Nr. 257 ♦ 40. Jahrgang
Seilage öes Vorwärts
dienstag, 5. �uttl 1H2S
Der park von Nieöersthonhausen. Nikeline Hansens Plan. An den Ufern der Pank« liegt, hart an der Grenz« der«he- maligen Riesendörfer Pankow und Niederschönhausen der„Schloß- park". Schattige Wege, idyllische Wiesen, prächlige alte Bäume ver- einigen sich zu den anmutigsten Bildern. Und mitten in dieser Herr- lichkeit steht«in altes, baufälliges Haus, das früher mal«in Schloß gewesen ist und um das sich in unserer Zeit allerlei hochfahrende Träume spinnen. So sollte es ein richtiges Volkshaus werden mit hübschen Versammlungsräumen, Bibliothek usw. Allein die Sach- rerständigen erklärten das alte Gebäude für so baufällig, daß es nur unter Lebensgefahr betreten werden könne, und eine Herrichtung verlange soviel Geld, daß es die Mittel des armen Berlin weit über- steige. Run aber kommt eme Schwester Nikoline Hansen mit einem Plan, der den ganzen Norden entsetzt aufhorchen läßt. Die edle Schwester will, wie ein Pfarrer schreibt,„mit starken Glaubens- bänden die Not anpacken und lindern", indem sie in Schloß und Park ein« Krankenanstalt für Kranke aus dem mittellosen Mittel- stand errichten will. Die Mittel, die zur Verwirklichung dieses Planes nötig find, soll die Schwester in reichstem Maße befitzen. Fürsten und Könige, so der König von Schweden, sollen neben anderen der Schwester die erforderlichen Gelder gegeben haben. Hiergegen wenden sich zahlreiche Einwohner Pankows und Nieder- schönhausens mit aller Entschiedenheit, und von einer Zuschrift aus ihren Kreisen geben wir folgendes wieder: „Muß es denn nun gerade unser Schloßpar sein? Es gibt doch noch andere schöne Fleckchen Erde , die nicht heiß umstritten sind, um den Plan der Schwester Nikoline Hansen, der ja an und für sich gut und edel sein mag, zu verwirklichen. Ist es denn nun wirklich gut und edel, daß sie, um einigen wenigen Menschen Erbolung und Schönheit zu verschaffen, Tausen- den das. Tor zur Schönheit und Erholung vor der Nase zuschlägt? Und wir können dann draußen am Gitter stehen und hineinblicken in die Pracht, die wir nur noch als Zaungäste genießen dürfen. Wie vielen, die im Norden Berlins , in Pankow und in der Nähe ihre Arbeit hoben, ist doch der Gang am Morgen durch den Park und auf dem Rückweg des Nachmittaas die einzige Erquickung des Tages, die sie genießen als ein köstliches Geschenk. Ein liebgewordenes Eigentum wird ihnen allen geraubt, wenn der Anschlag der Schwester glückt. Nein, Schwester, was wir hin können, um uns„unseren" Part zu erhalten, das wollen wir tun. Der Allgemeinheit das Schloß zu bildenden und anderen Zwecken zu überlassen, diesen Gedanken lasten wir gern gelten, aber der Park selbst muß uns un- geschmälert bleiben. Und darum, daß man uns ihn— oder «in großes und das schönste Stück von ihm— entreißen will, sträuben wir uns und kämpfen niit allen uns zu Gebot« stehenden Mitteln. Seien Sie friedlich, siebe Schwester, es muß nicht gerade„unser" Schlößchen und„unser" Park sein—„Schloß und Park von Nieder- schönhausen". Wie es heißt, soll jetzt sogar noch eine andere Schwester, wohl durch den vorstehenden Plan dazu angeregt, mit einem ähnlichen Gedanken, unseren B r o s e p a r k betreffend, an die zuständige Stelle herangetreten