tit. 255 ♦ 40. Jahrgang
I.Sei
Sonntag, Z. Juni 1?2Z
Kmöer auf öer Straßs«
kl. Am Tage.
In einem ersten Aufsatze wurde gezeigt, wie im allgemeinen die psychische, soziale und wirtschaftliche Einstellung des Großstadt- lindes heute ist. Es wurde von seinem eigentlich geringen oder oft auch gar nicht vorhandenen Taschengelde gesprochen und davon, wie das Kind nun dadurch infolge seiner Genußsucht oder oft auch aus Zwang, den Eltern helfen zu müssen, schon auf Verdienst ausgeht. Heute sollen nun die Kinder in ihren verschiedenen und manchmal sehr eigenartigen„Berufszweigen" gezeigt werden. kleine Mitveröiener. Zuerst sind es natürlich die allen bekannten kleinen Mithelfer armer Familien, die weniger aus Freude oder Gewinnsucht als unter dem Zwang der Not mitarbeiten. So die jedem bekannten kleinen Jungen und Mädel, die ihrer Mutter beim Auskragen der Zeitung helfen am frühen Morgen, wenn die Kinder der De- sitzenden noch im Schlummer liegen, so die Portiersnngcn und -mädchen, die Votengänger kleiner Händler und Kaufleute, die Jungen und Mädchen, die für 500 M. Wochenlohn in muffigen Kellern Lumpen sortieren, die Kinder, die tagsüber an Straßenecken Reklame- zeikel verleileu, in die Häuser tragen oder selbst mit Reklameplakaten i�e Straßen abtrotten, die Jungen, die spätnachmittags und abends tn Lokalen Kegel aussehen oder abwaschen helfen. So die Kinder, die ihren blinden Vater führen, die Bettelsungen und-mädchen, die den verkrüppelten Familienernährer zu seinem Standort bringen und abholen, die in Restaurants imd Kaffeehäusern, vor Hotels mit ihrer Mutter Streichhölzer, Ansichtspostkarten oder Blumen ver- kaufen. Sie alle sind meistens tapfere, kleine llnterstützer des Vaters oder der Mutter, die oft krank oder arbeitslos sind, geben ihren manchmal nicht unerheblichen Verdienst brav— mit Ausnahmen natürlich— zu Haufe ab und helfen so mit ihren schwachen Gliedern die häufig zahlreichen kleineren Geschwister zu ernähren. Geschäftstüchtige Spezialiften.\ Auf der Straße sichtbarer und auffälliger find die Spezialisten auf eigene Faust. Ein jeder hat sein eigenes Gebiet, auf deni er verdient, und für viele von ihnen liegt das Geld buchstäblich auf der Straße. Da sind z. B. die Unter grundbahnfpeü allsten. Man sieht auf den arößeren Untergrundbahnhöfen immer Kinder, die sich scheu an den Schaltern herumdrücken. Ein Herr steht am Schalter, eilig und nervös. Hastig zieht er sein« Brieftasche heraus: lautlos flattert ein Hunderter zu Boden: eilig stürmt sein Besitzer dem Durchgang zu. Keiner sah den Hunderter fallen als ein Junge, der sich blitz- schnell bückte und ihn aufhob, während seine jungen Kollegen, immer auf dem Posten, immer auf dem Sprung, die Schalter weiter be» obachten. Eine andere Gruppe der Untergrundbahnspezialisten sind die.nichtamtlich" angestellten karienverkönfer. Ihr Betrieb blüht bei großem Verkehr, wenn vor den Schaltern lange Polonäsen stehen: ihr Betriebsmatcrial sind einige Kartenblocks. Dann treten sie an diejenigen heran, die ganz hinten stehen, die am lautesten fluchen oder es sichtlich eilig haben, und bieten leise und vorsichtig ihm eine Fahrkarte an. Sie berechnen sie je nach Aussehen