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DieFranks. Zeitung" meldet auS Petersburg : Die Adels- Marschälle des Tiver'schen Gouvernements sind ihrer Aemter enlsetzt worden und für immer als unwürdig erklärt, öffent- liche Aemler oder Staatsstillen zu bekleiden, weil sie eine gewisse Theilnahme der Eemstwos an den Regierungsangelegenheiten befürwortet hatten. Nach diesen Meldungen dürfte der Plan eines Städte- Parlamentes, von dem in der folgenden Tepesche die Rede ist, wenig Aussicht auf Erfolg haben. Es wird nämlich aus Petersburg gemeldet: Der Bürgermeister von Petersburg gab zu Ehren der Bürger- meifter der Provinzialstädte ein Banket, bei welchem die Frage angeregt wurde, bei der Regierung die Ermächtigung nachzusuchen, von Zeit zu Zeit einen Kongreß der Bürgermeister behufs Aus- tausches von Ideen betreffend die städtische Verwaltung und die städtischen Interessen abzuhalten. Für die Reaktion in Rußland ist auch die folgende Meldung aus Warschau charakteristisch: Tie Verhaftungen katholischer Geistlicher in Kongreßpolen und Lilthanen dauern noch immer fort; angeblich will die Polizei in Priesterseminaren Schriftslücke mit Beschlag belegt haben, welche beweisen, daß zahlreiche Priester und Zöglinge einem gegen die bestehende Rechtsordnung gerichteten Geheim- bunde angehören. Man ersieht hieraus, daß die Hoffnungen auf die Initiative des Zaren zur Besserung der Verhältnisse un- berechtigt sind. Desto energischer und aussichtsvoller wird jetzt der Kampf unserer Freunde in Rußland geführt werden. MadagaScar. Aus Paris wird telegraphirt: Den letzten Nachrichten aus Madagaskar zufolge fangen die Engländer an, das Innere der Insel zur verlassen. Die Regie- rung der Howas weigert sich, die Dienste des Obersten Shervington zu bezahlen. Die Dörfer in der Umgebung von Tamatawe werden von den Howas in Brand gesteckt. Die Regierung hat den Fremden auf's strengste verboten, irgend welche Waaren nach Tamatawe zu bringen. Vom chinesisch-japanischen Kriegsschauplätze. Mehrere Londoner Abendblätter melden aus Tschizu, daß Vre japanische Flotte gestern die chinesischen Forts von Weihaiwei beschossen, eine große Trnppenmacht gelandet, drei Forts erobert und ein anderes Fort zum Schweigen gebracht habe.-» Mticher Anarchisten-Prozeß. L ü t t i ch, den 31. Januar. Die Verhandlungen nähern sich ihrem Ende. Zwei und eine halbe Woche hat die Beweisaufnahme in Anspruch genommen, nun ist sie geschlossen, und Staatsanwaltschaft und Vertheidigung sind zu ihren Plaidoycrs gerüstet. Da ist es an der Zeit, einen kurzen Blick auf die Angeklagten, ihre Richter und ihre Sach- walter, auf die Art des Verfahrens und den Ort der Handlung zu werfen. Der Saal, in dem das Geschworenengericht tagt, liegt im ersten Stock des alten Bischofspalaftes. Seine sechs hohen Fenster gehen auf den inneren Gartenhos und alten Friedhos des Bischofsttzes hinaus. Die gewölbte Decke ist mit Eichenholz bekleidet; auch die Wände sind bis zur doppelten Mannshöhe mit Eichenholz ge- täfelt. Zu den schön geschnitzten alterthümlichen Thören paffen die vierzig Gaslampen schlecht, die auf einfachen Trägern an der Wand sitzen. In drei etwa gleich große Theile ist der nicht allzu breite Saal getheilt. Im zpintergrund sitzt auf einer teppichbelegten Estrade, zu der drei Stufen führen, und