Abendausgabe
Freitag
5. Januar 1923
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Nr. 740.Jahrgang
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Berliner Volksblatt
Ausgabe B Nr. 4
Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr
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Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Der 15. Januar: Kritischer Tag!
Die allgemeine Signatur der Lage, die durch das Schei-| hätte schon gestern auf der Tagesordnung der Kommission gestanden, werden fönnten, die Poincaré aus den produktiven Pfändern ziehen tern der Pariser Konferenz hervorgerufen wurde, ist das der fie sei aber proviserisch auf Verlangen der britischen Delegation wolle. Torretta mies darauf hin, daß die Herabjegung der deutschen allgemeinen Ratlosigkeit und Unsicherheit. Zwar geben sich bis nach dem Abschluß der interalliierten Besprechungen zurück- Schuld auch für Italien einen großen Schaden verursachen würde. die offiziösen französischen Kundgebungen den Anschein un- gesetzt worden. Es sei unwahrscheinlich, daß die Berfehlungen Er fritifierte ferner die Tatsache, daß England nicht nur die franbeugsamer Festigkeit, aber man fann unschwer aus ihnen die nicht wie bei den Holzlieferungen zur Feststellung eines neuen Besorgnisse herauslesen, die durch die jeßige verworrene Lage Bersagens Deutschlands führen würden. Auch ein Morato heraufbeschworen werden. Noch nie ist der tiefe Gegensatz rium für die verschiedenen Zahlungen fönne Deutschland mit zwischen der französischen und englischen Politik in der Repa- Stimmenmehrheit gewährt werden, wahrscheinlich aber nur auf die rationsfrage so deutlich wie jetzt zutage getreten, und die unge- Dauer von zwei Jahren, heure Aufregung, die zurzeit in Paris herrscht, scheint nur der äußere Ausdrud der Erkenntnis zu sein, daß sich Frankreich durch seine kurzsichtige Politik in eine Isolierung hineinbegeben hat, die für das französische Bolt von unabsehbaren Folgen begleitet sein wird."
Unter diesen Umständen werde des Borgehen der französischen Regierung hinsichtlich der Befihergreifung von Pfändern vor allem auf dem Anhang 2 des Zeiles VIII des Versailler Vertrages begründet sein, der den Alliierten im Falle vorfählicher Berfehlung von feiten Deutschlands gestatte, alle wirtschaftlichen, finanziellen oder andere Maßnahmen zu treffen, die die betreffenden Regierungen für notwendig erachten.
3öfifchen, sondern auch die italienischen Golddepots, die in der Bank von England aufbewahrt waren, nach Amerika gesandt habe, und die Absicht Englands, diese Depots nicht zurückzugeben. Er bemerkte, daß die italienischen Depots italienischen Privatinstituten gehören, die es seinerzeit dem italienischen Schazamt geliehen hätten. Jetzt sei infolgedessen das italienische Schazamt genötigt, den italienischen Privatinstituten diese Summen wieder zu erstatten, was für das italienische Budget eine große Belastung bedeute. Torretta erflärte, daß England für Deutschland Vorschläge gemacht habe, bie für Deutschland günstiger seien als die, die Deutschland selbst gemacht habe. Am Schluß seiner Rede faßte er die Hauptfinien der italieni schen Regierung dahin zusammen, daß der Blan Mussolinis die fran zösische und englische These vereinigen zu fönnen glaubt. Er verlangte, daß dieser Plan noch einmal gründlich geprüft werde.
Hier lam es zu einem Zwischenfall. Bonar Sam war sofort
siden.
