmark um das lOOOfache und der des Dollars um mehr als das 1400fache gestiegen ist,- ist die innere kauskraft der Papiermark doch noch eine wesenllich höhere. Nach der vom Statistischen Reichsamt für den 25. Oktober als Stich» tag berechneten Indexziffer ergibt sich eine Steigerung um das 247sache der Vorkriegszeit. In unserem Beispiel ist die durchschnitt- liche. Verteuerung etwas geringer, da im Ansang des Monats Oktober sämtliche Preise niedriger waren als am Ende. Die für Lebensmittel verausgabte Summe von 17 052,80 Papiermark entspricht 77,72 Vor- kriegsmart. Es ist also hier eine Steigerung nm das ZZOsache festzustellen, während der Besitzer von Goldmark statt 77,72 Vorkriegs- mark nur 17 Mark und 5 Pfennige auszugeben braucht, um dieselben Waren zu erstehen. Das alte Goldgeld hat also in bczug auf Lebens- mittel eine 4'Amal so große Kaufkraft als früher. Bei den sächlichen Ausgaben, die 1L13 fast so hoch waren wie die Ausgaben für Lebensmittel, ist in unserem Falle nur eine Steigerung um das Slfache festzustellen. Es muß jedoch daraus hingewiesen werden, daß keinerlei Ausgaben für Bekleidung oder Wäsche usw. gemacht' wur- den, die das Bild wesentlich verändern würden, und es ist be- merkenswert, daß das Einkommen von 22 000 M. für solche. An- schafsunaen in keiner Hinsicht genügte, den» ein Anzug verschlingt dieses INonatsgchait ganz allein. Bei den hier aufgeführten säch- lichen Ausgaben kauft der Goldmarkbesitzer etwa 17mal billiger als im Zahre llllZ. Es erübrigt sich, daraus besonders einzugehen, daß der valulastarke Amerikaner noch wesentlich billiger kaust als der Goldmarkbesitzer, und wir erkennen, welche ungeheuren Summen
Papiermark jetzt aufgewendet werden müsien, um den Bedarf an Devisen zur Rohstosfeinfuhr usw. zu decken. * Inzwischen sind die Preise geradezu unheimlich geklettert, die Papiergeldslut steigt und steigt, ohne daß es der schaffenden Be- völterung gelang, ihre Lebenshaltung befriedigend zu gestalten. Es möge schließlich noch darauf hingewiesen werden, daß kinderreich« Familien in den allermeisten Fällen mit denselben Summen aus- kommen müssen, wie in dem Rcchnungsbeispiel für Oktober ange- führt ist. Bei weiter sinkenden Reallöhnen muß sich die Lage hier geradezu katastrophal gestaltem
�Rofenkavalier klaut m'ch". Die trübe Suppe der Not, an der heute Millionen mißmutig mit langen Zähnen löffeln, zeigt wenig erquickliche Dinge. Ein Fett- auge ist, um bei dem Bilde zü bleiben, eine seltene Angelegenheit und in den harten Elendskuchen gar, an dem wir uns die Zähne ausbeißen, sind die Rosinen sehr dünne gesät. Wie leicht nun ein Füntchen harmlosen Humors über die Alltagssorgen hinweglciten kann, zeigte kürzlich eine Verhandlung vor dem Schöffengericht. Angeklagt wegen Diebstahls war der KOjährige Straßenhändler Karl Busse . Der Angeklagte ist wie man so sagt, eine Type für sich. Jahrzehnte lang hotte er Unter den Linden , obwohl dies polizeilich verboten war, zwischen Kranzler-Ecke und der Lindenpassage mit Blumen gehandelt und, da er besonderen Wert auf langstielige Rosen legte, die er mit. artiger Verbeugung den Damen anzubieten pflegte, den Spitznamen„Rosenkavalier " erhalten. Er war jetzt beschuldigt, aus