ftr. 233 ❖40. Jahrgang
2. Seilage öes vorwärts
Sonntag, 20. Ma! 1923
Sedestiml, wenn ein kirchliches Fest herannaht, holen die beamteten Hüter der Religion heiligen Eifer aus den Tiefen ihres BusenS und previgen allem Volk über die so- genannten fitili-ben Werte der Religion. DaS Volk aber hat diese Dinge niemals so recht ernst genommen und sich auf seine Art die Feste bereitet. Vom Tod und Sterben will man nicht viel wissen, dafür um so mehr von Freude. Sonne, Fröhlichsein, lustiger Ge- selligkeit, Lieben und Verliebtscin. Die alten Festbräuche, deren Ver- schwinden die VolkstumSforscher so bitterlich nachklagen, haben denn auch im Grunde genommen nur mit Fröhlichkeit, Scherz. Tanz und Sang, Schmaus und Trank und den Liebesspielen zwischen Barsch und Mädel in ihren lau- icndfachen Formen zu tun. Von all dem hat sich in der Weltstadt Verlin wenig erhalten, wenn man van den rein kirchlichen Zercmo- nien absehen will. Aber hier und da taucht doch noch so ein liebes Restchen der alten Zeit auf und die neue Jugend tut das ihre, um die freundlichen Sitten weiter zu erhalten. Das Pfingst- oder Maien- grün ist wohl aucb heule noch in Berlin beliebt. Und wenn es nicht Händler sind, die in den Förstereien da? zarte liebliche Birkenlaub auskaufen, so ist eS wohl manch poetisch veranlagter HauSvater, der hinausfährt und ein paar Büsche heimlich— enteignet. Auf dem Land werden sie an die Pfosten der Haustür und der Stalltüren genagelt. Die Birke, übrigens auch der Nationalbaum Finnlands , iit von alten Zeiten ein dem Norden.heiliger" Baum, der die Fülle in Hof und Feld verleiht und ehelichen Segen spendete. Wo die Pfingstmaien el scheint, ist in den Berliner Außenbezirken auch der Kalmus zu finden, jenes würzig duftende, aus den Tropen stammende Arazecngcwächs, aus dem die zungenfertigen Jungen sich«ine feine.Piepe" machen. Ein Pfingst- broitck, der sich bis vor kurzem in Berlin und auch in den Provinzen erhalten hat, ist das Frühkonzert, das allerdings immer mehr abkommt, weil den Wirten das Engagement einer ganzen Kapelle zu teuer und das Risiko zu groß ist. Aber gerade dieser Brauch ist wohl noch in aller Erinnerung. Wer sonst kein Frühaufsteher war, am ersten oder zweiten Pfingstmorgen war er es bestimmt. TagS zuvor wurden die umfangreichen Kuchen- und Stullenpakete gepackt und dann ging es mit den ersten Zügen oder Dampfern binauS, an den Müggelsee, nach Tegel , an den Wannsce. Aber auch die Peripherie der Innenstadt hatte ihre Pfingstfrühkonzerlc. In den Zelten erscholl über den gauzen Tiergarten hinweg die lieb- lich schmetternde Militärmusik, in der Hasenheide, im Treptower Park, bei Schramm in Wilmersdorf , in Südende, im.Schwarzen Adler" in Schönebcrg, bei Schwarz in Lichtenberg trompetete und paukte es in den hellen Pfingstmorgen hinein. Früher war daS Pfingstfest auch mit großen Volksfesten, Jahrmärkten und Schützenfesten verbunden. wie man eS vielfach auch heute noch in der Provinz findet. Berühmt ist drr Pfingstmarkt in Rostock . Das dem Namen nach jedem Berliner be- kannte Hussitenfest in Bernau wurde ursprünglich vor Himmelfahrt gefeiert und das liebliche Rheinsberg hatte vor dem Krieg um die Pfingstzeit sein alljährliches Möskesest, das nichts, wie eS der Klang des Wortes möglich erscheinen läßt, mit MaSken und Mummenschanz zu tun hat. Mösle beißt Waldmeister. Die Schuljugend zog in den Wald, um das
Dem fcranhe« flUhcl Metet man Zu pfftigften dufcn Kalmus an Und preift da» Sumpfgrwach» Ihm taut Sin Idiot tft, wer drauf kautl 1. Xm �lietskafemen viertel kauern Die blafTcn Kinder zwifeben Jauern. Kein 6rün, in dem He Tpielend kriechen Sie möchten auch'mal Blumen riechen. So rieht proletenpftngrtcn aus: Dumpfe Straße, öde» Dau», JWcht Hiebt noch nuft, noch Blumen, Blöte Die gibt's für ihn nur in der Cßtc. 0. Dem Krüppel, den Tie lahm gefchorrsn, Desgleichen keine Rolen rprorfen. Kein Huto will vor'» Cor ihn tragen. Da»■feft füllt ihm nicht'mal den Tragen l
Dem pfingrtod>s geht's dagegen prichHg. Er iüblt sich wohl und fühlt sieh mächtig l Dem-fatzken steht feudal der Scherben. Ton ihm au» kann der fliehet sterben. 5- Viel retner ist die Freude dieser, für fit ist pfingrten kein Termiese X.hr Kindcrlachen strahlend spricht: Zenhiren gab es diesmal nicht I 6. Hucb kindlich freut sich diese Kubzunft. Sic schauen rückwärts in die Zukunft. Bei Baktnkrcur und donnegan» Sind sie jetzt erst beim Chriftbaumglanz. Verschieden feiert man so Pfingsten... Der eine freut sich fast wie toll. Der andre weiß nicht im geringsten» Warum er sich nur freuen soll...
