Ar. H2 ♦ 4S. Fahrgang
Beilage öes vorwärts
Mttwoch. 7.5ebruar1H2Z
Serlin eine hunöestaöt. Ueber I7V OOO Hunde bevölkern die Groß-Berliner Straßen.
Daß in Berlin die �undehaltung in den letzten Zahren stark zugenommen hat, weiß jeder Berliner auch ohne statistische Belege. Belege anderer Art, die in zunehmender Masse auf den Bürger- steigen umherliegen, könnten schon Beweis genug fein. Doch die „exakte Forschung"' verläßt sich nicht auf unsichere Schätzungen und nicht auf den oft täuschenden Augenschein, sondern verlangt zahlen- mäßige Erfassung. Für die sorgt die Steuerverwaltung, die liebe- voll jeden fjund zu registrieren sich bemüht, damit der Besitzer nicht bei der Einforderung der Hundesteuer übergangen wird. Aus einer soeben an die Stadtverordnetenversammlung gelangten Magistrats- vorläge ersehen wir, daß die Hundebe st andauf nähme vom Oktober 1922 einen Gesamt best and von 17074S Hunden ergeben hat. Gegenüber dem Bor- jähr, wo 1ZS 674 Hunde gezählt wurden, ist eine Mehrung um 38071 Hunte(fast 2 6 Proz. der Zahl des Lorjahres) eingetreten. Ist das nicht doch ein bißchen viel? Man braucht nicht in jedem, der eine Ueberhandnahme der Hunde als ein Uebel ansieht, sogleich einen Hundeseind zu wittern. Ein Hund bringt dem, der ihn hält, neben Unangenehmem so manche Freude, aber die Mitmenschen haben von ihm gewöhnlich weniger Freute als Unangenehmes. Das ist eine Tatsache, vor der auch die zärtlichsten Hundefreunde(der Verfasser dieser Zeilen gehört zu ihnen) sich bei einiger Einsicht nicht oerschließen können. Die Magistratsvorlage berichtet nur über die Zunahme der Hund« im letzten Jahre. Will man wissen, wie stark die Zunahme seit der Zeit vor dem Kriege ist? Im Jahre 1914 hatte das damalige Berlin noch keine 36 900 Hunde, die sich auf etwa 690 000 Haushaltungen verteilten. Im Jahre 1922 wurden in dem jetzigen Berlin , wie oben angegeben,
sich nach der Besitzdauer zu richten hätte, wer einen Hund neu an- schafft, zahlt die höchste Steuer, für ältere Hunde aber, die seit einem Jahre, seit zwei Iahren usw. in derselben Haushaltung sind, er- mäßigt sich die Steuer fortschreitend. Wie lange ein Hund schon in einem Haushalt ist, läßt sich ja aus den Steuerlisten feststellen. Wer «ine Zeitlang die Hundesteuer hinterzogen hat, wäre mit kürzerer Desitzdauer gebucht und müßte jetzt die höhere Steuer zahlen, so daß er sich selber bestrafte. Alten Leuten, die sich von ihrem alten treuen Hund nicht mehr zu trennen vermögen, wäre mit solcher Staffelung ein Entgegenkommen erwiesen, das ihnen zu gönnen ist. Als 1829 die Stadt Berlin die Einführung einer Hundesteuer von 1830 ab beschloß, schrieb der in Berlin lebende Adalbert v. Ehamisso sein Gedicht:„Der Bettler und sein Hund."„Drei Taler bezahlen für meinen Hund? Da schlage das Wetter mich gleich in den Grund!" 1830 betrug die Steuer drei Taler, für die man in der damaligen Zeit sehr viel mehr kaufen konnte als für 12 000 M. in der heutigen. Der Bettler, der sich einen Hund hält, ist heute in Berlin eine Seltenheit. Aber wahr ist's, daß in dieser Zeit der allgemeinen Not die 12 000 M. manchem Hundcbesitzer schwerer werden dürften als jenem Bettler die drei Taler.
