Nr. 546 39. Jahrgang
Beilage des Vorwärts
Will man furz fagen, wie es augenblicklich um den Bahnhof Friedrichstraße herum aussieht, fann man das am besten mit dem allen alten Berlinern in unfreundlichster Erinnerung stehenden Satz tun: ,, Es wird gebuddelt!" Früher wurde mur im Sommer in Berlin ,, gebuddelt". In fast allen Straßen erlebte man, daß das Pflaster aufgerissen war, daß der Asphaltbelag erneuert wurde, oder daß man Straßenbahnfchienen auswechselte. Ueberall fast stieß man dann auf Haufen von Pflastersteinen, Sand und Schutt. Als dann freilich die Untergrundbahn sich tief in das Innere Berlins eingrub, wurde die Buddelei in Berlin als Dauerzustand erflärt, und die Kletterfunststücke auf den Straßen mußten im Sommer und im Winter ausgeführt werden. Der Bau der Untergrundbahn schafft auch das größte Chaos cm Bahnhof Friedrichstraße , zwischen dem Bahnhof und der Not brücke im Zuge der Weidendammer Brücke. Die Passage hier, namentlich bei naffem und famußigem Wetter, ist ein Bergnügen eigener Art. Nicht minder chaotisch sieht es auf dem Plaz am Bahnhof aus, auf dem einst die sogenannte Papiniere stand und auf dem phantastisch hohe Turmhäuser und Wolfentrager à la Nem Vort sich hochrecken sollen. Von dem geplanten Bau ist noch nichts zu ers bliden, es macht eher den Eindruck, als ob mon vor Trümmern und den letzten Resten eines Hauses steht. Auch die Holzverkleidung der Straße am Bahnhof entlang nach dem Schiffbauerdamm, über die täglich Autoomnibusfe wuchten und ein großer Laftwagenverkehr flutet, ist zerfetzt und zerfranzt. Chaotisch mutet es auch auf dem Neubau des Bahnhofs selbst an. Man kann zwar heute schon ungefähr erkennen, wie alles nach dem Umbau sich gestalten wird, aber bis zur endgültigen Fertigstellung dürfte noch viel Wasser die Spree hinunterfließen.
Am schlimmsten aber ist das Gebränge an den in die Ecken gedrückten Fahrtartenschaltern und auf dem durch die Gerüste des Neubaus, durch Zäume und Bretterwände bis zur Ungulängs Ihleit eingeengten Flur, auf den die Wartesäle münden. Der Martesaal vierter Klasse, ein fleiner, dumpfer Raum, ist stets über füllt von armen Reisenden mit Koffern, Kisten und vielen Kindern. Meistens sind es Saisonarbeiter, die vom Stettiner Bahnhof tommen und hier auf den Zug zur Weiterfahrt warten. Alle die vielen Menschen kann der kleine Raun gar nicht fassen. Die Flut brängt hinaus auf den engen Flur und chaotisch liegt und steht auch hier alles durcheinander: Viel Kinder, Roffer und Kisten..
Sparmaßnahmen der Straßenbahn.
Verkürzte und zusammengelegte Cinien.