csnSiSSnll Tn�fag T-iMßhmi n,.■ TwdNWffurrfl
Kraut zu holen und die Kircke damit zu schmücke». In den letzten Jahrzehnten war daS Fest aller- dings durch allerlei pairiotischen Klimbim entartet. Ein aller Pfingstbrauch, der verdiente, auch in Berlin und der Mark heimisch zu werden, weil er der Jugend sehr viel Freude bereitet, ist daS imPommerschen heimische.Tuven � abschmieten," d. h. Tauben ab- werfen. In überlieferter Form fertigt der Drechsler ein merk- würdiges Gebilde, daS auS Rumpf, zwei Flügeln, zwei Füßen und Schwanz besteht. Auf dem einen Flügel erhebt sich ein Stab, der den.Riesenappel" sReichsapsel) trägt, auf dem andern ein szepter- ähnlicher Stab. Auf dem Rumpf steht ein reich verzierter Stab, der oben einen Schnabel und darüber ein« Krone trägt. Das Ganze erscheint als sonderbares Gemisch von Taube und Heraldi- schem Adler. Es wird auf eine mehr oder minder hohe Stange gesetzt und die Jungen und Mädels müsien mit extra dazu gefertigten.Duvenknüppeln" so lange danach werfen, bis der letzte Rest unter großem Jubel her- unter ist. Zu gleicher Zeit holen die Schützenvereine einen ähn- lichen Holzvogel mit den Kugeln herunter. Daher auch der Name Vogelschießen. — Die letzte und neueste Pfingstsitt« der Berliner und nicht nur dieser— war der P f i n g st- aus fing und die P s i n g st r e i s e, die von Jahr zu Jahr mehr in Aufnahme kamen, je unleidlicher der Aufenthalt in der Riesenstadt wurde. Aber der Krieg und seine Folgen haben selbst die einst so billigen Pfingstreisen derart verteuert, daß Familien sich threr gar nicht mehr be- dienen können. Vielleicht kommt unsere jetzt heranwachsende Jugend einmal dazu, dem Begriff Volksfest neuen Inhalt zu geben und damit den Berlinern ein neues Pfingstfest, auf dem jeder, auch der Aermste, seine Freude hat. vor 75 Iahren. Wir können unS nichts darauf einbilden, daß der Charakter und die Art der Berliner Pfingstvergnügungen sich im Laufe der letzten 7S Jahre»ach irgend einer Richtung hin zum besseren gewendet haben. Solch alter ver- ftaubter Band der»Tante Boß" aus dem bewegten Jahre 1848 gibt ganz interessanten Ausschluß auch über diese Dinge. Möglichkeiten, den Staub der Stadt von seinen Füßen zu schütteln und auf raschestem Wege in die Wälder zu gelangen, sind bereits vorhanden. Das ersieht man auS einer Bekannt- machung der.Niederschles. Mark. Eisenbahn", die an den Festlagen zwischen Berlin und Erkner Exlrapersondnznge verkehren läßt und das mit den freund« lichen Worten begründet, eS geschehe,»um dem Publikum die Benutzung der Eisenbahn auch zu größeren Landpartien zu erleichtern". Ferner fährt auch schon daS Dampfschiff.Constitution" nach Cöpenick. Im ganzen genominen scheinen sich aber die Gelüste der Vergnügungssüchtigen mehr auf die nächste Umgebung der Stadt gerichtet zu haben. Im.Tivoli"<Kreuzberg ) wird alle- gorisches Feuerwerk abgebrannt, außerdem wimmelt es in den Annoncen von »Italienischen Nächten" und.Feengärtcn". Ein Feenpalast in der lviünz- ftraße zeigt an, daß das Bier sehr gut ist, und daß die Bedienung von Feen erfolgt. Inzwischen sind ja die Feen zum mindesten aus der Münzstraße ver- schwunden. Der.Hofjäger"(im Tiergarten in der Gegend der Hofjägerollee gelegen) wird in einer Annonce von mehreren»Freunden alleS Guten und Schönen" aus folgenden Gründen gepriesen:»Unter den vielerlei Vögeln