sein und Verhandlungen anzuknüpfen versucht haben. Schließlich bleibt diesem Teil des nördlichen Berlins dann weiter nichts mehr übrig wie die Straßen, wenn uns unsere Oasen entrissen werden." Roch ist die Angelegenheit nicht entschieden. Aber eine dem „schwesterlichen" Plan günstige Entscheidung wird den größten Teil der an dieser Erholungsstätte interessierten Bevölkerung gegen die Gemeindebehörden aufbringen. Die Bevölkerung erwartet, daß das Allgemeinwohl über das des einzelnen gestellt wird, und in diesem Falle liegt es zweifellos im Interesse der Allgemeinheit, wenn ihr der prächtige alte Park in seiner ganzen Größe noch wie vor zur Erholung offensteht._ Ein Appell an den Geineinfinn. Die Stadt Berlin bat bisher solchen Personen, die bei Bränden und Unfällen die Feuerwehr alarmierten, eine Prämie gezahlt. Tiefe Prämie soll, wie das„Zentralblott der Feueiwebr' mitteilt, in Fortfall kommen. Die Stadt appelliert an den Gemein sinn jedes Einwohners, der in Fällen der Gefahr nicht ,m Vertrauen auf die in Aussicht siebende Prämie, sondern ge- tragen von dem Bewußtsein, dem bedrängten Nächsten Hilfe zn bringen, die Wehr alarmiert. Dahingegen hat sich
der Magistrat veranlaßt gesehen, Belohnungen an solche Personen'zu zahlen, die Täter, welche die Feuerwehr böStvilhg alarmieren, näher bezeichnen, so daß sie dem Strairichter zugeiühit und zu den Kosten des linnöligen Ausrückens der Feuerwehr herangezogen werden können. Die Höhe dieser Belohnung ist auf 5 v 0 l) M. festgesetzt worden. Zur HutiSefperre in Serlin. Eine Aeußerung des Robert-Koch-Znstiluks. Die teilweise Hundesperre ist in Berlin lediglich für die g e- fährdeten Berliner Bezirke 1 bis 7: Berlin-Mitte, Tiergarten, Wedding , Prenzlauer Berg , Friedrichshain, Kreuzberg, Charlotten- bürg sowie für 9 Wilmersdorf(mit Ausnahme von Berlin -Grune- wald-Forst) und 11 Berlin-Schöneberg angeordnet worden. Unter diesem Begriff versteht das ReichsvicHseuchengesetz vom 26. Juni 1909§40:„die Festlegung aller in den ge- fährdeten Bezirken vorhandenen Hunde". Dieser Maßnahme ist, wie das Gesetz ausführt,„das Führen der mit einem sicheren Maulkorb versehenen Hunde an der Leine gleich zu erachten". � Infolgedessen ist der Polizeipräsident durch das Gesetz g e-! z w u n g e n, in den aufgeführten Bezirken den Maulkorb-! und Leinenzwang zunächst bis zum 8. Juli d. I. als be- � sondere Zwangsmaßnahme anläßlich des aufgetretenen Tollwut- falles anzuordnen. Für minder gefährdete Bezirksteile' ; kann eine Erleichterung zugelasten werden. Daher besteht auch trotz i der Hundesperr« kein Leinenzwang in den Verwaltungs- bezirken 8, 10, 12 bis 20: Spandau , Zehlendorf , Steglitz , Tempelhof , Neukölln, Treptow, Köpenick, Lichtenberg , Weißenfte. Pankow und Reinickendorf . Die Durchführung dieser Maßnahmen ist genau in dieser Form als zwingendes Recht festgelegt. Auch die Bestimmung, „daß Hunde, die den Bestimmungen entgegen frei umherlaufen, ge- tötet werden können", findet in den genannten Ausführungs- bestimmimgen im§ 114 Ziffer 8 seine gesetzliche Grundlage. Daher ist es völlig abwegig, in der Oeffentlichkcit dem Polizeipräsidenten die Abänderung dieser Vorschriften zu empfehlen, da dies nur auf dem Wege der'Reichsgesetzgebung möglich ist. Zur