die durch ein niedriges Eisen- gitter umrahmt ist, unmittelbar vor dem mächtigen Granitkamin des alten Bankettsaales, der Gerichtshof der Vorsitzende und zwe Beisitzer; zu seiner Rechten die beiden Staatsanwälte, zur Linien der Gerichtsschreiber. An zwei schmalen, mit grünem Tuch bedeckten Tischen drängen sich die fünfzehn Ver- t heidiger der dreizehn Angeklagten, die unmittelbar hinter ihnen die Wand entlang auf einer langen Holzbank Platz gefunden haben. Vertheidigern und Angeklagten gegenüber sitzen aus zwei erhöhten Bänken die zwölf Geschworenen, neben ihnen du beiden Ersatzgeschworenen. Mitten auf der Estrade steht der Tiscb, an den die Zeugen herantreten und unter dem in buntem Gewimmel die verschiedenenBeweisstücke" lagern, die in der Wohnung der Angeklagten beschlagnahmt worden sind. Da sind weiße und braune Packele mit Briefschaften und Klei- dungsstücken, da sind zwei Koffer,«in brauner und ein grauer, von denrn einer dem russischen Polizeispitzel gehört, da sind Nägel von der Art, wie sie in de» Bomben waren, Schuhe, Hüte, Stöcke, kurz ein wahrer Kramladen. In solcher Fülle sind diese Beweisstücke vorhanden, daß sie noch einen zweiten Tisch, der sich unmittelbar vor dem Prüstdententische besindel, bedecken. Auf dem ersten Tische aber steht einsam, wie ein Symbol des Ganzen, eine weiß und blau lackirte Theebüchse, die als Bombe gedient hat, und aus der ein Stück von der Größe einer Kinderhand herausgebrochen ist, wo- nach sich dieGewalt" der vom Russen veranstalteten Explosion ermessen läßt. Ter mittlere Theil des SaaleS wird durch zwei Reihen Bänke ausgefüllt, von denen die vordersten für die Vertreter ter Presse bestimmt sind. Anwesend sind jetzt noch etwa dreißig Journalisten, darunter vier deutsche; bei Beginn der VerHand- lungen waren es vierzig, die Pariser und Engländer sind nach den drei ersten Tagen aber wieder abgereist. Auch derPeuple ", das Brüsseler Tagesblatt unserer belgischen Genossen, ist durch einen Korrespondenten, Genossen Mowzon, vertreten. Die übrigen Bänke sind durch bevorzugte Zuhörer besetzt, die sich im Besitz einer Platzkarte besinden. Die groß« Masse der Zuhörer muß sich mit einem Stehplatz im letzten Theil des Raumes be- gnügeu. Trotz der fürchterlichen Enge harren hier manche von ihnen vier bis fünf Stunden lang stehend aus. Die Verhandlungen sind bisher im allgemeinen sehr ruhig verlaufen. Das starke Aufgebot an Gendarmen, die mit ans. gepflanztem Seitengewehr überall im Saale aufgestellt sind, er- scheint recht überflüssig. Tie Träger der Bäreninütze nehmen ihren Dienst auch nicht zu ernst. Es ist nichts Seltenes, einen Gendarmen bei den Verhandlungen in einen sanften Schlummer versinken zu sehen. Soll doch das sogar einem der Beisitzer am dritten Verhaudlungstage passirt sein. Das Verfahren stinimt mit dem Verfahren vor unseren Ge- fchworenengerichtcn sast vollständig überein. Nur wird der äußerlichen Feierlichkeit weniger Bedeutung beigelegt, als bei uns. Tie Vereidigung der Zeugen geht sehr rasch und ganz geschäfts- mäßig vor sich, ohne daß deshalb in Belgien mehr Meineide geschworen würden, als bei uns. Während einiger Tage stand zufällig ein Stuhl vor dem Zeugenlisch. Unbefangen sehen sich die Zeugen, alt und jung, darauf und gaben so ihre Aussagen ab. Manche schworen sogar im