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Arbeitnehmern sind gesetzliche Bestimmungen über die Formen in Aussicht zu nehmen, in denen die Arbeiter durch Vertreter, welche ihr Vertrauen besitzen, an der Regelung gemeinsamer Angelegen- heilen betheiligt und zur Wahrnehmung ihrer Interessen bei Verhandlung nnt den Arbeitgebern und mit den Organen meiner Regierung befähigt werden. Durch eine solche Einrichtung ist den Arbeitern der freie und friedliche Ausdruck ihrer Wünsche und Beschwerden zu ermöglichen und den Staatsbehörden Ge- legenheit zu geben, sich über die Verhältnisse der Arbeiter fort- laufend zu unterrichten und mit den letzleren Fühlung zu be> halten." Die Zentrumsabgeordneten Dr. Hitze, Dr. Lieber und Genossen haben nun im Reichstage folgende Interpellation ein- gebracht:Die unterzeichneten Mitglieder des Reichstages richten an die verbündeten Regierungen die Anfrage: welche gesetzliche Bestimmungen sind in Ausführung der kaiserlichen Erlasse vom 4. Februar 1890über die Formen" in Aussicht genommen, in denen die Arbeiter durch Vertreter, welche ihr Vertrauen besitzen, an der Regelung gemeinsamer Angelegenheiten betheiligt und zur Wahrnehmung ihrer Interessen bei Verhandlung mit den Arbeit gebern und mit den Organe» der Regierung besähigt werden? Darf insbesondere die Vorlage eines Gesetzentwurfs, be- treffend die gesetzliche Anerkennung der Bermsvereine und die Errichtung einer geordneten Vertretung der Arbeiter(Arbeiter- Kammern)zum freien und friedlichen Ausdruck ihrer Wünsche und Beschwerden" auch gegenüber den Staatsbehörden baldigst erwartet werden?" Loftirles. Vom Nothstand. Der Vorstand des kürzlich von uns ge ke>.»zeichneten Vereins zur Speisung armer Kinder und Roth- leibender wiederholt seine neuliche Bitte um Geldspenden und degründet sie mit dem Hinweis darauf, daß infolge der andauernd strengen Kälte sich die Bitten der Nothleidenden um Brenn- Material(das der Verein gleichfalls vertheilt)sehr bedeutend gemehrt" haben, und daß sich auch die Nachforderungen der Rektoren für die Frühstückvertheilung in den Gemeindeschulen fast aufs doppelte der sonst dafür aufgewendeten Summe ge- stiigert" haben. Aehnliche Mittheilungen über bedeutende nähme der Bittgesuche liegen bereits auch von einigen auberenWohlthätigkeits"- Unternehmungen vor, und vor- aussichtlich werden, falls der Frost weiter anhält, die übrigen gleichfalls folgen. Das ist alle Jahre so; und alle Jahre wird damit für jeden, der nicht mit Gewalt blind sein will, der Beweis geliefert, daß nicht, wie freche Lüge be- hauptet, die Mehrzahl der Hilfesuchendenfaules Bettelvolk" ist, das nur dieMildthätigkeit" der Besitzenden mißbraucht. Handelle es sich hier in der Hauptsache um ein gewerbsmäßiges schnorren, so wäre der Einfluß der Temperatur auf die Zahl der Bittgesuche schwer zu erklären. Nur wenn man sich zu der Einsicht bequemt, daß es sich beinahe ausschließlich um solche handelt, die wirklich Roth leiden, erscheint dieser Einfluß begreiflich. Der Nothstand dauert das ganze Jahr hindurch an, nur Umfang und Stärke desselben schwanken. Jedes weitere Sinken des Thermometers vermindert für einen großen Theil der Arbeiter die Möglichkeit, Arbeit zu finden noch weiter und steigert dabei für alle die Ausgaben für den Lebensunterhalt. Wenn die Aeußerungen dieses Nothstandes im Winter ihren Höhepunkt erreichen, dann wird er allenfalls von der bürger lichen Gesellschaft zugegeben. Aber im Sommer ist es wieder das alte Lied: da herrscht angeblich keine Arbeitslosigkeit und keine Roth. Wer im Sommer um Hilfe fleht, weil er auch da keine Arbeit findet, der wird zumarbeitsscheuen Gesindel" ge werfen. Zum Biirgcrdepntirte» für die Schnldeputation ist also nicht der Gemetndeschul-Lehrer Gallen, sondern ein Kaufmann Schulze gewählt worden. Das Schreiben, in welchem Herr Gallen vomBerliner Lehrerverein" der Stadt- verordneten-Versammlung als Kandidat vorgeschlagen wurde, wird jetzt in derPäd. Ztg." mitgctheilt. Es lautete:Ew. Hoch. wohlgeboren erlaubt sich der ergebenst unterzeichnete Vorstand des Berliner   Lehrervereins, für die Wahl eines Bürgerdeputirten in die Schuldcputation den Gemeindeschul-Lehrer Herrn Her» mann Gallen, Memelerstr. 