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sich die Finger sämtlich dermaßen verbrannt hat, daß er keine Lust mehr spürt, noch irgend etwas selbst anzufassen.(23. Februar 1891.) Es fragt sich nur, ob Caprioi sich nicht schon zu viel hat ge- fallen lassen, und ob nicht er sowohl wie die Minister erklären müßten:Bei solchem Regiment können wir nicht bleiben." Dieser Fall wird endlich eintreten müssen.(20. Mai 1891.) Leider ist dieser Fall nicht eingetreten, bis di« deutsche Regierung in den Weltkrieg torkelte, wofür das deutsche Volk jetzt die Riesenzeche zu zahlen hat, während es Wilhelm in Doorn sehr gut geht. Anscheinend befinden wir uns nahe vor oder schon tn einer Kanzlerkrisis. Der Kaiser spricht mehrfach von eventuellen Nach- folgern, ist auch auf mich angeredet worden und soll erwidert haben: New, den hebe ich mir für etwas anderes auf? der Posten ist auch ein schlechter, wer auf ihm noch kein gemeiner Kerl ist, der wird es.(21. November 1891.) Dazu bemerkt Waldersee:Für mich ebenso schmeichelhaft wie erfreulich, aber was für ein Standpunkt!" Im übrigen regt sich Waldersee anscheinend nicht sehr darüber auf. Er selbst stellt Bismarck (am 5. März 1890) als gewohnheits- mäßigen Lügner dar:Namentlich hatte mich der fortwährende Gebrauch der Lüge als Kampfmittel sehr gegen den Kanzler eingenommen" Caprivi nennt er desgleichen gelegentlich einen Lügner und bösartigen Verleumder(10. Dezember 1891), der es geschickt verstehe, dieMaskedesViedermannes aufzusetzen, aber falsch ist wie Galgenholz."(27. De- zcmber 1890.) All« guten Freunde sagten mir, ich solle es als ein Glück be- trachten, jetzt nicht in Berlin sein zu müssen, wo das Leben immer unbehaglicher würde, wo Schusterei, Doppelzüngigkeit und Feigheit in einem Grade zunehmen, daß keiner mehr dem anderen traue.(4. Januar 1892.) Es schien mir so, als ob er(der badische Großherzog) mit diesem (dem Kaiser) noch keine ernste Unterhaltung gehabt habe, ich konnte ihm sagen, daß der Monarch solchen überhaupt gern ausweicht. (30. Januar 1892.) Es besteht ein klägliches Intrigenspiel, in dem Eaprivi, Dötticher, Miguel, Zedlitz, Lucanus.ihre eigenen Wege zu gehen versuchen, keiner dem andere n.traut, keiner genau weiß, was der Kaiser will, namentlich, wie weit er gehen will, und alle noch Ein» flüsse ahnen, die sie nicht recht, kennen.(21. Februar 1892.) Miguel hat den Kanzler immer für falsch und unfähig gehalten; seine Eindrücke haben sich nur verschärft____ Er sagt, wir hätten M i n i st e r, aber kein Ministerium, es liefe alle» auseinander.(8. Ma! 1892.) Am 25. Januar 1893 beschwert sich Waldersee in einem Briese an den Generaladjutanten v. Plessen, daß Klatsch, Mißtrauen usw. in der Umgebung des Kaisers herrschten, und daß, da die meisten ja leider abhängig sind, die Charak- tere in Massen gebrochen werden". Der preußische Justizminister Friedberg sagte Waldersee: Sie können dankbar sein, daß Sie in Altona wohnen; hier ist der Krieg aller gegen alle."(22. Aprll 1893.) Der damalige Gesandte in Stockholm , Graf Wedel, und der Botschafter in Wien , Prinz Reuß, bezeichneten beide das. Aus- wärtige Amt wegen des Treibens der Holstein, Kiderlen, Payser als A u g i a s st a l l. Männer von einigem Selbstgefühl können eben auf die Dauer mit dem Kaiser nicht wirtschaften. Er hat Heimlichkeiten und daraus entsteht Mißtrauen. (29. Oktober 1894.) Nach meiner Meinung ist er(der neue Kanzler, Fürst Hohen» lohe) überhaupt nur möglich, wenn man ihm für di««Igent» liche Arbeit einen Vizekanzler zur Seite stellt. Natür- lich wird er dem Kaiser zunächst durch seine Schwäche und Nach» giebigkeit sehr angenehm sein.(29. Oktober 1894.) Am 9. April 1895 schreibt Waldersee schon wieder, daß Hohenlohe nicht viel mehr als eine Null darstelle, darüber seien sich alle einig. Hohenlohe selbst aber denkt:Ich habe mir fest vorgenommen, mich über nichts zu ärgern, und lasse alles laufen. Wollte ich es anders machen, so müßte ich wöchentlich mindestens einmal den