hygienisch-wissenschaftlichen Beurteilung der Frage, die gerade für Berlin mit seinen 200 000 gemel- deten Hunden besonders wichsig ist, schreibt das Robert-Koch- Institut folgendes: In Berlin hat der Maultorbzwang von 1870 bis 1911 beständen. In dieser Zeit sind fünf Tollwut- ausbrüche bei Hunden festgestellt worden. Don 1911 bis 1916 war der Maulkorbzwang aufgehoben. In diesen fünf Iahren wurden 25 Fälle von Tollwut bei Hunden nachgewiesen. Ferner sind in dieser maulkorbfreien Zeit in 107 Fällen Menschen von verdächtigen Hunden gebissen worden bzw. im Anschluß hieran erkrankt. Zwei Fälle verliefen sogar tödlich. Gegenwärtig sind in dem Institut für Infektionskrankheiten in der Föhrer Str. 2 etwa 100 verdäch- tige Fälle in Behandlung. In ganz Mecklenburg herrscht zurzeit eine schwere Tollwutseuche. Im Regierungs- bezirk Minden sind über 100 Personen gebissen worden, die sämtlich in ärztlicher Behandlung wegen Tollwut - gefahr stehen. Auf Grund dieser Tatsachen steht die Leitung des genannten Instituts auf dem Standpunkt, daß die polizeilichen Maß- nahmen zur Bekämpfung der Tollwut, wie sie augenblicklich in Berlin gehandhabt werden, auch im Interesse der öffentlichen Gesundheits- pflege unbedingt und in vollem Umfange aufrechterhalten werden müssen._ Tie feindlichen Ehegatten. Ein blutiges Ende fand am Montag ein E h e z w i st. der zwifck-en dem Tischler Heltkamm au« der Hochstraße 13 und seiner Frau A g n i s bestand. Frau Heltkamm berließ vor einiger Zeit ihren Mann und fand Zuflucht bei der Frau de« Lackierers Ernst in der Schulstraße 29. Sie strengte auch die EcheidungS- klage an. Heltkamm äußerte nun wiederholt zu Hausgenossen, er werde seiner Frau eins auswischen, weil sie ihn ver- lassen und Sachen von ihm mitgenommen habe. Gestern kam er nun nach der Schulstraße, um sich mit ihr der Sachen wegen aus- einanderznfetzen. Jetzt kam e« wieder zu einem heftigen Streit. Plötzlich zogHoltkamm ein Rasiermesser aus der Tasche und bracht« seiner Frau mehrere Schnitte in den Hals bei. Als sie zusammenbrach, ergriff er die Flucht. Auf der Treppe rief er einem Manne zu. er habe etwas Schreckliches begangen und müsse sich das Leben nehmen. Mitteilungen über den Auf-
enthalt des Flüchtigen nehmen das Polizeiamt Wedding und die Kriminalpolizei des 46, Revier«, die die schwerverletzte Frau nach Anlegung eines Notverbandes durch einen Arzl nacb dem Kranken« hanie bringen ließ, enigegen._ Der»rote Kurier�. 15 Märchen eines Pelzmarders. Unter der Anklage des Diebstahls hatte sich vor der 10. Siras- kammer des Landgerichts I der Ingenieur Jacques Adelsberg, der einer schwerreichen Familie in Rumänien entstammt, zu ver- antworten. Anfang Februar dieses Jahres war der Angeklagte in einem Restaurant in der Friedrichstraß«. Beim Weggehen längte er sich einen kostbaren Pelz vom Ständer. Der Kellner machte ihn darauf aufmerksam, daß der Pelz ihm nicht gehöre. Der Angeklagte tat darauf sehr entrüstet und suchte sogar auf den Kellner einzuschlagen, so daß er erst nach einem Handgemenge überwältigt werden konnte. Bei der in der Wohnung des Festgenommenen erfolgten Haus- suchung entdeckte man noch sechs getragene Mäntel und eine Liste von Pelz Händlern. Zldelsberg war vom Schöffen- gericht zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden und hatte Berufung eingelegt. In der jetzigen Berufungsverhand- lung gab er, was er bisher geleugnet hatte, zu, es auf den Pelz abgesehen, zu haben, kam dem Gericht nun aber mit einem höchst romantisch klingenden Märchen.. Er behauptete, daß er „Kurier der Roten Armee" in Rußland gewesen sei, daß er gegen die Weißgardisten unter Denikin gekämpft und von diesen ge- fangengenommen worden sei. Zum Tode verurteilt, sei es ihm ge- lungen, zu entfliehen. Neuerdings sei er als„Verbindungskurier der Kommunisten" zwischen Wien und Berlin benutzt worden und habe von seiner Partei den Auftrag erhalten, einen Genossen, der der Spitzelci verdächtig erschien, zu verfolgen und zu entlarven. Unter dem Vorgeben, eine Erfindung verwerten zu wollen, sei er nach Deutschland gekommen und habe gerade an dem fraglichen Tage den verdächtigen Genossen beobachtet, wie er mit den Mitgliedern der rumänischen Gesandtschaft konferierte und Dokumente zugesteckt er- halten habe. Seine Absicht sei es gewesen, sich dieser Dokumente zu bemächtigen, und deshalb habe er sich mit dem Pelz des angeblichen Spitzels entfernen wollen, den letzteren aber beabsichtigt, wieder dem Besitzer zurückzustellen. Die bei ihm gefundenen sechs Mäntel will der Angeklagte„für russische Genossen" angekauft haben. Daß er bisher mit diesen Angaben nicht hervorgetreten war, erklärte der An- geklagte damit, daß er seine Partei nicht habe kompromittieren wollen. Das Gericht hat dem Angeklagten nicht geglaubt, daß er aus idealen Motiven gehandelt habe. Es verurteilte ihn zu einem Jahr sechs Monaten Gefängnis unter Anrechnung von vier Monaten Untersuchungshaft. Der Verteidiger hatte für die H-'k», entlassimg sechs Millionen Mark Kaution angeboten. »Im Namen öes Königs!' Den Staatsbürger zur Achtung vor der Republik zu erziehen, sollten die Behörden der Republik als eine ihrer Aufgaben betrachten. Welche Wirkung aber kann man von ihrer Erziehung«- arbeit erwarten, wenn immer wieder au§ amtlichen Schritt- stücken den Empfänger noch der davongelaufene ebc- malige Monarch angrinst? Die Gerichte sind dazu berufen, die Autorität des republikanischen Staates nötigenfalls durch An- Wendung der Strafgesetze zu schützen. Was aber soll man dazu sagen, daß selbst in dem Schrift stück eines Gerichte« der„König " noch umher spnkt? Man hat uns ein Ge- richtsurteil vorgelegt, das vom Amtsgericht Pankow am 18. Mai 1923 verkündet und am 28. Mai 1923 ausgefertigt wurde. Ucber dem Urteil stehen groß und deutlich, wie wenn wir noch unter der„glorreichen Regierung" Wilhelms II. lebten, die unkorrigierten Worte:„Im Name n des Königs". Zu der UrteilSausfertigung ist ein Formular aus den älteren Vor- räten benutzt worden, die noch aus der monarchischen Zeit übrig geblieben sind und der Sparsanikeil wegen aufgebraucht werde,' tollen. Ein preußischer Justizminister hat. wenn wir nicht irren, schon vor längerer Zeit angeordnet, daß solche Formulare nicht erl: im Augenblick der Benutzung, sondern im voraus korrigiert werden sollen. Wie ist eS da möglich', daß noch im Mai 1923 ein Ge- rickt ein u n k o r r i g i er t e S Formular haben kann und e° sogar unkorrigiert in die Welt hinausgehen läßt?
Als die Wasser fielen.
