Hr. 2S ❖ 40. Jahrgang
Beilage öes Vorwärts
Donnerstag. 7S. Januar 7025
Kostspielige Aussaaten. Der diesjährige Frühling im Winter. Der Bauer mit der Quatemberregel und der Wetterprophet scheinen recht zu behalten: der Winter ist mild« und wahrscheinlich nicht von langer Dauer. Am Ouatember herrschte Südwind, und so wird ein Vierteljahr lang der Winterfrcst sich nur auf kurze Gast- spiele einlassen. Dafür treibt es der Regen um so toller: die Straßen draußen sind voll Schmutz, und der Erdboden ist weich. Man kann also graben, was bekanntlich im vorigen Winter erst sehr spät— ja man kann sagen: zu spät— möglich war. Denn im Frühling krängt sich die Arbeit des Lai-dmannes sowieso, und die Sorgfall der Bodenbearbeitung leidet uliter dem Ansturm der notwendig werden- den Aussaaten und Pflanzungen. Man merkt es jetzt schon an dem wieder neu emporsprietzenden Unkraut, wo der Boden besonderer Sorgfalt bedarf. Die Quecke, die wilde Weide, die Brennessel sollen restlos ausgerottet werden. Aber die Frühlingsatmosphäre ladet noch zu anderen Betrachtungen ein und lenkt vor allem den Blick auf die nahe Zukunft und damit auf die Frage der Saatbeschaffung. Wo man einst mit wenigen Mark rechnete, da langt gerade einer der„Bamberger-Reiter�-Scheine, die den seltener gewordenen „Blauen Lappen" in so reichem Maße ersetzen. Sehen wir uns einige Preise für Samen an, so wie sie in Berliner Geschäften ge- fordert werden. Also: Bohnen 1 Kilogramm 2000 bis 3000 M., Erbsen 2000 M., Gurken fürs freie Land die Portion(kleinste Menge) 80 bis 100 M., Treibgurken 10 Gramm 2000 bis 3000 M. Der Preis der Portion geht auch bei den verschiedenen Kohlsorten nur wenig unter 100 M. herunter, im einzelnen kosten 10 Gramm Blumenkohl 1000 bis 3000 M., Weiß- und Rotkohl bis 300 M., Wirsing bis 220 M., Kohlrabi notiert 300 bis 400, Salat, Porree, Sellerie dito: Spinat hält mit 1500 M. für 1 Kilogramm einen anständigen Rekord, wird aber noch von Runkelrüben übertroffen, die etwa 2700 M. pro Kilogramm kosten. Nun aber die Mohrrüben: da lautet der Kiloprcis auf 12 000 bis 15 000 M., der 10-Gramm- Preis auf 200 bis 300 M. Nun wird ja der Kleinagrarier, wie ihn der Laubenkolonist darstellt, nur selten 10 oder 5 Gramm von den verschiedenen Gemüscsamen gabrauchen— aber nur die Portions- preise für die üblichen Anbaugemüse zusammengerechnet, ergibt schon eine vierstellige Zahl. Für den, der Gemüsebau im großen treibt, stellt sich die Ausgabe natürlich entsprechend hoch, wenngleich ihm der Bordell des direkten Bezuges bei den Samenzüchtern und Groß- Handlungen immerhin einen sehr annehmbaren Rabattsatz zuweist. Diesen Vorteil, der oft eine Senkung bis zum halben Preis gestattet, den Kleinagrariern zugute kommen zu lassen, sollte Aufgabe der Gemeinschaften sein, die die Förderung des so wichtigen Kolonisten- tums bezwecken. Der Gründe, daß die Samen so teuer sind, gibt es natürlich viele(außer der allgemeinen Teuerung): vor allem wird auf den schlechten Sommer 1922 hingewiesen, der für manche Kul- turen geradezu katastrophal gewesen ist. Hoffen wir also vom kommenden Sommer das Best«. Manch einer riskiert angesichts des„Frühlings im Winter" schon die ersten Aussaaten, was bei Mohrrüben und Erbsen jedenfalls risikolos ist. Nützt es nichts, so schadet es nichts. Anders ist«s mit dem Aus- pflanzen der im Kasten pikierten oder in Töpfen herangezogenen und unter Glas gehaltenen Herbstaussaaten von Weiß-, Wirsing - usw. Kohl. Wer diese durch fleißiges Lüften„abgehärteten" Pflänzchen jetzt der Erde anvertrauen will, muß über gute Schutz- mittel(Strohdecken usw.) verfügen, damit er sie in Froswächten schützen kann. Und wenn der Frost auch am Tage sich einstellt und wochenlang anhält? Ja, das ist eben das Risiko, das derjenige läuft, der„zuerst am Ziele" sein will. Manchmal glückt's, aber noch öfter kommt es anders, als man denkt. Jedenfalls ein„Gut SonnenscheinI" dem Wagemutigen, der im Mai schon seinen ersten Kohl essen will.