Kuriositäten. Don Bruno Manuel. Im Leben wird manchmal vom Großen zu viel und vom Kleinen zu wenig hergemacht. Das gilt auch für das aufs Papier projizierte Leben, dessen Kenntnis die Druckerschwärze vermittelt. Man muß bei der Lektüre oft Gestalten und Ereignisse ins umge­kehrte Gröbenverhältnis bringen, um ihren Wert und den Umfang ihrer Auswirkung zu ergründen. Große Lettern sind nicht immer das Privileg für große Ereignisse. Zeitunglesen erschöpft sich nicht im Ueberfliegen fetter Schriftsätze. Versteckte Zwölszeilennotizen können die Weisheiten und Kriterien kompakter Leitartikel besitzen, wie kompakte Leitartikel die Leicht- und Seichtheiten versteckter Zwölfzeilennotizen besitzen können. Man liest etwa so nebenher in der Chronik von zwei Bekrügern, die unehrlichen Stoffhandel trieben. Die Hochflut der Prozesse schiebt zwischen Delikt und Richterspruch eine längere Zeitspanne. Die Verhandlung stellt schließlich manches richtig. Zeugenaussagen verschieben das Ursprungsbild. Die beiden Händler halten(so was ergibt sich) kein betrügerisches Motiv. Freispruch erfolgt Jahr und Tag nach der Beschuldigung: sie nehmen ihre beschlagnahmten Stoff- ballen in Empfang. Als das Gericht sie an sich nahm, stand der Dollar 390. Als die Freigesprochenen sie wiederbekamen, stand er 8000. Die Anklage hat zwei zu vielfachen Millionären gemacht. Dieser Prozeß birgt ein Kriterium der Zeit: er ist ein Beweis mehr für den Wahnsinn der Weltwirtschaftskrise. In diesen Zeitläuften kommt es auch vor, daß jemand unbedingt ins Gefängnis will. So einem glückt es aber nicht. Täglich stellen sich der Polizei Delinquenten zur Verfügung, die schwören, etwas auf dem Kerbholz zu haben. Jüngst kam einer, um drei Monats abzu- sitzen wegen eines antiquierten Vergehens. Man beachte: drei Monatel Bis dahin ist der Winter aus. Die Beamten durchstöberten Akten und Tagebücher nach dem Fall. Häuften Jahrgang auf Jahr- gang. Dann fanden sie es und zuckten die Achseln: die Tat, 1913 verübt, war längst amnestiert. Dieser Obdachlose oder Stelluaglose oder Kohlenlose muß erst wen unglücklich machen, bis ihm das Glück der geheizten Zelle blüht. Schließlich erhält er auch dann noch Strafaufschub. Tja,«s ist heutzutage keine Kleinigkeit, Gefangener zu werden. Di« Diebestechnit hält mit der Entwicklung Schritt. Die Zeit der Sauerstoffgebläse, Fangschirme und Strickleitern ist vorbei. Geld- schrankknackerei hat aufgehört. Hinter Panzerplattentüren liegen höchstens Akten. Bargeldloser Verkehr regiert die Stunde. Sogar die Spitzbuben haben sich in diesen Iahren wirtschaftlicher Saltos umstellen müssen. Auf ganz seltene Gedanken kam ein Pariser Dieb: er kroch im Laden eines Antiquars in ein« Ritterrüstung. Bei an- brechender Nacht klirrte er so durch den Raum, um gleich stehen bleiben zu können und nicht erkannt zu werden. Auf der Treppe soßte der Antiquar das wandelnde Blech ab, nahm ein Schwert von

