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Preußens Sozialpolitik. Auch die gestrig« Sitzung des Landtags beschLfligt« soziale Fragen. Nachdem die sozialdemokratischen Abgg. Dr. Weyl und Frau Kunect noch einmal für die Bekämpfung des Alkoholismus das Wort ergriffen und besonders auf die hygienischen Erfolge der Trockenlegung in den Vereinigten Staaten hingewiesen halten, und Abg. ch ä s e- Wiesbaden verstärkten Bauarbeiterjchutz verlangt hatte, wurde der sozialdemokratische Antrag Ege mit Unter­stützung des Zentrums angenommen, der die Anwendung der Frauenreferentinnen an den Regierungen in Beamten - stellen fordert. Eine Anzahl sozialer Positionen werden im Etat erhöht(u. a. die Ausgaben zur Förderung des gemeinnützigen Kleinwohnungsroesens von dreihundert auf sechshundert Millionen, die Beihilfen"zur Unterstützung der öffentlichen und privaten Wohl- sahrtspflege auf zwanzig Millionen, die Mittel für die Unterbringung der Kinder auf dem Land« auf dreißig Millionen). Als besonderer Titel wird in das Extraordinarium eingestellt«in Betrag von 150 Millionen als Beihilfen für Sozial- und Kleinrentnerfürsorge. Ein Antrstg Meier- Solingen(Soz.), den Fonds von 600 000 M. zur Unterstützung der Vereinigung zur Förderung des Kleingarten-, Wohnungs- und Siedlungswesens dahin zu erweitern, daß daraus den gemeinnützigen Siedlungsgenofsen- schaften kurzfristige Darlehen gewährt werden können, wird angenommen. Nach der Uebenveifung verschiedener Vorlagen an die Ausschüsse erfolgt die Aweite Seratung ües Tuberkulosegesetzes. Abg. Dr. Deyl(Soz.): Wir schlagen vor, das Gesetz a m 1. Juli in Kraft treten zu lassen. Die Finanzverwaltung hat hundert Millionen zur Durchführung des Gesetzes zur Ver- fügung gestellt. Die Regierung, die anscheinend noch immer nicht genügend Statistik über die Tuberkulose besitzt, mag sich die Zahlen des Oberbürgermeisters Böß-Berlin ansehen, die dieser soeben über das Masienelend der Reichshauptstadt veröffentlicht hat. 1913 auf zehntausend Seelen 15,K8 Todesfälle, 1922 18,35. In London da­gegen 1922 nur 12,4. In Berlin find fünfzehntausend tuberkulöse Schulkinder. Aehnlich wie in Berlin liegen die Ding« im ganzen Reich. An den sächsischen Volksschulen ist jedes zehnte Kind tuberkulös! Wir haben im Ausschuß eine Entschließung angenommen, wonach die Regierung drei Monat« nach Schluß des Rechnungsjahres Bericht erstattet über die Verteilung der Gelder. Damit haben wir die Kontroll« und die Möglichkeit zur Erhöhung der Gelder in der .stand Der Ausschuß zur Prüfung des Friedmannfchen Tuberkulose- Heilmittels hat sein« Arbeiten abgeschlossen. Danach ist das Fried- mannfche steilmittel wertvoll. Eigentümlich hat es berührt, daß ein Teil der Männer der Wissenschaft nicht in der Lage war,«in klares und einheitliches Gutachten abzugeben. Es sind da anscheinend häß- liche Ding« passiert, die das Licht der Oeffentlichkeit scheuen und die klargestellt werden müssen. Es berührt doch eigenartig, daß noch im Dezember 1922 24 Gutachter das Mittel für gut befunden haben, daß aber vier Wochen später ein Teil derselben Gutachter plötzlich erklärte, er steh« dem steilmittel skeptisch gegenüber. Wir fck'agen vor, das Gutachten dem Bevölkerungsausschuß zu über- weisen und wünlchen, daß das Tuberkulofegefetz zum steil der not- leidenden Bevölkerung sobald als möglich verabschiedet wird.(Bei- fall b. d. Soz.) Das staus vertagt sich auf Donnerstag 12 Uhr.(Weiterberatung, staushalt der Forstverwaltung.) Schluß'AS Uhr.

