Nr.570 39.Jahrgang Ausgabe B Nr. 277
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Sonnabend, den 2. Dezember 1922
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Die Sühneforderungen der Entente.
Der Wortlaut der Note. WTB. meldet: Die dem deutschen Botschafter in Paris gestern abend überreichte Note der Botschafter fonferenz hat folgenden Wortlaut:
Herr Botschafter!
Die Alliierten Regierungen hatten die Deutsche Regierung durch ihre Erklärung vom 13. November aufgefordert, der militärischen Kontroll fommission ihre Entschuldigung wegen der Haltung ihrer Staatsangehörigen gegen die Mitglieder dieser Kommission bei den Vorfällen in Stettin und Passau auszusprechen. Diese Entschuldigung sollte bis spätestens 29. November
an werden.
die Interalliierte militärische Kontrollkommission gerichtet An demselben Tage sollten die schon von der genannten Rommission oder von den Alliierten Regierungen wegen jener beiden Borfälle geforderten Wiedergutmachungen und Sühne handlungen bewilligt sein. Was den ersten Punkt betrifft, so hat die Deutsche Regierung durch Schreiben vom 16. November statt der Interalliierten militärischen Kontrollfomiffion ihre Entschuldigung auszusprechen, sich damit begnügt, derfelben ihr Bedauern auszudrüden, was nicht als hinreichend erscheinen fann, da die deutschen Beamten bei diesen Berfällen eine unmittelbare Berantwortung trugen. In dieser Hinsicht müffen die Allierten Regierungen feststellen,
daß sie teine Genugtuung erhalten haben. Betreffs des
Wem wir das verdanken.
Diese neuen befristeten Forderungen und Drohungen der Entente werden in ganz Deutschland eine tiefe und zum großen Teil berechtigte Erbitterung hervorrufen.
offiziös, die Alliierten hätten damit eine neue Methode anzuwenden begonnen und fährt fort:
Die Bayerische Pfalz , die an das Elsaß grenzt, wird für Bayern zahlen. Es ist dies die erste Anwendung des Systems, durch daß die französische Regierung sich direkt bei dem deutschen Schuldner Wir fagen ausdrücklich und wiederholen: zum großen bezahlt zu machen gedenkt. Deutschland behauptet, daß es unfähig Teil berechtigt, weil man sich darüber klar sein muß, daß es sei, am nächsten Berfalltage zu zahlen. Es erhebt aber auf dem sich hier um einen Konflikt handelt, in dem sich Deutschland von linten Rheinufer, das wir befeßt halten, Steuern, es be vornherein im Nachteil befand, und weil, wie stets in solchen fitzt dort Staatseisenbahnen, es hat Kohlengruben, die Fällen, die lautesten Entrüstungsschreie, die am meisten auf dem preußischen oder bayerischen Staat gehören, es befißt auch staatpeitschenden Ueberschriften gerade in dem Teil der deutschen liche Forsten. Alle diese Hilfsquellen, die wir in der Hand haben, Breffe zu finden sein werden, die am ehesten Anlaß hätten, wird man eines Tages pfänden müssen, wenn Deutschland weiterhin jetzt den Mund zu halten. Denn darüber kann kein Zweifel sich der Zahlung seiner Reparationsschulden entzieht. Es ist ganz fein: Deutschland verdankt diese neue schwere nationale De - angebracht, daß gerade Bayern die ersten Erfahrungen mit dieser mütigung in erster Linie jenen nationalen" Kreisen, Methode macht. Bayern ist seit dem Friedensschluß der Hauptsitz die seit Jahr und Tag systematisch alles daransetzen, die Be- des radikalsten Nationalismus. Seine nationalistisch gevölkerung zu derartigen blödsinnigen Kundgebungen und sinnten Militärs planen ganz offen den Sturz der Republik , und Taten aufzupeitschen, wie sie sich in Stettin , Passau und Ingol- zwar nicht nur der bayerischen, sondern auch der deutschen . Es war ſtadt ereignet haben. Ungeachtet