11 Uhr polizeistunöe von heute ab. Verbot aller Tanzlustbarkeiten. Der Berliner Polizeipräsident hat im Hinblick auf die drohende Sohlenlage für den L a n d e s b e z l r k P e r l i n mit Wirkung vom IS. Januar ad die Polizeistunde um zwei Stunden oer- kürzt und aus 11 Uhr abends festgesetzt. Ausnahmen von dieser Polizeistunde sollen in keinem Aalle gewährt werden. Außerdem wurde das Derbst der 5- Uhr. Tee-Tänze auf alle Tanzlu st barkeilen ausgedehnt.
.... benannte sämtliche Bewohner des Hauses Steglitzer Straße 23 als die angestrebte Rentabilität von neuem in Frage gestellt> Zeugen dafür, daß an dem Mordabend bei keinem von ihnen zwei So ist ein Kompromiß entstanden, das auf Grund des vor- � Herren und eine Dame zu Besuch waren. Bevor das Gericht zu . s, rar..:— i---- diesem Beweisantrag Stellung nimmt, soll festgestellt werden, ob eine derartige Erkundigung von seilen der Polizei bereits im Er- mitllungsverfahren restlos durchgeführt worden ist. Die VerHand- lung wurde sodann auf heute, 9'A Uhr, vertagt.
Ein neues Straßenbahnlinienfpftem. Anschlüsse durch Pendelverkehr.— Sein Gruppenfahren. Die Beratungen in der Direktion der Berliner Straßenbahn über eine Rentabilisicrung des Straßenbahnverkehrs sind in kiesen Tagen abgeschlossen worden. Es soll nun durch Vereinfachung des Netzes der Verkehrswert der einzelnen Linien und damit die Ren- tabilität des Gesamtbetriebes gehoben werden. Zunächst ist erwogen worden, das gesamte Groß-Bcrliner Straßennetz von Grund neu aufzubauen unk ein ganz neues System der Linienführung zu schaffen. Zu einer derartigen Umgestaltung wären jedoch kostspielige Anlagen im Innern Berlins— Kehr- fchlejfen, Ausweichgleise und dergl.— notwendig gewesen, deren Kosten----—-------- hätten. handenen Netzes unk der bestehenden Gleisanlagen die Linien- führung zu vereinfachen sucht; so soll z. B. der überlastete Verkehr in der Leipziger Straße dadurch gemindert werden, daß man einzelne Ouerlinien nicht durch die ganze Stadt führt, sondern etwa vom Lützowplatz bzw. Spitt lmarkr Anschlüsse durch einen Pendelverkehr schafft; weiter sollen verkehrsarme Strecken, kie durch stillere Straß. n führen, mehr in die Haupwer- kehrsadern verlegt und dadurch in ihrem Verkehrswert gesteigert werden. Man geht sogar mit dem Gedanken um, derartige„t o t e" Straßen ganz stillzulegen und das heute überaus kostbare Gleis- unk Oberlcitungsmaterial auszubauen und anderweitig zu verwenden. Die Wagenfolge soll außerdem durch ein neues Fahrplansystcm in den Hauptstraßen verdichtet und so regu- liert werden, daß das„Gruppenfahren in Zukunft ganz vermieden wird. Für die V o r o r t st r e ck e n soll noch stärker als bisher der„E i n- M a n n- W a g e n eingeführt werden. Die Ver- einfachungspläne, kie in diesen Tagen den Bezirksämtern zur Kenntnisnahme zugehen, sehen auch einige neue Verbindun- gen vor, die besonders dringend scheinende Vcrkehrsbedürfnisse erfüllen sollen. Im ganzen'st darauf Bedacht genommen worden, die Fehler der Linienführung, die der Wettbewerb unter ken früheren selbständigen Stroßenbahngesellschaften und die planlose Bebauungs- und Verkehrspolitik Berlins wachsen ließ, vorsichtig auszumerzen und den Gedanken