44, vorzuschlagen. Herr Gallen ist 14 Jahre lang erster Vorsitzender des Berliner   Lehrervereins gewesen und besitzt das Vertrauen der Lehrerschaft im höchsten Maße. Hochachtungsvoll und ergebenst u. s. w." Als einen Versuch einerNölhigung", Herrn G. zu wählen, kann das im Ernste niemand auffassen. Das Schreiben ist nicht einmal, wie es wohl beabsichtigt war, eine Empfehlung, sondern eher ein« ArtUriasbries"; denn eben der Umstand, daß der Vorgeschlagene 14 Jahre lang denBerliner Lehrerverein" geleitet hat und das Verlraue» der Lehrerschaft im höchsten Maße besitzt, dürste ihn manchen Leuten gar nickt empfohlen haben. DerBerliner Lehrerverein", dem die Mehrzahl der Gemeindeschul-Lehrer Berlins  angehört, ist zwar im Grunde ebenso zahm, wie alle anderen Beamtenvereine. Aber seiner Agitation ist es zu danken, daß die Gehälter der Berliner   Gemeindeschul-Lehrer jetzt endlich eine leidliche Aufbesserung erfahren haben. Ueberdies hat der Berein nie ein Hehl daraus gemacht, daß er die Berliner   Gemeinde- schulen auch in mancher anderen Hinsicht keineswegs fürniuster- hast" hält. Wer vom Volksschul  -Lehrer erwarten zu dürfen glaubt. daß er sich duckt und das Maul hält, dem müssen natürlich selbst so bescheidene Anfänge einer freien Meinungsäußerung schon als gefährliche Regungen eines rebellischen Geistes erscheinen. Tie Ueberfüllnng der Berliner   Gemeindeschule» ist seit langem von Lehrern und Schulkindern in gleicher Weise als Uebelstand empfunden worden. Sie hat vor einigen Jahren unsere Genosse» im rpthen Hause veranlaßt, Abhilfe zu fordern, und ist auch in diesen Spalten wiederholt und eingehend be- sprochen worden. Dieliberale" Majorität der Stadtverordneten- Versammlung hat natürlich diese Uebersüllung nie als Uebelstand anerkannt. Stadtschulralh Bertrom behauptete einmal sogar, der Aufenthalt in den Gemeindeschulen, den unsere Genossen als gesundheitsschädlich bezeichneten, sei eher gesundheits fördernd. Ein andermal wies er mit Genugthuung darauf hin, daß die Kinderzahl pro Klasse seit einiger Zeit abnehme, die Ueberfllllung also bereits nachlasse. Es verhielt sich wirklich so, und die Abnahme ist noch weiter fortgeschritten. Es handelt sich freilich, wenn man die letzten fünf Jahre in betracht zieht, nur um etwa drei Kinder pro Klasse. Man kann hier nicht einmal sagen: wenig, aber aus gutem Herzen; denn die Abnahme ist ohne Zuthun der städtischen Behörden zustande gekommen, und zivar vorwiegend durch zwei Umstände. Die Geburtenziffer war in den siebziger Jahren hoch, in den achtziger Jahren niedrig. Daher treten Anfang der neunziger Jahre viel 14jährige aus und wenig sechsjährige ein. Die Zunahme der Schülerzahl wurde infolge dessen immer geringer, und die Frequenz der Schüler und Klassen mußte allmälig sinken, selbst wenn die Schulen nur in demselben langsamen Tempo vermehrt wurden. Sodann kommt in betracht, daß das Steigen der Miethen im Innern der Stadt und im Westen die ärmere Bevölkerung immer mehr in die vorwiegend von Arbeitern be- wohnten Außenviertel und theilweise sogar über diese hinaus in die Vororte gedrängt hat; daß ferner in den Jnnenvierteln in- folge der Ersetzung vieler Wohnhäuser durch Geschäftshäuser auch die Gesammtbevölkerung abgenommen hat.