Die Münchener Haftbefehle. Aus der stauptstadt der bayerischen Ordnungzzelle siegen über die bevorstehende Verhaftung der Freiheitskämpfer Eckart und W e g e r widersprechende Meldungen vor. Nachdem die Re- gierung amtlich hatte erklären lassen, sie würde die staftbefchle aus- führen, mußte man annehmen, daß an diesen durchaus eindeutigen Mitteilungen der Regierung nichts zu deuteln sei. Es scheint aber so, als ob die bayerische Regierung vor ihrer eigenen Courage doch Angst bekommen hol. Während nach der einen Meldung be- hauptet wird, die stoftbefehle seien in München eingetroffen, wird von anderer Seit« diese Nachricht dementiert. Der bayerische Justizminister Dr. Gürtner soll sich aus einer längeren Dienst- reise befinden und zurzeit in Berlin fein. Münchener Zeitungen behaupten, daß Gürtner mit der Neichsregierung darüber verhandle, daß keine weiteren stoftbefehle erlassen werden sollen, da man es doch.wegen so unwichtiger Prozesse nicht zur Anarchie kommen lassen" dürfe. Trotzdem also alle bayerischen Parteien einschließlich der bayerischen Mit- telpartei(D e u ts ch ,i a ti o n a le n) sich gegen den nationalsozia- l i st i s ch e n Terror gewandt haben, scheint die Regierung v. K n i l l i n g, die vor kurzem in Wien noch aus die Verhältnis- mäßige Bedeutungslosigkeit stitlers hinwies, jetzt poch aus Angst vor derAnarchie" den augenblicklichen Zustand voll- kommener Rechts- und Vertrogslosigkeit beihehol- ten zu wollen. Faktisch würde das natürlich die Abdankung der bayerischen Regierung bedeuten.

�rbeitslosenkrawall in Mülheim . Zwei Tote, mehrere Verwundete. M ü l h e i m a. d. Ruhr. IS. April.(Sig. Drahtb.) Am Mitt- mach morgen gegen 9 Uhr zogen In Mülheim a. d. Ruhr ungefähr KOO Rotslandsarbeiler und Arbeitslose, unter Führung von Syndikalisten und kommnuislea nach dem Rathaus. Die Rolstandsarbciler forderten u. a. mehr Lohn. Die Stadtverwaltung lchnie Verhandlungen mit den Führern der Demonstration, unter denen sich notorische Zuchthäusler be­fanden, ob. Die Menge drang daraufhin in das Rathaus ein, wurde ober von der Polizei mit Knüppeln hinausgeschlagen. Mit hacken und Schauseln rissen sie dann einen Teil de» Pflasters aus und verwandten die Steine zur Zertrümmerung der Fensterscheiben. Die in den Rureons arbeitenden Beamten und Angestelllen muhten flüchten. Das Rothaus sieht aus, als ob eine Schlacht stattgefunden habe. Die Polizei forderte die Menge vor dem Rathaus später wiederholt aus, auseinanderzu­gehen. Als dies nicht geschah, machte sie von der Schußwaffe Gebrauch, hierbei gab es zwei Tote und eine Anzahl Verwundete. Eine Reihe von Verhaftungen wurde vor­genommen. Unter den Verhaftelen befanden sich einige der haupt- rädelssührer. Znlercstant ist, festzustellen, daß während und vor der Demonstration einige der Führer mit französischer Lolonialpolizei verhandelt haben. Gegen 12 Uhr mittags waren die Straßen noch nicht geräumt.?u den Reben- s! rohen am Rathaus hielten sich noch größere Mengen von Arbeit!)- losen und Rotslandsorbeiteru auf. 3n der letzten Zeit werden von den kommunistischen und syndi­kalistischen Kreisen starke versuche gemacht, die Rotstandsarbciier und Arbeilslosen zu ihren politischen Zwecken auszunützen. Nachdem bereits in Duisburg und Düsseldorf Demonstrationen statt- gesunden haben, wird jetzt versucht, auch in anderen Städten die Demonstrationen durchzuführen. Der Führer der Duisburger kom­ munistischen Rotstandsarbeiter und Arbeitslosen. Zalden. hol er- kärk, daß er die Arbeltslosen und Rclstandsarbeiler solange dort ins Gefecht führen würde, bis die Duisburger Polizei von den Franzosen e n t iv a s f n e t sei. ün der Wohnung von

Zalden gehen französische und belgische Beamte und M i l il ä r s ein und aus. Es wird allgemein angenommen, daß die jetzigen versuche der Roistandsarbeller und Arbeitslosen nur den Zweck haben, den Franzosen Hilfe zu leisten und so ans dem schnellsten Wege das wirtschaftliche Chaos herbeizuführen. 3n Duisburg ist es den Gewerkschaften teilweise gelungen, die den Ge­werkschaften ungehörigen Arbeitslosen und Rotstandsarbeiler der Führung Zaldens zu entreißen und sie unter einen Ausschuß zu stellen, der nur aus Gewerkschaftlern besteht. Für Donnerstag abend haben die Kommunisten eine Versammlung der Rotstands­arbeiler und Arbeitslosen nach Duisburg einberufen, an der auch auswärtige Arbeiter teilnehmen sollen. Esien, 18. April. (Eca.) Gestern nachmittag haben hier wiederum große Kundgebungen von Erwerbslosen stattgefunden. Nack) einem Zuge durch die Stadt und einer An- spräche aus einem öfsenttichcn Platz löste sich der Demonstrationszug ruhig auf.

