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Seilage öes vorwärts
dlenstag, 5. Dezember 1922
Nicht 20-, fonöern ZOfache Irieöensmiete im Dezember. Einfach möblierte Zimmer etwa 13VV Mark.
Am letztmöglichm Tage hat der Magistrat die Mietsätze mit Wirkung zum 1. d. M. heraufgesetzt! die entsprechende Anordnung ist als Sonderausgabe des„Gemeindeblatts" mit dem Datum nom 30. v. M. veröffentlicht. Es wäre wünschenswert, wenn der Ma- gistrat derartige Bekanntmachungen etwas früher erlassen würde, da sonst die Wirkung zum nächsten Monotsersten bestritten werden kann, muß doch nach ß 11 des Reichsmietengesetzcs die„B ek a n n t- gäbe" vor dem Monatsersten erfolgen. Der Magistrat hat die Mietzuschläge zum Teil erheblich höher heraufgesetzt, als anfangs be- absichtigt war und als unserer Berechnung in Nr. öS2 vom 22. v. M. entspricht. Noch wesentlich niedriger waren die Sätze, für die die vom Ausschuh für das Wohnungswesen gehört« Vertretung der Mieterschaft eingetreten ist. Treppenbeleuchtung auf Mieterkosten. Neu ist, daß die Kosten der Treppen- und sflurbeleuchtung seht in voller höhe umgelegt werden können, und nicht bloß bis zu einer vom Magistrat festgesetzten Höchstgrenze. Das mag begründet sein, da die Festsetzung der Gas- und Strompreise der Einwirkung des Vermieters entzogen ist und ein übermäßiger Verbrauch von der Mieterschaft verhindert werden kann. Nachdem der Gaspreis soeben aus 30 M. pro Kubikmeter herausgesetzt worden ist und der Preis für das elektrische Licht auf 1(50' M. für die Kilowattstunde, müssen die Beleuchtungskosten für Dezember mit etwa 440 Proz. der Grund- miete veranschlatzi werden. Der Wasscrpreis ist von 30 auf 60 M. pro Kubikmeter erhöht, wonach für Wasserverbrauch mit etwa 1200 Proz.(statt bisher 600 Proz.) zu rechnen ist. Die Höchstsätze haben sich wie folgt geändert: Bisher Jetzt Müllabfuhr ... bis 400 Proz. g(im Okt. 100) bis 500 Proz. g Schlackenabfuhr.,85,,, 150,, Feuerversicherung*) offengelassen, 400,» Sonst. Versicherung, 40,,, 150,, Fabrstublbetiieb., 50„,, 200, (Das kleine g bedeutet in ollen Fällen dos Wort Grund- m i e t e, das klein l Friedensmiete.) An Derwollungskosten ist eine feste Pauschale von 150 Proz. für einfache Häuser und von 200 Proz. für Häuser mit besonderen Einrichtungen zugebilligt. Der Reparaturkoslenzuschlag beträgt je 300 Proz. für lausende und große Instandhaltung. Den letzteren Zu- schlag kann nur das Mieteinigungsamt im Einzelsall festsetzen und darf insgesamt für alle Reparaturen die genannte Höchstgrenze nicht überschreiten. Der Satz für die Steigerung der hypothetenzinfen ist <so auch die Voransage in Nr. 552) von 5 auf 10 Proz. erhöht. Die Dezembcrmiete bildet sich danach aus folgenden Bestandteilen:
Untermieter in möblierten Wohnungen. haben das 2�fache bzw. öM-foche bzw. 6sache der Miete für den leeren Raum zu zahlen, neben den Kosten der Reinigung, Heizung, � Beleuchtung und sonstigen besonderen Nebenleistungen. Die drei- fache Abstufung entspricht aber der Unterscheidung zwischen„einfach", �„bürgerlich" und„elegant" möblierten Zimmern. Legt man einen Friedenspreis von 20— 30 M. für den leeren Raum zugrunde und vervielfacht diesen mit 30(als Steigerungsmultiplikator für Dezem- � der), so ist die jetzige Leerraummiete von 600 bis 900 M. a) für einfach möblierte Zimmer mit 2.5 zu ver- vielfachen, das sind.......... 1500—2250 M. b) für bürgerlich möblierte Zimmer mit 3.5, d f. 2100—3150, c) für elegant möblierte Zinnner mit 6, das sind 3600—5400,
Uebrigens ist nicht recht verständlich, wie die Mobiliar- miete generell in einem Prozentsatz zur Raummiete ausgedrückt werden kann, da nicht einzuselzen ist, weshalb dos gleiche Möbel- stück, je nachdem es in einem billigen oder teueren Raum steht, ein Vielfaches der billigen oder teuren Raummiete als Mietpreis bringen soll.