(Diese Abschie- bung der Arbeiterbevölkerung in die Außenbezirke und Vororte ergiebt sich auch aus einem Vergleich der bei den Reichstags- wählen 1890 und 1893 in den Wahlkreisen Berlins   und Umgegend abgegebenen sozialdemokratischen Stimmen.) Da nun aber die Ge- meindeschule von Kindern wirklich reicher Leute fast nie besucht wird, so ging die Frequenz der im Innern und im Westen der Stadt gelegenen Schulen ganz besonders zurück. Immer mehr Plätze blieben hier unbesetzt, und diesem Umstände ist es mit zuzuschreiben, daß die aus allen Schulen gezogene Durch- s ch n i t t s srequenz der Klassen geringer geworden ist. Die Ab- nähme war schon Ende der 30er Jahre deutlich erkennbar, aber sie ist oft in neuester Zeit so stark hervorgetreten, daß die städtischen Behörden bedenklich geworden sind. Die Sache ist denn auch in der Stadtverordneten-Versammlung in wenigen Wochen bereits dreimal berührt worden. Zunächst fand, als der Magistrat die Uebersicht über die Frequenz vom I. November vorlegte(Sitzung vom 10. Januar), der Stadt- verordnete Schwalbe, daß man durch Umschulung die leeren Plätze besetzen und einstweilen neue Schulen samml den Lehrkräften sparen oder einige der nicht mehr ganz gefüllten Schulen ein- gehen lassen und die Kinder auf die Nachbarschulen verlheilen könnte. Stadtschulralh Bertram meinte aber, das ginge nicht. da z. B. zwischen dem Potsdamer Viertel, wo Plätze frei seien, und Moabit  , wo Uebersüllung und Schulnoth herrsche, eine Um- schulnng wegen des Thiergartens nicht möglich sei. Später (Sitzung vom 24. Januar) machte Stadtv. Giese bei Erörterung des Bauplans einer neuen Schule dieselben Vorschläge,im Jnter- esse unserer Finanzen". Nunmehr ist in der Sitzung vom letzten Donnerstag, aus Anlaß einer die Zu- und Abnahme der Gemeinde- schulkinder von 189094 behandelnden Magistratsvorlage, aus Antrag des Stadtv. Matterne beschlossen worden, einen Ausschuß einzusetzen, der die Frage der Beseitigung der angeblich über- flüssigen Schulen prüfen soll, lieber das Resultat der Prüfung können schon jetzt kaum Zweifel herrschen. Die Abnahme der Uebersüllung der Gemeindeschulen ist nicht nur ohne Zuthnn der städtischen Behörden, nein sie ist, wie sich jetzt herausstellt, sogar gegen ihren Wunsch erfolgt. Magistrat und Stadt- verordneten- Versammlung sehen in der Abnahme einen Uebelstand, und sie beeilen sich, ihm abzuhelfen. Die Berliner  Bevölkerung darf sich auf eineDurchschulung" in groß- artigstem Maßstabe gefaßt wachen. Dieliberale" Majoritär der Versammlung scheint gründliche Arbeit thun zu wollen, wenn man nach ihrem Verhalten in der letzten Sitzung urtheilen darf. Sie antwortete mit lebhaftem Widerspruch, als Genosse Singer bemerkte, er hoffe, der einzusetzende Ausschuß werde nicht durch Beseitigung bestehender Schulen die Abnahme der Uebersüllung aufhalten wollen, sondern im Gegentheil noch andere den Berliner  Gemeindeschulen anhaftende Uebelstände prüfen und deren Be- seitigung empfehlen. Die Kälte in den letzten Tagen machte sich in den Arbeiterwohnungen zum theil in recht empfindlicher Weise be- merkbar. Während dieherrschaftlichen Wohnungen", in denen die zahlungsfähigen Bourgeois ihr beschauliches Dasein fristen, schon von vornherein durch solide Bauart und gut heizbare Oefen leicht zu erwärmen sind, und durch Ausstattung mit Teppichen und Vorhängen auch bei der strengsten Wintcrkälte einen behaglichen Aufenthalt gewähren, ist es einem großen Theil der Proletarier, selbst wenn sie zu den Glücklichen gehören, die zur jetzigen Zeit Arbeit und Verdienst haben, nickt möglich, in ihren Wohnungen eine halbwegs angenehme Temperatur zu erzielen. Die Miethslasernen an der Peripherie der Stadt und in den Vororten, in denen die Arbeiter zu Hausen gezwungen sind, erfreuen sich, dank dem modernen Bauschwindel, einer der- artigen Beschaffenheit, daß