Das
Sonnabend, 18. November 1922
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bei denen auch die Möglichkeit der Schaffung von Tochter feiten in allen Mietangelegenheiten möglichst zu schlichten, umbegesellschaften, getrennt für die Gas-, Waffer- und Elektrizitäts- rührt. Die Mietervertretung ist also ohne Rücksicht auf weitere Inwie über das Recht der städtischen Körperschaften, die Bilanzen Manche Mieteinigungsämter gehen jetzt dazu über, zu ihrer Entwerfe, offen bleiben foll. Ueber die Frage der Tarifhoheit, stanzen stets das erste Bindeglied zwischen Vermieter und Mieter. zu bestimmen, wurde die Abstimmung vertagt. Nach dem Ergebnis der Sigung ist damit zu rechnen, daß die Arbeiten der Deputation lastung besondere Schähungsausschüsse auch in anderen jetzt endlich in Gang kommen werden. Fragen bilden zu lassen, beispielsweise bei Streitigkeiten über die Höhe der Friedensmiete, auch für die Wohnung des Hauswirtes, Die Notlage des Deutschen Opernhauses. Verwalters und Portiers. Die örtlichen Mieterverbände haben ihre Chralottenburg beschäftigte die geftrige Generalversamm Die schlechte finanzielle Lage des Deutschen Opernhauses in Bereitwilligkeit erklärt, hierfür geeignete Personen vorzuschlagen. lung der Opernhaus- Aktiengesellschaft. Der Vorsitzende gab einen Bericht über den finanziellen Stand des Unternehmens. Das Fiasko der Graphologie. Rapital der Gesellschaft war schon lange aufgezehrt und die Zu einem heftigen Streit zwischen Schreibfachverständigen kam Anschaffungen mußten schon lange aus laufenden Einnahmen vor- es in einer Berhandlung, die das Schwurgericht des Landgerichts I genommen werden. Ueber vorübergehende Zahlungsstodungen beschäftigte. Wegen Fälschung einer öffentlichen Urkunde und Be tam die Gesellschaft durch hilfreiche Gönner hinweg. Ende Oktober truges war der 27jährige Obersteuersekretär Johannes K. aus war der Stand der Dinge so, daß eine Konkursgefahr be- Krefeld angeklagt. Die Anklage baute sich lediglich auf Gutachten auf Bahlungen, die Gagen konnten nicht bezahlt werden. In ihrer der Schreibsachverständige Görtheim zugeben, daß die Gra stand. Es war eine Million Bankkredit fällig, die Bank drängte von Schreibfachverständigen auf. In der Verhandlung aber mußte Not wandte sich die Verwaltung an die Stadt Charlottenburg , die phologie noch nicht so weit fortgeschritten fei, daß ihre Mitwirkung bei einer finanziellen Hilfeleistung zusagte, wenn man daraufhin mit Bestimmtheit die Täterschaft feststellen könne. einige Gewähr bestände, daß das Aktienkapital um 2 Millionen Als der Sachverständige von zwei ihm vorgelegten Schriftstücken Mark erhöht würde und ein sofortiger Abbau des Unternehmens behauptete, der Angeklagte habe sie mit verstellter Handschrift gederart stattfinde, daß sich im Etat das Gleichgewicht einstelle. Der schrieben, wies der Berteidiger durch zwei Zeugen nach, daß der Borfikende des Aufsichtsrats, Baurat Ahrens, hatte gegenüber Angeklagte häufig fo schreibe. Der Graphometer" angenMillionen Mart übernommen. Er schloß mit der Stadt Charlotten gleichung sehr start angegriffen wird, mußte zugeben, daß die der Dresdner Bant eine selbstschuldnerische Bürgschaft von drei bruch, dessen Winkelmeßmethode zum Zwecke der Schriftenver burg einen Vertraa, nach dem in der Generalversammlung für zwei damaligen Messungen, auf die sich die Anklage aufbaut, nicht Millionen Mart Vorzugsaftien mit zwanziafachem Stimmrecht ge- mehr in Frage fämen, weil er inzwischen sein System ge= schaffen werden sollten. Die Gesellschaft sollte in eine gemein ändert habe. Trotzdem beantragte der Staatsanwalt das Schuldig nüßige Gesellschaft umgewandelt werden und der Dresdner gegen den Angeklagten, während der Verteidiger die Freisprechung Bank sollten für die Hergabe der drei Millionen die entsprechenden für unbedingt geboten hielt, da sich die ganze Anklage lediglich auf Materialbestände verpfändet werden. Der Deutsche Opern. Vermutungen und völlig widersprechende und höchst zweifelhafte verein, der die Majorität der Aftien verkörperte, hielt aber diese Gutachten von Schreibsachverständigen aufbaue. Die Geschworenen Antrag gestellt, das Aktienkapital um eine Million Mart zu 3uhörerraum sämtliche Schuldfragen, und der Angeklagte Sanierung für nicht weitgehend genu Er hatte den verneinten aber unter lebhaften Bravorufen aus dem erhöhen und fünfzig Millioren Mart Obligationen zu schaffen. wurde demgemäß auf Kosten der Staatstaffe freigesprochen Ueber diese Anträge soll eine am 1. Dezember stattfindende außer ordentliche Generalversammlung Beschluß faffen. Die Antragsteller, die diese Sanierungsanträge als die weitergehenden ansahen, daher die Beratung der vorliegenden Anträge für überflüssig erachteten, lehnten deswegen alle Anträge, die eine Ratifizierung des mit der Baurat Ahrens leate fofort nach Bekanntwerden des Abstim Stadt Charlottenburg abgefchloffenen Abkommens bedeuteten, ab. mungsresultates fein Amt als Aufsichtsratsvorsitzender nieder und Kapellmeister Möride cab dem Bedauern Ausdruck, daß das Per fonal, für das speziell Baurat Ahrens in felbstloser Weise gesorgt habe, eine Desavouierung durch die Generalversammlung nicht verstehen werde. Es wurde aus der Generalversammlung heraus der Hoffnung Ausdrud gegeben, daß die Amtsniederlegung des AufBeschlüsse der finanzielle und damit auch der künstlerische Bestand fichtsratsvorsitzenden feine endgültige fei. Jedenfalls ist durch diese des Deutschen Opernhauses von neuem bedroht.