w, Heimweh. Eine Heschichlc der Sehnsuchi von John BJ. Jlylauder. Als Wilson und ich früh am anderen Morgen mit unseren Wassertonnen hereinkamen, stand Stone aus der Floßbrücke am Landungsplatze und winkte uns, anzulegen. „Willst du allein nach der Rinne rudern und die Tonnen füllen, so übernehme ich dafür deine Wache/ fragte ich Wilson. „Und rufe nur, wenn' du klar bist, dann komme ich.—" „Wie wunderbar ist doch das alles," sagte Stone, als wir uns an einem schattigen Platze am Strande niedergelassen holten.„Daß Sie hierher kommen mußten! Es ist mir wie ein Zeichen." „Ein Zeichen? Was meinen Sie, Stone?" fragte ich. Meine Frage, ob er mich als Nachbar haben wollte, schwebte mir auf der Zunge, aber Stone kam mir zuvor. „Ja, ich will Ihnen nämlich gestehen, daß ich schon lange darpn gedacht habe, von hier fortzugehen." „Fort von hier?" fiel ich ein.„Aber es ist doch so Herr- lich hier. Ich wollte Sie eben fragen—" Stone unterbrach mich eifrig.„Ich konnte diese Nacht kein Auge schließen. Ich denke—" er zögerte einen Augen- blick—,„ich denke nach Hause zu fahren." „Nach Finnland , nach Inga?" fragte ich.„Das wird eine lange Reise. Da wollen Sie sich wohl herüberarbeiten? Denken Sie lange dort zu sein?" „Ich will dort bleiben," erwiderte er,„für immer." „Ah so, ich glaubte, daß Sie allein eine Reise dahin machen wollten. Das wird eine teure Sache werden, da Sic zu so vielen sind. Vier Personen." sagte ich.„Ich entsinne mich, daß es schon von Finnland bis New York einig- tausend Mark kostet. Aber da ist ja die Kost einbegriffen." Stone antwortete nicht. Er sah eigensinnig vor sich hin und mich meinem Blicke sichtlich aus. „Es wird merkwürdig für Sie fein, unsere Heimat m'ederzuiehen," sagte ich.„vor allem im Winter.. Die Kälte ist etwas ganz Ungewohntes für Sie. Die Jungen sollen wohl in der Dolksschule anfangen? Wie gut, daß sie nun schon soviel Schwedisch können. Haben Sie immer diese Ab- ficht aehabt, Stone?" .'.Nein, ich muß wohl allein fahren." sagte er hart.„Sie würden sich dort doch niemals wohl fühlen, und die Leute würden sie auch zum Narren haben. Es ist am besten, daß
sie hierbleiben. In wenigen Iahren sind die Jungen er- wachsen, da heiraten sie und bekommen ihre Familien." „Für Ihre Frau wird die Einsamkeit doch traurig," wandte ich ein.„Aber sie hat ja das schöne Haus. Vielleicht würde sie sich auch wieder verheiraten. Sie sieht ja so gut und prächtig aus. Warum wollen Sie sie denn nicht mit- nehmen?" „Und die Jungen allein lassen!" fuhr er auf.„Nein, niemals! Sie wissen doch selbst recht gut, wie es daheim heißen würde: Negerweib! Negerjungc! Das würde man von der Stunde an zu hören bekommen. Nein, es ist so das beste, daß sie hierbleiben." „Ja. ja," sagte ich. und dann saßen wir beide lange Zeit schweigend nebeneinander. Es war ihm also Ernst mit dieser Heimreise. Und es war ein Jammer um die sanfte, schöne Frau und die Knaben. Wie wollte er es nur übers Herz bringen, sie zu verlassen? Das war mir unfaßlich. Selbst mir wurde es schwer von Nanawaj abzusegeln, allein um der Knaben willen. Und er wollte für immer von ihnen scheiden. „Wissen Sie, Stone," sagte ich,„ich habe mich viel mit dem Gedanken beschäftigt, einmal hierher auf die Insel zu kommen und ganz hier zu bleiben, wenn es möglich ist. Und dann würden wir gute Freunde und treue Nachbarn werden und richtig zusammenhalten. Und meine Frau—" mein Herz klopfte etwas bei diesem kübnen Gedanken—„und die Ibrige hätten hübsch Gesellschaft und könnten sich gegenseitig mit vielem aushelfen. Aber wenn Sie nun-fortgehen, muß ich das alles aufgeben. Kann man übrigens sich hier ohne weiteres niederlassen? Darf man ein Grundstück nehmen, sich ein Haus darauf bauen und so weiter?" „So viel Sie wollen," erwiderte er.