man sie eigentlich nur als Sommerwohnungen benutzen kann. Aus leichtestem Material erbaut, die Wände so dünn, wie es die Bau- Ordnung nur irgend gestattet, mit schlecht schließenden Fenstern und Thüren, durch die der eisige Wird jederzeit freien Zutritt hat, und mangelhaft konstruirten Oefen, die große Mengen Heiz, Material verschlingen, ohne das Zimmer zu erwärmen, bieten diese Räume ihren Bewohnern nur einen sehr ungenügende» Schutz gegen die Winterkälte. Deswegen kommt dem Arbeiter die ungenügende Heizung seiner Wohnung viel theurer zu stehen, als dem Inhaber einer herrschaftlichen Wohnung die behagliche Erwärmung derselben, und das alles, weil es dem Bau-Unter- nehmer nur auf möglichst hohen Prosit, aber nicht auf Zweck- Mäßigkeit und Brauchbarkeit seiner Miethslasernen ankommt! Die Nnwendung offener KoakSfener, sog. Koakskörbe zum Heizen der Bauten ist schon seit einige» Jahren durch Polizeiverordnung soweit eingeschränkt, als dieselben nur in Räumen benutzt werden dürfen, wo nicht gearbeitet wird, und diese Räume von denjenigen Theilen des Baues, in denen Arbeiter beschäftigt sind, durch Thüren oder dichte Bretterverschläge ab geschloffen sein müsse». Gleichwohl sind diese höchst gefährlichen und gesundheitsschädlichen Heizmittel noch auf sehr vielen Bauten, entgegen der Polizeiverordnung, in Gebrauch. Namentlich die Maler, welche einen großen Theil ihrer Arbeiten ohne jede Heizung zur Winterszeit gar nicht ausführen können, sind häufig gewungen, sich, da der Unternehmer nicht willens ist, für eine andere Erwärmung der Ar beitsstätten zu sorgen, dieses ihre Gesundheit schädigen den Koaksfeuers zu bedienen. Wer jemals in der Nähe eines solchen geweilt hat, wird ermessen können, wie vergiftend dasselbe auf den menschlichen Organismus wirken muß, nament- lich»venu man, wie dies bei Malern und Stuckateure» fast immer der Fall ist, auf Leitern oder Rüstungen dicht unter der Zimmerdecke stehend, das gisthauchende Ungeheuer unter sich hat. Zwar haben die soliden Bauunternehiner schon seit längerer Zeit. und zwar in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse, für eine bessere Heizung Sorge getragen, aber es wäre zu wünsche», daß auch die minder Einsichtigen, die meist aus Bequemlichkeit, oder weil sie die Anschaffung einiger eiserner Oefen scheuen, an dieser verwerflichen Heizmethode festhallen, endlich zur strikten Be- folqnng der bistehenden polizeilichen Vorschriften angehalten würden. Ausgezeichnet. Dem Klempner SRudolf Hahn, seit 1881 bei dem Hos-Klempnermeister Ferdinand Thieleinann in Berlin  , Ritterstr. 48, in Arbeit stehend, ist die silberne Verdienstmedaille, am Bande zu tragen, verliehen worden. Der Dekorirle, welcher die im königl. Schloß vorkommende Klempnerarbeit auszuführen hatte, war auch zum Krönungs- und Ordenssest geladen. Der Glückliche! Der Plan, den T h i« r g a r t e n mit Statuen der Herrscher, Staatsmänner und Feldherren Brandenburg-PreußenS schmücken zu lassen, hat bereits vor mehr als 40 Jahren, ganz ernstlich vorgelegen. Friedrich Wilhelm IV.   erhielt im Herbst des Jahres 18S2 die künstlerisch ausgeführten Entwürfe eines jungen Berliner   Malers, namens Rabe, welche im wesentlichen bezweckten, den Thier- garten vom Brandenburger Thor an in eine offene preußische Ruhmeshalle umzuwandeln.