des Kunden und je nach Länge der Polonäse mit 50— 100 Vcoz. Ausschlag. Die Mehrzahl ihrer Abnehmer ist froh, daß sie nicht zu warten braucht und zahlt gern das Draufgeld. Aergert sich einmal einer darüber, droht er ihnen gar, dann heißt es schnoddrig:„Sie brauchen ja keene zu nehmen! Sie können ja warten, bis Sie in 'ncr halben Stunde'rantommen!" Und wenn der Tobsüchtige dann die lange Schlange vor sich sieht, schimpft und flucht er noch einmal und— zahlt das Draufgeld. Kollegen dieser Schieber en miniature sind die Stadlbahnspezialislen, die denjelben Dreh in Stadtbahn- karten machen. An den Sladtbahnhösen smmneln sich wie an den .Fernbahnhöfen viele ähnliche Spezialisten. Der eine will Pakete tragen, dieser führen, jener ein Auto oder«ine Droschke holen: andere sttirzen sich gewandt auf die Ankommenden, bearbeiten einige Sekunden mit einem Tuch dem erschrocken Bestürzten die Stiefel und halten dann die Hand offen, in die meist auch der kalbend Ueber- rumpelte einige Scheine wirft. Die letzteren finden sich auch an den größeren und vornehmen Hotels. Kommt ein Galt herius, so bietet der eine seine Streichhölzer an, der andere will ein Auto holen, mit dem er bald angefahren kommt, der dritte wischt einmal über die Stiefel des Fassungslosen oder Belusttgten, während ein vierter — aus blauen Augen bettelnd und flehend— Ansichtspostkarten,
ein fünfter Blumensträußchen, die oft in irgendeiner städtischen An- tage beheimatet waren, ein sechster das Abendblatt anbietet usw. Und alle erhalten ihren Obolus. Eine Spezialität mancher Jungen ist auch, die nach dem Lesen weggeworfenen IRiftag- und Abendblätter auszufommeln. sogar in Lokalen und Eafes liegengebliebene Zeitungen zu suchen und sie dann unter Preis anzubieten, worauf natürlich mancher Zeitungsleser gern eingeht. Diese Kinder sind es, aus deren Reihen einmal die zwanzigjährigen Multimillionäre werden, von deren Borgängern man hier und da aus Gerichrs- Verhandlungen hört. Sammler aller Krt. Mühseliger müssen schon wandernde Speziafisten sich ihr Taschen- geld oder Betriebskapital erwerben. Da sind die Stampfpapier. sammlcr, die Knochen-, Lumpen- und Metolljäger oder die Vrot- fammler. Man sieht sie meist in Gesellschaft, da dann die Aus- sichten größer sind. Jeder hat einen Sack und einen Stock mit Widerhaken. Kein Stück Papier ist vor ihnen sicher, manchmal aber auch Metall, das anderen Zwecken dienen soll als zum Händler ge- tragen zu werden. Sind die Säcke voll,. dann gebt's zum Händler, wo sortiert und verkauft wird, und dann wieder frisch auf Tour. Der Verdienst wird zum Schluß unter den Teilnehmern dieser eigen- artigen Säuberungs- und Derschönerungspolizei ehrlich geteilt, wo- bei es manchmal aber trotzdem ohne Räufereien nicht abgehen soll. Ein verwandter Zweig dieser Spezies beschäftigt sich mit Vrot- sammeln. Sie wandern von Haus zu Haus und betteln um Brot. Da Kinder immer gute Schauspieler sind, erhalten sie meist etwas. Unten vor dem Haufe wartet ihr Kollege mit zwei Söckchen, In den einen wandern die einfachen Stücke Brot, in den anderen die Stullen. Das einfache Brot wird an Pferdebesitzer, die Stullen sortiert in nördlichen Lokalen