Nr. 46>40. Jahrgang
1. Seilage ües Vorwärts
Sonntag, 28. Januar 1923
Auf Ansichtskarten und Bildern, in Büchern und Alben, die Berlin und sein Weltstadtleben in seinen charakteristischen Zügen festhalten wollen, wird nie der Autobus fehlen, der dritte gewich- tige Konkurrent der Straßenbahn. Und mit vollem Recht. Der Autobus mit seinem vollgepfropften Hinterperron und schwanken- den Verdeck gehört wie wenig anderes auf jedes Großstadtbild, das ohne ihn eben unvollständig wäre. Abgesehen von Einzelstrecken ist es weniger ständiges Publikum, das ihn benutzt; in der Haupt- fache find es Leute, die schnell von einem Platz zu einem anderen, Geschäftsleute, die es eilig haben, Angestellte oder Arbeiter, die irgendwelche Aufträge erledigen müssen, Boten, die kleine Päckchen und Pakete besorgen, solche, die zu einer Verabredung eilen oder sich verspätet haben. yalensee— Unter öen Linden. Es ist nachmittags, da steige ich in Halen see ein, mit mir neben einigen Hausangestellten und Geschäftsleuten natürlich auch einige Grunewäldler. Sie sehen gut aus, dästig und auf Speck - glänz poliert: sie sind in guter Kluft, wie der Berliner sagt, und ihre Kledasche ist nicht von Pappe. Der Autobus rollt den Kur- fürstendamm herunter. Auf den Bürgersteigen flanieren die Herrchen und Dämchen, die bei Gott nichts Besseres mit ihrem so furchtbar ernst genommenen Dasein anzufangen wissen, als von vier Uhr an hierauf und ab, wie sie es in ihrem Jargon nennen,'n bißchen zu bummeln. An den verschiedensten Haltestellen kommen sie herauf und fahren so ein bißchen mit. Und dann kann man allerhand sehen: vom Puderfassädchen und karminrot angestrichenen Mündchen bis zum Herrenarmband und Schieberpelz. Selbst oMr auf dem Verdeck stinkt es gegen den Wind: rechts Flieder mit Diviniapomade, links Mystikum und Leder. Uebrigens sind sie auch ledern, diese lieben Leute, und— nicht zu vergessen— arrogant und vornehm unhöflich, tells sogar einfach ftech und lümmelhaft. Ich bedauere den Schaffner. Einer der Fahrgäste schemt in dem Schaffner eine lebendige Wechsel taste zu vermuten und hat kein kleineres Geld als einen Zehntausendmarkschein. Ich staune, aber zu früh: denn einem zweiten geht es ebenso. Man scheint hier sehr viel von diesem„Kleingeld"' zu haben und ist sehr erregt, daß der Schaffner nicht so schnell herausgeben kann, daß es etwas länger dauert: daß der arme Schaffner bei dem Gedränge— der Wagen ist vollgepfropft— kaum weiß, wo er zuerst anfangen soll— er hat zu klingeln, auch andere Fahrgäste abzufertigen, Auskünfte zu geben—, daran denkt keiner der Fahrgäste. Während wir zum Lützowplatz abbiegen, höre ich hinter mir eine erregte Unter- Haltung über den neuesten Film im Marmorhaus. Mir gegenüber unterhält man sich über Kurse, selbstverständlich' Der West-Äutobus ist übrigens ein Liebling der uns mit ihrer handgreiflichen An- Wesenheit beehrenden Herren Taschendiebe, die von ihren Standquartieren im Scheunenoiertel aus in denkbar vornehmster Aufmachung hier ihr Geschäft austuchen. Also— Vorsicht! Ich sehe mich etwas um und komme zu dem Ergebnis, daß ich merkwürdig vielen, sogen wir„ehrliches Leistungsvermögen" zutraue: aber sie haben es sicher meistens nicht