«Monatelang beschäftigte sich der kunstsinnige König mit diesen Entwürfen. Aber der preußische "inanzminister erklärte, es sei unmöglich, ein so großartiges 3erk auf Staatskosten auszuführen, und so scheiterte der Plan. ES ist bekannt, daß der König, dem seine 1848er Verbrechen stark ins Gemüth gefahren waren, bereits um diese Zeit stark am Wahnsinn laborirte. Zu der Frage der freie« Aerztewahl war vor kurzem gemeldet worden, daß der Handelsnnnister als höchste Instanz über den Erlaß der Gewerbedeputation zu entscheioen habe. Es wird nunmehr versichert, daß der Minister bereits vor einiger Zeit im Sinne jenes Erlasses eine Verfügung getroffen halte und daß er damals aus rechtlichen und praktischen Gründen genau denselben Standpunkt einnahm, wie jetzt der Magistrat. Unter diesen Umständen dürfte der Aussall der diesmaligen Ent- fcheidung kaum zweifelhaft sein. Ueber einige geringe Verbeffernngen in der Charitee wird offiziös berichtet: Behufs Verbefferung der sanitären Ber- hältniffe im Charitee-Krankenhause zu Berlin   ist in Aussicht ge- nommen: 1. Die noch vorhandenen 164 alten und ungenügenden Bettstellen durch neue und beffere zu ersetzen. 2. Soweit gegen- noch Strohsäcke in Gebranch sind, an deren Stelle 3. In den Fenstern der alten und neuen Charitee VentilationS- anlagen anzubringen. Die Kosten dieser Anschaffungen und bau» lichen Anlagen sind durch bautechnisches Gutachten auf 60 000 M. veranschlagt. Die Arbeiterschaft wird weiter ihre Stellung der Charitee gegenüber innehalten, bis in diesem Institut endlich allgemein befriedigende Zustände geschaffen worden sind. Ein Idyll ans dem Polizeipräsidium. Der Taschen- diebes- Veteran Schäfer, so wird geschrieben, der von seiner 60jährigen Lebensdauer die Hälfte im Zuchthause zugebracht hat und gelegentlich der letzten Festbeleuchtung der Polizei wiederum in die Hände fiel, ist ein Künstler in seinem Fach. Während er vor Jahren als Vigilant der Kriminal-Polizei beschäftigt wurde, hat er eines Tages eine glänzende Probe seiner Fingerfertigkeit abgelegt. Ein Polizeilieutenant hatte bezweifelt, daß Schäfer ihm unbemerkt die Uhr zu entwenden im stände sei, und der alte Taschen- dieb hatte dabei still vor sich hingelächelt. Einige Tage später überreichte Schäfer dem verblüfften Beamten die goldene Uhr, die er ihm auf dem Kriminalkommiffariat im Beisein ver- schiedener anderer Beamten entwendet hatte, ohne daß der Be- stohlene auch nur das geringste davon merkte. Schäfer stand glänzend" da. Ans dem Nachtleben Berlins  . Ein Abgrund von Ver- derbniß und Sittenlosigkeit ist wieder einmal aufgedeckt worden in dem fafhionablen Nachtleben der Friedrichstraße  , in dem Reich- lhum nnd Armuth gegenseitig um die Palme des Lasters ringen. Durch Polizeimaßregeln ist die Friedrichstraße von Prostituirten gesäubert" worden. Nicht mehr lausen die jungen Greise und allen Don Juans der begüterten Lebewelt bei ihren nächtlichen Wanderungen Gefahr, sich in den Netzen leichtfertiger Sirenen zu verstricken. Wie wenig dies aber nach dem Geschmacks der Be- treffenden ist, beweisen die Vorkommnisse, auf welche endlich die Ausinerksamkeit der zuständigen Behörde hingelenkt worden ist. Es ist eine nicht hinwegzuleugnende Thatsache, daß in dem Nacht- leben lder Friedrichsiraße anstelle der aus dem Paradiese ver- triebcnen gefallenen Engelkinder getreten sind, Mädchen bis zum Alter von 16 Jahren, die unter der Maske des Straßenhandels käuflich zu habe» sind. Alle Kämpfer für Ordnung, Moral und Sitte werden sich natürlich pflichtschuldigst entrüsten über diese Verderbniß der Jugend; wer aber, der gerecht urtheilt, vermag es, einen Stein aus diese Opfer der Verhältnisse werfen? Trifft die Kinder die Schuld? Trifft diese nicht vielmehr derenErzieher" und auch jene, für welche die Kinderprvstitution einen Reiz hat, den sie mit Geld sich er- kaufen? Sind solche Kinder nicht doppelte Opfer und doppelt bedanernswerth? Aber die bürgerliche Welt urtheilt anders, sie verdammt die Opfer, aber nicht die Anstifter. Und denselben Erfolg müssen natürlich auch die in dieser Sache angestellten polizeilichen Erhebungen haben. Man packt die vermeintlichen Uebelthäter am Kragen, indessen die wahren Uebelthäter nicht gefaßt