verkaust. Andere wieder streifen durch die Straßen und nehmen jeden Auftrag mit: ob es sich nun darum handelt, auf ein Fahrrad aufzupassen oder auf ein Paket acht- zugeben oder einen Botengang zu machen oder etwas trogen zu helfen! Sie sind eine Art jugendlicher Gelegenheilsarbeiler. Manchmal soll aber schon ein Vertrauensseliger beim Wiederkommen das Nachsehen nach seinen in Obhut gegebenen Sachen gehabt haben. Der vertrauenerweckende Junge war schon längst damit über alle Berg«. Jnteresiant ober sind noch zwei andere Gruppen wandernder Spezialisten. Die erster« sind eine Art Geschirrhändler. Sie finden sich in Höfen großer Warenhänser, Glas- und Geschirrfirmen ein, wenn dort die beschädigten Geschirre, Töpfe, Gläser und dergleichen oerladen oder abgesondert werden. Es gelingt ihnen, gegen Geld oder Zigaretten die am wenigsten beschädigten Stücke einzuhandeln, die dann schleunigst an Private oder Altwarenhändler oerramscht werden. Die zweite Gruppe ist entschieden die originellste und modernste. Zu dritt und auch mehr, mit Stöcken bewaffnet, an deren einem Ende Pech und dem anderen eine Schlinge ist, streifen sie die Bürgersteige, Bahnhöfe, Warenhäuser, besonders die Straßen- ftonten ab. Man kann sie„Fundverwertungs-G. m. b. h." nennen. Sie suchen und finden! Z. B., vor den Schaufenstern sind die über gitterten Kellerlöcher. Da fällt so häufig etwas hinein: der Verlierer gibt den Gegenstand auf, da er nicht weiß, wie-er ihn herausholen soll: die kleine Streif« ober macht kurzen Prozeß und steckt ihre Stöcke durch das Güter. Ist es ein flacher, leichter Gegenstand, so genügt-die Pechfpitze: längere und schwerere Gegenstände ziehen sie mit der Schlinge hinaus. Manchmal fallen ihnen auch Goldgegen stände und Juwelen in die Finger, wertvolle Sachen, von denen fast stets die Plakatsäulen, ober nur selten die kleinen Finder etwas verraten! * Zwei Fragen aber gehören in ihrer Beantwortung noch hier her: Wieviel verdienen diese Kinder und was machen sie mit dem Geld? Die erste Frage ist schwer zu beantworten— manchmal wenig, oft viel, manchmal(auch nach den Wertbegrifien großer Leute!) sehr viel! Und was sie mit dem Gelde machen? Ein Teil gibt es brav zu Hause ab: das sind die erst Geschilderten meist. Von den anderen vielen sparen wenige, spekulieren auf kindfiche Art damit, verbessern und vergrößern sich: viel« vernaschen und ver schleudern es. Dann ist die Legende vom„Schwerverdiener Arbeiter' fertig, der seinen Kindern groß« Taschengelder geben kann. Hier liegt des Rätsels Lösung! Die große Leidenschast der Erwachsenen
von heute, das Spiel, ist bedauerlicherweise und besonders stark mich unter bessergestellten Kindern zur Leidenschaft geworden, die im harmlosen Zipp- und Bockspiel in den Schulpausen erwacht und wächst und bald im Würfel- und Lotteriefpiel auf dem Rummel entflammt. Eine Leidenschaft, der Eltern und Erzieher nicht mit der rohen, überzeugungslosen Kraft des Stockes, fondern mit der Ucberzeugungskraft liebevoller Belehrung und Verwarnung ent- gegnen sollen. Verbotenes lockt Kinder, und Jugend kennt keine Tugend, ober ist lenkbar und knetbar wie Wachs, wenn die Wärme verständnisvoller Liebe sie umgibt.