Sitzen, ohne daß der Vorsitzende etwas dagegen hatte. Von den Zuhörern erhebt sich bei der Eidesleistung niemand, wie es bei uns Sitte ist. Aufgestanden wird nur, wenn die Richter den Saal betreten. Die Beisitzer und die Vertheidiger tragen schwarz« Roben und eine Art langer weißer Bäffchen. Tie Robe des Vorsitzenden und des Staatsanwalts ist roth und hat schwarze Aufschläge. Das Barett der Richter und Advokaten ist etwas höher. als das in Teutschland übliche. Die Geschworenen sind in ihren Werkeltagskleidern. Tie Beweisaufnahme hat sich im breitesten Rahme» vollzogen. Vor einem deutschen Gericht wären noch nicht der vierte Theil der Zeugen vorgeladen worden. Es gab Stunden, wo Zeuge aus Zeuge dieselben Nebensachen bekundete. Man konnte z. B. zwanzigmal hintereinander hören, daß der Angeklagte Arnold ein guterSohnsel, oderdaßderAngeklagte Schlebach seineRechnungeu zu bezahlen pflegte. Eine gewisse Weitschweifigkeit ist die er- freuliche Unparteilichkeit und Genauigkeit, die angenehme Seite dieses Verfahrens. Was sich bei der Vernehmung der Zeugen hätte vermeiden lassen, war ihre mangelhafte Gruppirung. An- scheinend ohne jedes System wurden die Zeugen vorgerufen. Die einen sagten über diesen, die anderen über jenen Punkt aus, und wer nicht die Thatsachen, auf denen die Anklage fußt, in ihrem genauen Zusammenhang kannte, verlor leicht de» Faden. Die Leitung der Verhandlungen befindet sich in sehr guten Händen. Herr von Hoffschmidt ist das Muster eines ruhigen, mit dem Stoff genau vertrauten Vorsitzenden. Seine Fragen sind klar, bestimmt und einfach. Er fragt in die Zeugen nichts hinein, sondern läßt sie erzählen. Gegen die Angeklagten ist jer sehr rücksichtsvoll. Er wendet sich an sie mit höflicher Stinime; nicht ein heftiges Wort, nicht eine unwirsche Geberde ist bei ihm zu finden. Einen weniger angenehmen Eindruck macht der erste Staats- anwall Demarleau. Sein scharfgeschnittenes, von einem grauen Bart umrahmtes Gesicht gewinnt durch die noch schwarzen, buschigen Augenbrauen ein finsteres Aussehen; die Stimme ist dünn und kalt. Sein Kollege Delwaide, auch ein Mann in den fünfziger Jahren, ist lebendiger und bewegter. Unter den Vertheidigern befinden sich zwei berühmte Zierden der Lütticher Barre, die Herren Neujean und Lejeune. Der erste war lange Zeit liberaler Abgeordneter. Jetzt haben ihm unsere Genossen das Mandat abgenommen. Beide gelten für aus- gezeichnete Redner, besonders werden ihre Erfolge vor den Ge- schworenen gerühmt. In ihren Vertheidigungsreden werden sie voraussichtlich mit allem Nachdruck auf die Rolle hinweisen, die der russische Lockspitzel in der Affäre gespielt hat. Ihre Aus- führungen versprechen interessant zu werden. Ihren zahlreichen jungen Kollegen, die die Äertheidigerbank füllen, wud die be­scheidnere Aufgabe zufallen, die Unschuld ihrer Klienten an den einzelnen Thaten, die ihnen vorgeworfen werden, nach- zuweisen. Von den Angeklagten habe ich in meinem ersten Bericht bereits gesprochen. Die gestrige Aussage des Pastors Peterson hat den ersten Eindruck, den ich von den einzelnen erhielt, voll­kommen bestätigt. Müller ist ein ganz verkommener und ver- logener Mensch, dessen Zurechnungsfähigkeit ernstlich zu bezweifeln ist, Bach ein unklarer, aber wohl ehrlicher Fanatiker, der dem Russen ins Garn gegangen