Abschied einreichen." Was ist die Folge dieser Art Politik?: Alles läuft auseinander und ist verärgert, die INInisier schimpfen aufeinander und wirtschaften nur für sich. In der inneren wie in der äußeren Politik kommen heute Orders, morgen Konterorders und am dritten Tage wieder etwas anderes!(21. August 1895.) Seit fünf Iahren haben wir nun diesen Zustand und kein Minister(außer Zedlitz) hat sich dagegen aufgelehnt. In dieser ernsten Zeit, in der nur feste Charaktere uns helfen könnten, ist des Kaisers Hauptbeschäftigung, Charaktere zu brechen.(17. März 1895.) Es ist begreiflich, daß die Monarchie keine Führer züchten konnte, wenn der Kaiser so die Charaktere brach und das deutsche Bürgertum sich das drei Jahrzehnte nicht nur etwa stillschweigend, sondern sogar hurraschreiend gefallen ließ. Aber war es denn vor seiner Zeit bcsser? Unter dem alten Wilhelm duldete Bismarck als allmächtiger Hausmeier keine selbständigen Männer neben sich. Bei ihm mußten die Botschafter einschwenken wie die Unteroffiziere. Am 15. März 1886 verzeichnet Waldersee eine Aeußerung des Grafen Herbert Bismarck , der über die deutschen Botschafter in wegwerfender Weise urteile und sie gerne als Idioten bezeichne. Eine glaubhafte Aeußerung, denn Bismarcks Sprößling liebte es, die nicht vererbten Anlagen durch Kraft- meiertum und Rüdigkeit des Tones zu ersetzen. Waldersee selbst gebraucht gelegentlich über die zünftige Diplomatie in Summa so wegwerfende Ausdrücke, daß sie der Herausgeber heute noch durch Punkte ersetzt. Dabei darf freilich nicht außer acht gelassen werden, daß Waldersee ein Anhänger des An- griffskrieges war, wofür sich die Diplomaten Bismarckischer Schule nicht begeistern durften. Bismarck pflegte seinen Willen durchzusetzen:Die Minister sind völlig seine Krea- turen,erkommandiertimStaats minister! um und duldet keinen Widerspruch: alle diplomatischen Agenten berichten nur so, wie sie glauben, daß er es gerne hört. Alle Welt macht ihm und seiner Familie den Hof."(28. Februar 1889.) Weil weder unter Bismarck noch unter Wilhelm II. furcht­lose, charakterfeste Politiker zur Führung des Volkes gelangen konnten, erhielt der deutsche Zusammenbruch sein furchtbares Ausmaß. Am 26. April 18 9 2 schrieb Waldersee in sein Tagebucl): Die anderen Staaten können es aushalten, geschlagen zu werden wir nicht. Da» Deutsche Reich fällt auseinander. Preußen wird klein geschlagen und noch unter den Besitzstand von 1S15 zurück- gedrückt, die republikanischen Reizungen erhalten die Oberhand, und da» hau» Hohenzollern kann ins Exil gehen.... Daß wenigstens das Reich nicht auseinanderfiel, ist denen zu danken, die nach dem Zusammenbruch des preußischen Militarismus im Rahmen der Republik die Einheit des Reiches retteten. Die damals in schwerster Zeit die Führung über- nahmen, werden chre Anerkennung bei den künstigen Ge- schichtsschreibern finden. Die Höflinge Wilhelms II. ver- krochen sich am 9. November. Der neue Staat mußte sich und wird sich vom Vertrauen des Volkes getragene Führer schaffen. Vor einem Irrtum freilich muß sich das deutsche Volk hüten. Der Führer, der das ganze Volk hinter sich be- kommt, wird nicht geboren werden. Die Klassengegensätze sind eine reale Tatsache. Realpolitiker sollten sie am wenigsten übersehen. Sie werden erst in der sozialistischen Gesellschaft überwunden werden. Heute aber ist die nächste Aufgabe beut- scher Außen- und Innenpolitik: die Festigung der Re- publik. Hoffen wir, daß es unter den neuen Verhältnissen dem deutschen Bürgertum, dos jahrzehntelang Wilhelm und seine Paladine wirtschaften ließ, gelingen möge, für diese Auf- gäbe energische, klarblickende Führer zu finden. Die deutsche Arbeiterklasse weiß längst, daß das, was von deutscher Zukunft noch zu retten ist, nur von überzeugten Republi- ? a n e r n gerettet werden kann. Republikaner, die das Wort Republik nicht aussprechen können, ohne zu stottern, hätten besser getan, ihre politische Laufbahn unter Wilhelm II. ab- zuschließen.