Schönheit und Mmut. In einer stillen Straße steht ein Schulhaus. Der rote Back- steinbau ist häßlich und schaut hart aus. Ringsum rührt rund regt sich nichts Harmonisches und Heiteres, kein grüner Rasen und kein großer Garten. Ueberall nur hohe Häuser, die ebenso häßlich sind wie das Schulgebäude. Die Schönheit- hat man nicht gefragt, als man diese Steinbaukästen hingesetzt hat. Man dachte nur an das Prakfifche und nicht an das Peinlich« solcher Kasernen und Kolosse. Man wollt« billig bauen, denn hier haust die Armut. Auf dem' Schulhof turnen am Vormittag kleine Mädchen unter ein paar Bäumen, und die kleinen Blättchen und die kleinen frischen Kinder, alles das sieht sehr freundlich und anmutig aus. Bor dem Zaun, der das Schulgrundstück gegen die Straße absperrt, bleiben die Passanten stehen und schauen dem kindlichen Spiel und Sport zu. Auch ein paar Damen, die irgendein Zufall in diese Gegend ver- schlagen hat, machen halt vor dem Schulhof. Die eine sagt:: „Sehn Sie nur, wie schön das ausschaut, alle die kleinen Mädchen in Turnhöschen und Turnschuhen. Wenn meine Waltraut erst so weit ist, muß sie auch solche Kleidung haben!" Dabei träumt ein versonnenes Lächeln auf ihrem Gesicht, wie jemand lächelt, dessen Seele ganz voller Sonne ist. Und die in der Nähe sind, lächeln nun auch und sind plötzlich lustig, und man weiß nicht, ob es von den Kindern kommt, oder, weil heute die Sonne so besonders warm scheint, und die Lüfte so weich sind, oder ob es die Wirkung der Worte einer glücklichen Mutter ist. Ein paar Schritte weiter stehen am Zaun zwei Frauen aus dem Volk, vergrämt und vor der Zeit grau geworden. Die ein« meint:„Na, fag'n Sie selbst, Schulzen, is det rni nich ein Unfug, dat so'ne kleen« Kinder schon Turnhosen hab'n miiss'n! Könn'n die nich in Straßcnsttebeln und in ihren Kleidern hier rumhopsen! Meine Klara sollt ich auch so was anfchaff'n. Aber ick Hab' der Lehrerin fag'n loff'n, dazu Hab' ick als Witwe keen Ield, Ick bin ftoh, wenn et zu Brot und Margarine langt!" Man weiß, wie wahr diese Worte sind! Für die eine ist die Schönheit geschaffen und für die andere gibt es nur Arbeit. Das ist so wie mit den häßlichen Häusern, in denen sie hausen und in denen sie schließlich selbst so hart wie Stein werden. Ein Liter Milch 1300 Mark. Die Milchpreise für das Gebiet der Stadtgemeiude Berlin werden mit Wirkung vom Montag, den 4. Juni 1923, wie folgt festgesetzt: für D o l l m i l ch 1 3 0 0 M. j e L i t e r, für nach Berlin eingeführte Magermilch S80 M. je Liter. Die.�-Milchkarten werden wie bisher mit%. Liter, die L-Milchkarten sowie die Karten für werdende Mütter mit je% Liter Bollmilch beliefert. Zu der Milchpreisbekanntmachung teilt das Ernährung?- a m t mit, daß die erhebliche Steigerung des Milchpreises von 1900 M. auf 1300 M. für die kommende Woche sich daraus erkläre, daß es dem Milchamt möglich gewesen ist, für die laufende Woche den Milchpreis niedriger zu holten, als es den tatsächlichen Marktver- Hältnissen entsprochen hätte. Infolge der Einstellung der Tätigkeit der amtlichen Berliner Butternotie- rungskom Mission konnte für die lausende Woche zum Nach- teil der Erzeuger die letztmalige Berliner Butternotierung vom 16. Mai 1923 in Höhe von 7099 M. nochmals zugrunde gelegt werden, obwohl der Großhandelspreis bereits auf 8999 M. gestiegen war. Da ober billigerwcise dies« durch die Verhältnisse überholte Notierung der Milchpreisfestsetzung nicht weiter zugrundegelegt werden konnte, wurde mit den Erzeugern vereinbort, daß die Notierung der amtlichen Hamburger Butter notierungstom-