früherer bitterer Erfahrungen nicht nötig, Bayern daran zu erinnern, daß wir es in der Hand auf diesem Gebiete ist diese Wühlarbeit in einer Weise fort- haben, aber die Warnung richtet sich an ganz Deutschland . gesetzt worden, daß man den Eindruck gewinnen mußte, sie Wenn Deutschland unvernünftig ist, wird es merken, daß jetzt ein erstrebe bewußt die Wiederholung solcher Zwischenfälle und anderer Wind weht und daß die Geduld der Alliierten, besonders Konflikte, um die nationale Gefinnung" der Bevölkerung aufNun ist der Gedanke zu naheliegend, bei der Anwendung zurütteln. Das gilt insbesondere für die Sprache der ge dieser„ neuen Methode" das besetzte Gebiet in gesteigertem famten bürgerlichen Presse in der„ Ordnungszelle" Bayern Maße zu drangfalieren und, nachdem einmal die dortige Bevielleicht mit einigen wenigen Ausnahmen in Franken- und es ist fein Zufall, daß die zwei letzten Vorfälle sich auf völkerung zur Verzweiflung gebracht ist, ihr eine mildere bayerischem Boden abgespielt haben. Wie oft wird man Behandlung in Aussicht zu stellen, wenn... Das weitere wiederholen müssen, ehe es von allen begriffen wird, daß sich versteht sich von selbst. Die neue Methode soll in den Augen tistischen Pläne im Rheinlande werden. Das ist die die Nationalisten aller Länder zum Teil unbewußt, zum Teil Frankreichs zu einem Mittel zur Förderung der separaaber auch bewußt gegenseitig in die Hände arbeiten, daß Gefahr, auf die wir das Augenmerk nicht nur des deutschen unsere Deutschnationalen die wertvollsten Bundesgenossen der! französischen Nationalisten sind, und daß die Poincaré , Tardieu Volkes, sondern auch derjenigen alliierten Völker richten, die und Lefèvre undenkbar wären, wenn es feine Hergt, Westarp, nicht gewillt find, die imperialistischen Pläne Frankreichs ruhig hinzunehmen. Maurenbrecher, Traub und Konsorten gäbe?
"
hat die Deutsche Regierung sich durch ihre Note vom 16. November verpflichtet, der Interalliierten Kontrollfommission die von den Alliierten Regierungen für die Ausführung dieser Maßnahmen geforderten Genugtuungen zu geben. Die Interalliierte militärische Kontrollkommiffion wird der Deutschen Regierung einerseits die Form bekanntgeben, in der die Entschuldigung des Polizeipräsidenten von Stettin zu erfolgen hat, andererfeits die von der Deutschen Regierung der Interalliierten militärischen Kontrolltommiffion zu gebenden Bürgschaften für die beiden anderen Sühnehandlungen betreffs des Auch darüber müssen wir uns im flaren sein- und das Borfalls in Passau . Der Bürgermeister von Bassau hat sich begnügt, dem Distrifts- allein beweist schon, wie ungünstig Deutschlands Position in ausschuß in München sein Bedauern auszudrüden, während die diesem neuen Konflikt ist, daß wir es in diesem Falle nicht Alliierten Regierungen unter Berufung auf das Schreiben des mit einer Note Poincarés" oder mit" Drohungen FrantGenerals Nollet vom 30. Oftober Entschuldigungen verlangt reichs", sondern mit einem Schriftstück der Interalliier hatten mit der Maßgabe, daß darin Form und Datum sowie die Be- ten Botschaftertonferenz, also mit einem soli dingungen, unter denen diese Entschuldigungen in der Presse zu darischen Vorgehen der gesamten Entente veröffentlichen seien, später bestimmt würden.
In dieser Hinsicht ist der Erklärung der Alliierten Regierungen nom 13. November fein Genüge geleistet. Ueberdies hat die Deutsche Regierung durch Schreiben vom 23. November, Nr. 7705, bekanntgegeben, daß, wenn sie den Bataillonstomman der in Passau abgelöst hätte, fie dagegen der Forderung der Abberufung der Polizeibeamten
noch nicht entsprochen habe.