von Olio Rung. Au» dem Dänischen von Erwin Magnus . Die Einrichtung an Bord verursachte ihm erhebliche Mühe. Es war ihm schließlich gelungen, zwei arbeitslose Handwerker zu überreden, an Bord zu gehen und eine etwa mögliche Ber- besserung der vorderen Räume, die er zu bewohnen gedachte, zu erwägen. Er stellte den beiden äußerst höflichen Handwerkern an- heim, die Luke vom vorderen Lastraum abzunehmen. Dann gedachte er eine Glasscheibe als Skylight darüber zubiegen. Der eine der beiden Tischler rieb sich das Kinn und lächelte. „Das ist Glaserarbeit," sagte er,„und nicht mein Fach. „Schön," räumte Gude ein.„Aber ich habe den Plan, den Lastraum nachher neu mit Paneelen bekleiden und außer» dem das Schott zwischen Raum und Mannschaftskajüte durch- schneiden und eine Tür vom Arbeitsrcrum zur Schlafkammer anbringen zu lassen." „Das ist Schiffszimmermannsarbeit," bedauette der andere Tischler, worauf beide den rechten Handschuh abzogen, um sich zu verabschieden. Er sah ihre Rücken längsam und feierlich, als folgten sie einer Leiche, in Ryhavn verschwinden.— Es glückte ihm indessen am selben Tage, einen Seemann, als Besatzung und Hilfe bei aller Zimmerarbeit an Bord zu! heuern. Er hatte ihn eines Abends auf dem Heimwege in der Nähe von Kongens Nytorv, ungefähr an der Ecke der Strandsträde getroffen. Dort hatte ein Haufen sich herumtreibender See- leute nebst Anhang aus den Spelunken Nyhavns sein Stand- quartier. Junge Havaristen mit Wasserleichenstatzen, aus- rasiertem Nacken und Beulen wie Rubinketten um den Hals. Sic saßen am Eingang der Notdurftsanstalt und aus den Stufen der Nvhavnsfähre, hingen auf zwei langen Stein- bänken, drehten Zigaretten zwischen den Fingern und beweg- ton die Zehei in den Latschen, während sie einen Kameraden nach warmen Würstchen zu dem Manne mit dem Kesselwagen auf Kongens Nytorv schickten. Sie sprachen ein gedehntes Englisch oder Holländisch, je nachdem, ob sie von einem Kohlen- dampfer oder einem Apfelkahn fortgelaufen waren, aber alle waren sie gleich geschwollen und hoch erhaben über das feine Gesindel, das auf den Fliesen an ihrer Börse für alle Art' Schiffs- und Hafenneuigkeiten nach der Bredgade vorbei- promeniette. Nur ab und zu erbettesten sie sich drohenden Blickes Zigaretten von einem lebenswstigeN Nachtschwärmer
oder einem von Nyhavns fetten, sinnigen Mädchen, die im Ulster, mit einem Matrosenkragen darüber, auf ausgeschnitte- nen Schuhen oder Schlappen aus einem der Nyhavner Keller, „Caf6 Ausguck" oder„Zum sicheren Hafen" angelatscht kamen. Gude wurde von einem jungen Burschen in mit Bind- faden umgüttetem Regenmantel ohne Kopfbedeckung ange- halten. Seine bloßen Füße staken in Segeltuchschuhen. Gude hatte eben gesehen, wie er von seinem Platz am äußersten Ende der Bant heruntergestoßen war durch den Tritt eines langen Beines im Seestiekel, das einem Kerl gehörte, der sich lang hinlegte, damit er ihn, ohne ausstehen zu müssen, erreichen konnte. Der Bursche bat in schlechtem Englisch um Unter- stützung für eine Unterkunft. Es zeigte sich, daß er ein von einem amerikanischen Tramp weggelaufener Finne war, seine vier, fünf dänischen Ausdrücke waren, offenbar ohne sein Wissen, äußerst gemein. Am nächsten Tage erschien er auf Gudes Aufforderung an Bord. Vermutlich hatte er mit Heuer auf einem wirklichen Seeschiffe, wie er es gewohnt war, gerechnet, doch nahm er die Aufträge, die Gud « ihm erteilte, willig entgegen. Das für fein Fach äußerst Naturwidrige, daß ein Schiff nicht in See stach, sondern als Haus diente, schien seine unsagbar träge Seele nicht zu stören. Gude sprach ihn auf Finnisch an, doch der Mann war sehr wortkarg und gab mir zögernd Antwort. Sein Name war