Proz. g 1 Aeststeheude PauschalsShe: Sypoihekenzinfen... 10 Verwaltungskosten(Regek- fall)....... 150, Lfd. Notinstandhaltuna. 300
zus. 460 2 vollumzulegende Lelrlebskost.: (geschätzt auf) Grund- u. Gebäudesteller 80 Entwässerungsgebühren. 100
Ueberirag 180
Proz. g Uebertrag 180 Woffergeld..... 1200 Schornsteinfegergeld.. 42 Treppen- u-Flurbeleuchta. 440
zui. 1862 3. höchstbegrenzle Betriebskosten: Müllabfuhr ..... 500 Feuerversicherung... 400 Sonstige Bersicherung. 150
zui. 1050 4. kosten für große Reparaturen bis...... 300
Die Summe der Josten zu 1— 1 ergibt 3672 Proz. g oder 2938 Proz. der Friedensmiete, mithin rund das Dreihigsache der Friedensmiete. Bei Häusern mit heizungsanlagen kommen die er- höhtcn Verwaltungs- sowie die Kosten für Schlockenabsuhr hinzu, das find 200 Proz., bei Fahrstuhlbetrieb weitere 200 Proz., insge- fomt also 400 Proz. g oder 320 Proz. k. Mieter in solchen Häusern haben daher mit der dreiunddreißigfachen Friedensmiete zu rechnen. •) Wir haben in der Tobelle in Nr. 552 mit 200 Proz. g. nämlich 0,4 pro 1000 vom 300fachen Herstellungspreis de» versicherten Gebäudes gerechnet. Der Magistrat läßt nach dem neuen Höchstsatz die Umlage einer Miete für die Prämie nach dem OOOfachen Her- siellungSpiciS zu.
4. Dezember. Gestern, am Sonntag, gab es Apfelreis zum Mittag. Weil mein Mann außerhalb des Hauses zu tun hatte, gab es dieses billige Essen. Das bißchen Fleisch, das wir uns leisten können, soll es geben, wenn er mit uns zu Tische sitzt. Ich kaufte Liter Milch für 127,50 M. und 5 Pfund A e p f e l für 75 M.: zusammen 202,50 M. Für das Mittagessen verbrauchte ich aber nur: Liter Milch..... 86,- M. 1 Pfund Reis..... 220,—, Zucker...... 23.—,
Die Spielwut. 75 Spielhöllen im Norden Berlins ausgehoben. Die durch die fortschreitende Geldentwertung geschaffenen im- sicheren wirtschaftlichen Verhältnisse scheinen die S p i« l w u t in allen Kreisen der Bevölkerung zu stcizeru, so daß sich fortgesetzt neue Spielerlokale auftun. Die Wirte lassen sich durch die schweren Verwaltungsmaßnahmen, bestehend in der herab- setzung der Polizeistunde und teilweise sogar in der Schließung des Lokals nicht abhalten, Glücksspiele bei sich zu dulden, zumal ihr Verdienst aus dem Schankgewerbe infolge der unerschwing- lichen Bierprcise sehr gering geworden ist und sie sich nun- mehr auf andere Weise einen Nebenverdienst verschaffen wollen. Es gehört zu den Seltenheiten, daß sich in einem ausgehobeneu Lokal zum zweitenmal eine Spielergesellschaft einnistet. Besonders beliebt als Spieltage sind die Tage nach der Lohnzahlung, Donnerstag bis Sonnabend. Die Spieler gehören allen B c- rufsständen und ollen Altersgruppen an; überwiegend sind es verheiratete Männer, daneben auch Jugendliche bis z>! 18 Jahren und Frauen. Die Polizei ist dur6)wog auf Grund von Mit- teilungen von Frauen eingeschritten, die die Aushebung der Lokale verlangten, weil ihre Ehemänner dort den größten Teil, zuweilen sogar den ganzen Wochcnlohn verspielt hatten, worunter die Familie in der ganzen folgenden Woche schwer zu leiden Halle. Die Aushebung der Lokale wird immer schwieriger, da die Spieler sich immer mehr durch Spanner und sonstige Sicherheitsmoß- nahmen zu schützen suchen. In den meisten Fällen muß das Lokal wochenlang, oft sogar monatelang beobachtet werden, ehe ein polizeilicher„Ueberfall" möglich ist. Das Polizciamt Wedding, das Ende Oktober bereits 50 Spieleilokale ausgehoben hatte, hat inzwischen weitere 25 Spielhöllen unschädlich gemacht. Insgesamt sind dabei etwa 700 Personen polizeilich fest- gestellt sowie Geld und Spielgeräte be'chlaanahmt worden. Im letzten Monat wurden allein über 40 000 M. Spielgelder«ingezogcn.