Mietrecht- Schlichtungsstellen?
Wo bleiben fie?
Der Verwaltungsrat der Berliner Straßenbahn beschloß gestern bei drei Linien den Fahrtabstand von 15 auf 20 Minuten zu erhöhen, bei 9 Linien die Fahrtzeit bis gegen 8 Uhr zu beenden, bei 12 Linien entsprechende Berfürzungen Platz greifen zu laffen, 6 Linien mit Baralellinien zusammenzulegen und bei 5 Linien Einstellung durchzuführen, da der Verkehr durch Paralellinien miterledigt werden kann. Diese Einschränkung bedingen eine Verminde rung des Bersonals zu den bereits gefündigten 320 Personen paritätisch aus Vermietern und Mietern gebildete Schlichtungsstellen Nach dem Reichsmietengesetz sind die Gemeindebehörden befugt, um weitere 600 Mann bis Ende dieses Jahres. Die Folge dieser einzusetzen, wenn die Bertreter ihre Tätigkeit unentgeltlich aus Berkehrseinschränkung ist auch eine Einschränkung des tech zuüben bereit sind. Die vielfache Auffassung, daß derartige Gebilde nischen Betriebes um 25 bis 50 Broz. Die Arbeiten in den Werkstätten, die im Laufe des letzten Jahres außerordentlich alle möglichen Mietstreitigkeiten schlichten sollen, um die Mitausgebaut wurden, sowie im Gleisbau sollen soweit durchgeführt einigungsämter zu entlasten, ist irrig. Vielmehr haben diese Schlich werden, daß eine Verschlechterung der Anlagen nicht eintritt. Es foll tungsstellen sich lediglich mit der fachgemäßen Ausführung solcher mit möglichster Beschleunigung an der Einführung von Einlaufenden Einlaufenden nicht der großen- Instandsetzungsarbeiten zu beStreden vorgegangen werden, wodurch auch bei möglicher Berbesse wohnbarkeit der Wohnungen oder Mieträume anderer Art notmannwagen" auf den verschiedenen weniger start befahrenen schäftigen, die im Interesse der Erhaltung des Hauses und der Berung des Betriebes an Betriebskosten gespart werden kann.
Die Affäre Franz.
Weitere Aussagen der Besucherinnen.