nötig, da sie auf einfachere Weise den Leuten das Geld aus der Tasche herauszuziehen verstehen. Zwischen allen einige unschuldige Hühner, die hier gar nicht hinein- passen: sie schweigen und haben ihre Häupter demütig gesenkt. Um sie herum duftet es nach Lebona und Leichner und knittert Seide unter den Pelzen. Potsdamer Platz— Stettiner Sahnhof. Es ist der R e i s e a u t o b u s, der die einzelnen Bahnhöfe mit- einander verbindet, den Potsdamer Bahnhof mit dem Bahnhof Friedrichstraße und dann dem Stettiner Bahnhof. Der Unterschied zwischen diesen Fahrgästen und denen des West-Äutobustes ist beut- lich sichtbar. Mit der Similivornehmheit und der Protzeneleganz ist auch die Arroganz verschwunden. Oben auf dem Berdeck flegeln sich ein paar Bengels und spucken, während der Berkehrsonkel auf dem Platz in sein Horn stößt und der Wagen abfährt, den Pastanten unten kunstgerecht auf den„Deez": dann ziehen sie ein paar Ziga- retten heraus, teilen und qualmen. Der Wagen sauft die Leip-
ziger Straße entlang, die vollgedrängt und knollig beleuchtet mit ihren Auslagen protzt. Was jetzt hinzusteigt, hat Pakete aus den Warenhäusern und der Konfektion oder ist selbst Geschäftsmann. Die letzteren flüstern leise— sie haben es wohl nötig: nur die ersteren machen ein Geschrei wie billig sie noch gehamstert hoben, und machen sich gegenseitig neidisch. Der Autobus biegt jetzt links um, wieder— feit langer, langer Zeit in die Friedrich st ratze. Bei der Nord-Süd-Bahn, die ja nun auch totsächlich eröffnet werden soll, halten sie Beleuchtungsprobe ab. Nun verlosten wir die mit Lichtreklamen und verschwenderisch beleuchteten Lokalen, Wein- restaurants und Dielen aufgetakelte Friedrichstraße und passieren den Bahnhof Friedrich st ratze, der mit seinem neuen Stadtbahnaufgang und seinen Neubauten noch etwas unfertig aussieht. Hier leert sich größtenteils der Wagen, der über die Brücke nun in das dunklere Berlin hineinfaucht. Die Sttaßen liegen plötzlich dunkel da, so daß das Auge sich erst gewöhnen muß. Wie ein eigen- artiger Spuk taucht links der Dorotheen städtische Fried- h o f in dem Dunkel auf, aus dem, von einer Lampe halb beleuchtet, Grabsteine und Kreuze aufglänzen. Ein seltsames Bild vom Tode mitten im Strudel der lebendigsten Weltstadt. Noch einige Minuten und wir sind am Stettiner Bahnhos angelangt, der End- statton des Wagens, der sich völlig leert. Die Fahrgäste nimmt ein Schwärm Master und abgemagerter Kinder, die mehr in Fetzen als Kleider gehüllt sind, in Empfang: verschüchtert drängen sie sich heran und betteln zaghaft um Brot, eine Stulle oder sonst etwas zu essen. Und die unterernährten Gestallen beweisen, daß sie keine Simu- lauten sind; in ihren Augen liegt ein feuchter, dumpfer Glanz, und um ihre so blutjungen und dabei Muttecren Münder ziehen sich schon die Falten, die den Menschen entstellen und Kinderköpfe in Greisenschädel verwandeln. Es sind die lebenden Modelle der genialen Käthe Kollwitz und die Wegweiser in den Norden. Während ich den Schaffner noch um eine Auskunft bitte, bemerke ich dessen sonderbare Rcserviertheit. Ich fühle ihm auf den Zahn und stelle lachend fest, daß er in mir— ich hatte ihn während der Fahrt verschiedenes