einem Nochbarkeller, der einer Frau Z. gehörte, etwa 50 Preß- kohlen gestohlen zu haben. Kaum hatte B. dos Sitzungszimmer be- treten, als sich ein intensiver Geruch bemerkbar machte, der an ein leckgewordenes Spiritusfaß erinnerte. Vors.:„Na, Busse, Sie haben wohl heute schon etwas stark gefrühstückt?" Angeklaater: „Nein, hoher Herr Gerichtshof, ick habe bloß einen kleinen Mampe auf die Lampe jejoffenl" Vors.:„Bloß einen?" Angeklagter: I.Na. ick will ehrlich sein, et können auck zwe? gewesen sein." Vors.: „Nicht mchr�" Angeklagter:„Na, Herr Jeheimrat, ick bin seit 40 Jahren Händler und mit mir können Se handeln. Asto gut, es waren so Stücker sechse." Der Borfikende hält dem Angeklaaten nun vor, datz die Zeuain mit aller Bestimmtheit behaupte, er habe die Preßkohlen gestohlen. Anaeklaater:„Nee, nee Herr Gerichts- Vollzieher, ick wollte faoen Herr Ierichtshof, entschuldiaen Se man, det ick Ihnen verwechselt habe, sowat dürfen So vom Rosenkavolier nicht globen. Det kann ecner allecne»ich aloben. Dazu aehören schon mehrere zusammen, die det globen können. Ick werde mir nun erlauben, Ihnen det einmal auseinander zu posamentieren. Also sehn Se mal. et war nun so: Ick hatte mir Köhlen bestellt und der Herr Kohlenbaron, der se mir brachte, hat se so jejen die Latten geschmissen, daß ein Loch wurde. Da sind nun ein paar davon zu meiner Nachbarin rüber gettudelt und die habe ick mir wieder jeangelt. Et is allens." Vors.:„Die Frau behauptet aber mit aller Bestimmtheit, daß ihr Kohlen fehlen." Angeklaater:„Wat die Olle bebauvtet. Is mir niepe. Die kann meinetwejen sagen, der � Mond ist ein Kuhkäse. Würden Se det vielleicht auch alauben, cherr i Ierichtsrot?" Vors.:„Wenn die Zeugin das behauvtet. so müssen � wir ihr das auch glauben." Angeklagter:„Det lasse ick mir aber . nicht gefallen. Wenn Se mir verurteilen, dann gehe ick bis zum Staotsgerichtshof noch Leipzig , da werde ick schon mein Recht kriegen." In der Beweisaufnahme stellte es sich heraus, daß die Möglich- keit eines Irrtums auf leiten der Zeugin gegeben war. Als der Staatsanwalt die Freisprechung beantraate, erklärte der Rosenkavalier:„Bravo , Herr Staotta'-walt, Sie sind ein seiner Mann! Sie werden bestimmt noch Präfidsnte werden" Das Gericht kam zu einer Freisprechung des Anaeklaaten auf Kosten der Staatskasse. Der Angeklagte verließ die Anklagebank ver-mügt lächelnd zu der Zeugin gewendet mit den Worten:„Na, Frau Z.. wat habe ick Ihnen gleich gesagt, der„Nosenkavalier" klaut keene Kohlen nich." Die übliche Provokation. Am Denkmal Friedrichs des Großen war gestern morgen ein Kranz yril schwarzweißroter Schleife niedergelegt, auf dem, dem Sinne nach etwa stand: „O alter Fritz, o kehr bald wieder usw." Ein Parteigenosse forderte die Schupo auf, diesen Kranz, der am Tage der Revolutionsfeier i besonders provozierend wirken mußte, zu entfernen. Dieser Auf. � forderung wurde alsdann auch entsprochen. Was für ein Aufheben , wäre wohl zu Wilhelms Zeiten unter den gleichen Umständen ge- : macht worden, wenn Sozialisten irgendwo einen Kranz mit roter Schleife niedergelegt hätten?
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Die Welt ohne Sünde. Der Roman einer Almute von vicki Baum.