Andererseits hat sich am 22. November
ein neuer schwerer Fall in Ingolstadt
ereignet. Die beiden alliierten Offiziere, die bereits Opfer des Vor: falls in Baffau gewesen waren, find aufs neue von der Bevölkerung: bejchimpft und fäflich angegriffen sowie von ihr an der Erfüllung ihres Auftrages gehindert worden.
( Lücke im Text.) Angesichts der unzureichenden Genugtuung der Deutschen Regierung wegen der Vorfälle in Stettin und Baffau wie des neuen Falles in Ingolstadt und angesichts der unerläßlichen Notwendigkeit, dem Widerstand der deutschen Behörden gegen die Ausführung der militärischen Bertragsbestimmungen ein Ende zu machen, wie auch die Mitglieder der Interalliierten militärischen Kontrollfommiffion in der Ausübung ihrer Tätigkeit zu schüßen, haben die alliierten Regierungen bestimmt, daß vor dem 10. Dezember d. I.
1. Die von der Deutschen Regierung noch nicht gegebenen und oben in Erinnerung gebrachten Genugtuungen auszuführen find,
hat,
Jedenfalls kann sich das deutsche Volk bei jenen Radaubrüdern in Stettin , Passau und Ingolstadt für die schwere Belastungsprobe bedanken, der es aufs neue ausgesetzt ist. Hoffentlich wird es der Reichsregierung glücken, über diese Klippe möglichst glimpflich hinwegzukommen. Aber damit fängt ihre eigene Arbeit eigentlich erst an. Es gilt jetzt vor allem, die Wiederholung solcher Ereignisse mit allen Mittteln zu verhindern. Das wird ihr aber ganz unmöglich sein, wenn mächte zu tun haben, genau so wie sich die Kundgebungen sie eine Politik treibt, die sie zwingt, sich auf die Deutschnatiound Angriffe, deren Sühne jetzt verlangt wird, nicht gegen nalen zu stüßen. Die an. fich längst fällige Aufhefranzösische Offiziere, sondern gegen Organe der Inter- bung der Interalliierten Militärkommission ist jedenfalls alliierten Militärkontrollkommission richteten. Gerade in weder durch diese nationalistischen Erzesse, noch durch die Tatjenen nationalistischen Kreifen, in denen man oft mit ganz fache des Regierungswechsels im Reich gefördert worden. phantastischen Ideen über die Vorteile jongliert, die uns aus einem Auseinanderfallen der Entente erwachsen tönnten, sollte man erkennen, wohin die Schweinereien von Stettin , Wie die PPN. hören, hat die Reichsregierung ihren StandBassau und Ingolstadt geführt haben: nämlich zur Schaffung punkt zur gestern eingetroffenen Note wegen der Vorfälle in Bassau, einer Einheits front Englands, Frankreichs , Ingolstadt und Stettin noch nicht festgelegt, sondern sich zunächst Japans gegen mit Bayern ins Benehmen gesezt, um eine Berständigung herItaliens, Belgiens und beizuführen und den Sachverhalt und die Rechtslage zu prüfen. Deutschland ! Nach Eingang der Note hat gestern abend beim Reichskanzler eine erste Besprechung der Reichsminister stattgefunden.
Allerdings ist es sicher, daß in dieser Angelegenheil Frankreich die treibende, scharfmacherische Kraft ist, und Unterschrift Poincarés, sondern sie ist auch augenschein die Note der Botschafterkonferenz trägt nicht nur formell die lich sein eigenes Wert. Denn sie beruht in der Hauptfache auf einer spißfindigen Unterscheidung zwischen Entschuldi gung" und" Bedauern", die nur in dem Advokatengehirn eines Poincaré eine derartige Bedeutung erlangen fonnte, daß sie jetzt zur Grundlage und zum Vorwand einer großen„ Aktion" geworden ist.