geftagt, darunter, ob seine Linie wohl die be- setzteste sei— auf Grund meiner Fragen einen Ausbaldowerer der Taschendiebezunft vermutet hatte. Lachend kläre ich ihn auf; da«r- zählt er mir, daß es ihm gar nicht zum Lachen zumute sei und daß sie, die Taschendieb«, ihn gestern um einige Tausender aus seiner Kasse gebracht hätten, die sie ihm während der Fahrt gestohlen und die er zusetzen mußte. Und dann klagte er mir weiter, wie im Westen die Fahrgäste so unhöflich und unfolgsam seien, wie er sich mtt der Wechselei abplagen müsse und erzählte mir dann, daß hier unten doch ein viel besseres Publikum sei wie dort und daß der Autobus Wedding— Neukölln das beste und ihnen allen liebste Publikum habe, zuvorkommend und immer freundlich. weüölng— hallefihes Tor. Was der Schaffner mir erzählt hatte, stellte sich mir als wahr beraus. Di« Passagiere waren wirklich zuvorkommend, und trotz- dem der Wagen bald vollgepfropft war, hörte man kein unfteund- liches Wort. Ich macht« die Erfahrung, die ich vorher nicht erlebt hatte, daß die Fahrgäste hier— größtenteils Arbeiter und Angestellte, einfache Männer und Frauen— auch untereinander, die sich doch meistens fremd, viel mitteilsamer waren. Hier und da machten sie Gespräche, die allerdings fast immer gemein- same traurig« Themata hatten: Daseinskampf und Lebensmtttel- not, Preissteigerung und Geldknappheit. Man sah, diese Leute ge- hörten zueinander und fühllen sich auch miteinander verwandt. Das änderte sich erst nach Bahnhof Friedrichstraße . Bon dort bis zur Leipziger Straße war wieder der alte Durchgangsverkehr, wie man sagt„Laufkundschaftt", der eben der Autobus in den Weg lief, da- mit sie ein paar Minuten nicht zu laufen brauchte. Von der Leip- ziger Straße an ähnelt« die Mehrzahl der Fahrgäste wieder denen, die zuerst im Wagen gesessen waren. Schnell ratterten wir dem Halleschen Tor zu, wo auf dem Belle-Alliance-Platz der Marmor der Säule im Lampenlicht glitzerte und unter der Erde Arbeiter die letzte Hand anlegen, um zur Eröffnung der neuen Unter- grundbahnstrecke alle die vielen kleinen und großen Dinge zu be- endigen, die notwendig sind, um ein neues Verkehrsmittel gastberett zu machen.
Cm brauchbarer Mann. Der Angeklagte Iauerhah klaut Handwagen. Bloß Handwagen. Aber die mit Umsicht und Leidenschaft. Daß die Arbeit ihm lohne, dafür sorgten zwei, die die Handwagen gewinnbringend verkauften. Ohne Verständnis für den Erwerbszweig des Jauerhaß verurteilt das Schöffengericht Berlin-Mitte den Dieb zu einem Jahr, die Hehler zu 4 Monaten Gefängnis. Ja, ober wozu gibt es in einem Rechts- ftaat die Berufung? Jauerhaß wußte wozu und machte davon Ge- brauch. Und nun zeigt sich in Moabit , wie schmählich das Schöfsengericht Eigenart und Rechte dieses trefflichen Mannes anerkannt hatte. Jauerhaß ist nämlich im Besitze einwandfreier Belege darüber, daß fein« Vorfahren ihn mit erblicher Belastung versorgt haben, und er selibst hat nicht versäumt, dieses Geschenk durch emsigen Genuß von Bier und Branntwein sich in bester Qualität zu erhallen. Auf Grund dieser Taffache fuchtelte der Freund gebrauchter Handwagen anderer Leute der zweiten Instanz in Moabit nicht schlecht mit dem Para- gvaphen S1 unter die