Matti. Als Gude dem Finnen Säge und anderes Werkzeug, das er in der Zimmermannskiste an Bord fand, zeigte, machte sich der Mann jedoch willig an die Arbeit. Er war im Holzlande an der finnischen Bucht geboren und, ungefähr seit er gehen konnte, auf Holzschiffen gefahren. Seine regengrauen Augen bekamen zwar keinen Ausdruck, doch faßte seine Hand die Art mit einem Griff, als ob seine Muskeln auf einmal erlöst würden. Er tastete an einem Lederbeutel herum, den er auf der bloßen Brust trug. Sein Schiffahrtsbuch war gestohlen oder möglicherweise vom letzten Schiffer beschlagnahmt, doch er zog einen Fetzen Papier hervor und gab ihn Gude zu lesen. Es war eine mit verwaschener Tinte aus nach Parfüm und Schmutz duftendem rosa Papier geschriebene Empfehlung: „Gib Matti kein? Arbeit, er ist ein Spitzbube und ganz ver- logen." Matti wartete, den ziellosen Blick zur Takelung des Schiffes erhoben, lind Gude dachte, daß ein Mann keine bessere Empfehlung baben könnte als diesen Iudasbrief, der, für ihn selbst unleserlich, von grinsenden Kameraden irgendeinem schreibkundigen Frauenzimmer in einem Nyhavner Keller dik- tiett war— und von Matti wie ein Schatz verwahrt wurde,
Als erstes gab er dem Finnen Schwapper und Pütze und ließ ihn das Deck spülen. Matti wälzte sich langsam aus dem zerrissenen Regenmantel heraps. Darunter trug er nur Hosen, die steif von Teer und Schmutz waren. Das Hemd war vom Nacken bis zu dem Bindfaden um seinen Leib zerrissen und entblößte auf dem Rücken eine schwarze und rote Tätowierung, die fleckig wie alte Fresken auf geronnenem Kalk erschien. Die Zeichnung stellte ein Meerweib oder möglicherweise eine Aphrodite des Meeres dar, die gewandt ausgeführt, aber außerordentlich obszön war, und die er wastrscheinlkh selbst nie gesehen hatte— eine Belustigung nur für Kameraden, zum ewigen Gaudium der Gäste der Mannschästskajüte in seinen Rücken geritzt. Seine Arme trugen noch blaue Flecken von ihren Knüffen. Das Seewasser stürzte aus den Pfützen über seine Füße und spülte Schlamm und Kohlenstaub nach allen Speigatten über das Deck. Gude erinnert« sich mit Freude aus feiner Kadettenzeit dieses Planschens, wenn die Iungens mit Schwappern und Pützen das Schiff Padeten, bis alle Plan- ken weiß— wie Jungfernhaut, wie der Bootsmann sagte— waren! -- Dseser rieselnde Laut von tailsend Quellen, diese fortschreitende Sauberkeit, diese Geschäftigkeit von laufenden Segeltuchschuhen über Deck, der Druck der Stückschaufeln gegen die nassen Planken, dies Plätschern bloßer Füße im Wasser über Schanze, Back und Znuschendeck! Er nahm selbst einen Schwapper und folgte seinem Matrosen. Endlich einmal aufräumen mit Kohlenstaub und Schmutz hier auf dem asten Deck nach drei schmählichen Jahren in der elenden Rinne von Ryhavn! Er dachte, daß so auch die Mission wäre, die er selbst hier hatte, die Ausgabe, die) ihm jetzt, wo die gewaltige Konjunkwrzeit des Krieges vorbei war, bei der großen Abrechnung gestellt war. Ruinen nnd Wracks waren die Länder, in denen er bis jetzc gelebt hatte. Städte hatte er gesehen, die dem Erdboden"ileichgennicht waren, Bölkerschaften alz Leichen nach Pest, Metzelei oder Hunger. Hier zu Hause war totes Wasser, waren durch Schleusen versperrte Kanäle, Ohnmacht, Zusammenbruch, hier waren Industrien getötet, hier war der Handel durch Kon- kurse gelähmt. Und wo er Leute traf, die er früher in seiner Jugend als aufrecht zuverlässig und allen Tönen des Lebens lausend gekannt hatte, sab er jetzt geduckte Nacken, verdäch- tige Mienen, kleine egoistische Lankrottierer, versimpelt, ver- kommen und seil, die nach dem Hasard der großen Dörfenzeit noch nach billige? Wollust schnausteu. (Fortsetzung folgt.)