die einzelnen Vorgänge, die sich in der Wohnung der Angeklagten aufnahme fortgesetzt. Die Zeugin Erifa B. schildert ausführlich Nach Eröffnung der gestrigen Eizung wurde die Beweis Franz abgespielt hatten. Nach ihrer Angabe war die Frau Franz das treibende Moment gewesen. Frau Franz fragte mich auch, ob ich einen Liför trinken wolle und welchen. Ich sagte, fo fährt die Beugin fort, am liebsten wäre mir ein Schwedenpunsch. Die Ehehin drei Gläser auf einem Tablett. Auf Aufforderung der Frau leute tuschelten hierauf miteinander und Frau Franz brachte daraufIhm wollte ich feinen geben, aber auf die Aufforderung der Frau Franz drehte sodann wegen angeblicher Schwierigkeiten mit der gab ich auch schließlich Franz einen Kuß, aber einen vernünftigen. Franz grehte sodann wegen angeblicher Schwierigkeiten mit der Elektrizitätsgesellschaft die Krone aus. Nach kurzer Zeit wurde ich plöglich sehr müde und bat, mich in einem bleiben. Ich hatte noch die Kraft, dies abzulehnen. Die Zeugin Seffel ausruhen zu dürfen. Beide Eheleute luden mich ein, in ihrem Schlafzimmer auf einem Sofa zur Nacht zu schildert sodann, wie sich die Vorgänge der zur Anflage stehenden Tat abgespielt haben. Trotz ihrer Müdigkeit war fie, wie sie be fundet, noch in der Lage, F. zurückzustoßen und über seine Unverschämtheit sehr zu schimpfen. Vorher sagte er: Willst du dich nicht in unser Seelenleben einleben? Ich bejahte dies ahnungslos. Frau ranz erklärte darauf, so sei recht lieb zu ihm. Frau F. war sogar später habe sie in der Tanzstunde die Hanna R. getroffen, die ihr sehr empört über meine Ablehnung der Zumutung ihres Mannes. Am nächsten Tage sei die Zeugin sehr müde gewesen. Einige Tage wendig sind. Hinsichtlich der sonstigen laufenden Instandsetzungs- erzählt habe, was F. mit ihr unternommen habe. Hierauf habe Zur Neuorganisation der Städtischen Werke. arbeiten bleiben die Parteien auf den Rechtsweg beschränkt. Die auch sie ihre Erlebnisse erzählt. Die Beugin beftätigt auf Befragen Die gemischte Deputation, die die Neuorganisation der Städti- Bermieter erhalten jetzt für laufende Instandsfeßungsarbeiten einen des Staatsanwalts auch die Aeußerung der Frau Franz: Wir schen Werte beraten soll, beschäftigte sich in ihrer geftrigen Gigung festen Zuschlag von 50 Proz. zur Grumbmiete, sperren sich aber viel nehmen teine bezahlten Frauen. Wir nehmen nur Damen aus der eingehend mit dem von uns bereits besprochenen Entwurf des Ober- fach nach wie vor gegen die fachgemäße Ausführung solcher not- Gefellschaft, weil sie nichts sagen. Es kommt dann im Verlauf der bürgermeisters. Nach längerer Debatte erfolgte die erste grund wendigen Arbeiten. Da hierüber sehr viel Streit besteht, sollte die Verhandlung zwischen dem Verteidiger Rechtsanwalt Bahn und fähliche Abstimmung, die für den weiteren Gang der Berhand. Bildung der Schlichtungsstellen beschleunigt werden. Zweckmäßiger der Verteidiger an der Zeugen die Frage richtet, sb lediglich die dem Sachverständigen Kaminer zu einem Zusammenstoß, als lungen von Bedeutung ist. Es wurde mit Stimmenmehrheit beschlossen, den Betrieb der Städtischen Werke( nicht den Besitz) einer ist es, in größeren Gemeinden Spezialkammern für Maurer, 3m- Tatsache, daß die Zeugin R. Selbstmordgedanken wegen ihres Zurein städtischen G. m. b. 5. zu übertragen. Es soll getrennt merer, Dachdeckerarbeiten usw. zu bilden. Das Gesetz schreibt jedoch standes gehabt habe, maßgebend für den von ihm vorgenommenen, je ein Gesellschafts- und ein Betriebsvertrag neu vorgelegt werden. hierüber nichts vor. Bon der Tätigkeit der neu zu bildenden Schlich sonst gesetzlich verbotenen Eingriff fei. Der VerteidiFür die weitere Beratung sollen neue Entwürfe ausgearbeitet werden, I tungsstellen bleiben die Aufgaben der Mietervertretung, Streitig ger fragt weiter, ob er einen derartigen Eingriff auch bei einer 1 Oder ist es ein Bogel mit fleinen Flügeln? Oder ist es ein| nur an. Du bist ja schön, Linde," flüsterte er, die Kehle mar Schmetterling, der zuckt? Oder ist es eine Blume, die sich ihm geengt von Glück und Rührung. Tief in ihm taute die wiegt? Oder ist es ein Blatt, das an mein Fenster pocht? ,, Das alles ist mein Herz, Bruder, seit ich über die Brücke geangen bin."