der Einheitsgemeinde nun auch in der Linienführung folgerichtig durchzusetzen. »- Morüprozeß Neißer. Der Kampf der Verteidigung. Die Verhandlung gegen die des Mordes angeschuldigte Frau Spanier dreht sich immer wieder um das Ermittlungs» verfahren, das Kriminalkommissar Trettin geleitet hat. Der Zeuge Blickhahn hat am Mordabend von der gegenüber- liegenden Hausseite aus in die Neißersche Wohnung hineinschauen können und den alten Neißer mit einer Dame und einem Herrn ge- sehen, denen er Teppiche vorgelegt hat. Der Zeuge bezeichnet es als möglich, daß Frau Spanier die Täterin sei. Die Mutter der Zeugin H i l d e b r a n d t hat am Mordabend, als sie mit ihrer Tochter kurz nach 8 Uhr nach Hause kam, 2 Männern, die aus
stehe, feine Braut erschossen zu haben. Als der Zeuge Springer den Kriminalkommissar Trettin im Verhandlungssaal sitzen sah, wich er in heftiger Bestürzung bis an die Vcrteidigcrbank zurück. Der schon in der vorhergegangenen Verhandlung aufgetretene „Ueberraschungszeuge" Marx war eine Ueberraschung. Seine bisher recht bestimmt lautende Aussage, daß ihm Passarge in der Mordnacht um 12 Uhr unterm Bülowbogen erzählt habe, daß in der Steglitzer Straße mit Neißer„ein Ding passiert" sei, wurde durch Querfragen der Bcrteidizer erheblich erschüttert. Pas sarge blieb dabei, daß er zu Marx zwar von dem Tod Neihers gesprochen habe, aber erst in der Stacht nach der Auffindung der Leiche. — Die Aussage der Zeugin Hildebrandt wurde durch die Bekundungen ihrer Mutter, die dann vernommen wurde, erhärtet. Die Mutter beschrieb die Dame, der sie die Tür geöffnet hat, als junges Mädchen von 2 0, böchftens 25 Jahren. Die beiden Männer, die jeder ein flüchtig gewickeltes Paket unter dem Arni trugen, hätten ein ausgesprochen südländisches Aussehen, der eine habe sogar schöne Gesichtszüge gehabt, was weder auf Passargs noch auf Selzer zutteffe. Die Zeugin habe diesen Mann so deutlich ge- sehen, daß sie ihn noch heute nach zwei Jahren wiedererkennen würde. Es entspann sich dann ein Kampf zwischen der Ver- teedigung und dem Staatsanwalt darüber, ob nicht die drei Personen aus einer anderen Wohnung gekommen sein könnten, in der sie sich kurze, Zeit aufgehalten hätten. Rechtsanwalt Frey
vee fürsorgliche tzolzhänSler. Cr verkaufte nicht, weil das Holz„zu naß" war. Eine in der gegenwärtigen Zeit der ins Phantastische gehenden Steigerung der Brennmaterialpreise besonders aktuelle Verhandlung beschäftigte das Wuchergericht des Landgerichts III. Angeklagt war der Kohlenhändler Hermann E l k a n aus der Wilhclmsaue zu Verlin-Wilmcrskorf. Er wurde beschuldigt, die Abgabe von Brennholz im Kleinverkauf verweigert zu haben, in der Absicht, durch diese Zurückhaltung und.späteren Verkauf einen übermäßigen Gewinn zu erzielen. Die Amtsanwalt- schaft hatte wegen dieses Vergehens einen Strafbefehl über 10 000 Mark gegen Elkan erlassen. Hiergegen erhob er Widerspruch, so daß sich nunmehr das ordnungsmäßige Wuchergericht mit dieser Sache zu befassen hatte. Die Verhandlung ergab, daß der Ange- klagte einer Frau den Verkauf von geschnittenem Brennholz ver. weigert hatte. Er behauptete vor Gericht, daß er dies nur getan habe, weil es sich um frisches und nasses