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Nr. 12 4H. Jahrgang

Heilage öes vorwärts

Dienstag, 9. Januar 1923

Sie Krau als Richterin. Nach den weiblichen Schöffen haben nunmehr auch weibliche Geschworene ihren Einzug in die Gerichte genommen. Bei den Echwurgerichtsperioden, die gestern an sämtlichen drei Landgerichten in Moabit einsetzten, waren Frauen auf der Geschworenenliste. Die Vorsitzenden würdigten den Einzug der Frauen als Geschworene durch beondere Ansprachen. Beim Landgericht II richtete Land- genchtsdirektor Peltalohn eine längere Rede an die Geschworenen- dank, in der er ausführte:Die Gefchworencnbank zeigt heute bei uns und wohl überhaupt in Preußen und Deutschland zum erstenmal ein anders gearteles Bild durch die Mitwirkung des weiblichen Ele- mentes. Durch die Zulassung der Frauen zum Amte eines Schöffen und Geschworenen ist ihnen eine langgehegte, heißumkämpfte Forde- rung erfüllt. Denn es ist ja allgemein bekannt, daß seitens der ju° ristifchen Berufswelt und auch der breiteren Oeffenllichkeit häufige und mitunter recht eingehend begründete Zweifel laut geworden sind, ob diese Zulassung eine Verbesserung oder ob sie nicht vielleicht eine Verschlechterung der Rechtspflege bedeute. An den zu diesen Aemter» berufenen Frauen wird es nunmehr sein, diese Zweifel in der Praxis zu klären. Wer, wie ich, als Vormundschafts- und Strafrichter so häufig Gelegenheit gehabt hat, die Frauen in ihrer Tätigkeit auf dem Gebiet der sozialen Fürsorge zu beobachten, der wird mit mir der Ansicht sein, daß diese große Zahl der Frauen jedenfalls eine nicht alltägliche langjährige Erfahrung auf dem hier einschlägigen Gebiet des Strafrechts und der strafrechtlichen Psychologie mit sich bringen, die ihnen in der Praxis sicher von großem Nutzen sein wird/ Auch beim Landgericht I würdigte Landgerichtsdirektor Jung die Neuerscheinung durch eine besondere Ansprache, indem er die wcib- lichen Geschworenen auf ihre Aufgaben hinwies und darlegte, daß ihr Spruch mit ihrem Gewissen in Einklang stehen müsse. Auf der Spruchliste des Landgerichts I standen unter 30 Geschworenen vier Frauen. Bei dem ersten Anklagefall wurden ober die ausgelosten drei weiblichen Geschworenen sämtlich von, Staatsanwalt abgelehnt. Beim Landgericht II war nur eine weibliche Geschworene einberufen, die aber nicht durch das Los ge- zogen wurde. Dagegen wirkte gleich am ersten Tage beim Land- gcricht II in der Straffache gegen Frau Helene Philippsborn, über die wir an anderer Stelle berichten, eine weibliche Geschworene mit, Frau von Stubenrauch, die Witwe des früheren Landrats und späteren Polizeipräsidenten von Stubenrauch. Zum ersten Male wird übrigens nunmehr auch ein weiblicher Amtsanwalt auf Grund der neuesten Verordnung vom 30. Dezember 1322 in Moabit auf- treten. Beim Amtsgericht Tempelhof wird die Refcrendarin Fräu- lein Dr. Berent jetzt selbständig das Amt eines Anwalts ausüben.