Aber das, was langgestreckt und mit dem blauen Samt- Vorhang bedeckt auf der Erde lag. das war Johannes. Er hatte die mageren Arme auseinander gebreitet, als wäre er an diesen besudelten Boden gekreuzigt. Sein Gesicht zeigte einen Ausdruck furchtbarer Lust, seine Lider waren nicht ganz geschlossen, im Spalt lag der Augapfel stumpf schim- mernd. Änselmus wandte sich gewürgt ab von dem Äusdrurk in diesem Gesicht, das gestern noch heilig gewesen war.„Wecke ihn auf, Linde," sagte er gepreßt. Linde beugte sich und streichelte das Pagenhaar.„Der Arme," sagte sie wieder, und es war kaum zu hören. Sie stretfse den Samk ein wenig zurück und legte ihre Hand auf die kleine blaue Wunde der linken Brust, die von ein paar Tröpfen geronnenen Blutes eingekreist war. Sie wartete ein wenig, und da Anselmus seinen toten Liebling nicht ansehen wollte, bedeckte sie ihn wieder und erhob sich. Einen Äugenblick stand sie so und be- sann-sich und plötzlich errötete ihr blasses, ausgeblutetes und abgemagertes Gesicht ganz tief. Sie bückte sich noch einmal, nahm die Decke und breitete sie sanft über die schlafende Jsa- bell. Anselmus stand noch abgewendet und hielt seine Hände noch immer so abwehrend dicht an seinen Körper gezogen. „Iolzannes kann nichts mehr schaffen, Herr," sagte die Linde.„Laß mich es tun." „Komm," sagte Anselmus. Es zvar nicht seine Stimme. Es war nicht sein Blick. Sie gingen schweigend die Treppen hinab, Anselmus voraus, und seine gerüttelten Schultern und sein vorgestrecktes, stoßbereites Haupt war dicht vor Lindes Blick. Die Treppe wand sich in die Tiefe, schraubte sich ins Dunkel, landete im Keller.„Hast du die letzten Blätter?" fragte Anselmus.„Ja", sagte sie und griff an ihren Kittel. Die Blätter lagen ustter der Kleidung auf ihrer Haut.„Weißt du den Weg?" fragte er. „Nein." .Ich führe dich. Weißt du. was zu tun ist?" „Nicht ganz." „Es ist eine Wache dort— ich weiß nicht, wer es heute lst— die hast du abzulösen. Das Manuskript liegt in einer zvasser« und feuerdichten Kassette. Geht alles gut— bleibe ich
am Leben— siegt unsere Sache— dann hole ich dich in vier- undzwanzig Stunden oder lasse dich ablösen. Kannst du vier- undzwanzig Stunden wach bleiben?". „Ja", sagte Linde und lächelte nur. „Geht alles gut, dann soll alles, was du aufgeschrieben hast, wahr werden, Linde. Dann sollen wieder Wipfel über den Kindern rauschen— nicht wahr?" „Ja." „Wirst du nicht abgelöst, dann hast du unten zu bleiben, solange der Proviant reicht. Du mußt sparen, Linde. Biel - leicht ist es notwendig, daß du einen Monat unten bleiben mußt— oder noch länger. Die Freunde werden dir ein i Zeichen geben, wann du das Manuskript wieder hinaufbringen ' kannst. Es ist eine schwere Ausgabe—" „O nein." „Kommt kein Zeichen von den Freunden— kommt kein Zeichen von den Freunden, Linde— und der Proviant ist zu Ende— dann mußt du das Werk allein auf dich nehmen. Du mußt hinaufgehen und nach eigenem Ermessen handeln. Kommt kein Zeichen von den Freunden und sind sie alle tot, dann mußt du hinaufgehen, und wenn du glaubst, Linde— dann wirst du von neuem ansangen, meine Gedanken zwischen die Menschen zu tragen— glaubst du, Linde—7" Weil er atemlos fragte und weil sein