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Die Welt ohne Sünde.
Der Roman einer minute von Bidi Baum.
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lange Einsamkeit in Schluchzen ohne Tränen auf. Du bist ja schön, Linde. Zeig deine Augen; zeig deine Wangen. Liebe Ich habe dich lange nicht gesehen, Johannes. Bo warst Linde, liebe, liebe. Du hast ja kein graues Haar," flüsterte er du?" Ich habe oft an dich gedacht. Du fehltest mir sehr, Jo- Meine Hände greifen in die Einfamkeit. Stein in der linken,- ,, D, liebes Blatt an meinem Fenster, ich bin so sehr allein. und mußte lachen. ,, Darf man die Hände in dein Haar legen Mädchen?" hannes. Wo warst du?" Qual in der rechten, die den Hebel hält. Meine Hütte ist ,, Weit, Bruder." Sie nahm seine Hände, hob sie auf bis an ihre Lippen und ich muß einsam sein. Rein Feuer in meinem Herd, fein Augenblid lang die Wangen in ihre Höhlung und führte sie dunkel und leer. Allen habe ich Gemeinschaft geschenkt und ihre Lippen tüßten sie scheu und demütig. sie schmiegte einen Atmen in meiner Nacht, feine Stimme in meinem Haus. weiter in ihr Haar. Da lagen sie nun, gestillt und warm geManchmal fommen Ameisen mir zur Gesellschaft über die bettet in all dem Blonden. Dielen gezogen. Manchmal gehe ich hin und stehle mir den Blid einer Frau oder eine kleine Kinderhand, die sich in meine hold fchmiegt, heimmärts aus den Wiesen
" Du darfst nicht weit von mir sein. Sieh, wie schön ist alles geworden. Sieh die Welt an, meine Welt, meinen Himmel oben, meine Menschen, die glücklich in den Hütten schlafen. Du mußt jetzt bei mir sein, denn ich bin sehr allein zwischen allen, die froh sind und Gemeinschaft haben. Und du bist mein Geschöpf ,, Gesegnet die gute Welt. Gesegnet der gute Himmel oben. Gefegnet, die glücklich sind; gesegnet die Schläfer. Gesegnet, die Gemeinschaft fanden."
Neun Jahre warst du alt, als sie dich zu mir brachten. Ein Kind. Bußtest von nichts. Kanntest feine andere Zeit als diese blutige. Ich nahm dich zu mir, lehrte dich, du gehörst mir und warst mir der Liebste von allen. Warum bist du nun weit von mir? Und warum sprichst du, als wärst du ein Greis und wüßtest viel- Knabe?"
Ich weiß viel, Bruder. Ich bin über die Brücke gegangen, Bruder."
,, leber die große Brücke?"
,, lleber die große Brücke, Bruder."
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ich
Laß mich denken, Johannes. In allen Tagen ist es wie ein Reifen um meine Gedanken. Etwas ist geschehen habe vergessen, was. Etwas muß getan werden, ich habe vergessen, was. Ich denke und vergesse. Ist nicht eine fleine blaue Wunde über deinem Herzen, aus der Blut rinnt?" ,, Das träumst du nur, Bruder."
Ich träume nur. Manchmal spüre ich etwas in meinen Händen, ein Holz, eine Art, nein! einen Hebel, ich weiß nicht, was es ist, und ich erschrecke qualvoll. Was soll meine Hand tun? frage ich. Dann ist es nur geträumt; ich halte den Sensenstiel und mähe Korn. Ich halte den Hammer und zimmere Hütten. Ich halte den Hebel und die Mühle mahlt Mehl. Ich träume ja nur. So hast du keine Wunde und dein Herz schlägt?"