-i Als die Wasser fielen. von Otto Rung . (Copyright by Wegweiser-Verlag Berlin .) Vorläufig ließ Gude sich also in der Kammer des Steuer- manns nieder. Mit ein paar Decken in der Koje und einem angezündeten Petroleumosen fühlte er sich ganz behaglich, fast wie in alten Tagen an Bord des Kadettenschulschiffes. Hier spürte er den bekannten salzigen Duft von Holz, den er von den Blockhäusern Finnlands liebte. Es fehlte nur der Kamin mit dem schneeweißen lodernden Birkenholz. Noch einige Male passierte er das Deck. Hier war es frisch, aber keineswegs kalt. Die ihm bevorstehende Arbeit bedrückte ihn. Sie würde kaum allen, vielleicht auch kaum ihm selber Freude bringen. Doch als es dunkel wurde, gewann die UnHeimlichkeit an Bord größere Macht. Er beobachtete, wie die Finsternis von unten kam, zu feinem Füßen begann. Das Deck wurde grau, als saugte das poröse Holz Schlamm aus dem Meeresgrunde und würde dunkel. Das Wasser im Hafen leuchtete noch, denn es spiegelte den Schein der soeben untergegangenen Sonne am Himmel. Der Schlamm fraß sich an den Seiten der allen Backhäuser empor, bis sie, von Schmutz gesättigt, schwarz bis zum Dachrücken dastanden. Im Orient, wo er als Kadett gewesen war, kam die Nacht wie eine Gabe oder ein Grauen— immer vom Himmel, wie ein Wurf von Allahs Mantel über die Erde. In den arktischen Gegenden am Weißen Meere währte die Nacht ein halbes Jahr, war absolut, ein Fimbulwinter ohnegleichen. Aber hier dunstete sie wie eine Pest aus der Erde empor. Es war. als versänke man langsam vom Knöchel bis zu Knie, Hüsten und Brust in einem unersättlichen Sumpfe. * Auf dem Namensbrett der Bork stand, unbeholfen in Weiß auf den blauen Grund gemalt, ihr Name: Beß Ruthby. Das Fahrzeug, das als totes Schiff in Nyhavn lag, war Gude von einem Wohnungsvermittler aufgegeben worden, dem er seinen Plan, stch eine derartige Unterkunft in diesen Zeiten der Wohnungsnot zu suchen, mitzeteill hatte. Mit einiger Mühe bekam er die Adresse von Beß Ruthbys Reeder oder vielmehr dem Direktor der»Schiffahrts-Aktien- Beß Ruthby von Kopenhagen" heraus. Er hatte über„Beß Ruthby" erfahren, daß ihr Kiel vor gut zw« Menschenaltern auf einer norwegischen Werst gelegt
worden war. Ihre Lebensdauer als Seeschiff war längst ver- strichen: doch hatte sie in den ersten drei Kriegsjahren noch Reifen, meist, wie es hieß, mit Kriegskonterbande nach baltt- schen Häfen gemacht. Aber der Tonnagebedarf des Weltkrieges ließ in den Reedern Träume von abenteuerlichen Frachten er- stehen. Die Bark„Beß Ruthby" wurde in eine Aktiengesell» fchaft umgewandelt und in Gammelholmer Kaffees von Tisch zu Tisch zwischen kaiptalstarken, auf der Heimreise von Time- charter-Touren befindlichen Steuermännern und schwedischen Gummihändlern beim letzten Glase Punsch vor Abgang der Malmöfähre verjobbert. Jetzt, nach dem Frieden, waren die Aktien der„Schiff- fahrts-Aktien-Gesellschaft Beß Ruthby" nur ein Bündel Maku- latur als Zugabe bei den Konkursmasseauktionen des Krieges, und das Schiff lag nach wie vor auf seinem ewigen Ankerplag an der Spitze des Nyhavnkanals, dicht beim Hafen, festge- wachsen im Schlamm, an seinen Vertäuungen nagend und den verrosteten Ankerarm dicht an seinen kupferbeschlagenen Bug gepreßt. Zuletzt war die mit Stecknadeln zusammengehestete Aktienmasse in einem Bridge gewonnen worden, zu dem er expreß von einem schonenschen Baron und Rennreiter geholt war, der schwer krank in seinem Hotelzimmer lag und daher einen vierten Mann zu einem Spiel auf der Bellkante suchte, an dem außerdem eine zugereiste Damensriseurin aus Udde- valla und der Nachtportier des Hotels teilnahmen. Gude hatte daraufhin den norwegischen Maler, Edvin Rustad, in dessen Hotel hinter dem Raadhusplads aufgesucht. Rustads Name als Maler war weitbekannt. Gude war seinen Bildern in den Galerien der ganzen Welt begegnet. Es waren Nordlandsmotive von den Lofoten und Lappland, in Farben wütend, mit dem Sinn eines Wilden gesehen, gefräßig und verdichtet zugleich.