Verführer. Zwei Fälle von grobem verlrauensmihbrauch. Die großen sittlichen Gefahren, denen erfahrungsgemäß die weiblichen Hausangestellten ausgesetzt sind, wurden durch zwei Ge- richtsoerhandlungen wieder einmal mit erschreckender Deutlichkeit offenbar. In einer Berliner Tageszeitung stand vor längerer Zeit ein
1707«»--!>-«.MM 1-- ist jünfmal M.»-»-.od dU X.a5Ä.tS.vl5i! Zahl der Haushaltungen in dem zetzigen Berlin nur etwa zweimal so groß wie in dem Berlin von 1914 ist. Mark hunöesteuer! Bon den fortgesetzten Erhöhungen der Hundesteuer hat mancher eine Einschränkung der Hundehalwng erwartet. Die über die Steuer klagenden und scheltenden Hundebesitzer versichern, daß diese
Haushalt gesucht" wurde. D«r Verfasser dieser Anzeige war ein gewisser Joseph Rehkopf, �der gestern unter der Anklage des Sittlichkeitsvergchens vor der Strafkammer 3 des Landgerichts III stand. R. war kinderlos, im übrigen aber glücklich ver. fieiratet. Im Laufe der Zeit bildeten sich zwischen ihm und dem ungen Mädchen, das auf fein« Anzeige hin zu ihm gekommen war, intimere Beziehungen heraus, und zwar dadurch, daß R.. wie er .. in der Verhandlung angab, das Mädchen vor den Verfuchun- Wirkung tat'ächlich eingetreten fei. Aber die Hundestatistik der gen der Großstadt bewahren wollte und ihr zu diesem Steuerverwaltung beweist das Gegenteil. Unter den Hundebesitzern Zwecke gute Lehren mit praktischen Beispielen gab. Bei dem Alter ruft jetzt die Kunde, laß ihnen eine Steuererhöhung auf jährlich des Mädchens wäre das an sich straflos gewesen, wenn Nicht durch 12 000 M. droht, ein panikartiges Entsetzen hervor. 12 000 M. pro einen neuen Diensthcrrn, den das Mädchen erhielt, Anzeige erstattet Jahr gegenüber nur 39 M. noch in den Kriegsjahren, das bedeutet worden wäre, in der betont wurde, daß das Mädchen dos Pflege- nur«ine Steigerung auf das 400fache! Daß andere Dinge, die der kind der Eheleute gewesen sei. Di« Anklage lautete daher auf Mensch zweifellos noch nötiger hat, noch viel teurer geworden sind, Sitllichkeitsoerbrechen, begangen von dem Pflegevater an einer ist ein schlechter Trost. Es ist richtig, daß beispielsweise dos Brot, Minderjährigen. Da dos Mädchen inzwischen nach Pilsen verzogen das vor dem Kriege bei einem Durchschnittsgewicht von zufällig med zum Termin nicht erschienen war, bean'ragte Rechtsanwalt auch damals etwa 1900 Gramm nur fünf Groichen kostete— man Frey, dem Sachverständigen Prof. Strauch zu folgen und nach der muß sich erst besinnen, obs wirklich und wahrhaftig so war—, bekannten Reichsgerichtsentscheidung den Angeklagten auf Grund des heute schon das fast 1200fache kostet. Aber wer zahlen soll, der sst S 81 freizusprechen. Das Gericht schloß sich den Ausführungen des solchen und ähnlichen Derqleichungen nicht zugänglich. Darum Verteidigers an und kam zum Freispruch. wird auch auf die Hundebesitzer der liinweis, daß die Lebensmittel Weit weniger gut kam mit Recht in einem zweiten Falle gleich. viel stärker verteuert worden sind, keinen Eindruck machen. Mancher. falls ein Verführer weg. Vor dem Schwurgericht war der ehe- Hundebesitzer wird antworten, daß auch der Hund nicht von der malige Malermeister Ossowsft wegen Z u h a l t e r e i angeklagt. Luft lebt, sondern von Brot, Kartoffeln, Gemü'e und anderen. De? Angeklagt« lernte