Holz gehandelt habe, das schlecht gebrannt hätte. Staatsanwalt Dr. Roth mann betonte, daß man in der heutigen Zeit des Wuchers mit Brennmaterialien die von dem Angeklagten behauptete menschenfreundliche Absicht, einer Hausfrau den Aerger mit nassem Holz zu ersparen, wirklich nicht glauben könne. Es liege hier offen- bar einer der typischen Fäll« der Zurückhaltung von Brenn- Materialien vor, wie er in der augenblicklichen Zeit der erneuten Kohlenpreissteigerung fast täglich bei den Wuchergerichten zur An- zeige gelange. Mit Rücksicht auf die Verwerflichkeit eines derartigen Tuns beantragt« er eine Geldstrafe von 50000 Mark, auf die das Gericht auch erkannte._ Die Steuern der Hausangestekltcu. Ueber die den Arbeitgebern obliegende Verpflichtung zur Vor- nähme des Steuerabzuges bei den Hausangestellten herrscht besonders bei den Hausfrauen noch vielfach Unklarheit. dem Hofgebäude kamen, in dem Neißer wohnte, und unmittelbar Aber auch für die Hausangestellten ist es wichttg zu wissen, welche Die Summen von ihrem Einkommen rechtmäßig als Steuern cinzu- ' behalten und im Steuerbuch durch Marken zu quittieren sind. Der Steuerabzug beträgt 10 Proz. des Barlohns und des Werts der Sachbezüge(freie Kost, Wohnung, Licht, Heizung usw.) Der Wert der Sachbezügc ist für männliche
darauf noch einmal einer Dame die Haustür geöffnet. Zeugin Hildebrandt hat eine Dame gesehen und gab an, es fei g a n z unmöglich, daß es Frau Spanier gewesen sein könne. Ihrer. Erinnerung nach kämen auch Passarqe und Selzer nicht in Betracht. Als ihr ein Bild des flüchtigen Löwy gezeigt wurde, er- klärte sie auch seine Täterschaft als unwahrscheinlich. Auf Veran- lassung des Vorsitzenden wurden den Angeklagten Passarge und Selzcr Hüte aufgesetzt, um dem am vormittag vernommenen Zeugen B o s ch das Wiedererkennen zu erleichtern. Bosch wurde aber
und weibliche Hausangestellte(mit Ausnahme solcher höherer Art, wie Erzieherinnen und ähnliche) für die Zeit vom 1. Oktober bis Ende Dezember 1922 auf monatlich 1500 M. festgesetzt. Die Berechnung des Steuerabzugs hat also beispielsweise für eine ledige
Teutschnationaler Rückzug. Die deulschuationale RalhauSfraktion bat sicki nach einer „lebhaften" Ausspräche bei den Demokraten ichrifllich enr- schuldigt wegen des von uns gemeldeten Zwiichen'alls bei der Wahl Dr. Mayers zum Stellvertreter des Vorstehers. Sie bitten die.__________________________________,________________...___ Temolralen, Dr. Mayer wieder aufzustellen. Die Demokraten mit Füßen gestoßen habe. Er habe dieses Geständnis später- 1500 M., zusammen 2300 M., hiervon 10 Proz. Steuer— 230 M. wollen zu dem Anerbieten erst noch Stellung itehmen.! hin widerrufen und sei jetzt in Haft, weil er unter dem Verdacht. Davon gehen ab: Ermäßigung für die Person des Steuerpflichtigen
in seinen Aussagen wankend.— Der aus der Untersuchungshaft vor- Hausangestellte mit einem Barlohn von monatlich 800 M. für die geführte Zeuge S p r i n g e r gab an. daß er seinerzett vor Kriminal- vorgenannte Zeit am Ende jeden Monats in folgender Weise zu kommsssar Trettin ein Geständnis abgelegt habe, weil ihn Trettin geschehen: Arbeitseinkommen, bar 800 M.. Wert der Sachbezüge
Drei Soldaken.