Blick gehetzt und flehend bettelte, sagt« sie:„Ja, Herr Anselmus." „Wenn du nicht glaubst, dann kannst du das Werk ver- Nichten oder es verfaulen lassen, kannst du tun, was du willst. Die Welt geht ohne uns ihren Lauf. Und ist das wahr, was ich gedacht habe, dann wird immer wieder einer kommen und dasselbe von Neuem denken— laß mein Werk, diese paar Blätter, diese tausend armseligen Worte verloren gehen. Nun noch eins: Bist du mutig?" „Das weiß ich nicht." „Mutig im Helfen bist du— ich habe dich oft gesehen. Kannst du zerstören auch?" �„Das— weiß ich nicht—" flüsterte die Linde, und die Tränen machten ihre Kehle bitter. „Laß—" sagte er verfinstert.„Es ist«iy Hebel da unten � eine von Börries höllischen Erfindungen. Es gibt einen Befehl vom Komitee, in welchem Fall der Hebel zu drücken ist. Ich habe es selbst unterschrieben— merkwürdig," sagte er, „ich habe selbst unterschrieben. Heute kommt mir die Geschichte
mit dem Hebel kindisch vor. Es ist ein Spielzeug für Teufel — mehr nicht. Hier ist ein Zünder. Nun komm." Die kleine blaue Flamme sprang knallend auf. Anselmus grub im Schwarzen eines Winkels, deutete auf einen roft- braunen Metallgriff, der sich herausschälte, schob ihn nach links: und eine Tiefe unter dem Keller tat sich auf. „Du mußt dir jeden Griff und jeden Schritt merken— falls du— allein zurückgehen wirst—" sagte Anselmus. Die Linde nickte nur. In der Tiefe quoll kalte, nasse, kranke Luft. Die blaue Flamme wanderte voran. Bon einwärts gewölbten Nöhrenwänden troff manchmal spiegelnder, tropfender Glanz, um die Füße glitschte es., Sausen lief dumpf neben dem Weg* hFr, der stieg und fiel, sich hinbog, in Winkel brach, in Lächern endete, unmeßbar lang, unmeßbar dunkel, unmeßbar tief unter die Erde führend. Nasser Stein duckte ihnen die Köpfe nieder, oft tasteten sie auf den Knien durch Nasses, Kaltes, Ekliges. Die Flamme wanderte. Hauch kam manchmal lebendig und fröstelnd aus Oucrgängen, Gestank quoll aus Röhren: ein Zug grausenhafter dicker weißer Maden kroch an der hohlgewölbten Wand. Einmal verlosch das Licht und der Atem ging mühsam. „Kein Sauerstoff da," murmelte Anselmus und" griff hinter sich, zerrte Linde heftig vorwärts, stand dann und atmete. Das Licht entzündete sich wieder, blau und mit leisem Knall. „Daß Atmen noch immer so schön ist—" sagte Anselmus und Linde hörte am Klang, daß er lächelte. Auch sie atmete tief. Sie gingen wieder. „Gehst du mit nackten Füßen, Lindfe?" fragte er einmal. „Ja", sagte sie. Du willst es— dachte sie. Er lächelte wieder. Sie gingen, krochen, gingen wieder, der Gang weitete sich ein wenig. Anselmus nahm Lindes Hand, zog sie neben sich und sie gingen. „Wunderbar ist es, eine Menschenhand zu halten", sagte er später. Und dann noch:„Du kannst so schön schweigen, stille Linde." Dann schwieg auch er. Er ging, kroch, tastete voran und hielt das Licht manchmal bedeutungsvoll cm irgendeine Ecke, eine Spalte, ein kaum Merkbares, oöran der Weg zu finden war. Linde folgte wie träumend dem wandernden blauen Licht und dem schwoe-zen Umriß seines geduckten Nackens. Sie, wanderten, wanderten: es gab keine Zeit inmitten der Dunkel- hell, es schwamm alles hin ins Ungewisse.... (Fortsetzung folgt.)