Um öen Mann... Verzweiflungstak einer betrogenen Ehefrau. Bor dem Schwurgericht des Landgerichts III stand am Montag eine Frau Helene Philippsborn unter der Anklage der versuchten Tötuna. Der Mann der Angeklagten unterhielt seit mehreren Jahren ein Liebesverhältnis mit der jetzt 30jährgcn Friseuse Ida Bock. Die Tat wird in ihren seelischen Gründen viel eher verständlich, wenn man die Ausführungen beachtet, die der Sachverständig«, Sanitäts- rat Dr. Juliusburger, machte. Unter den Geschworenen befand sich auch eine Frau. Die Angeklagte, die bereits feit 22 Jahren ver- heiratet ist, versuchte das Verhältnis ihres Mannes mit der Bock auseinander zu bringen, u. a. dadurch, daß sie der Bock Geldbeträge anbot, damit sie sich außerhalb Berlins eine neue Existenz gründen könne. Die Bock hatte ihr darauf erwidert, wenn sie von Berlin fort sei, würde Philippsborn sie nach ganz kurzer Zeit zurückholen. Nachdem alle Versuche, die Sache güllich zu regeln, fehlgeschlagen waren, begab sich die Angeklagte am 30. Januar 1322 in die Woh- nung der Bock, Ludwig-Kirch-Str. 21: sie hatte zwei geladene Mauserpistolen bei sich. Während sie mit der Zeugin Bock sprach, rief ihr Mann an und die Bock unterhielt sich längere Zeit mit ihm am Telephon Die Angeklagte geriet dadurch in einer derartige Erregung, daß sie die Pistole zog und auf die Bock schoß, die, von einem Streifschuß in der Brust getroffen, sofort niederfiel. Der hinzukommenden Wirtin der Bock sagte sie ruhig:Ich habe die Geliebte meines Mannes erschossen!"

Der Sachverständige. Sanitätsrat Juliusburger, der die PH. monatelang beobachtet hat, hob verschiedene Eigentümlichkeiten be- sonders hervor Die Angeklagte hat eine im Jahre 1308 ausgeführte Operation hinter sich, die zur völligen Entfernung der inneren Genitalien geführt hat. Aus dieser Operation ergebe sich schon von selbst ein krankhafter Gemütszustand. Hinzu kommt, daß der Ehe kein Kind entsprossen ist, und daß dieser Zustand auf die Angeklagte äußerst niederdrückend gewirkt bat. Sie bat vor längerer Zeit zu einer gewaltsamen Selb st täusch ung gegriffen, indem sie sich eine Puppe zulegte, die ungefähr die Größe eines Kindes hatte, und diese Puppe aus- und einkleidete wie einen Menschen, bei den Mahlzeiten an den Tisch setzte und zu sich ins Bett nahm. Bon einer Trennung von ihrem Manne wollte sie nichts wissen, irrtzdem sie von ihm systematisch hintergangen und belogen wurda. Auch jetzt, nach Ausführung der Tat, ist'bre erste Frage stets:Was macht mein Mann?" Zur Zeit der Ausfüyrung der Tat befand sich die Angeklagte in begreif- licher Erregung, da sie das Telcvhonoefpräch der B. mit ihrem Mann mitanhören mußte und in dem Zimmer der Neben- buhlerin Gegen stände aus ihrer eigenen Wirt- f ch a f t wiederfand. Staatsanwalt Steiner beantragt« die Verurteilung der Angs - klagten unter Zubilligung mildernder Ilmstände, während R.-A. Dr. Fritz Löwe auf Grund der Gutachten die Verneinung der Schuldfrägen beantragte. Die Geschworenen verneinten die Schuld- frag- aus Tötungsversuch, und die Angeklagte Frau Pbilippsborn wurde nur wegen unerlaubten Waffenbesitzes zu 3000 Mk, Geld- strafe verurteilt.___ Mbfiauen öes hänölerstreiks. Zunahme der Anmeldungen auf freie ZNarklhallenstände. In einer von etwa 6000 Markthallenstandmhabern besuchten Versammlung in der Brauerei Königstadt wurde von dem Syndikus des Zweckverbandes der Gemüsegroßhändler, Dr. Eisner, übe? die Verhandlungen mit dem Magistrat seit der außerordeni- lichen Mogistraissitzung vom Sonnabend Bericht erstattet. Die Bcr- sammlung nahm schließlich folgende Entschließung an:Die Der- sammlung spricht der Leitung des Streikbureau? volles Vertrauen aus und ist gewillt, den Betrieb nicht eher aufzunehmen, bis der Magistrat sein Wort einlöse, das er am Donnerstag im Polizei- Präsidium gegeben habe." Im Polizeipräsidium wor nämlich vom Dezernenten des Magistrats, Stadtrat Busch, zugesagt worden, daß die Januarerhöhungen der Standgelder in zwei Raten, am IS. Fe- bruar und IS. März, gezahlt werden könnten. Diese energischen Töne täuschen aber nicht darüber hinweg, daß der Ausstand der Markthallenstandinhaber zu Ende geht. Zahl­reiche Ausständig« sind kampfesmüde und mit den Zugeständnissen des Magistrats zufrieden. Die Zahl der Anmeldungen von Händlern auf frelwerdendc Stände ist im Wachsen- begriffen, so daß die städtische Markthallenvcrwaltung die Mehrzahl heute noch vertrösten muß. Einzelne Stände in den Hallen waren Sonnabend und Montag schon wieder eröffnet, wenn auch nur für kurze Zeit, um leichtverderbliche Ware schnell abzusetzen. * Wie wir aus sicherer Quelle erfahren, wird gegen fünf der be- dcutendsten Großhändler, die an dem Händlerstreik beteiligt sind, mit Handeksuntersagung vorgegangen werden.