der Wand, hieb den hilflosen Ritter um. Beim Sturz verbog sich das Disierscharnier: der Dieb kam nicht aus dem eisernen Anzug. Nicht die ganze Nacht, nicht den nächsten Tag. Die Polizei stopfte ihm durch die Rüstung einen Schlauch in den Mund, pumpte dem Hungernden flüssige Nahrung ein. Ganz Poris soll Tränen gelacht haben. Ein Fall, der vom Gerichtssaal ins breite Leben überspielt, der das Psychologische der Frauen seltsam beleuchtet: In Los Angeles stand eine kalifornische Schönheit wegen Mordes vor dem Richter. Dieses Verbrechen einer eleganten Weltdame zog d« gesamte Domen- weit auf die Zuschauertribüne. Optisch, weniger seelisch gespannt, er- wartete man die Vorführung der Mörderin. Die Reporter hielten die Bleistifte gespitzt, alle Kodaks waren auf die Anklagebank ge- richtet. Man brannte auf das Antlitz, vor dem alle Männer weich und alle Frauen neidisch wurden. Die Tür ging auf alles schwieg. Herein schritt die Angeklagte mit verdecktem Gesicht. Sie hatte vom Hals her einen Schleier hochgebunden, der bloß die Augen frei ließ. Sie sieht wieder mal entzückend aus," murmelten die Männer, und di« Frauen platzten vor Neid. Tags darauf lief in Los Angeles die Weiblichkeit verschleiert durch die Straßen, mit vom Hals her hochgebundenem Tüll, der bloß die Augen frei ließ. Es ist, wie ge- sagt, seltsam bestellt mit der weiblichen Seele. Das sind so ein paar Kuriositäten, die im Dasein blühen wie Blumen auf Wiesen. Man hat sie nur zu pflücken nötig. Puoli- zistische Gärtner oerpflanzen sie aufs Papier, übergießen sie mit Druckerschwärze und streuen sie in die Beete derKleinen Chronik", desNeuem vom Tage" und so.

Drüse und Seelenleben. Obenan in der Reihe unserer Hilfsmittel zur Volksaufklärung und Bildung steht der wissenschaftliche Film, da er an Eindringlichkeit das gesprochene Wort, wie auch das Bill) übertrifft. Denn am mühelosesten dringen interessante Laufbilder ins Bewußt. fein und haften durch chre dem Ablauf der sichtbaren Dinge des Lebens folgende Entwicklung. Auf den Gebieten der Naturerkennt- nis, fei es bei der Darstellung von Art, Sitten, Lebensbedingungen fremder Völker, sei es bei industriell-technischen Vorgängen, die die weniosten Menschen sonst kennen lernen, sei es bei Zusammenhängen von Boden, Pflanz«, Tier und Mensch, sei es bei der Einsicht in Ge- fetze seelischen Geschehens, überall ist der Film ein unentbehrliches Mittel geworden. So begrüßen wir es mit Freude, wenn der Film nun auch ver- sucht, neues Licht in ein dunkles und wichtig:? Gebiet zu werfen, Aufklärung zu bringen über gewisse Zusammenhänge zwischen eigen- tümlicken körperlichen Vorgängen der sogenannteninneren Drüsentätigkeit" und leiblichen wie seelischen Auswir- kungen dieser Sekretion gewisser innerer Drüsen. In der Wissen- schaft sind solche Erscheinungen seit etwa zwei Jahrzehnten bekannt, in der breiten Oeffentlichkeit sind sie vor allem durch die S t e i n a ch- scheu Entdeckungen, die sich hierauf aufbauten, viel besprochen worden. Dies di« Tatsachen: von der normalen oder abnormen