„Alles bekommt man, alles. Obst und Fische und Korn und halbwilde Schweine, wenn man sich die Mühe macht, sie zu schießen. Alles, was man braucht. Und schön ist es auch, wenn man nur den Wald etwas lichtet. Doch glauben Sie mir, das geht einige Jahre, vielleicht zehn Jahre, aber, wenn man älter wird, ist es aus. Dann kommt das Heimweh. Wie oft habe ich mich nickt nach einem finnischen Knusperbrot gesehnt oder nach gesalzenen Heringen mit Kartoffeln," fuhr er fort und stieß mit dem Fuß eine Brotfrucht beiseite, die überreif vor uns niedergefallen war.„Nach einem ordentlichen Winter- tag, wie man sie in der Knabenzeit hatte, und nach Tannen- wald und Birken, wenn sie im Frühling ausschlagen. Und nach Vogelschießen." Er wurde allmählich ganz eifrig. „Hoben Sie schon jemals einen Menschen hier draußen gc- troffen, den es nicht immer und immer nach Hause zieht?"
Es ist so, dachte ich und erinnerte mich an die Sehnsucht des Schiffers nach dem sturmumbrausten Sabre Island und an des Steuermanns und an Sullivans Lieder. „Sie haben gewiß recht, Stone. Es göht den Menschen genau wie den Zugvögeln, vor allen uns Nordländern. Aus Reichtum und Wärme zieht es einen immer wieder hinauf in die arme Heimat, zu 5ieringen mit Kartoffeln." „Nun gilt es nur ausfindig zu machen, welchen Weg man nimmt." sagte er.„Ich hatte gedacht, mit einem der Boote von Poumota nach Hawai zu fahren und dann für die Reise nach San Franziska zu arbeiten. Oder ob es klüger wäre, eine Gelegenheit nach der Westküste hinüber ausfindig zu machen und dann eine Heuer von Callao oder Valparaiso oder Iquique zu bekommen? Reißen immer noch so viele in den Westküsten Häfen aus wie früher, dann würde es nicht so schwer sein, Heuer zu bekommen. Sie wissen, bis Pura könnte ich ja immer mit Kapitän Mc Night fahren. Was meinen Sie, das ich tun soll?" Ich wußte nicht,-was ich antworten sollte. Das Ganze erschien mir so unmöglich. Ich konnte verstehen, daß Stone sich ebenso wie andere nach der Heimat sehnte und vieles schwer vermißte. Aber ganz fortgehen, sein Heim, die käst- liehe Freiheit, den Reichtum, sein ganzes Königreich verlassen! Und dann stellte er sich gewiß nicht vor, wie daheim alles ver- ändert sein würde. Dreißig Jahre, ein Menschcnalter. wie anders würde da alles sein. Eine ganz neue Genera«ion in dem Häuschen, ja, vielleicht sogar fremde Menschen. Die Fischerei verpachtet. Ueberall fremde Verhältnisse. Die allen Grabhügel verwischt und vergessen. Ob der Vogelbeerbaum noch da war? Vielleicht streute er jetzt seine weißen Blüten und leuchtend roten Beeren über neue Gräber, eines dicht am anderen, ohne auch nur einen kleinen Weg dazwischen freizulassen. „Ach ja." sagte ich schließlich,„wer da sagen könnte, was das Klügste ist!" Ich wußte wohl, daß für ihn das Klügste und vielleicht auch das Richtigste war, hier zu bleiben. Aber es gab etwas. das stärker war als alle Klugheit und Vernunft. Es war das Heimweh, was ihn jetzt ergriffen hatte. Ich baffe es schon am Tage vorher, als wir uns zuerst als Ländsleute erkannten. tief in seinen Augen entdeckt. Wie ein heiliges, verzehrende* Feuer brannte in seiner Seele die Liebe zur fernen Heimat. „Vielleicht ginge es doch am besten über Hawai ." fuhr Stone in seinem Gedankengange fort,„wenigstens ist das der schnellste Weg. Was meinen Sie?" (Fortsetzung folgt.)
t