Steuer angesammelten Fonds zur weiteren Verbilligung des Milch- prcises zu benutzen, verfiel der Ablehnung gegen die Rechtsparteien. kein neuer Straßenbahntarif. �Einstellung des Slraßenliahnbekriebes nach 9 Uhr abends? Der Antrag der Straßenbahnverwaltung, vom 10. Januar ab 1 2 0 M. für die einfache Fahrt zu erheben, wurde gestern in der Verkehrsbeputation abgelehnt. Bon verschiedenen Seiten wurde darauf hingewiesen, daß die verhältnismäßig geringere Erhöhung des Tarifes von 30 auf 70 M. den Borteil gehabt habe, daß die Ab- Wanderung sich in mäßigen Grenzen bewegt Habs. Es fei infolge- dessen angebrocht, die Tariferhöhung, soweit sie unvermeidlich sei, nur schrittweise vorzunehmen. Ein demenffprechender Antrag auf 10 0 M. wurde aber ebenfalls abgelehnt, fo daß es vor- ! läufig bei dem 70-M.-Tarif bleibt. Da bei diesem Tarif zurzeit mit ! einer täglichen Mindereinnahme von rund 15 Millionen Mark gerechnet werden muß(die Angabe der Direktion auf 17 Millionen ist wohl zu hoch gegriffen), so entsteht für die Straßen- bahn eine sehr schwierige Situation. Sie hat im Dezember zum erstenmal Barzuschüsse in Höhe von 3 7 Millionen aus der Kämmereikaffs entnehmen müssen. Die Magistrats- Vertreter erklärten, daß die Stadtkasse keine weiteren Zuschüsse zahlen könnte und stellten die Einstellung des Stroßenbahnbetriebes nach 3 Uhr in Anbetracht der Ablehnung' der Tariferhöhung in Aus- ficht. Der Magistrat wird jedenfalls sich Mittwoch mit dieser An- regung beschäftigen. /lufrlärung öes Steglitzer Raubmorüverfuchs. Wie erinnerlich, war an der(53jährigen Rentiere Eäcilie Puppe in der Ssdanstr. S zu Steglitz in der Nacht vom 2. zum 3. Januar ein Raubmordversuch verübt worden. Gestern nachmittag ist der Kriminalpolizei die Festnahme der Täter gelungen. Die Stütze, die sich unter dem Namen Margarete Eggert aus Görlitz ver- mietet hatte, ist eine 38 Jahre alt« ülletollarbcüerin Marie Seidel geb. Kersting aus der Düppelstraße 261 zu Steglitz . Sie hatte er- , fahren, daß Frau Puppe eine Hilfe für den Haushalt suchte und sich , daraufhin zum Schein bei ihr vermietet. Ihr Mittäter, der 22 Jahre alte Drechsler Friedrich M a tz a t aus der Neuenburger Str. 23 zu Berlin , der ebenfalls ermittelt und dingfest gemacht werden tonnte, !ist ebenso wie sie selbst ein phantastischer An- Hänger oer Kommunisten. Es geht dies nicht nur aus ihren Aeußcrungen bei dem Verhör, sondern auch aus Druckschriften hervor, die bei ihnen gefunden wurden. Angaben darüber, ob die ! beiden Verhafteten nicht noch für andere ähnliche Derbrechen in De- tracht kommen, nehmen Kriminalkommissar Gennat im Berliner Polizeipräsidium und Kriminalkommissar Hasenjäger im Polizeiomt Steglitz entgegen.