„Spaltend wie ein Eiskristall ist sein Auge," sagte man,— Gude mußte lange in einem Zimmer mit herabgelassenen Gardinen warten, dessen Bettbezug den Abdruck eines unge- Heuren Körpers zeigte. Auf dem Tisch lagen Bridgekarten zwischen Flaschen und Gläsern verstreut. Leinwand oder Mal- gerät war nicht zu sebn. Schließlich war Rustad gekommen, nachdem er die Tür leise geöffnet hatte, um sich den nach Aussage des Hotelportiers Wartenden anzusehen. Es zeigte sich, daß er ein blasser Koloß init einem Gesicht wie ein betagter Leichenbitter war. Wie Gude gehört hotte, ging er stets in mächtigen Ueberziehern, und so zog er auch jetzt nach einer tiefen, ehrerbietigen Ver- beugung einen gewaltigen gelben Paletot aus, Darunter schien
er noch einen ungeheuer umfangreichen Ueberzieher, seine Redingote, zu tragen. Mit dem Zeigefinger entfernte er eine blaßgelbe, mit Wasser gekämmte Locke von seinem rechten Auge. Als Gude ihm seinen Plan betreffs Beß Ruthby vorgelegt hatte, seuf.zte er ernsthast. Dürfte er Herrn Gude vielleicht ein Glas Whisky und Soda anbieten? Möglicherweise spielte Herr Gude auch Bridge? Er könnte in aller Eile zwei Partner schaffen, Rustad griff nach dem Haustelephon. Gude lehnte höflich ob. Sie saßen eine Weile da und betrachteten einander. Kurz daraus war es, als tagte es auf Herrn Rustads riesigem Gesicht. Mit einer kleinen Berbeugung erhob er sich ein wenig von semein Sitze. „Ja, jetzt erinnere ich mich dieser Aktien," sagte er.„Ich habe ganz sicher das Paket hier in der Schublade unter meinem Kleiderschrank. Wo, wie und was Beß Ruthby sonst ist, weiß ich nicht mehr. Aber wenn sse, wie Sie sagen, ein Schiff und nicht im Hafen versackt ist, dann können Sie sie gern haben. Wie sie geht und steht." Von Miete wollte er nichts hören. Nach Gudes Protest sagte er jedoch:„Schön, Herr Gude, Sie können bezahlen, was die Unterhaltung kostet. Sehen Sie im Schiffsregister noch, ich habe selbst keine Zeit dazu gehabt." Er fügte hinzu:„Nur eines müssen Sie mir zugestehen, Herr Gude: Zutritt an Bord, wenn ich einmal Lust bekommen sollte, ein Seestück zu malen. Aber das ist seit dem Kriege— leider— nicht vorgekommen." Seine Augen wurden feucht.„Ich will Ihnen nämlich sagen," fuhr er mit gebrochener Stimme fort,„ich habe ent- deckt, daß die Hantierung mit dem Pinsel meinen Billardstoß verdirbt!" Als Gude kurz darauf ging, hörte er noch in der Tür das Bett unter dem mächtigen Körper, der sich hineinwarf, krachen. In den folgenden Tagen richtete Gude sich an Bord ein. Er hatte zu allererst im Schiffsregister nachgesehen. Wie erwartet, war die Bark„Beß Ruthby bis hoch über die Spitze des Großmastes mit Hypotheken belastet. Die Zinsen von zwei Terminen waren nicht bezahlt, auch Bollwerksgeld nicht, und ein Gammelholmer Gastwirt hatte das Schiff mit Beschlag be- legen lassen fiir Lokalmiete und Verschiedenes, das bei Sitzun- gen der früheren Reeder der Bark in seinem Restaurant ver- zehrt worden war. Gemäß seiner Vereinbarung mit Herrn Rustad beglich Gude diese nicht unbedeutenden Beträge und fühlte sich hiernach soweit in sicherem Besitz seiner Wohming. (Fortsetzung folgt.)