x Von John dos Passos . Aus dem amerikanischen Manuskript Ubersetzt von Julian Sumper». „Ich darf keine Dummheiten machen, ich darf keine Dummheiten machen," sagte er zu sich selbst, als er die Leiter hinunterstieg. Und er vergoß wieder alles üder der See- krankheit, die in ihm aufkroch, als er die fette Luft wieder Citmete. Das Deck glitt jetzt plötzlich vor ihm ab, dann stieg es wieder auf, als ob er einen Berg hinaufstiege. Schmutziges Wasser schlämmte von der einen Seite zur amdercn bei jeder Bewegung des Schiffes. Als er die Tür erreichte, ließ das pfeifende Geheul des Windes durch die Masten Fuselli einen Augenblick mit der Hand am Türgriff zögern. Als er den Griff hinunterdrückte, flog die Tür auf, und er stand in der vollen Wucht des Windes. Das Deck war leer. Die nassen Taue zitterten unwillig im Winde. Jeden Augenblick spritzte der Schaum, der in weißen fransigen Säulen mit dem Winde aufstieg, ihm wie Hagel ins Gesicht. Ohne die Tür zu schließen, kroch er auf dem Deck vorwärts und klammerte sich so fest er konnte an dem eisigen Tau fest. Durch den Schaum hindurch konnte er ungeheure marmorgrüne Wellen sehen, die in unaufhörlicher'Folge im Nebel anschwollen. Das Brüllen des Windes in seinen Ohren verwirrte und erschreckte ihn. Es kam ihm vor, als vergingen Jahre, bevor er die Kabuse erreichte, die auf einen Durchgang führte, der nach Medizin roch und wo Männer, die von den Schwingungen des Schiffes gegeneinander geschleudert wurden, warteten, um in eine Apotheke zu kommen. Das Heulen des Windes kam h'er nur schwach herein, und nur dann und wann der dumpfe Schlag einer Welle gegen das Schiff. „Bist du krank?" fragte ein Mann Fuselli. „Vee, ich bin nicht krank. Der Sergeant hak mich ge- schickt, um was Zeugs für ein paar Leute zu holen, die zu krank sind, um sich zu bewegen." „Furchtbar viel Krankheit auf dem Schiff. Zwei sind heute Morgen gestorben, da drüben in dem Zimmer," sagte ein anderer feierlich und zeigte mit dem Daumen über die Schulter.