örotpreis voraussichtlich 600 Mark. Gegen die llmsahskeuerrifikospanne im Milchpreis. In ihrer gestrigen Sitzung beschäftigte sich die Ernährung?- depuiation mit der Neuregelung des Brotpreises. Auf Grund der Berechnungen über die vermulliche Steigerung der Brot- Herstellungskosten ist mit dem ungeheuerlichen Brotpreis von zirka 600 M. zu rechnen. Nach den neuen Getreidepreisen dürfte sich der Preis für Markenmehl, und zwar für Roggenmehl, das Pfund auf 130 M. stellen. Die Ernährungsdeputation verhandelte ferner noch über die letzte Festsetzung des M i l ch p r e i s e s. Bei dieser Gelegenheit for- derten die Sozialdmeokraten erneut die Beseitigung der Umsatz st euerrisikospanne. Ein enffprechender Antrag fand auch Annahme mit der Modifikation, daß die Umsatzsteuer- risikospanne von der nächsten Preisfestsetzung ab, also van der nach- sten Woche ob, fortfallen soll. Ein weiterer Antrag, den aus dieser

was kostet der Aucker! Gegenwärtig wird immer wieder im Publikum die Frage auf- geworfen, was der auf die Januarabschnitte der Zuckerkarte er- hültliche Zucker eigentlich koste. Die Frage läßt sich, da für Zucker Höchstpreise nicht fe st gesetzt sind, nicht einheitlich beant- ivorten. Die Verschiedenartigkcit der geforderten Preise erklärt sich daraus, daß die im Handel befindliche War« sich auf den verschiedensten Fabrikpreisen aufbaut. In der Haupt- fache rührt der jetzt zum Verkauf gelangende Zucker aus Mengen her, die zum Grundpreise von 200 M. je Pfund ab Raffinerie be- zogen worden sind und die unter Berücksichtigung der hinzutretenden Sorten- und Oriszüschläge der Frachten, Groß- und Kleinhandel?- spannen im allgemeinen nicht unter etwa 280 M. je Pfund abge- geben werden können. Doneben kommt in Kürze Ware auf den Markt, die bereits ab Fabrik 260 M. kostet, andererseits verfügen viele Geschäfte noch über erheblich billiger eingekauf- t e n Zucker, den sie natürlich entsprechend billiger zu verkaufen verpslichtel find. Bei Ware, die zu verschiedenen Preisen bezogen ist, können aber auch Durchschnittspreise berechnet werden. Bei dem auf die Zuckcrkarte erhältlichen Zucker handelt es sich im übrigen keinesfalls, wie immer noch vielfach irrtümlich angenommen wird, umMagistratszucker" im Sinne der früheren Zwangswirtschaft. Nach der von der preußischen Regierung erlassenen Verordnung vom 11. Oktober 1322 gilt vielmehr für den Verkehr mit Zucker von der Rationierung abgesehen grundsätzlich frei e r Handel. DieZuckerkontrollstelle", der jetzt die Aufficht über die Zuckervertellung in Berlin oblirgt, ist nicht etwa ein Organ des Magistrats, sondern ein aus Grund der erwähnten preußischen Der- ordnung geschaffener Selbstverwoltungskörpcr des Z u ck e r h o n d-e l s.