ist, Wilke eine sympathische Perfön, lichkeit, die an der ganzen Affäre vermuthlich völlig unbetheiligt ist. Die beiden Bürgerkinder Arnold und Leblanc werden wohl freigesprochen werden. Man kann sie wirklich nicht ernst nehmen, diese beiden, von denen der eine Studentenphilosophte, der andere Geschäfte mit dem interessanten Russen treiben wollte. Ueber Schlebach und seine Frau habe ich neues nicht zu sagen. Hier muß das Urkheil erst die nölhige» Fingerzeige geben. Es wird auch zeigen, wie viel ehrliche und wie viel verkommene Mensche», wie viel Fanatiker und wie viel Spitzel sich unter den übrigen Angeklagten noch befinden. »» Die heutige Sitzung wurde um lty, Uhr eröffnet. Rechtsanwalt I a m a r, der Vertheidiger Berg's , theilt mit, daß sich bei ihm ein Zeuge namens Fcrrier gemeldet habe, der bekunden wolle, daß die Angaben der kleinen Rovenne aus Irr- thum beruhen müßten, da er und nicht Berg sich am fraglichen Abend am angegebenen Straßenpunkte befunden habe. Der Zeuge soll auf Gerichtsbeschluß bei Beginn der Nachmittags- fitzung vernommen werden. Das Wort erhält hierauf der erste Staatsanwalt D e m a r t e a u. Er beginnt etwa folgendermaßen: Meine Herren Geschworenen ! Die Anklage, über die Sie zu entscheiden haben, ist Ihnen zunächst im Anklagebefchluß und in der Anklageschrift unterbreitet worden, die die Thaten der Lütticher Anarchisten in großen Zügen geschildert haben. Dann haben Sie hier in diesem Saale die Erwiderungen der Ange- llagten gehört, eine lange Reihe von Zeugen ist an Ihnen vor- übergezogen und aufmerksam sind Sie dein Gang der Beweis- aufnähme gefolgt. Aber die Thaten rollten sich nicht chronologisch vor Ihnen ab. und mit diesem System der Vernehmung war die unvermeidliche Gefahr verbunden, daß der Zu- sammenhang der Dinge Ihnen etwas verloren gehen mußte. Meine Aufgabe und die Aufgabe der Herren Vertheidiger ist es nun, diesen Zusammenhang durch Gruppirung der Thatsachen wieder herzustellen. Ich werde mich dabei der größte» Unparteilichkeit befleißigen, Sie aber, meine Herren Ge- schworenen, werden als redliche und ehrenhafte Männer nach bestem Wissen und Gewissen Ihren Spruch fällen. Ter Staats- anwall geht nun zu einer außerordentlich genauen Schilderung des Thalbestandes über, wie ihn nach seiner Meinung die Beweis- ausnähme ergeben hat. Er beginnt mit dem Auftauchen des Russen in L ü t t i ch im Jahre 1833. Ein Jndi- vidunm russischer Nationalität, ein Abenteurer war es, der die anarchistischen Elemente Lüttich's um sich vereinigte. Er hatte sich hier häuslich niedergelassen und seinem Barontitel und den reichlichen Geld mi tteln, über die er verfügte, hatte er eine gewisse Popularität zu verdanken, die sich nicht nur auf die Kreise der Anarchisten erstreckte. Er war auch unter den Slu- deuten und bei den jungen Leuten, die mit diesen verkehrte», sehr bekannt. DaS nutzte er für seine Pläne aus. Die meisten der Angeklagten standen unter seinem Bann. Zwar haben sie fast durchweg energisch bestritten, Anarchisten zu sein und nur ein paar haben sich»um Anarchismus bekannt, aber die Propaganda der Thal abgelehnt. Mögen es nun Anarchisten oder Soziali st en sein, die wir vor unshaben; es kümmert uns wenig. Wir führen hier keinen Tendenzprozeß. Jede Theorie und jedes Ideal steht außerhalb dieser