Scbulöenregelung unö Reparationen. London , 18. April. (WTB.) Im Unterhaus fragte das konser- oatioe Parlamentsmitglied Howard Bury den Premierminister, ob er angesichts der äußerst unbefriedigenden Lage Englands mit Rücksicht auf die interalliierten Schulden bereit sein würde, die daran interessierten Nationen zu einer Konferenz einzuladen, um diese Frage endgültig zu regeln und Vorkehrungen zu treffen für die Fundierung dieser Schulden? Weiter stellte er die Frage, ob ihm bekannt sei, daß es unmöglich sei, den deutschen Reparations- vertrag festzusetzen, bevor die alliierten Länder endgültig bezüglich der Schuldbeträge übereingekommen seien, die sie zu zahlen haben würden? Schatzkanzler Baldwin erwiderte, er glaube nicht, daß im Augenblick irgend etwas gewonnen werden würde durch eine Konferenz über die alliierten Schulden. Die Antwort auf den zwei- ten Teil der Frage laute verneinend. Der Reparationsbetrag, der von Deutschland gezahlt werde, sei die größtmögliche Zahlung, die es leisten könne, und diese hänge nicht von den interalliierten Schul- den ab.

hoffnungslose Verwirrung. Die italienischen Lcdrbourianer gegen Moskau . Mailand , 18. April. (EP.) Die Moskauer Richtung der Maximalisten-Partei hat im Kongreß der Maximalisten in Mai­ land eine Niederlage erlitten. Mit über 400 Stimmen Mehrheit ist der Antrag der sogenannten sozialistischen Verteidigung ange- nommen worden, der die 14 Punkte von Moskau und dre Ver- schmelzung mit den Kcmmunisten ablehnt. Die maximal istische Parteileitung wurde neugcwählt. Für die Leitung desAvanti" ist eine dreigliedrige Redaktionskommission aufgestellt worden. * Mit diesem Kongreßbeschluß hat diemaximalistische" Partei das Maximum der Verwirrung erreicht. Noch ver sieben Monaten konnte die Scrrati-Gruppe die Gemeinschaft mit dem Turati-Flügel nicht mehr ertragen und trennte sich von ihm auf dem Kongreß von Rom : sie mußte unbedingt nach Moskau und dele- gierte ihren Führer zum Kongreß der III. Internationale, um über den Anschluß zu verhandeln. Dieser kam mit neuen 14 Punkten zurück. Jetzt aber hat sich die Mehrheit der Maximalistengruppe die Sache noch einmal überlegt und den Anschluß abgelehnt! Das Ganze würde wie ein« Posse anmuten, wenn nicht die Arbsiterklaste Italiens die Kosten dieser Spielereien tragen müßte. Ist es ja bezeichnend, daß der Fascistenputsch unmittelbar nach der Spaltung zwischen den moshaulüsternen Serratianern und den diktaturfeindlichen Sozialisten ausbrach. Mussolini hat eben seinen Staatsstreich erst gewagt, als mit der Sozialistenspaltung das letzte ernsthafte Hindernis gegen feine Pläne fortgefallen war. Serrati, der nach Moskau gefahren war, um die Diktatur von links zu im- pcrticren, hat bei feiner Rückkehr die Diktatur von rechts vor- gesunden und ist als eines der ersten Opfer ins Gefängnis geworfen werden. Und seine eigenen Anhänger lehnen sich jetzt gegen den Anschluß an Moskau auf und sind heute in dieser Hinsicht genau so weit, wie vor der Spaltung. Nur mit dem Unterschied, daß sich jetzt der Fascismus gegen die sozialistische Arbeiterschaft ungehemmt austoben kann...