lini folgende Erklärungen ab: Die italienische Abordnung in Boris
Am deutlichsten tritt diese Isolierung Frankreichs in der scharfen Kritik der gesamten englischen Presse zutage. Mit erstaunlicher Einmütigteit wendet sich die öffentliche Meinung In gewissen englischen Kreisen sei erklärt worden, England habe die damit einverstanden, den Plan Mussolinis anzunehmen, aber BoinEnglands gegen das verbündete Frankreich , dessen Politik als ein Weg zur allgemeinen Katastrophe und Anarchie be- Absicht, sich nicht länger in der Reparationsfommiffion vertreten zu caré widerfekte sich dem und erklärte, dies bedeute nur einen Zeitzeichnet wird. Unzweideutig wird damit gedroht, daß Eng- laffen. Dieses Gerücht habe jedoch noch feine Bestätigung verlust. Er wandte fich an Borar Law:„ Sind Sie geneigt, diesen land sich ebenso wie Amerika genötigt sehen werde, sich von gefunden, und wenn es begründet sein sollte, müsse darauf hin- Blan anzunehmen?" Bonar Lam zuckte die Schultern, worauf der europäischen Kontinentalpolitik zurückzuziehen und die gewiesen werden, daß die in der Kommission vertretenen Regierun- Boincaré anwortete:„ Wir müssen uns in das Unvermeidliche europäischen Staaten ihrem Schicksal zu überlassen. Diese gen fich aus ihr erst zurückziehen könnten, nachdem sie 12 Monate Worte scheinen feine leeren Drohungen zu sein. Die Erflä- Dorher ihren Austritt angefagt und ihn im Laufe des sechsten Monats danach bestätigt hätten. rung des englischen Delegierten Bradbury, an den Sigungen der Reparationsfommission nicht teilzunehmen, bedeutet den Der Standpunkt Englands. Anfang einer Enthaltungspolitif Englands, deren London , 5. Januar. ( Tul.) Von hiesiger amtlicher Stelle erZiel es anscheinend ist, durch Ausübung eines politischen und finanziellen Druckes Frankreich zur Besinnung zu bringen. hält man zur Stunde folgende Mitteilungen über den Abbruch der Bei dieser Politit rechnet England auf die Unterstützung Pariser Konferenz: ber Vereinigten Staaten. Die vorliegenden Melbun Die Ronferenz wurde gestern abenb um 7 Uhr abgebrochen. gen aus Amerika rechtfertigen die Erwartung, daß demnächst Es wurde als unmöglich gefunden, die abweichenden Standpunkte ein entscheidender Schritt der Vereinigten Staaten in der Re- zu verföhnen. Bevor Bonar Lam die Konferenz verließ, drückte er parationsfrage erfolgen werde. Andererseits dürften feine warme Freundschaft für das französische Belt aus, und PoinItalien und Belgien , die gemeinsam mit Frankreich caré machte feinerseits ähnliche Erklärungen gegenüber Großbriden englischen Reparationsplan abgelehnt haben, es sich wohl tannien. Die britische Delegation verläßt Paris heute mittag. noch sehr überlegen, ob sie der Bolitit Poincarés auch weiterhin Borschub leisten wollen. Bis zum 15. Januar, dem Tage der Entscheidung, find zwar nur wenige Tage übriggeblieben. Sie werden leider schwerlich ausreichen, um in Belgien , Italien und vor allen Dingen in Frankreich jenen. politischen Wandlungsprozeß hervorzurufen, der notwendig ist, um Europa vor dem Absturz in den Abgrund zu retten.
Gestern fanden noch zwei Sigungen statt, bevor die Konferenz geschlossen wurde. Zuerst wurden die italienischen Vorschläge weiter vorgetragen, und die Sizung beschäftigte sich damit, sie zu prüfen. Dann wurde die erwartete Antwort auf die französische Kritik des britischen Planes durch Bonar Law vorgebracht. Sie zerstörte die Einwände, die gegen diesen Plan gemacht waren. Wenn angeführt werde, daß der britische Plan den Friedensvertrag von Versailles zerstöre, so sei dagegen zu sagen, daß
dieser Vertrag ausdrücklich abgefaßt wurde mit Hinblick auf Modifikationen, die durch die veränderten Verhältnisse notwendig
Es Jei ferner ausgemachte Sache, daß der französische Plan nach der anderen Seite von dem Friedensvertrage abweicht,
Rom , 5. Januar. ( EE.) Im gestrigen Ministerrat gab Mussohat das englische Projeft geprüft und gefunden, daß es nicht den italienischen Interessen entspreche. Das Moratorium, das man Deutschland auch für die Naturallieferungen geben will, würde und würde Italien zwingen, die Kohlen in England oder anderItalien der Kohlen berauben, die es bisher als Reparationen erhielt weitig zum Weltmarktpreis zu kaufen. Das englische Projekt würde Italien auch der Möglichkeit berauben, seine Forderungen gegenüber den anderen früheren feindlichen Staaten geltend zu machen. Um die Regelung der italienischen Schulden zu erreichen, müsse Italien England das Eigentum an der halben Milliarde Goldfire, bie bie italienische Emissionsbant in England deponierte, überlassen. Bei Annahme des gesamten englischen Projektes würde Stalien praktisch nichts von Deutschland erhalten und müßte auch auf seine Staaten verzichten, und dies alles ohne eine Garantie, daß seine Forderungen gegenüber gewissen anderen früheren feindlichen eigenen Schulden von den Bereinigten Staaten annulliert würden. Aus allen diesen Gründen sei es unmöglich gewesen, das englische Projekt anzunehmen.