werden können. Es ist dies ein kleiner Beitrag zum Kampfe für Ordnung, Moral und Sitte. Zur Ehre des recht- schaffenen, ehrlichen und doch so hart bekämpften Händlerstandes sei es gesagt, daß derselbe gegen derartige Zustände und Elemente energisch Front macht nnd sich gleichfalls mit Ekel da- von abwendet. Kein Seesalz mehr. Seit einiger Zeit werden auf ver- schiedenen Strecken der Hamburger Straßenbahnen Versuchs« fahrten mit einem neuen nnd eigenartigen Geleisreinigungswagen vorgenommen, die bisher sehr günstig ausgefallen sind. Es ist daher Hoffnung vorhanden, daß es auch in Berlin   mit dem lästigen Seesalzstreuen zur Winterszeit bald ein Ende haben wird. Der Wagen scheint ausgezeichnet zu arbeiten. Sein Hauptvorzug besteht darin, daß der Schmutz oder Schnee nicht nur vollständig aus den Schienen entfernt, sondern auch zugleich in den Wagen selbst geworfen wird. Für die Reinigung der Geleise in den warmen Jahreszeiten sind sinnreiche Vorrichtungen getroffen, die eine vollständig staub- nnd gcruchfreie Arbeit ge- statten. Der Wagen ist für einfaches und Doppelgespann em- gerichtet und bewegt sich mit der Schnelligkeit eines Pferdebahn- wagenZ über die Strecke, ohne daß selbst der festeste Schmutz oder Schnee dem Schienenreiniger auch nur die geringsten Schwierigkeiten verursachen kann. Polizeibrricht. Am 31. v. M. vormittags fiel eine Frau vor dem Hanse Anklamerstr. 25 infolge der Glätte hin und ver- letzte sich an der Hüfte. Nachmittags wurde ein Lackirer in seiner Wohnung, in der Luckerstraße, erhängt vorgefunden. Aus dem Terrain des Anhalter Jnnen-Bahnhofes wurde ein Pferd scheu nnd ging durch. Der Besitzer, ein Möbelfabrikant, wollte aus dem Schlitten springe  », fiel aber mit dem Kopfe der- artig auf das Steinpflaster, daß er bewußtlos liegen blieb und nach der Unfallstation i» der Wilhelmstraße gebracht werden mußte. Die IVs Jahre alte Tochter eines Klempners in der Katzbachstraße stel, während sie auf kurze Zeit unbeaufsichtigt in der Wohnung war, in eine» Wassereimer und ertrank. WitternugSübersicht vom l. Februar 1895. Wetter-Prognose fiir Sonnabend, S. Febrnar I8i>3. Ein wenig kälteres, ziemlich trübes Wetter mit leichten Schneefällen und mäßigen östlichen Winden. Berliner   Wetterbureau. TtzeAter. wärtig noch Etrohsäcke in Gevrancy MV, an______ Matratzen anzuschaffen(512 für Erwachsene und 36 für Kinder). 1 haben. Warum? Vor einem halben Schock von Jahren un» Berliner Theater. Unter den Schulmeistern gilt Ernst Wickert als Poet. Unter den Poeten dürfte er nur als Schul- meister anerkannt werden. Nun kann man gewiß ein tüchtiger Schulmeister sein, voll von Enthusiasmus, und man kann das Menschenleben menschlich begreifen lernen. Ernst Wichert   nbcr ist einer von der dürren, klapprigen Art, ein Schulmeister der alten Methode. Am Donnerstag wurde im Berliner  Theater ein neues SchauspielDie Marienburg" von ihm anfgefnhit. Aus einem dicken, dreibändigen Roman Thielemann vom Wege, gleichfalls von Wichert, ist die Komödie zurechtgestutzt worden. Sie gehört zur endlos langen Reihe jener wässrigen Werke, die ein Herrscherwunsch entstehen ließ:Die Bühne sei eine patriotische Schule, ein vaterländisches Zuchtmittel!" Der alle brummige Beethoven   hatte doch tausend- mal Recht, als er ausrief: Ritter   können Sie machen und Grasen und Hosräthe und Professoren, aber Kerle wie unser einen können sie nicht schassen. Von den Kämpfen des Deutschen Ordens   wider die polnische Krone und den preußischen Städtcbund ist in Wichert's Drama die Rede. Die Rede eben, nicht viel mehr. Ein ewiges Deklamatorium; aber an die Quellen, die zum Verständniß großer geschichtlicher Vorgänge führen, gelangt der Hörer nicht. Herr Thielemann vom Wege �will halt seine Rache carum? Olm einem kmtkien