Äugen. Und da mutzte Jauerhaß freigesprochen werden. Was aber an diesem Fall besonders wistenswert erscheint, ist der Umstand, daß an Iauerhassens Glück zwangs- läufig auch die beiden Hehler teilnahmen. Denn so erkennt das hohe Reichsgericht: Wenn eine Haupttat(vermöge des Z S1) als nicht strafbar festgestellt wird, so können auch die Mit- und Nebentäter nicht besttaft werden. O Jauerhaß, wenn du bisher vielleicht die Klantes beneidet hast, erkenn«, um wieviel herrlicher noch dir die Zukunft winkt! Die Zukunft der Hehler in Berlin wird dich mit Dollars aufkaufen! Sie wird auf dich und dein bewußtes„väterliches Erbe" einen Konzern gründen, der vor den anrüchigen Unternehmungen der Klantes den Vorzug einwand- freier Gesetzlichkeit und Ehrbarkeit haben wird. Die Betriebseröffnung üer Norö-Süü-Bahn. Einheitsiarif für das ganze hoch, und Unkergrundbahnnckz. Der Betrieb der Nord-Süd-Bahn wird, wie gemeldet, am Dienstag, den St), d. M., auf der Strecke Stettiner Bahn- Hof— H all es che s Tor von der Hochbahngesellschaft im Zu- sammenhang mit ihren Linien eröffnet werden. Der erste Zug fährt ab Stettiner Bahnhof Richtung Hallesches Tor morgens S,41, der Gegenzug ab Bahnhof Hallesches Tor um 5,45 Uhr. Die Ausdehnung des Betriebes bis zum nördlichen Endpunkt der Bahn an der Seestraße soll in wenigen Wochen erfolgen.— Für die Linien der Hochbahngesellschast und die Nord-Süd-Bahn gelten vorerst die gleichen Fahrkarten(auch Wochen- und Blockkarten) und berechttgen ohne Zuzahlung zum Uebergang zwischen beiden Bahnen. Die neueröffneten Bahnhöf« der Nord-Süd- Bahn führen folgende Bezeichnungen: Stettiner Bahnhof, Ormrien- burger Tor, Bahnhof Friedrichstraße(Uebergang zur Stadtbahn), Französische Straß«, Leipziger Straße (Umsteige bahnhof zur Hoch- bahn). Kochsttaße, Hallesches Tor(Umsteigebahnhof zur Hochbahn). Streik der Kassenärzte. Zu unserem in Nr. 42 vom 26. Januar 1923 veröffentlichten Bericht über die Pressebesprechung beim Groß-B«rliner Aerztebund schickt uns der darin als Referent genannte Ge- fchäftsführer der Wirffchafllichen Abteilung des Aerztebundes, Santtätsrat Dr. Stern b erg, die folgende„Richtigstellung": „1. Es ist unwahr, daß ich den Ausdruck„Schweinewirffchaft" gebraucht habe Dielmehr entschlüpfte er dem Munde eines der anwesenden Vertreter der Preste in der Enttüstung über die von mir geschilderten tatsächlichen beim Verband der Zkrankenkasten und nicht bei der Gesamtheit der Krankenkassen herrschenden Ver- hältniss«. 2. Ich Hab« nicht geäußert, daß bei den Kassen„gute politische Gesinnung" etwas gelte, sondern ich habe ganz allgemein gesagt, daß bei„Unternehmen, die mit öffentlichen Geldern zu arberten haben, Beamte mehr auf ihre kaufmännische Tüchtigkeit als auf ihre gute polittsche Besinnung" angesehen werden müßten." Bezüglich des Punktes 2 bleibt unklar, was Herr Dr. Stern- berg„richtigstellt". Wir sehen hier keinen wesentlichen Unter- schied zwischen seiner Darstellung und der kürzeren Fastung in unserem Bericht. Zu Punkt 1 stellen wir fest, daß unser zu der Prestebesprechung. erschienener Vertreter den Ausdruck„Schweine. wirffchaft" als von Herrn Dr. Sternberg gebraucht sofort nottert hat und auch nach Dr. Sternbergs gegenteiliger Darstellung nicht seine Ansicht zu ändern vermag. Richtig ist, daß nachher noch einer der Prestevertreter denselben Ausdruck gebrauchte. Jedenfalls