Gerichtsverhandlung. Gewiß mag es theoretische Anarchisten geben, aber es gicdt auch praktische Anarchisten, die fest davon Überzeugt find, daß die Umwälzung, die sie erstreben, sich ohne Erschütterung nicht vollziehen kann. Durch die Tragödie zu der erträumten Paslorale: das ist ihr Gesichtspunkt. Hier aber haben wir es nicht mit irgend welchen Ucbcrzeugungen, sondern mit Männern zu thun, die Gewaltihaten und Verbrechen verübt haben. Ter Staatsanwalt bespricht nun in chronologischer Reihen- folge die einzelnen Thatfachen; zunächst den Dynamitdiebstahl in Chevron, an dem Broich, Müller, Vossem, Westkamp und Wille detheiligt sein sollen. Zu anarchistischen Thaten, sagt er, gehört zunächst die Besorgung des nothwendigen Sprengstoffes. Das Dynamitdepot des Chevronschen Bergwerks war sehr schlecht bewacht. Ter Diebstahl wurde erst einen Monat später entdeckt. Die Geständnisse Müller's und Broich's zeigen uns, wie man dabei zu Werke ging. Tie Iber stammte von dem angeblichen Baron, auch die nothwendigen Geldmittel. Vossem wußte, in welchem Magazin das Dynamit sich befand und machte den Führer, Broich kaufte die Billels für die Eisenbahnsahrt. Wille und Westkamp belheiligten sich an der Expedition. Vossem und West- kamp erbrachen das Magazin und bemächtigten sich einer ziem- lichen Menge des sog. Favier'fchen Sprengstoffes. Wieviel ist gleichgiltig. Als sie wieder in Lüttich waren, wollte Broich zu- nächst den Russen benachrichtigen, aber dieser war gerade ver- reist. Wilke trennte sich von den übrigen und ging nach Hause. Vossem schaffte mit Westkamp und Müller das Dynamit zunächst nach seiner Behausung. Zlm nächsten Morgen aber wurde es auf dem Comte- scheu Bergplatcau vergraben."Der Alibibeweis West- kamp's ist mißglückt. Er hat sich außerdem selber verrathe». Als ihn der Untersuchungsrichter nach Chevron führte, wußte er mit der Oertlichkeit sehr genau Bescheid. Verschiedene Einwohner Chevron's haben die fünf Riigeklagten, hauptfächlich aber Vossem und Weslkamp, wiedererkannt. Der Dynnmitdiebstahl wird durch die näheren Umstände, unter denen er begangen worden ist, zu inem Verbrechen. Und ein weiteres Verbrechen stellt das un- befugte Aufbewahren von Dynamit dar. Nur ein Theil deS Explosivstoffes ist augenscheinlich vergraben worden, einen andern Theil bewahrt Vossem für diedringendsten Bedürfnisse" aus. Und auch Schlebach muß im Besitz von Dynamit gewesen sein, das geht aus der Aussage der Geliebten des Russen, Sidonie Maröchal, hervor. Sie erzählt, daß der Baron eines Morgens früh zu Schlebach gegangen sei, um Dynamit zu holen, das er dann gleichfalls versteckt hat. Nach der Aussage Müller's hatte Vossem Dynamit in dem Bergwerk verborgen, wo er arbeitete. Durch einen Zufall wurde es aufgefunden. Eine Frau entdeckte beim Kohlensuchen im Gestein eine Blechkiste, in der sich der Sprengstoff befand. Voffem's Arbeitsplatz war in der Nähe, und der Inhalt der Kiste stimmte mit dem Inhalt der Bombe, die am Theater niedergelegt war, überein. Auch Westkamp hatte bei sich Dynamit versteckt. Unter dem Schloß seiner Thür hatte er eine Höhlung angebracht, in der es fich befand. Bei der Untersuchung der Thür ist dieser geheime Versteck vorgesunden worden. Der Staatsanwalt schildert nunmehr das Attentat am Theater und im Hause des Bürgermeisters