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Die nicht oder nicht vollständig erfüllten Forderungen, von denen die Note Poincarés spricht, waren u. a. in dem zwischenfe's von Bassau folgende:
1. Entschuldigung der verantwortlichen Ortsbeamten, 2. Abberufung des Polizeichefs,
3. Abberufung des Offiziers, der an der Spitze des Passauer Truppenteiles stand.
München , 2. Dezember. ( Mtb.) Zu den Genugtuungsforderun gen der Botschafterkonferenz für die Vorgänge in Ingolstadt und Passau wird amtlich bekanntgegeben: Ministerpräsident Dr. v. K nilling reift am nächsten Montag nach Berlin , wohin der Reichsanzler die Ministerpräsidenten der Länder für den 6. Dezember
Die Entschuldigung der Beamten ist erfolgt, allerdings wurde Und das ist das Empörende, gegen das auch wir sie als ungenügend von seiten der Militärkontrollfommission 2. die betreffs des Borfalls in Ingolstadt der Deutschen Regie- Sozialdemokraten uns wenden müssen: wegen eines dialekti- beanstandet. Der Bataillonskommandeur in Passau wurde abberung von der Interalliierten militärischen Kontrollfommiffion anzu- fchen Kniffes wird neuer Haß zwischen den Völkern gefät, rufen, die bayerische Regierung verweigerte indes die geforderte Abgebenden Wiedergutmachungen und Sühnehandlungen auszu- wobei letzten Endes wohl bei Poincaré der Gedanke ausschlag- berufung des Passauer Polizeichefs. führen sind, gebend war, daß er mit neuen stilistischen Brutali 3. der bayerische Ministerpräsident der Inter- fäten gegen Deutschland sein eigenes Breitige in Frankreich aillierten militärischen Kontrollkommiffion schriftlich seine Ent- wieder heben könnte. Der Ton dieser Note ist einfach wider fchuldigung für die Vorfälle in Passau und Ingolstadt auszusprechen wärtig: aus ihr geht die Absicht nur zu deutlich hervor, eine günstige Gelegenheit zu erhaschen, um ein ganzes Bolf zu be4. jede der Städte Paſſau und Ingolstadt mit einer Buße leidigen und zu demütigen, das zu neun Zehnteln die von 500,000 Goldmark bestraft wird, die an die Inter - nationalistischen Exzesse ebenso aufrichtig verurteilt, wie jeder alliierte militärische Kontrollkommiffion zu zahlen ift. Sollte dieje vernünftige Mensch in den anderen Ländern. Zahlung zu dem festgefehlen Tage nicht oder nur teilweise bewirkt Aber darüber hinaus scheint Boincaré noch ein weite fein, so würden die allierten Regierungen zu ihren Gunsten 1 Million Goldmark oder den Gegenwert dieser Summe aus den Geldmitteln res 3iel zu verfolgen, über das der regierungsfreundliche erheben, die die bayerische Regierung aus der Pfalz bezieht, oder, falls diese nicht ausreichen, aus irgendwelchen anderen von ihnen zu bestimmenden Mitteln im besetzten Rheinland . Ich beehre mich, Euere Erzellenz zu bitten, das Vorstehende zur Renntnis Ihrer Regierung bringen zu wollen. Genehmigen Sie usw. ( gez.) R. Poincaré .
" Petit Parifien" etwas voreilig und unvorsichtig aus der Schule plaudert. Der Gedanke, bayerisch- pfälzische Städte und Werte im besetzten Gebiet für die Sühneforderungen der Entente haft bar zu machen, entpuppt sich dabei als ein machiavellistischer Plan, der auf die Reparationsfrage angewandt werden soll. Das Pariser Blait schreibt anscheinend
zu einer Aussprache eingeladen hat. Der Ministerpräsident wird am Dienstag die Note der Botschaftertonferenz wegen der Vorgänge in Ingolstadt und Bassau mit den zuständigen Reichsstellen be= sprechen, nachdem er hier bereits die notwendige Fühlung mit dem and tage aufgenommen hat. Die Entscheidung der banerischen Regierung wird sofort nach der Rückkehr des Ministerpräfidenten getroffen und der Deffentlichkeit mitgeteilt werden.
Dollar: 8250.