Die Reparationskommission ohne England.
Paris , 5. Januar. ( Ill.) Das Journal" schreibt: Gestern abend war das Gerücht verbreitet, daß entscheidende Maßnahmen fofort ergriffen werden sollen. Nach den von uns eingezogenen Erfundigungen beruht dieses Gerücht nicht auf Wahrheit. Für die termin vom 15. Januar maßgebend sein. In der unmittelbaren Umgebung Poincarés wird erklärt, daß die Reparationstommission sobald wie möglich sich mit der bereits aufgewor fenen Frage der deutschen Verfehlungen zu befaffen haben werde. Die Kommission wird am fommenden Dienstag in Abwesen=
Paris , 3. Januar. ( WTB.) Nach drei Tagen der Diskussion, fo heißt es in einer Erklärung der Agentur Havas , ist die Reparationsfommission mit der Feststellung ber uneinig teit der Alliierten über die Reparationspolitik zu Ende gegangen. Schon am ersten Tage erschienen die Differenzen zwischen dem französischen und dem englischen Standpuntt so tief, daß man indem er dem Garantiefomitee Machtvollkommenheiten an die Hand fie für unüberbrückbar halten mußte. Sie bezogen sich vor gibt, Ausgaben, die im deutschen Budget veranschlagt sind, zu mißheit des englischen Bertreters Sir John Bradbury zuallem auf die von der französischen Regierung für unerläßlich ge- billigen und eine Bergrößerung der direkten Steuern vorzuschreiben. sammentreten, um die deutsche Forderung nach einem Aufschub für haltene Notwendigkeit, Deutschland kein neues Moratorium Wenn die Einführung solcher Machtvollkommenheiten als 3wangs- die Fälligkeit am 15. Januar zu prüfen. Der deutschen Regierung zu gewähren, ohne dafür wirtschaftliche Pfänder zu maßnahmen, die in letzter Not ergriffen werden, verteidigt werden wird eine Mitteilung darüber zugehen, und die Sanktionen werden fordern, die in Zukunft die getreuliche Ausführung seiner herab- tönnten, so gehe es doch nicht an, fie als durch den Friedensvertrag wird eine Mitteilung darüber zugehen, und die Sanktionen werden bann in Kraft treten können. gefeßten Berpflichtungen garantierten. Die belgische und die vorgefehen zu betrachten. italienische Delegation vertraten, abgesehen von einigen fleinen Nuancen in den Einzelheiten der Durchführung, den gleichen Standpunkt, dagegen erklärte sich die englische Delegation entschieden gegen jede Pfändung, da sie der Ansicht war, daß das Berfahren mit der Wiederherstellung des deutschen Kredits" unvereinbar fel. Es war unmöglich, sie zu der Aufgabe dieses Standpunktes zu veranlaffen. Schließlich hatten sich die Engländer geweigert, sich den französischen Vorschlägen anzuschließen, um feine Verantwortung zu übernehmen. Frankreich und mit ihm Belgien und Italien behielten ihre Handlungsfreiheit
Es ist nicht zweifelhaft, daß sie davon Gebrauch machen werden, mit Kaltblüfigkeit und mit mäßigung, aber auch mit Entschloffenheit und Festigkeit, um das sehr entgegenkommende Programm durchzuführen, das Frankreich der Zustimmung feiner Alliierten empfohlen hat.
Der italienische Standpunkt.
Pacis, 5. Januar. ( WTB.)„ Daily Mail" veröffentlicht solgende Nachricht: Sobald Sir John Bradbury von der Anberaumung der nächsten Sizung der Reparationstommiffion unterrichtet wurde, teilte er offiziell dem Borsitzenden der Kommiffion, Barthou , mit, daß er an den Beratungen der Kommiſſion nicht
Paris , 5. Januar. ( Cca.) In der gestrigen Nachmittagssigung erklärte Marquis Torretta, daß der Hauptgrund der Meinungsverschiedenheiten zwischen Frankreich und England in der Frage der fänder liege. Er führte aus, daß das Projekt Mussolinis vor sehe, baß mit einer inneren Anleihe Deutschlands , die zurzeit faft Paris , 5. Januar. ( WTB.) Die nächste Sigung der Reparasicher erscheine, den Alliierten die Milliarden Goldmart verschafft tionstommiffion ist nach dem„ Petit Parisien" einberufen worden,
teilnehmen werde.