Gcrard. Dieser Schilderung schickt er aber zunächst noch eine wichtige Bemerkung voraus. Die Pariser Polizei-Präfektur, sagt er, hatte die hiesige S i ch e r h e i ts- B e h ö r d e davon benach- richtigt, daß anarchistische Attentate in Lüttich im Werke, seien; doch stimmte-» die Angaben über die Orte nicht, wo die Attentate in Wirklichkeit vor sich gingen. Nach diesen polizeilichen Mittheilungen sollte ein Atten- tat im Restaurant Canterbury verübt werden. Müller erzählt uns nun, daß der Russe ihn in de r Thal dazu verleiten wollte, ein Dynamit- Attentat in diesem Restaurant in Szene zu setzen. Mehr oder weniger war alles, was die Anarchisten unternehmen wollten, von P.a r i s aus mitgetheilt. Auch das Attentat in der Huo de la Paix(bei Dr. Renson), das unzweifelhaft Müller und Westkamp gemeinsam verübt haben, war vor­her angezeigt. Wo in der Auskunft der Pariser Polizei-Präfektur von einen, gewissen Brucht die Rede ist, ist augenscheinlich immer Broich gemeint. Der moralische und intellektuelle Urheber aller Attentate war unzweifelhaft Jagolkowsky. Er hat die Bombe, die im Theater platzen sollte, und die etwas Neues für Lütlich mit Nägeln gefüllt war, was das Verbrechen um so schrecklicher und nieder- trächtiger gemacht hätte, selber angezündet. Das steht nach den Zeugenaussagen fest. Das Dynamit hatte Broich herbeigeschafft. Das Attentat beim Bürgermeister hatte weiter keine ernsten Folgen, aber es hätte sie haben können, wenn die Bombe zum Platzen gekommen wäre. Dies Attentat wurde zwei Stunden nach dem Attentat im Theater verübt. Wieder geben hier die Geständnisse, die Müller abgelegt hat, und die durch die Beweisaufnahme nach jeder Richtung hin bestätigt worden sind, genaue Auskunst über alle Einzelheiten. Weftkamp und Vossem haben im Beisein Müller's die Bombe verfertigt. Westkamp hat die Metallstücke, Vossem das Dynamit herbeigeschafft. Beide haben die Bombe niedergelegt. Vossem hat sie angezündet. Hat er doch selber am nächsten Tage mit dieser That geprahlt und nur bedauert, daß das Altentat nicht geglückt sei. Auch die Zigarrenkisten, aus denen die Höllenmaschine her» gestellt war, können nur von Westkamp herrühren. Die Metall- stücke stammen aus dem inneren Mantel eines alten eisernen Ofens, der bei Weftkamp stand. Das hat die Untersuchung in allen Einzelheiten festgestellt. Der Staatsanwalt bricht hier ab, weil die Mittagspause eintritt. In der Nachmittags-Sitzung wird zunächst der Zeuge Ferrier vernommen. Er sagt aus: Am Abend des Attentats an der St. Jaqnes-Kirche befand ich mich auf dem St. Jaques-Platz. Im Augenblick der Explosion stand ich an der Ecke der Bertbois- straße. Ich trug einen schwarzen Hut. Zwei kleine Mädchen (die Zeuginnen Rovenne und Etienne) gingen an mir vorüber. Außer ihnen und mir war niemand sonst auf dem Platze. Staatsanwalt Demarteau setzt sein Plaidoyer fort. Er schildert das Attentat an der St. Jacqueskirche nnd folgt dem Angeklagten Müller bei seinen Wanderungen, die er mit einer Bombe bewaffnet auf Antrieb des Russen an jenem Abend unter- nahm. Schritt für Schritt. Zuerst war Müller im Restaurant Canterbury , dann in der St. Denis-, dann in der St. Paulskirche . Aber er fürchtete sich, an diesen Orlen die Bombe niederzulegen. Immer war Jagolkowski wie sein böser Geist, bei ihm. Er will ihm