Aepfel
30—. 350,— M.
Einschließlich Feuerung stellt sich also das Mittagessen aus etwa 400 M. Als mein Mann zurückkam, klagte er über Ohrcnfchmerzen. Es ist ja auch kein Wunder. Einen Raum kann man nur! heizen, sonst reichen wir mit der Feuerung nicht aus. Die Schlaf- kammer ist so kalt, das Zimmer ebenso, so daß schon die Kinder beim Schlafengehen sagten:„Hu, Mutti, ist das kalt hier drin, du heizt auch gar nicht mal." Hoffentlich wird es mit dem Befinden meines Mannes wieder besser. Denn wovon soll mann den Arzt bezahlen? Einem wird himmelangst, wenn man daran denkt.— Heute hat es Reste gegeben zu Mittag(vom Sonnabend und Sonntag) Reis und ge- bratene Klöße. Trotzdem mußte ich noch ausgeben: Fahrgeld........ 80,— M. l/l Liter Milch..... 00,-. 1 Brot........ 286,—. Seife. 200,—„ 65«.— M. Die Kinder waren nicht satt geworden. Die Aepfel, die von gestern übrig waren, verschwinden mir unter den Händen. Uebcr- Haupt, drei solche Trabanten sind kaum satt zu kriegen, ewig haben sie Hunger. Trotzdem bin ich mit meinen Jungens zufrieden. Der zweite, der Hermann, wäscht immer das Geschirr ab. Er und die anderen müssen Helsen , als wenn es Mädel wären. Der ältere ist bei den„Kinderfrcunden(Arbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde. D. Red.). Er macht dort eine hübsche Flechtarbeit, tut so verschmitzt und sagt, es soll eine Weihnachtsfreude für mich werden. Jetzt ist bald wieder Weihnachten heran. Man möchte den Kindern auch eine Freude machen, es wird aber wohl nicht viel werden, denn wie ich gehört habe, soll ein Weihnachtsbaum mittlerer Größe 500 M. kosten. Das wird noch viel Kopfzerbrechen machen. l
»der deutsche Kaiser hält die Wacht!" Noch immer werden in deutschen Schulen alte Lehrbücher benutzt, die von m o n a r ch i st, s ch- m i l i t a r i st i- schem Geist erfüllt und durchseucht sind. Wie sehr dadurch die deutsche Republik verhöhnt und dem Gespött des Auslandes preis- gegeben wird, scheint man an den„maßgebenden" Stellen nicht zu begreifen. Nichtig ist, daß die allgemein« Teuerung es aufs äußerste erschwert, die alten Bücher durch neue zu ersetzen. Aber längst hätte dafür gesorgt werden können und müssen, wenigstens die schlimmsten Auswüchse und widerwärtigsten Blüten des Byzantinis- mus rücksichtslos zu vernichten. Die sozialdemokratische„Ober- hessische Volkszeitung" teilt eine Probe mit, die kaum noch zu überbieten ist. In H e f s e n wird ein Lesebuch benutzt, das im Jahre 1919, also nach der Revolution, gedruckt wurde. Dieses Buch hat in seinem„vaterländischen" Teil, den noch der Spruch„Mit Gott für König und Vaterland" sowie der Preußenadler und die Kaiserkrone fchmückcn, noch Aufsätze über den„Kaiser " und über die„Kaiserin'. Das Tollste ist ein„K a i s erges an g" von Albert Roderich. Die erste Strophe lautet: Es geht ein Zittern durch die Welt Von der Kanonen Dröhnen. Wir sind von Feinden rings umstellt, Der deutsche Kaiser zieht ins Feld Mit leinen sieben Söhnen. Und die letzte Strophe erzählt über die Feinde prahlend: Ein Sturmwind hat sie umgebracht, Die uns vernichtet wähnen. Die Feinde waren schlecht bedacht, Der deutsche Kaiser hält die Wacht Mit seinen sieben Söhnen. Der del»tsche Kaiser hält die Wacht? Da sagt der Berliner:„So siehst du aus!" Wie stellen die Pädagogen, denen in Deutschland die Erziehung des Nachwuchses anvertraut ist, sich eigentlich die heutige Wirkung solcher ehemals als„patriotisch" ge- priesenen Reimereien vor?„Der deutsche Kaiser hält die Wacht!" In Holland , wohin er beim Zusammenbruch desertierte, genießt er jetzt Flitterwochen in zweiter Auflage. Das deutsche Volk aber führt einen verzweifelten Kampf gegen Not und Elend, die mit dem Tage begannen, als„der deutsche Kaiser ins Feld zog".