(Ziachdruck verboten. Der Malik-Verlog, Berlin .) Drei Soldaken. 22] von John dos Passos . Aus dem amerikanischen Manuskript übersetzt von Julia« Sumperz. Fusclli starrte auf die Tür auf der einen Seite der Bar. Die wurde immer aufgemacht, und Männer schauten hinein und schloffen sie wieder mit einem sonderbaren Ausdruck auf ihren Gesichtern. Dann und wann öffnete irgend jemand mit einem Lächeln, ging in das nächste Zimmer, scheuerte seine Füße an der Matte und schloß dann die Tür sorgfältig hinter sich. „Sagt'mal, ich wundere mich, was dort los ist," sagte der erste Sergeant, der auch zur Tür hinübergestarrt hatte. „Müssen wir uns'mal anschauen," fügte er hinzu und lachte besoffen. „Weiß nicht," sagte Fuselli. Der Champagner surrte in seinem Kopf, wie eine Fliege gegen eine Fensterscheibe. Der erste Sergeant stand auf. Er fühlte sich sehr kühn und wichtig, ging auf die Tür zu, äugte hinein, winkte seinen Freunden und schlüpfte in das andere Zimmer. Dann schloß er die Tür sorgfältig hinter sich. Der Korporal ging als nächster. Er sagte:„Ich will ver- dämmt sein," und ging gerade hinein und ließ die Tür offen stehen. Nach einem Augenblick wurde sie von innen geschlossen. „Komm, Bill, wollen auch'mal sehen, was sie da drin' haben," sagte Fuselli. „Gut," meinte Bill Grey. Sie gingen zusammen hinüber zur Tür. Fuselli öffnete und schaute hinein. Erstaunt ließ er den Atem in einem leise pfeifenden Geräusch durch die Zähne hinaus. „Donnerwetter, komm'rein, Bill," sagte er grinsend. Der Raum war klein und wurde fast ganz von einem Tisch, der mit einem roten Tuch bedeckt war, ausgefüllt. Auf dem Sims oberhalb des leeren Fcuerplatzes waren Kerzen angebracht vor einem zerbrochenen Spiegel, die Tapete schälte sich von den feuchten Wänden ab und gab dem Ganzen einen fauligen Geruch, der noch nicht einmal von dem Bierdunst und Tabakaualm verdrängt wurde. „Schau sie dir'mal an. Bill," flüsterte Fuselli. Bill Grey grunzte.'„Meinst du, das Mädel aus Paris , von dem uns Dan eben erzählte, wie die war?"
Am End« des Tisches saß, auf ihre Ellenbogen gestützt, eine Frau mit schwarzem, kurzgeschnittenem Haar, das nach allen Richtungen von ihrem Kopfe abstand. Ihre Augen waren dunkel und ihre Lippen schwellend. Sie schaute mit einer gewiffen Verachtung auf die Männer, die an den Wän- den herumstanden und am Tisch saßen. „Mich slafen mit netten Jungen, zahlen Zimmer," sagte sie in herausforderndem Tone. „Die werde ich mir holen!" flüsterte Fuselli aufgeregt und berührte Bill Greys Ohr mit seinen Lippen. Die Männer starrten sie schweigend an Ein großer Mann mit rotem Haar und schwerem Unterkiefer, der ihr am nächsten saß, rückte immer näher. Einer schlug auf den Tisch, so daß die Flaschen und Likörgläser gegeneinander klirrten. „Die ist nicht sauber, hat kurzes Haar." sagte der Mann neben Fuselli. „Du bist nicht sauber, du gottverfluchter Hurenhengst!" Die Frau sagte irgend etwas auf Französisch. Nur einer verstand es. Sein Lachen klang hohl in dem schweigenden Raum und brach plötzlich ab. Die Frau sah