Die Havas- Erklärung führt weiter aus, zweifelsohne dürfe man Prag , 5 Jannar.( Eig. Drahtbericht.) Finanzminister Dr.| außerordentlicher Energie und Arbeitskraft, hat sich aber durch nicht daran zweifeln, daß auch schließlich England selbst, wenn die Raschin wurde heute gegen 9 Uhr morgens, als er vor seiner feine rücksichtslose Finanzpolitik viele Feinde geschafft. So Erfahrung es gelehrt haben werde, daß diese Methode sich als wirt. Wohnung fein Automobil beffieg, von einem 21jährigen Ver- galt er vor 11 Jahren bei dem großen Bantbeamtenstreit als fam und produktiv erweise, sich dieser Methode anschließen werde. icherungsangestellten Josef Soupal aus Deutsch- Brod durch zwel Seele des Widerstandes der Unternehmer, und die BankFür den Augenblick bestehe eine Differenz zwischen zwei Schüsse schwer verletzt. Dr. Raschin wurde sofort in ein Sana- beamten waren der Meinung, daß ihre schwere Niederlage Mächten der Entente cordiale in einer besonderen gewiß be forium gebracht, wo die Aerzte eine Verletzung des Rüdenmarts vornehmlich auf seinen Einfluß zurückzuführen sei. Bei den deutungsvollen Frage, aber es bestehe tein Bruch der freund- und Blutungen in der Bauchhöhle feststellten. Troß fofort vorge- Beamten war er wegen der wiederholten Herabsehung ihrer schaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Die bei Schluß nommener Operation gilt sein Zustand als hoffnungslos. Gehälter sehr unbeliebt. Der jugendliche Attentäter scheint Der Attentäter bezeichnete sich bei seiner Bernehmung als nach den bisher vorliegenden Nachrichten weder Fascist der Konferenz zwischen Poincaré und Bonar Lam ausgetauschten herzlichen Erklärungen lieferten dafür den offenfundigen Beweis. Gegner der Politik Raschins. Er ist Tscheche und, soweit bisher noch kommunist gewesen zu sein, über seine Motive hat Die Agentur Havas fährt fort, die Lage sei klar im festgestellt, bei keiner Partei politisch organisiert. Er gibt an, das er bisher keine genaueren Angaben gemacht, auch liegen bisDie Agentur Havas fährt fort, die Lage sei lar im Attentat schon am 11. Dezember geplant, aber von ihm damals her feine Anhaltspunkte dafür vor, daß gegen Dr. Raschin Gegensatz zu den zahlreichen Konferenzen der letzten zwei Jahre, Abstand genommen zu haben, weil sich Dr. Raschin in Begleitung ein Komplott bestanden hat, der Täter scheint vielmehr isoberen vermittelnde Lösung die Alliierten in einem fortgefeßten Miß einer Dame befand. liert gehandelt zu haben. Was immer die Gründe des Anschlags verständnis gehalten hätte. Mit dem Attentat auf Dr. Raschin hat die Seuche der fein mögen, so bleibt es doch aufs tiefste bedauerlich und Die Entscheidung liege nunmehr bei der Reparationsfommiffion, politischen Morde nun auch in der Tschechoslowakei ihren Ein- ein Zeichen des Niedergangs, wenn sich die Sitte, politische die über das deutsche Moratoriumsverlangen beschließen müsse. Sie zug gehalten. Dr. Raschin ist ein Führer der fleinen, aber ein- Streitigkeiten mit dem Revolver auszutragen, in ganz Mittelwerbe sich aber auch jedenfalls über die Berfehlungen flußreichen nationaldemokratischen Partei und als solcher europa verbreitet. Die Tschechoslowatel verliert mit Dr. RaDeutschlands bei den Kohlenlieferungen, und zwar wahr Finanzminister der Koalitionsregierung, der auch die tschechischin, falls fich die trübe Prognose der Aerzte bestätigt, einen Scheinlich in erster Linie darüber auszusprechen haben. Diese Frage schen Sozialdemokraten angehören. Er ist ein Mann pon ihrer fähigsten Politiker.