Nuftifcher kommuniftenkongreß. Moskau , 18. April. (OE.) Heute ist in Moskau der 12. Partei- kongreß der Russischen Kommunistischen Partei eröffnet worden, der über die weitere Politik der Partei und somit des Sowjetstaates zu beschließen hat. In den früheren Fällen haben die Kongresse stets die zunächst im engsten Gremium der Führer gefaßten und dann vom Zentralkomitee ianktionierten Beschlüsse gebilligt. Ob auch dieser Kongreß, dem oie Autorität Lenins fehlt, ebenso glatt verlaufen wird, steht noch dahin. In den leitenden Kreisen scheint man sich dahin geeinigt zu haben, keine wesentliche Slenderung an der bisherigen Taktik vorzunehmen. Doch hat sich bis kurz vor dem Kongreß in einigen Fragen, wie in der K i r ch e n p'o l i t i k, noch keine Einigung erzielen lassen. Der stellvertretende Vorsitzende im Rat der Volkskommissare K a m e n e w sprach in seiner Eröffnirngs- rede die Hoffnung aus, daß Lenin von seiner schweren Krankheit genesen und wieder das Ruder der Revolution in die Hand nehmen werde. Dieser Parteikongreß, der zum erstenmal ohne Lenins An- Wesenheit tage, müsse den in seinem letzten Artikel ausgesprochenen Weisungen folgen. Darauf erstattete S i n o w j e w im Auftrage des Zentral- kcmitees der Partei Bericht über die politische Lage. Sowjet- rußland habe nunmehr seinen Rückzug auf wirtschaftlichem Gebiet abgeschlossen. Dies heb« jedoch die Belebung der Handelsbeziehungen Nußlands mit dem Auslande nicht gehemmt. In 18 Auslands- staatcn bestünden Sowjetvertretungen, mit 9 Staaten würden darüber Verhandlungen geführt. Die Grundlage der sowjetrussischen Außenpolitik werde der Kontakt mit den erwachenden Völkern des Ostens und den vom Ententeimperialismus gsknecktsten Ländern werden. Doch würde Sowjetrußland zugleich jede Annäherung an die Cntenteländer freudig begrüßen, insbesondere an Frankreich , wo die Mehrzahl der Bevölkerung russische Sympathien hege. Auch wäre es wünschenswert, daß die englisch -russischen Be- ziehun'gen sich glatter als gegenwärtig abwickelten. Die voraus- sichtliche Verständigung mit Japan und mit China sei zu begrüßen. Natürlich wäre auch ein« Annäherung an Amerika nicht abzu- lehnen. Was die Weltrioalität zwischen Bürgertum und Prole- tariat betrifft, so offenbare sich dieser Kampf in dem Versuch, die neue Wirtschaftspolitik Sowjetrufllands für die international« Politik nutzbar zu machen und Rußland zur Abschaffung des Außenhandelsmonopols zu drängen. Dies dürfe der Sowjetstaat jedoch nimmermehr zulassen: das sei auch die Meinung Lenins . Auf dem Gebiets des Außenhandels fei«in« stetige Zunahme der Ausfuhr zu verzeichnen, so daß man binnen 5 Jahren auf«ine altive Handelsbilanz rechnen dürfe. Es lägen zurzeit 460 ausländische Konzessionsbewerbimgen vor. darunter 56 amerikanische, 55 englisch « und 50 französischs. 26 Konzessions- vertrag« seien bereits abgeschlossen.

Ein Volksbegehren? In dem Leitartikel über die Aktion des Reichsbundes für Siedlung und Pachtung in Nr. 178 unseres Blattes maß es in der 2. Zeile der zweiten S-ite750 Hektar" und nicht, wie es in einem Teil der Auflage fälschlich hieß,50 Hektar" heißen.