Die Gewerkschaften beim Reichskanzler. Aussprache über die fünf Punkte. Amtlich wird mitgeteilt: Die von den Spitzenver- bänden der Gewerkschaften angeregte Besprechung fand gestern nachmittag beim Reichskanzler statt. Ein- leitend betonte der Reichskanzler, daß die Regierung es als ihre Pflicht betrachte, mit allen Parteien und Klassen an der Lösung der schwebenden Fragen zusammenzuarbeiten, und daß nur Mangel an Zeit es bisher nicht zu einer Be- sprecbung mit den Gewerkschaften habe kommen lassen. Die Spitzengewerkfchaften hatten ihre Wünsche vorher schriftlich unterbreitet. Sie betrafen u. a. zunächst den zu er- wartenden B r o t p r e i s und die Frage, wie dessen Erhöhung der werktätigen Bevölkerung erträglich gemacht werden könne. Der Reichsernährungsminister erklärte dazu, daß bereits Vorbereitungen auf dem Gebiete des Lohn- und Ge- Haltswesens getroffen seien und daß sofort nach Feststellung des Ausgabenpreises der Reichsgetreidestelle neuerliche Fühlung mit den beteiligten Ressorts in Reich und Land und den wirk- schaftlichen Vereinigungen genommen werde. Bei der Aussprache über das Reichseinkommen- �steuergesetz wurde von den Gewerkschaftsvertretern auf die starke Belastung der Lohn- und Gehaltsempfänger und auf die Unbilligkeit hingewiesen, die sich als Folge der Geldentwer- tung aus verspäteter Steuerzahlung anderer ergebe. Der Reichskanzler verwies auf den dem Reichsrat zur Ab- stellung dieser Mißstände vorliegenden Gesetzentwurf . und auf die Bemühungen der Reichsregierung zu scharfer Er- ; fassung und schneller Erhebung der Steuern. Zur Frage der Wohnungsfürsorge wurde darauf hingewiesen, daß die sehr wesentlich gesteigerte Wohnungs- abgäbe verbunden sein müsse mit weitgehender Einwirkung auf die Preise aller B a u st o f f e, im besonderen die Preise für Holz, und daß weitere Voraussetzung die Beibehal- tung der jetzigen Wohnungsgesetzgebung sei. Die Erörterung hichüber wird mit den zuständigen Ressorts fortge- führt werden. Des weiteren wurde über die Preisgestaltung und die Möglichkeit der Berhinderung übermäßiger Verteuerung der Waren gesprochen. Die hierüber und zu den anderen erör- terten Fragen gegebenen Anregungen sollen von den zu st ä n- digen Ressorts verfolgt werden. Im weiteren Verlauf der allgemeinen Aussprache über innenwirtschaftliche Maßnahmen erklärte der R e i ch s k a n z- l e r, daß nach dem Willen der Regierung zur Tragung der unabwendbaren Lasten alle Kreise unseres Volkes nach Maß- gäbe ihres Könnens heranzuziehen seien. Der ungarische Parteitag. Wien . 23. Dezember.(Eigener Drahtbericht.) Der an den Wühnachtsfeiertagen in Budapest abgehaltene Parteitag der unga - rischen Sozialdemokratie war von über 300 Delegierten besucht. Die Polizei hatte sich ein großes Aufgebot geleistet. Etwa 20 legitimierte Geheimpolizisten und über 30 uniformierte Schutzleute überwachten den Parteitag. Das wiederholte Eingreifen der Polizei rief große Auftegung hervor. Ein solches Eingreifen erfolgte insbesondere, als Genossin Nina Bang- Kopenhagen von dem Land sprach, in dem es üblich fei, sozialdemokratische Redakteure totzuschlagen und ihre Leichen ins Wasser zu werfen. Der Kongreß wäre sicher von der Polizei aufgelöst worden, wenn man nicht infolge der Anwesen- heit ausländischer Delegierter Furcht vor der Wirkung einer Auflösung im Auslande gehabt hätte. Als Vertreter der Zweiten Indernationale war Genosse Vanderoelde gekommen, dessen Rede über die A m n e st i e eine ganz außerordentliche Wirkung übte. Sie war politisch sehr geschickt, vermied starke Angriffe und viele Parteigenossen meinen, daß diese Rede sehr günstige Folgen haben werde. Der Kongreß, an dem für die Deutsche Sozialdemo- kratie Genosse Dr. Adolf Braun teilnahm, hat sehr energisch gegen die geplanten Ausnahmegesetze und gegen die Verfolgungen pro- testiert und sich für eine aktive Sozialpolitik ausgesprochen.