„Sind noch nicht begraben. Das Wetter ist zu rauh." „Woran starben sie?" fragte Fuselli eifrig. „Irgendwas am Rückenmark. " „Genickstarre," fiel ein Marm am anderen Ende der Reihe ein. „Wo fängt es an?" fragte Fuselli. „Der Nacken wird dick, dann wird man ganz steif," kam die Stimme des Mannes vom anderen Ende der Reihe. Es trat Schweigen ein. Aus der Richtung der Krankenstube kam ein Mann mit einem Paket Medikamenten in der Hand und schob sich zur Tür durch. „Sind viele da drinnen?" fragte Fuselli leise, als der Mann sich an ihm vorbei d'öngte. Die Worte des Mannes verschlang der schrille Stoß des � Windes, als er die Tür öffnete. Als die Tür wieder geschlossen war, brach es aus dem Mann neben Fuselli, dem Großen, Breitschulterigen mit den schweren schwarzen Augenbrauen, als ob er irgend etwas sagte, was er lanae zurückgehalten hatte: „Diese Krankheit darf mich nicht packen. Sie darf nicht... Ich habe ein Mädel, das auf mich zu Haufe wartet. Zwei Iabre habe ich ihretwegen keine Frau angerührt. Unnatürlich, so lange..." „Warum hast du sie denn nicht vorher geheiratet?" fragte der Bormann höhnend. „Sie sagte, sie will keine Kriegerbraut sein, weil sie so besser auf mich warten könne." Einige lachten. „Ich darf nicht krank werden und sterben. So lange habe ich mich wegen diesem Mädel sauber geyallen. Ich darf nicht," sagte der Mann zu Fuselli. Fuselli sah sich schon im Bett mit geschwollenem Nacken liegen, während Arme und Beine steif wurden, immer steifer. Ein rotgesicf'tiger Mann im Gange begann zu sprechen:! „Wenn ich daran denke wie die Leute zu Hause mich brauchen, spüre ich keine Angst. Weiß nicht, warum." Er lachte jovial. Keiner stimmte in das Lachen ein. „Ist es sehr ansteckend?" fragte Fuselli den Mann neben ihm. „Sehr ansteckend" antwortete der feierlich. „Das Fürchterlichste daran ist," sagte ein anderer mst
schriller, hysterischer Stimme,„den Haien hinunter zum Fraß vorgeworfen zu werden. Sie haben kein Recht, sowas zu tun, auch in Kriegszeiten nicht. Sie dürfen einen Christenmcnschen nicht wie einen toten Hund behandeln." „Sie können alles tun. was ihnen beliebt, mein Lieber. Wer soll sie wohl daran hindern," schrie der Rotgesichtige. „Wcmn's ein Offizier wäre, würden sie ihn nicht so hin- überschmeißen," kam die schrille, hysterische Stimme wieder. „Halt' die Schnauzel" sagte jemand.„Mach' keine Dummheiten!" „Sag'mal, ist das nicht gefährlich, hier oben so lange zu warten, wo die Kerls krank liegen," flüsterte Fuselli zu dem Mann neben ihm. „Glaub' schon, mein Junge," kam die Stimm« des anderen. Fuselli schob sich türwärts durch.„Laßt mich raus, Kerls, ich muß kotzen," sagte er.„Ich werde ihnen sagen. dachte er,„daß es hier verschlossen war. Die werden nie herkommgn, um zu kontrollieren." Wie er die Tür öffnete, dachte er: ich werde jetzt zurück zu meinem Bettkasten kriechen. Er fühlte seinen Nacken schon anschwellen und seine Hände vor Fidber brennen, Arme und Beine steif werden, bis alles ausgelöscht sein würde im Schwarz des Todes. Doch das Schreien des Windes und de? spritzende Schaum auf dem Deck ertränkten jeden anderen Gedanken. Fuselli und ein anderer Mann trugen den Abfalleimer die Treppe hinauf. Er roch nach ranzigem Feti und Kafiec- satz und unreinen Saucen, die ilinen übe? die Finger liefen, wie sie sich hinaufkämpsten. Endlich wurden sie au? Deck hinaufgeschleuderi, wo ein freier Wind aus schwarzer Nacht blies. Sie schwankten an die Reling und teerten den Eimer in die Dunkelheit. Das Geräusch des sollenden Inhalts verlor sich im Klatschen der Wellen und im Rauschendes Wassers. dos an den Seiten des Schiffes entlang floß. Fuselli lehnte sich hinüber und sah in die fchwach« Phosphoreszenz hinein, die das einzige Licht in dem ganzen schwarzen Golf war. Nie noch hatte er eine solche Dunkelheit gesehen. �E? klammerte sich mit beiden Händen cur die Reling an, fühlte sich ganz verloren und erschreckt in der Dunkelheit, in dem Heulen des Windes in seinen Ohren und dem Geräusch des Wassers, das am Schiff entlang schäumt?(Fortsetzung folgt.)