�Karl�öotzer� Durch den Flugzeugabsturz auf dem Tempelheser Felde Hot auch die Berliner organisierte Arbeiterschaft einen schweren Verlust erlitten. Karl Bötzer, der Vorsitzende der Berliner Ortsver- waltung des Malerverbandes, war auch uns in der Gewertschafts- kvmmisflon ein lieber Freund, ein treuer und fleißiger, zu jeder Zeit hilfsbereiter Mitarbeiter, den wir in den verschiedensten Kommis- sionen und als langjährigen Revisor achten und schätzen gelernt haben. Mit vorbildlicher Hingabe hat er uns stets in dem gemein- famen Werk zur Befreiung der Arbeiterschaft und zu ihrer Hebung aus geistiger und materieller Not in selbstloser Weise unterstützt. Stark im Wollen und ausgerüstet mit einem, zu jedem Opfer be- reiten Tatendrang, hat Karl Bötzer selbst die schwierigsten Auf- gaben, die die allgemeine wirtschaftlich« Not den Gewerkschaften stellte, zu meistern gewußt. Mit ihm zusammenarbeiten war Freude und Genuß. Seine Ueberzeugungstreue, fein unermüdlicher Fleiß und seine durch in die Tiefe schürfendes Selbststudium erworbenen Sachkenntnisse werden wir und alle seine Mitarbeiter schmerzlich vermissen. Ein tragisches Geschick hat ihn, den treuen Genossen und Mitkämpfer, aus unseren Reihen gerissen. Karl Bötzer, auf dessen jung« und seelenstarke Schaffenskraft die Arbeiterschaft so große Hoffnungen zu setzen berechtigt war, ist nicht mehr. Uns Ueberlebenden bleibt die Pflicht, in feinem Geiste und cm seinem Werke weiterzuarbeiten. Wenn dereinst die Namen der Besten der Berliner Arbeiterbewegung genannt werden, dann wird man auch seinen Namen nennen und sich mit Dankbarkeit seiner Ver- dienste um die Arbeiterschaft erinnern, die ihm ein dauerndes und ehrendes Andenken sichern. Der Ausschuh der Geivcrkschaftskommission verlins und Umgegend.

Wirtschaft Ose neue Marksturz. Die Treibereien der Devisenspekulation, die unter der Ober- fläche bereits seit Wochen sich vollzogen, sind gestern zum offenen Ausbruch gekommen. Der Dollar stieg plötzlich auf 25 000, im freien Verkehr sogar aus 32 000. Vorweg ist zu bemerken, daß eine neue Markpanik, wie sie ftüher zu beobachten war, unwahr- scheinlich ist. Vielmehr hat es den Anschein, daß die Reichsbank durch ihre unvermutete Einstellung der Stützungskäufe den Markt in einen Zustand der Desorganisation versetzt hat, der die Spekulation viel tosten wird, ohne auf die Dauer den Kurs der Mark zu beeinflussen. Gestern ging der Dollar sprunghaft in die Höhe. Die amtliche Notierung stieg von 21 200 auf 25 000. Dieser amtliche Kurs stand aber nur aus dem Papier. Nur ein kleiner Teil der Nachfrage konnte durch Rationierung des angebotenen Materials befriedigt werden. So erhielten z. B. Dollarkäuser nur 5 Proz., Käufer von englischen Pfunden 25 Proz. der geforderten Devisen. Unter diesen Umständen wandte sich die Nachfrage verschärft dem freien Markte zu, wo der Dollarkurs zeitweis« bis auf 32 000 hinauf- getrieben wurde. Die starke Nachfrage nach Devisen datiert nicht erst seit Mittwoch. Schon in den vorangegangenen Tagen war ein lebhaftes Begehren nach fremden Zahlungsmitteln zu verzeichnen. Es wurde der Oeffentlichkeit nicht sichtbar, weil die Reichsbant die Kurse mit starken Abgaben cm Devisen in Schach gehalten hatte. Diese Devise nabgaben setzten gestern größtenteils aus. So wurde der Schleichkrisg, den ein erheblicher Teil der Industrie im Verein mit den Banken und der Spekulation gegen die Mark geführt hatte, plötzlich zum offenen Kampfe. Die Zukunft muß zeigen, ob der Vorstoß ein Stoß ins Leere war, od« ob die Mark bei diesem Frontalangriff des Großkapitals dauernd den Kürzeren zieht. Tut sie das, so lostet die schwerste Verantwortung auf der Reichsbank, die durch ihre Geld- und Kreditpolitik der letzten Zeit diesen Sturm am Devisen mmckt erleichtert, wenn nicht begünstigt hat. Die Neichsregierung hat nach den Mitteilungen d« ihr nahe- stehenden