im Februar vorigen.Jahres auf dem Bahnschönen■ Dingen, so daß schon die Lebensmittewerteuerung den' Hof Alexanderplatz ein junges Mädchen kennen, das in seiner Hundebesitzer doppelt trifft. Man behauptet, es aebe sogar Hunde- Hilflosigkeit sich ihm anvertraute. Er lud sie«in, besitzer, die ihren v'erfüßigen Liebünn mit Milch und Fleisch als seine„Wirifchafterin" zu ihm zu kommen, um seinen Haushalt füttern. Milch kostet heute schon das 2ZV0fach« des vor dem Kriege zu fuhren. Ahnungslos folote ihm das junge Mädchen, das aus gezabtten Preises— und für Fleisch wird gar dos 3000fache und seiner Heimat im Osten fortgegangen war, um 4000sache der früheren Preise gefordert! Doch, wie gesagt, mitjnicht Polin werden zu müssen. Am anderen Tage schon solchen Zahlen kann man keinen Hund vom Osen locken und keinen sänckle der Angeklagte sie auf die Straße, um sich fremden Hundebesitzer zum Steuerfreund machen, wahrscheinlich selbst den Männern anzubieten. Wenn ihm die Zeugin von diesem sittenlosen nicht, der tatsächlich Milch und Fleisch für seinen Hund drüber hat. Gewerbe nicht genügend Geld nach Haus« brachte, machte er ihr OH* I Vorwürfe, daß andere Mädchen ihres Alters ihr Geschäft besser ver- icIN vrasseiungsporfcyiag.| stünden. Nach einiger Zeit lernte die Zeugin eine Freundin kennen. Unerschütterlich, wie der Hundebesitzer e« in der Ablehnung oie sie wieder auf besser« Wege brachte, so daß sie den Angeklagten d« immer wiederholten Steuererhöhungen ist, ist der Magistrat verlassen konnte und heute wieder einem ehrlichen Berufe nochgeht. in seinen Forderungen, weil er Geld braucht. Das ist bitter für die. Der Angeklaate leugnete nicht nur fein Verbrechen, sondern ver» ''--- j.---t,— suchte die Zeugin noch schlecht zu machen. Er behauptete, daß sie völlig verlaust und venerisch erkrankt zu ihm in die Wohnung gekommen sei. Das Gericht schenkte jedoch den Angaben der .Zeugin mehr Glauben, die ihre Aussag« sachlich und ohne jede Ge. hässigkeft abgab. Das Gericht ging über den Sttafanttag des
Staatsanwalls weit hinaus und verurtellte den Angeklagten in Anbetracht dieser rohen Tat und des Vertrauensmih. brauch s, durch den er ein anständiges junges Mäd- chen zur Dirne gemacht habe, zu zwei Jahren Gefängnis bei sofortiger Verhaftung und zu drei Jahren Ehroerlust. „Die Preise mache ich.. Der Kohlenhändler Scbmidt und sein« Ehefrau, die bor dem Wuchergcricht des Landgerichts II standen, fühlten sich ossenbar auf ihrem Anwesen recht als Autokraten. Wenigstens richteten sie sich nicht im geringsten nach den Kohlenpreis- Verordnungen. Als ein eingelragener Kunde, der von Sckimidr Kohlen haben wollte und auf die nächste Wocke vertröstet wurde. für die der Kohlenpreis erhöht war. die Kohlen noch zum allen Preis verlangte, erwiderte Schmidt:„Das geht Sie gar nichts an, die Preise m a<h e ich". In der Verhandlung wurde dem Angeklagten überdies nachgewiesen, daß er, als jener Kunde zu ihm kam, noch über hundert Zentner Kohlen eingelagert hatte, so daß er den Käufer hätte bedienen können. Das Gericht verurteilte S., über den Antrag des Staatsanwalts hinausgehend, zu drei Wochen Gefängnis und bewilligte ihm eine Bewährungsfrist von drei Jahren, die von der Zahlung einer Geld- büße in Höhe von 200 000 M. abhängig gemacht wurde.