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Die Well ohne Sünde.
Der Roman einer Minute von Dicki Baum. Ein neuer Schrei. Ein neuer Hunger. Blind brachen sie weiter vor, in die Stadt«in und brüllten da mit aufge- reckten Fäusten ihre Anklagen in den Himmel hinauf. Sie stierten durch zerfallene Straßenschluchten, drängten Treppen empor, langten vor der Kirche an und verstummten grell. Unter dem Portal standen ihre Herren Anfelmus, Börries, Egidius, Leonhard. Leonhard war blutig und zerfetzt, das schürte ihren Hunger neu. Sie ballten sich und brachen vor, die eiserne Stange des Schusters Egge schwang vor ihnen wie eine auf- reizende Fahne. Noch sahen sie Egidius Hände wehrend aufgehoben und sahen nur mehr rotes. Anfelmus rief über den Platz hin und feine Stimme ertrank völlig im Aufruhr. Da warf sich eine Frauenstimme über den Platz und die hörten�sie.��l r}ej Hornel. Und noch einmal, den starrenden Totengesichtern der Vordersten entgegen und leise in der plötzlichen Stille:„Schwestern.-- Dorine war es, die ihren Arm zuerst erhob, die kranke Dorine gegen die gesunde Kornel, und sie hineinriß in die Hölle des Zuges Die Eisenstange fiel auf sie nieder, dann warfen sich Hände über sie, Glieder, unnennbares Geschehen. Dann, wie in plötzliche Sättigung, wichen die ersten zurück. schlaff hing die Eisenstange aus Egges Hand, und Dörmens Gesicht barg sich in den besudelten Fetzen der Barackentl-tdung. Nückwärts begann ber-3�3 taumeln» ,}u gleiten, fiel, stürzte, zurückgedrängt und treppabwärts hinunter, immer hinunter in die Tiefe der Straße. Am Kirchenplatz lag Kornels kleine, ohnmächtige, ver- wüstete Gestalt, die Egidius aufhob und forttrug. Er sagte nichts. Er beugte sich nur einmal und küßte ihre geschlossenen Augen und die armen, besudelten Lippen. „Das alles ist fa nicht wahr' Linde." flüsterte Anfelmus ins Dunkle hin, das ihm so grauenhafte Bilder gebar. Eine tröst- liche Stimme war ihm nahe und gab Antwort. „Was ist nicht wahr. Liebster?" „Ach Linde, liebe Linde: ich habe schreckliche Dinge gesehen. Sie sind nicht wahr. Es sind nur Bilder, nicht einmal Bilder,
nur Gedanken. Hier, hier, hinter meiner Stirne geschieht es so—" •„Wovon sprichst du, Anselm?" „Hast du den Ton nicht gehört? Es war wie ein kleiner armer Klagelaut. Hat man Kornel nichts getan?" „Nein, nichts. Ich weiß von nichts. Wohin starrst du? Komm, sieh mich an, Lieber." „Ich kann mich nicht nach dir umwenden. Linde, ich muß vorwärts schauen, was aus der Dunkelheit kommt. Wie lange schaue ich schon so ins Dunkle, Linde?" „Eine Minute. Eine halbe Minute, oder nur einen Augenblick. Komm, du bist müde, gib mir deine Hand, laß den Spaten los. Du hast schon so tief gegraben, tief genug für alle Wurzeln." „Es ist ja alles nicht wahr, Linde. Es ist ja nur ein Spaten, den ich balte, kein Hebel. Es ist ja nur aufgegrabene Erde, das Dunkel, in das ich schaute und aus dem die Bilder mir kamen, nicht der Gang unter der Stadt. Ich bin nur müde, ich mächte in deinem Schoß schlafen, Linde." „Komm, mein lieber Junge, ruhe aus." „Wirst du an mich denken, während ich im Bergwerk bin, Linde?" „Ich denke an dich, Tag und Nacht. Ob du hei mir bist oder weit fort, ich denke an dich. Weißt du es nicht. An- felm? Ich war noch ein Kind, da dachte