oder ganz fehlenden Tätigkeit dieser Drüsen hängt in starkem Maße das körperliche und seelische Leben bei Tier wie Menschen ab. Besser als alle theoretische Darlegungen beweist dies das Experiment. Es ist gelungen, auf operativem Wege ohne Schädigung des operierten Wesens solche Drüsen von männlichen Tieren auf weibliche zu über- pflanzen und umgekehrt, nachdem schon vorher sei es durch Krank- heit, sei es durch Operation diese Tiere ihrer eigentlichen Drüsen beraubt waren. Und was war die Folge? Die Männchen wurden in Größe, Knochenbau» Muskulatur und Wesensart zu Weibchen,* die Weibchen wurden sozusagenkünstliche Männchen". Ein solches feminiertes"(vermeiblichtes) Männchen wird von anderen Männ- chen als richtiges Weibchen betrachte! und umworben, es vermag Junge zu säugen usw. Ein ursprüngliches Weibchen wirdmasku- liert'(vermännlicht). Es lag nal�, diese Experimente auch auf jene Zustände bei Menschen anzuwenden, deren seelische Einstellung nicht ihrer körperlichen(sexuellen) Art entspricht. Auch solche Operationen sind mehrfach ausgeführt worden, die Erfolg« sind vielverspreckiend. Nun hat es dieUfa" unternommen, im Film alle diese Pro- bleme darzustellen die beim Tiere und die beim Menschen. Vor einem geschlossenen wissenschaftlichen Kreise wurden diese jetzt auch für die Oeffentlichkeit freigegebenen Filme mit Erläuterungen durch Fachmänner vorgeführt und lebhaft diskutiert. Einige Redner warn- ten dringend vor solcher Aufklärung, aber andere vor allem Ver­treter des Dolkshochschulgedankens rieten dazu, falls der fach- männische Vortrag eines in Volksbildungsfragen erfahrenen Redners den Film einleitete und begleitete. Auch wurde gefordert, daß manches, was dem Fachmann ohne weiteres verständlich sei, den Unerfahrenen aber irreführen könne, wegfiele, anderes hinzugefügt werde. So könnte(in der jetzigen Form) der Film den Eindruck erwecken, als ob das Leben jener abnorm veranlagten Menschen nur im Rauchen, Konsumieren von Alkohol und Tanzfesten bestünde, während die positiven Leistungen solcher Menschen, ebenso wie die Nachtseiten und ungeheuren Gefahren dieser Veranlagung in sozio- logischer Hinsicht überhaupt nicht gezeigt wurden. Diesen An- regungen wurde vom medizinischen Mitarbeiter der Ufa sofort zuge- stimmt. Auch wurde den Darlegungen zweier Redner, die aus zu- fälligen Beobachtungen sich zu der Behauptung berechtigt hielten, man bring« solchen Fragen der Filmaufklärung mehr Verständnis in Verlin W. entgegen als in Arbeitervierteln, von uns energisch unter vielfacher Zustimmung entgegengetreten. Im Gegenteil, wir glauben gerade, daß hier die Kreise sind, die für solche Aufklörungs- arbeit am meisten in Betracht kommen! Denn hier ist jene Ernst- haftigkeit zu finden, auf der unsere Volkshochschularbeit beruht, hier ist man sich seiner sittlichcn, so-ialen Verantwortung bewußt, auch so heikle Probleme, die uns alle angehen, ohne Frivolität zu be- hand:ln. Wieviel Unqlück kann verhütet werden, wenn Eltern, Er- zieher, Freund« die Erkenntnis gewinnen, daß manche Züge ihrer Schutzbefohlenen gar nicht aufSchlechtigkeit", sondern auf abnormer Veranlagung beruhen, die körperlich bedingt ist! Dann kann man vielleicht solche im Grunde unglücklichen Menschen, die viel häufiger vorkommen, als der Laie ahnt, durch Rat und Hisse aus ihrer < körperlich bedingten) sozialen Minderwertigkeit(in Familie, Amt, Staat) herausholen und zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft erziehen.' Es ist erst ein paar Jahrhunderte her, daß man auch die eigent- lichen Geisteskranken, m Unkenntnis des Wesens ihrer Absonder-