Der Wasserrohrbruch in der �riedrichstrasse. Der Wasserrohrbruch in der Friedrichstraße , über den wir be- reit« im gestrigen Abendblatt kurz berichteten, hat bedeutenden Schaden angerichtet. Bevor man den betreffenden Wasserstrang abgeriegell hatte, war die Friedrich- und Georgenstraße über- schwemmt. DaS Wasser fand Zugang zu den Keller- räumen der angrenzenden Häuser, und noch vor Ankunft der ersten Löschzüge standen mehrere große Keller, besonder« der von Aichinger, unter Wasser. In diesem Kellerraum sollen angeblich große Vorräte an Zigarren, Zigarretten, Fleisch, Weinen, Likören. Delikatessen»!w. lagern. Die Feuerwehr ließ mit mehreren Dampf- spritzen das Wasser aus den Kellern, in denen es meterhoch stand, wieder herauspumpen. Erst in später Abendstunde konnte die ifeuerwebr wieder abrücken. Die Friedrichstraße war während des Nachmittag« für jeden Wagenverkehr zwischen Bahnhof Friedrich- straße und Dorotheenstraße gesperrt. Der Tunnel der Nordsüdbahn hat nur wenig gelitten, so daß der Verkehr aufrecht erhalten werden konnte._ Der Sozialrentner als Kassenbote. So anerkennenswert es an und für sich auch ist. Minder- erwerbsfähige mit leichten Arbeiten zu beschästigen, so wenig an« erkennenswert ist es, die Notlage der Mindereiwerbssähigen aus« zunützen. Wie uns mitgeteilt wird, beschäftigt der Verlag„Mo- dist'n"(Juhaber Albu), Schntzenstr. S3. einen Sonalreniner als Kassenbolen um einen Wochenlobn von dreilausend Papiermark bei achtstündiger Arbeitszeit. Ein Sozialrentner ist kein Vollarbeiler. gewiß! Aber er müßte ein geborener Hungerkünstler sein, um bei einem solchen Einkommen, das er sich an Stiefelsohlen abläuft, zu existieren. Dieser Hinweis dürfte wohl genügen, um die ge- nannte wie etivaige sonstige Firmen in ähnlichen Fällen zu ver- anlassen,- von Zeit zu Zeit an eine Zulage zu denken, die der Geld- entwertung und den Preissteigerungen einigermaßen entspricht.
jeniaen Hundcbesitzer, die es wirtlich nicht dazu haben, jede Steuer- erhöhung mitzumachen, und die daher eines Tages sich doch dazu entschließen müssen, so«in in vielen Jahren des Zusammenlebens liebgewonnenes Tier abzuschaffen. Man sollte erwägen, ob nicht für die Hundesteuer eine Staffelung einzuführen wäre, die
Von heute ab 50 000-Mark- Scheine. Um das Bedürfnis nach Zahlungsmitteln zu befriedigen, wird die Reichsbank von heute ab 50000- M a rk- S ch ei ne in großer Zahl ausgeben. Eine Aktion gegen den Fleijchwucher. Bei der Abteilmig W des Polizeipräsidiums Berlin iond beute vormittag unter dem Borsitz des L-iterS der Abteilung eine Besprechung statt, an welcher aucb die Verlreter der Viehhändler, Agenten, Laden- und Engros- schlächter teilnahmen. Der Zweck der Besprechung war eine Er- zielung sachgemäßer Festsetzung der F l« i i ch p r e i s e. Eine Einigung wurde ini'oiern erzielt, als aus de» Reiben der Jnleressenlen eine Kommission zusammengesetzt wurde, besiebend aus je einem Viehhändler, Kommissionär. Eugros- und Laden- schlächter. Als Obmann fungiert der Kre'Slierarzt bzw. desicn Stellvertreter. Die Kommiifion gliedert sich in llnierkommissioncii tür den Rinder-, Schiveine-, Hammel» upd Kälbeimarkt. Diese sollen der Wucherpolizei beraiend zur Seite flehen und bei even- tuellen Beschlagnahmen angemessene Preise für das Bieb festsetzen. Deulschböhmische Spenden. Eine von der Nedaklion der .Reichenberger Z t g" eingeleiiete und mit 5000 tschechischen Kronen eröffnete Sammlung zugunsten der hungernden Kinder von von Berlin hat bisher mehr als 100 Mill. M. ergeben. Die Spenden
(Ttachdrack Verbote». Der Vallk- Verlag. Verlln.1
Drei Soldaten.