sich die Gesichter um sie herum einen Augen- blick aufmerksam an, zog die Schultern zusammen und begann die Schleife ihres Hutes, den sie im Schoß hielt, in Ordnung zu bringen. „Wie kam die nur her? Ich dachte, die Feldgendarmen hätten sie gerade aus der Stadt gejagt?" sagte einer. „Du venay Paris, " sagte ein Junge mit sanfter Stimme, der ihr nahe saß. Er hatte blaue Augen und eine milchweiße Haut, die seltsam von den roten und braunen Gesichtern im Raum abstach. „Ja, aus Paris ." sagte sie nach einer Pause und sah plötz- lich dem Jungen gerade ins Gesicht. „Die lügt, sage ich dir," meinte der Rothaarige, der jetzt schon seine Schuhe ganz nahe bei der Frau hatte.„Nicht wahr, du verfluchte Fose?" „Du sagtest dem, du seist aus Versailles und dem da, du seist aus Lyon, " sagte der Junge mit der weißen Haut und lächelte freundlich.„Vraiment de ou venay vous?" „Ich komme von überall," sagte sie und schüttelte ihren Kopf, so daß das Haar ihr nicht mehr in die Augen hing. „Biel gereist?" fragte der Junge. „Einer erzählte mir." sagte Fuselli zu Bill Grey,„er habe mit einem Mädel gesprochen, wie dieses, das in der Türkei und Aegypten gewesen ist. Diese Mädels sehen was vom Leben."
„Die gehen gern mit Negern," sagte Bill Grey. Die Frau sprang plötzlich auf und kreischte vor Wut. „Nicht anfassen... zuerst das Geld!" Der Rothaarige zog sich scheu zurück. Dann erhob er seine großen, schmutzigen Hände.„Kamerad." sagte er. Nie» mand lachte. Schweigen war im Raum, nur manchmal kam das Geräusch von Füßen, die sich am Boden bewegten. „So ist's bester." Sie lachte heiser.„Zuerst das Geld!" Sie setzte ihren Hut auf, nahm eine kleine Schachtel aus ihrer Tasche und begann ihr Gesicht vor einem Spiegel zu pudern. Die Männer starrten sie an. „Die denkt, sie wäre'ne Maikönigin," sagte einer und stand auf. Er beugte sich über den Tisch und spuckte in den Kamin.„Ich gehe zu den Baracken zurück." Er wandte sich zu der Frau und rief mit einer Stimme voll Haß:„Bon swar!" Die Frau legte die Puderschachtel in ihre Tasche zurück. Sie sah nicht auf. Die Tür schloß scharf. „Kommt," sagte die Frau plötzlich und warf ihren Kopf zurück.„Wer will zuerst mit mir gehen?" Keiner sprach ein Wort.- Die Männer starrten sie an. Nur manchmal kam Geräusch von Füßen, die sich auf dem Boden bewegten. III. Fusellis Augen waren noch klebrig vor Schlaf. Er saß auf der schwarzen, fetttgen Bank und nahm einen Schluck heißen Kaffees,'- der etwas nach Abwaschtüchern roch. Der machte ihn ein wenig wach. In dem Speiseraum wurde nur wenig gesprochen. Die Männer, die noch vor fünfzehn Minuten geschlafen hatten, saßen in Reihen, aßen mißmutig oder blinzelten sich durch die nebelige Dunkelheit an. Füße kratzten in der Asche des Bodens herum, und das Eßgeschirr klirrte auf den Tischen. Hier und da hustete irgendeiner. An der Essenausgabestelle fluchte ein Koch mit weinerlich singender Stimme. „Sag' mal, Bill, mir fft der Kopf so schwer," sagte Fuselli. „Mußte dich gestern in die Baracken zurückschleppen," brummte Bill Grey.„Du sagtest, du wollest zurückgehen zu diesem verdammten Mädel." „So," meinte Fuselli grinsend. „Das war'ne Arbeit, dich an der Wache vorbei zu kriegen." (Fortsetzung folgt.)