(Nachdruck ocrboten. Der Malik.?crlag, zz erlin.)

Drei Soldaken.

Ks Von John dos Passos . Achtung!" ertönte es von der anderen Seite. Er machte seinen Hals und seine Arme so steif wie möglich. Aus den schweigenden Baracken hörte man dos harte Aufschlagen der Offiziersstiefel. Ein bleiches Gesicht mit hohlen Augen und schwerem, quadratischem Kiefer kam John Andrews näher. Er starrte gerade vor sich hin und bemerkte rötliche Haare auf dem Adamsapfel des Offiziers und Zeichen der noch neuen Offiziers- würde auf der anderen Seite des Kragens. Sergeant, wer ist der Mann?" ertönte es aus dem bleichen Gesicht. Weiß nicht, Herr Leutnant, ein neuer Rekrut. Korporal Balori, wer ist der Mann?" Sein Name ist Andrews, Sergeant," sagte der italienische Korporal mit unterwürfigem Ton in seiner Stimme. Der Offizier sprach jetzt Andrews direkt an, schnell und laut: Wie lange sind Sie in der Armee?" Eine Woche." Wissen Sie nicht, daß Sie jeden Sonnabend um neun sauber rasiert und bereit für die Inspektion sein müssen?" Ich reinigte gerade die Baracken." Ich werde Ihnen nach klarmachen, daß man nicht ant- wartet, wenn ein Offizier einen anspricht." Der Offizier sprach die Worte mit Sorgfalt, als ob er sich auf ihnen ausruhe. Beim Sprechen schaute er verstohlen auf seinen Vorgesetzten und bemerkte etwas Unwilliges im Gesicht des Majors. Sein Ton verwandelte sich longsam: Sollte dies noch einmal er-kommen, können Sie sicher fein, daß disziplinarisch gegen Sie vorgegangen wird... Ächtung dort!" Am anderen Ende der Baracke hatte sich ein Mann'bewegt. Wieder konnte man in der absoluten Stille den regelmäßigen Schritt der Offiziersstiesel hören. Run, Kerls, alle zusammen!" rief der Mann, der mit weit' ausgestreckten Armen vor der Filmleinwand stand. Das Piano begann zu klingen, und der vollgefüllte Raum zu- fammengedrängter Soldaten gröhlle:

Heil, heil, wir find die Soldaten, Wir werden uns den Kaiser holen, Wir werden uns den Kaiser holen, Wir werden uns den Kaiser holen!" Die Balken hallten wider von den tiefen Stimmen. Der Mann ließ aus seinem mageren Gesicht einen be- friedigten Ausdruck hervorquellen: Roch einmal!" sagte der Mann,alle zusammen!" Der Film hatte begonnen. John Andrews sah flüchtig um sich: in das Gesicht des Jungen aus Indiana , der neben ihm faß, auf die braunen Gesichter und kurzgeschorenen Köpfe, die sich aus den kakhigekleideten Körpern um ihn erhoben. Manchmal irrten ein paar Augen ab von dem weißen flackern- den Licht der Filmwand. Wogen von Gelächter oder von Zurufen gingen hin und her. Sie waren ja alle so gleich. In Augenblicken schienen sie nur ein einziger Organismus zu fein. Das war es ja, was er gesucht hatte, als er ins Heer eintrat, sagte er zu sich selbst. Hier wollte er Zuflucht suchen vor dem Schrecken der Welt, der ihn befallen hatte. So war es viel besser, alles geschehen lassen, den verrückten Wunsch nach Musik aus sich heraustreten, sich in den Schlamm allgemeiner Sklaverei hineinducken. Immer noch klirrte die dumpfe Wut über die Stimme des Offiziers an diesem Morgen in ihm:Sergeant, wer ist der Mann?", der Offizier hatte ihm ins Gesicht gestarrt, wie man vielleicht ein Stück Möbel anstarrt. Ist das nicht ein ordentlicher Film?" Chrisfield wandte sich ihm zu mit einem Lächeln, das die Wut vertrieb und ein angenehmes Gefühl der Kameradschaft in ihm weckte. Der nächste Teil ist fein, ich habe ihn schon in Frisco gesehen," sagte der Mann an der anderen Seite von Andrews. Wenn man das gesehen hat, haßt man die Hunnen." Der Mann am Klavier klimperte mühselig während der Pause zwischen den beiden Teilen des Films. Der Junge aus Indiana beugte sich vor Andrews, legte den Arm um dessen Schulter und sprach den anderen Mann an:Du bist aus Frisco?" Iaa. " Das ist richtig komisch. Du kommst von der Küste, der ist aus New Pork und ich aus Indiana ." Welche Kompagnie?" Bis jetzt keine." Der und ich machen Innendienst."

Mistige Chose... ich heiße Fuselli." Ich Chrisfield." Ich Andrews." Wie lange dauert es, bis man aus diesem Uebungsplatz rauskommt?" Weiß nicht. Manche sagen drei Wochen, andere sechs Monate... Vielleicht kommt Ihr in unsere Kompagnie. Gestern haben sie'ne Masse versetzt, und der Korporal sagt, daß Neue statt deren kommen werden." Verflucht nochmal! Ich will doch über See gehen." Da drüben ist's fabelhaft!" sagte Fuselli.Alles ist schön. Pittoresk, wie man sagt, und die Leute gehen in Bauernkleidung herum. Ich hatte einen Onkel, der mir davon erzählt hat. Er kam aus der Nähe von Turin ..." Wo ist das?" Weiß nicht. In Italien ." Wie lange dauert die Ueberfahrt?" Na, so eine Woche oder zwei," sagte Andrews. So lange." Doch der Film hatte wieder begonnen. Auf der Leinwand erschienen Soldaten in Pickelhauben, die in kleine belgische Städtchen einmarschierten, wo von Hunden ge- zogene Milchwagen und alte Frauen in Bauernkleidung zu sehen waren. Man pfiff und sohlte, sobald eine deutsche Flagge erschien, und wie die Truppen auf dem Bilde vormarschierten, die Zivilisten in großen, weiten Hosen, alte Frauen in steifen Hauben bajonettierten, stießen die in das stickige Theater ge- pferchten Soldaten wilde Flüche gegen sie aus. Andrews fühlte, wie ein blinder Haß sich in den jungen Männern um. ihn herum regte wie etwas, was ein eigenes Leben besitzt. Er veriricke sich darin, wurde davon weggeschwemmt wie von der wilden Flucht einer erschreckten Viehl)erde: der Schrecken legte sich wie eine drohende Hand um seinen Hals. Er beobachtete scheu die Gesichter um sich herum. Sie waren alle gespannt und rot und glänzten vor Schweiß in der Hitze des Zimmers. Beim Verlassen des Raumes hörte Andrews, in einem festgeschlofsenen Strom von Soldaten eingepfercht, einen Mann sagen:Ich habe nie in meinem Leben eine Frau vergewaltigt. Aber bei Gott, ich werde es tun. Ich würde die Welt darum geben, ein paar von diesen verdammten deutschen Weibern zu»ergewaltigen." Auch ich hasse sie," ertönt« eine andere Stimme.Manner , Frauen, Kinder und Ungeborene." Das sind wirkliche Biester, sich von einer Schar Kriegs- Herren regieren zu lassen!"(Fortsetzung folgt.)

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