801 von Zohn dos Passos. Aus de« amerikanllihea Manuslript Ilbersetzt»o» Zulia » Sumver». „So?" fragte Fuselli.„Wo ist er hingegangen? «Weiß nicht."... Dvonne und der Franzose sprachen leise mlleinander und lachten dann und wann. Fuselli lehnte seinen Stuhl zurück, sah sie an und wünschte sich, daß er genug französisch könne, um zu verstehen, was sie sprachen. Er kratzte mit den Fußen ärgerlich auf dem Boden hin und her. Seine Augen sielen auf die weißen Hyazinthen.„Wie ich diese verfluchte Höhle hier hasse," murmelte er zu sich selbst. Er dachte an Mabe und machte mit den Lippen ein Geräusch.„Na. die wird jetzt schon verheiratet sein."$oonne, das war ein Mädchen für ihn, wenn er die nur für sich haben könnte, irgendwo weit weg von den anderen, diesem verfluchten Franzosen und ihrer alten Mutter. Er dachte, wie er mit Yvonne ins Theater gehen werde. Wenn man Sergeant ist, kann man sich das ganz gut leisten. Er zählte die Monate. Es war März. Nun war er schon fünf Monate in Europa , und er war immer noch nur Korporal, und das noch yicht einmal ganz. Er ballte die Fäuste vor Ungeduld. Dann beugte er sich hinüber und schnüffelte laut an den Hyazinthen herum.„Riechen gut." sagte er. Foonne sah ihn an. als ob sie vergessen habe, daß er im Zimmer sei. Ihre Augen bückten ihn groß an. und sie brach in ein Lachen aus. Fbr Blick hatte ihn warm gemacht,'>nd er lehnte sich in seinen Stuhl zurück, sah ihren schlanken Kör- per mit einem bebaglichen Gekübl des Besitzes an. „Yvonne, komm mal rüber," sagte er. Sie sah von ihm provozierend auf den Franzosen , dann kam sie und stand hinter ihm. „Was willst du?" Fuselli warf einen Blick auf Eisenstein. Der und Stock- ton waren wieder in aufgeregter Unterhaltung mit dem Franzosen . Fuselli hörte jenes unangenehme Wort, das ihn immer wütend machte, er wußte nicht, warum: Revolution. „Yvonne." sagte er so, daß nur sie es hören tonnte,..was würdest du dazu sagen, wenn wir beide uns heirateten?"
Sie schaute ihm einen Augenblick in die Augen. Dann warf sie den Kopf zurück und brach in ein schallendes Ge- lächter aus. Fuselli wurde rot, stand auf und schlug die Tür hinter sich zu, so daß die Scheiben klirrten. Er ging eilig zum Lager zurück, wurde unterwegs von den grauen Lastkraft wagen, die ihren Weg langsam durch die Hauptstraße hiw durchratterten, mit Schlamm bespritzt. Die Baracken waren dunkel und fast leer. Er setzte sich an das Pult des Sergeanten und wandte mürrisch die Seiten der kleinen, blau gebundenen Heeresordnung um. Das Mondlicht glitzerte im Brunnen, der auf dem Markt platz der Straße sich befand. Es war eine warme, dunkle Nacht mit schwachen Wolken, durch die der Mond bleich hin- durchschien, wie durch einen dünnen, seidenen Baldachin. Fuselli stand am Brunnen, rauchte eine Zigarette, sah zu den gelben Fenstern des„Eheval blanc" hinüber, aus denen das Geräusch von Stimmen und von gegeneinanderschlagenden Billardkugeln kam. Er stand ruhig, ließ den Rauch der Zigarette langsam durch seine Nase Lehen, in seinen Ohren klang das silbrige Plätschern des Wassers im Brunnen neben ihm. Der Lufthauch, der launisch aus Westen kam, trieb warm an ihm vorbei. Fuselli wartete. Dann und wann nahm er die Uhr heraus und strengte feine Augen an, um sehen zu können, wieviel Uhr