Blätter die Absicht, den Dollar etwa auf 20 000 zu halten, nicht aufgegeben. Die Haltung der Reichebavk ist keineswegs ein- deutig. Sie, die jahrelang auf ihrem Golde faß und sich konsequent weigerte, es zu Stützungszwecken herzugeben, hat soeben weiter« 135 Millionen Goldmark ins Ausland gesandt und damit fast den dritten Teil ihres gesamten Goldbestandes zur Aufnahme von De- Visenkrediten bereitgestellt, die zur Regulierung des Markkurses dienen sollen. Gerüstet ist die Reichsbank auf viel schwerere Stürme, als sie sich in den letzten Tagen zeigten. Wenn sie ihre Rüstung nicht gebraucht, so wird sie dafür sachliche Gründe yaben. Im Vertrauen aus die ständigen Devisenabgaben der Reichs- bank hatten nämlich Banken und Spekulanten Devisen»«kauft, die sie billig von der Reichsbank zu«halten hofften. Die S p e k u- lation gedieh trotz der Devisenoerordnimg auf das Beste. Es ist eine Sckmach und Schande, daß es in Deutschland Menschen gibt, die es s«ttg bekommen, derart mit den Notwendigkeiten des Ab- Mehrkampfes Schindluder zu treiben, ohne daß es ihnen jemand verwehrte. Wenn nun die Reichsbank denen, die auf ihr billiges Angebot von Devisen, d. h. letzten Endes auf die Spekulation mit ihrem Goldbestand, rechneten, und daraufhin im voraus fremde Zad- lungsmittel verkauften, gründlich das Handwerk legen will, indem sie dies« Leute einmal sitzen läßt was ihnen große Verluste bringt, so wird ihr dos keiner verdenken, zu allerletzt wir. Aber auf den Endsrfolg kommt es an. Die gestrige Devisenhausse hat sofort die Preise für den Zentner Roggen um 4000 M. in die Höhe getrieben. Sollte die Reichsbank ihr« mit Marktopsrotionen begründete Taknk mit dem Erfolg fortsetzen, daß schließlich gemäß den Wünschen der Schwerindustrie ein Kurs von 25 000 od« gar 30 000 übrigbleibt, so wird sie für alle Konsequenzen»er- cmtwortlich gemacht werden. Daß die Schwerindusttie weit« auf die Verschlechterung der Mark hinarbeitet, liegt auf der Hand. Mehr als je zeigt aber der ganze Vorgang die Gefahr der Lage. Gewissenlose Spekulanten treibe» in d« Zeit der größten Rot des Volkes ein frevelhaftes Spiel mit der Volksttaft. Die Zentralisierung des Devisenoerkehrs im Verein mit weiteren wirffchaftspolitischen Maßnahmen Beschränkung und nicht Erleichterung der Einfuhr, V«schärsung der Kreditbedingungen, Einschränkung der Notenpresse durch stärkere Vesitzbesteuerung ist das Gebot der Stunde. In jedem Falle aber fordern wir, daß nichts ungeschehen bleibt, um der Spekulation mit der Mark das Hand­werk zu legen und die Stützungsaktion auf den ursprünglich be- abstchtiaten Stand von einer Goldmark gleich 5000 Papiennark durchzuführen._ Ein Dividendenrekord, wie n selbst in der Zeit derGold- dioidenden" selten ist, wird von den K a m m e r i ch. W e r k e n A.-G. aufgestellt. Diese verieilen auf jede Aktie den Gegenwert von Dollar, auf Wunsch in Dollarschatzanweisungen. Sie b«echnen den Prozentberrag der Dividende auf 10 4 5?! Proz., wobei die letzte Dollarhausse natürlich unberücksichtigt blieb. Seit dem Kriege haben die Kammerich-Werke, zu einem kleinen Teil durch Gratis- aktien, zu einem größeren durch Verwasserungen das Aktienkapital von 2>5 auf 8 Millionen Mark erhöht. Danach stellt sich die Verzinsung des Dorkriegskapitals, das in Gold eingezahlt wurde, wesentlich günstig«. Der Reingewinn der Gesellschaft ist in einem Jahr« auf das Fünfzigsache gestiegen. Arme Aktionäre! Devisenkurse. Unserer gestrigen KurStafel ist noch nachzutragen: 1 finiiiscbe Mark 683,28 Geld, 686,72 Brief; 100 österr. Kronen 43,30 Geld. 44,11 Brief: 1 tscbeck,. Krone 733,16 Geld, 730,8 Brief; 1 ungar. Krone 6.63 Geld. 6.67 Brief; 1 bulgar. Lewa 185,53 Geld, 186,47 Brief: 1 jugoslawischer Dinar 250,87 Gold, 251,63 Brief; sämtliche Devisennotierungen erfolgten unter scharfen Zuteilungen. Eine polnische Mark kostete im freien Verkehr bis zu 54 Pf.