ich schon an dich in jedem Augenblick. Ganz klein war ich und sah dich über die Straße geben; sie schrien hinter dir her, Aufwiegler! Volks- verHetzer! Du schautest nicht hin, warst ganz aus Stein und so. als brenntest du von innen: du hattest andere Augen als olle anderen, die ich gesehen hatte. Da begann ich an dich zu denken. Später, es war schon viel geschehen im Land, hörte ich dich sprechen, auch im Fabrikhof. Sie streikten damals und hatten den Mut verloren. Da sprachst du und sie hatten wieder Mut. Du weißt nicht, wie du warst, damals. Anselm. Eine Flamme— nein, mehr als eine Flamme. Ich habe nichts vergessen „Das war damals. Und jetzt. Linde, was ist jetzt aus mir geworden?" „Jetzt liegst du in meinem Schoß, sieh, ich darf dich streicheln. Liebe, hohe, harte Stirne, liebe Schläfen, seid ihr müde? Liebe Hände, fleißige Hände. Nun habt ihr noch gegraben und pflanzt noch einen Baum vor unsere Hütte,' damit ich nicht ganz allein bin. Ich werde Sehnsucht haben, Anselm—"
„Du kannst ja sprechen, Linde, liebe Linde. Kannst du auf einmal sprechen, nun, da wir Abschied nehmen?" „Wir nehmen nicht Abschied." „Nein, nicht den großen Abschied. Nur einen kleinen. Ein Jahr bleibe ich im Bergwerk. Wenn ich zurückkomme—" „Wenn du zurückkommst, ist Schatten unter dem Baum, den du heute pflanzt. Wenn du zurückkommst, Anselm— dann ist ein kleines Stimmchen im Haus." „Ich bin durstig, Linde, ich möchte trinken." Er öffnet die Augen, über ihm ist Himmel ausgespannt und unter ihm ziehen hundert kleine Tiere ihre Straße durä) das Gras. Weiter sieht er die Wand seiner Hütte und dann Linde, die sich über den Brunnen bückt und windet, schöpft, den Krug füllt, sie kommt und bringt das Wasser kühl an seinen Mund. Er trinkt und lächelt.„Das tust du nun seit hunderttausend Iahren, liebe Frau," sagt er dann.„Bielleicht ist es danim so schön—" Sie lächelt mit ihrem stillen, verwundert fragenden Blick. „Wasser schöpfen und Durstigen zu trinken geben— die ewige Bewegung der Frau. Vor hundertkaufend Jahren hast du damit angefangen. Heute, in diesem Augenblick tust du es an hunderttausend Orten der Erde. Abxr du bist traurig?" „Manchmal wird mir kühl, wenn du sprichst. Ich kann es nicht sagen, wie es ist. Es kommt ein kleines Schauern. Ich bin durch viele Mauern zu dir gekommen, immer wieder näher und immer wieder. Aber irgendwo bist du allein hinter einem allerletzten Ring, und ick muß vor der Türe stehen mit meinen vollen Händen. Du sagst ein Wort; d-i sagst: die ewige Bewegung der Frau. Da friere ich, mir ist, als wäre ich yar nicht lebendig für dich. Du denkst so viel. Auselm. aber mich' sollst du spüren. Sieh mich an. Anselm— ach nein, sieh mich nicht an. Ich möchte schön sein, so schön, daß du alles vergißt, was du gedacht hast—" „Du bist schön. Deine Hände sind wunderbar, Lind», ich liebe deine Hände, auch deine Siimme liebe ich. Deinen Gang liebe ich über alles, die Stille selbst geht nicht anders, wenn sie abends in unser Dorf kommt. Wie schön ist es, daß du immer mit bloßen Füßen gehst, Linde. Du hast die schönsten Füße, die ich bei einer Frau sah. Zeig diese schmalen weißen Sohlen, immer sind deine Sohlen rein und weiß, das liebe ich an dir, Linde. Sieh, jetzt küsse ich deine Sohlen—" Stille. (Fortsetzung jolgt.)