schließlich die Bombe fortnehnien. Aber davon will Müller auch nichts wissen. Nun sagt ihm der Russe, er solle sich um 8»/, Uhr abends mit der Höllenmaschine hinter der St. PanlSkirche einfinden. Müller thut es. Vier Männer und ein Junge nahmen ihn in Empfang. Zwei von ihnen fassen ihn untern Arm, und fo ziehen sie zur St. Jacqueskirche. Dort wird Müllern eine brennende Zigarre gereicht, er zündet mit ihr die Lunte an, legt die Bombe nieder und läuft, was er laufen kann, fort, in der Richtung auf die Maas . Seine Begleiter fliehen nach der entgegengesetzten Richtung. Das haben Zeugen, die im Allgenblick der Explosion aus dem St. Jaqnesplatze waren. bestätigt. Wenn auch einige von ihnen nicht viel gesehen haben, so haben andere doch um so bestimmter bekundet, daß sie mindestens drei IndividuenSchmiere stehen" sahen. Auf einen Pfiff hin verschwanden sie, als seien sie in den Erdboden versunken. Wer waren nun die Begleiter Müller's? Das Zengniß der kleinen Rovenne und der kleinen Etienne ist hierüber von größtem Werth. Ihre Aussage ist von der Vertheidigung zwar mit allen Mitteln angegriffen, aber nach Ansicht des Staatsanwalts wenigstens nicht in> geringsten erschüttert morden. Besonders das Zeugniß der Neinen Rovenne lautete so bestimmt, ihr Austreten machte einen fo guten Eindruck, daß die Ge- schworenen, wie der Redner hofft, ihr unbedingt Glauben schenken müssen. Sie und ihr« Freundin sahen nicht weit vom St. Jacques- Platze einen Mann Posten stehen. Er kam ihnen nach und in der Vertboisstraße sagte er zu ihnen: Macht aber rasch, daß ihr weiter kommt! In dem Angeklagten Berg hat die kleine Rovenne diesen Mann auf das bestimmteste wiedererkannt. Die übrigen Betheiligten sind durch Müller festgestellt worden. In den Angeklagten Verbist und Joris erkennt er seine beiden Begleiter, die ihn unter den Arm genommen haben, wieder. Auch Vossem ist an diesem Attentat betheiligt. Er hat die Bombe verfertigt und sie Müller unter seinem Bett verborgen gezeigt. Die Aus« sagen des Russen bei seinen Verhören in St. Petersburg über diesen und die anderen Punkte lauten sehr wider- sprechend. Er lehnt jede Verantwortlichkeit für die Attentate ab. Nur gewaltige Pläne will er gehabt haben. In dem einen Verhör sagt er, er habe von dem Attentat an der.St. Jacqueskirche erst in Maastricht erfahren und in einem zweiten Verhör erklärt er, Müller habe ihm sofort nach der Erplosion seine That mitgetheilt, und er habe ihn dazu beglück- wünscht, zumal als er erfahren habe, daß drei Bourgeois dabei verletzt worden seien. Nach einer kurzen Pause wendet sich Staatsanwalt Demarteau zu einer Prüfung der Alibibeweife der Angekl. Joris, Berg nnd Verbist. Mit diesen Alibibeweisen ist es eine eigenthümliche Sache, meint er; sie stellen sich immer ein, wenn jemand eines schweren Verbrechens beschuldigt ist. So schwer ist es ja nicht, gefällige Zeugen zu finden. Sieht ein Alibibeweis nicht aus ganz festen Füßen, so darf man ihm keinen großen Glauben schenken. Das hieße ja sonst auf den Meineid eine Prämie setzen, ihn ins Kraut schießen zu lassen. Wie steht es mit dem Alibibeweis des Angekl. Joris? Er will zur gegebenen Zeit bei Schlebach gewesen sei» und beruft sich auf eine Reihe von Zeugen darüber. Aber diese Zeugen stimmen in ihren Zeitangaben nicht überein, und zudem