,, Es schlägt, Bruder."
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Komm näher zu mir, lieber Johannes, ich möchte es püren in meiner Hand. Es ist warm und schlägt, dein Herz?
schönes Kind." ,, Du hast ja Frau, Kind, Bruder. Eine schöne Frau, ein
,, Du hast ja ein weißes Kleid an, Linde. Wie bist du
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Ich habe es gewebt; es ist mein Hochzeitskleid-" Er griff nach ihr und es nahm ihm den Atem. Bist du meine Frau? fragte sein Herz, auch seine Augen fragten es und ihre Augen gaben Antwort.
,, Auch eine Decke für dein Beit habe ich gewebt," sagte sie
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flüsterte er und lächelte erloschen. Er saß noch eine Weile Anselmus horchte in sein Herz. ,, Das träumst du nur-," reglos und glitt dann zage mit den Fingern über den feuchten sehr leise. ,, Sieh her eine rote Decke-" Stein. Er fand nur Leere. Der Himmel hatte den Mond aufgetrunken. In der Nacht rauschte ein schwarzer Bogel mit großen Schwingen vom See her. Anfelmus erhob sich und betrat seine Hütte.
Aus dem Hüttendunkel schälte sich Schein. Auf dem offenen Herd brannte ein Feuer. Auf der Herdbank saß Linde, sie hatte die Arme um die Knie geschlungen und war der Flamme zugewandt mit einem versunkenen und glücklich horchenden Ausdruck. Sie hatte füße, geschlossene Mädchenlippen, das sah Anselmus zum erstenmal; sie hatte lange schattige Wimpern, das jah er zum erstenmal. Er fah Linde zum erstenmal und sein Herz erschrat und wurde ihm groß und lebendig vor Freude in der Brust. Er blieb am Türpfeiler stehen, wagte fich nicht weiter und flüsterte: ,, Linde? Du? Bist du zu mir gekommen?"
,, Ja. Jezt bin ich bei dir," sagte Linde und hörte nicht auf, in die Flamme zu sehen. Sie fenfte ein wenig den Kopf, es stieg Rührendes und Zärtlichkeit aus der demütigen Linie ihres Nackens. Anselmus fniete vor sie hin, er hielt die Arme dabei am Rücken verschränkt als wäre er gefesselt. Bleibst du bei mir?" fragte er emporgewendet. Da nahm Linde seine Schläfen in ihre Hände. Bist du sehr müde?" fragte sie und Herdlicht rann ihr über die Wangen.
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Er schüttelte nur den Kopf und es war ihm füß, zu spüren, wie das Blut in ihren Fingerspigen schlug. Er schaute sie immer
unter der roten Decke schlief. Auf dem Strohlad lagen weiße Er stand neben ihr vor dem grobgezimmerten Bett, das Riffen. Anfelmus zog die Brauen zusammen in einem schmerzlich gequälten Andenken und konnte sich nicht besinnen an etwas, das entglitt
,, Nicht denken," sagte sie und strich glättend über seine Stirne. Da löfte er sich und nahm ihre Lippen. ,, Sag es noch einmal," bat sie nachher, als er atmend vor ihr stand und sie ansah.
,, Was denn, meine Linde?"
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,, Das liebe Wort; sage es; hold."
,, Du bist hold, Linde. Du bist hold, meine Frau. Ich habe dich lieb." Wie gehen die Stunden in einer Hütte, wo zwei Menschen einander finden? Wie geht die Nacht hin unter dem bleichenden Mondhimmel? Wie ist es, wenn das Mahl gegessen ist, Milch und Brot, und wenn das Herdfeuer zusammenfinft und noch einmal fnistert und einschläft. 3weige scheuern draußen an der Wand wie kleine Hände; ein Stern tanzt über dem Dach und fällt zur Erde. D, Stimme in der Dunkelheit, geliebte, geliebte Stimme. O Hand auf meinem Herzen, atmendes Du in der ungeheuren Einsamkeit des Lebens. Warum kommst du erst heute, Linde; ich habe gewartet ( Fortsegung folgt.)
auf dich?"