es fei, aber es war nicht hell genug. Endlich er- tönte die Glocke der Kirche einmal: es mußte also halb elf sein. Er begann sich in Bewegung zu setzen und ging zu der Straße hinunter, wo Yvonnes Gemüseladen war. Der schwache Schein des Mondes beleuchtete die grauen Häuser mit den verschlösse- nen Fenstern und den roten Dächern. Fuselli fühlte sich ent- zückend einig mit der Well. Fast konnte er Yvonnes Körper in seinen Armen fühlen, und lächelnd in der Erinnerung an die Gesichter, die sie oft schnitt, schlich er an den verschlossenen Fenstern des Ladens vorbei und in die Dunkelheit unter den Torbogen. Er ging vorsichtig auf Zehen, hielt sich nahe an die moosbedeckte Mauer, denn er härte Stimmen im Hof. Um die Ecke des Gebäudes spähend, sah er verschiedene Leute in der Küchentür stehen und svrechen. Er zog seinen Kopf in den Schatten zurück. In der Dunkelheit halte er das Faß neben der Küchentür gesehen. Wenn er sich nur verbergen konnte, wie er gewöhnlich tat. bis die Leute weg sein würden! Er hielt sich gut im Schatten, schlüpfte auf die andere Seite und wollte sich gerade hinter dem Faß verstecken, als er
bemerkte, daß schon jemand dahinter stand. Sein Herz sprang vor Erregung. Die Gestalt wandte sich um, und in der Dunkelheit er- kannte er das runde Gesicht des ersten Sergeanten. „Sei ruhig, Mann," flüsterte der erste Sergeant. Fuselli stand still mit geballten Fäusten. Das Blut lief ihm heiß durch den Kopf.„Der erste Sergeant ist eben der erste Sergeant," dachte er.„Es taugt nichts, Dummheiten zu machen." Seine Beine brachten ihn automatisch zurück in die Ecke des Hofes, wo er sich gegen die feuchte Wand lel?nte und mit funkelnden Augen die beiden Frauen, die an der Küchentür im Gespräch standen, sowie den dunklen Schatten hinter dem Faß beobachtete. Schließlich, nach verschiedenen schmabenden Küssen, gingen die Frauen auseinander, und die Küchentür wurde geschlossen. Die Glocke im Kirchturm schlug langsam und traurig elf. Als sie ausgeklungen hatte, hörte Fuselli ein vorsichtiges Tappen und sah den Schatten des ersten Serqean- ten an der Tür. Wie der hineinschlüpfte, hörte Fuselli ihn in seinem gutmütigen Ton laut flüstern. Dann Yvonne lachen. Die Tür wurde geschlossen und das Licht ging aus. Der Hof war nun ganz dunkel, nur ein ferner Schein stand am Himmel. Fuselli marschierte hinaus und machte soviel Lärm mit feinen Hacken auf den Pflastersteinen wie möglich. Die Straßen der Stadt waren schweigend im fahlen Mondlicht. Auf dem Platz plätscherte der Brunnen laut und metallisch. Er gab seinen Paß der Wache und ging hinüber zu den Baracken. An der Tür traf er einen Mann mit Gepäck auf dem Rücken. „Hallo, Fuselli!" sagte eine Stimme, die er kannte.„Ist mein altes Bett noch hier?" „Weiß nicht," sagte Fuselli.„Ich dachte, sie hätten dich nach Hause gebracht? Der Korporal bekam einen Hustenanfall. „Nee," sagte er,„sie hielten mich in diesem verfluchten Hospital, bis sie sahen, daß ich nicht gleich sterben würde. Dann meinten sie, ich solle wieder zu meiner Truppe zurück. So, da bin ich." Er lachte schwach. „Haben sie dich versetzt?" fragte Fuselli mit plötzlichem Eifer. „Nee, warum denn?( Sie haben doch nicht etwa eine« neuen Korporal ernannt?" „Nee. nicht ganz," sagte Fuselli.(Fortsetzung folgt.)