Oeilage öes vorwärts
Vonnersiag, 14. Jimt 192?
ihm schon am 1. August 1922. den der Vorsitzende als seinen schwärze st en Tag bezeichnet hatte, die Wellen über dem Kopf zusammenschlugen. Köhn erzählt dann weiter, dah er um diese Zeit sein« sämtlichen Vertreter aus Nord- und Süddeutschland zu einer Konferenz zusammenberufen und ihnen die Mitteilung gemacht habe-, daß auf die Einzahlungen nur SV Proz. Dividende ausgezahlt werden könnten, weil nicht genügend Gelder vorhanden wären. Nach einer kurzen Pause bat Köhn den Vorsitzenden, Landgerichts- direktor Siegert, um«ine Unterredung unter vier Augen. Als der Vorsitzende sich daraufhin mit ihm zurückziehen will, erklärt Köhn plötzlich, er möchte ihn vor der nächsten Verhand- lung in seinem Zimmer sprechen, um ihm Wichtiges mitzuteilen. Die Verhandlung nimmt darauf ihren Fortgang und der Angeklagte schildert nun unter lebhaften Ausfällen gegen die Staatsanwaltschaft, daß diese durch ihr« schroffen Maßnahmen bei dem Zusammenbruch sein Werk zunichte gemacht hätte. Insbesondere hätten auch die! Finanzämter«inen großen Teil der Schuld daran, da sie alles, was| an Büchern und Geldern vorhanden war, einfach wegnahmen und � dadurch jedes Weiterarbeiten unmöglich machten. Er wandte sich in sehr heftigen Ausfällen gegen Rechtsanwalt Pryteck und Hein- rich Sklarz, die Häupter der Eläubiger-Schutzkommission, von denen er behauptet, sie hätten im Auftrage der Großbanken ge- handelt, aegen ihn in der Presse gehetzt und seine Verhaftung be- wirkt. Diese hätten Schuld daran, daß eine Menge Einzahler kein Geld bekommen haben. Auf Befragen der Rechtsanwälte Dr. T a r n o w s k i und Bahn erklärt Köhn weiterhin, daß er sich am 15. August abends zur Liquidation entschlossen habe. Vors.: Dann mußten Sie auch Isfort alles tun, um auch die aus- wärtigen Vertreter zu benachrichtigen, daß keine Einzahlungen an- genommen werden. Angeklagter Köhn: Ob noch Gelder angenommen wurden, kann ich nicht sagen. Der Sachverständig« Kahen stellt auf Veranlassung der Verteidigung fest, daß am 16. August in den Ber - liner Bureaus keine Einzahlungen mehr angenommen worden sind. Zum Schluß erklärt Köhn nochmals: Nur durch das Ein- schreiten der Großbanken ist der Zusammenbruch herbe ig eführt worden. Sonst hätte niemand Geld verloren. <?m Gegenteil, ich hätte nach wie vor den Einzahlern große Gewinne verschafft.(Gelächter.) Damit ist die Vernehmung des Angeklagten Köhn beendet, in der nächsten Sitzung am Freitag sollen die übrigen. Angeklagten vernommen werden.
heimniSdollen Verbrechens überall eifrig gesucht. Festgestellt ist, daß der Erschossene den Namen Hoff zu Unrecht führte. Er soll in Wirtlichkeit Winter beißen. Mitteilungen über den Verbleib der Frau nehmen die hiesige Kriminalpolizei und der Unlersuchnngs- richler beim Landgericht Guben entgegen.
Srikettknappheit. Vollbelieferung nur in beschränktem Maße. Das Kohlenamt teilt mit: Die zurzeit außerordentlich manael- hafte Versorgung Berlins mit Briketts in Verbindung mit der stei- genden Tendenz der Kohlenpreise hat in weite Kreise der Ver- braucherschoft ein« verständliche Beunruhigung getragen. Das Kohlenamt kann versichern, daß nichts unterlassen wird, um in der nächsten Zeit eine bessere Brikettversorgung Berlins sicherzustellen. Andererseits muß aber darauf hingewiesen werden, daß sich die Belieferung des Handels auch unter normalen Verhältnissen nicht in so kurzer Zeitspann« durchführen läßt, wie es die Interessen der Verbraucherschaft im Hinblick auf die gegen- wärtigen Preissteigerungen wünschenswert erscheinen lassen. Die belieferungsfähigen Abschnitte der Kohlenkarte sind in einem Zeit- punkt völliger Absatzstockung und unter Umständen freigegeben wer- den, die eine derartig rapide rückläufig« Entwicklung unserer Wäh- rungsverhällnisse nicht voraussehen ließen. Unter den heutigen, leider völlig veränderten Verhältnissen ist eine alsbaldige V o l l b e- lieferung der freien Abschnitte nur in beschränktem Maße durchführbar. Diesen veränderten Umständen ist im Ver- ordnungswege bereits durch Beschränkung des Zugriffsrechts der Selbstabholer Rechnung getragen worden, auch die Hausbesitzer können bei der heute herrschenden Kohlenknappheit nicht die so. fortig« Belieferung aller freigegebenen Abschnitte der Kohlenkarte beanspruchen. Der Händler ist vielmehr auch nach Verordnung über die Kohlenoerteilung verpflichtet, seine Kunden in angemcs. s e n e r F r i st, d. h. entsprechend den Eingängen und unter Bc- rücksichtigung des Bedarfs aller seiner Kunden zu beliefern. Ter tote Zigeuner. Ein Zigeunermord in der Mark beschäftigt außer anderen Be» Hörden auch die Berliner Kriminalpolizei. Am 16. v. M. wurde in Liebenau in der Neumark ein Artist, der unter dem Namen Hugo Hoff und mit Ausweispapieren auf diesen als Zigeuner umherzog, von unbekannten Tätern e r sich o s s e n. Bevor das Verbrechen weiter aufgeklärt werden konnte, ist seine Witwe Emma geb. Heilig mit ihrem zweijährigen Kinde von Liebenau weitergezogen. Ihr Aufenthalt konnte bisher nickst ermittelt werden. Die Frau wird jetzt als wichtigste Zeugin zur Aufklärung des ge-
Ihr«.Seelettarzt*. Sie konnte ohne ihn nicht leben. Wegen Diebstahl und Unterschlagung hatte sich vor dem Schöffengericht Berlin-Mitte der Schriftsteller 5)ermann K a l s c i k aus Wien zu verantworten. Der Angeklagte erschien vor Gericht mit langwallcnder blonder Mähne, und' diese muß es auch wohl ge- wesen sein, bif besonderen Eindruck auf eine Frau I. gemacht hat, denn, obwohl sie verheiratet ist, hatte sie ein Liebesverhältnis mit K. angefangen. Ihr Liebestraum wurde aber bald bitter gestört. Eines Tages hatte ihr Angebeteter sich von ihr eine goldene Kette ausgeliehen, um damit den Prcssebvll zu besuchen. Bald daraus bemerkte sie auch das Verschwinden eines goldenen Ringes. Hierdurch schon an ihrem Liebhaber irregemacht, kam noch Eifersucht hinzu, als sie ihn bei einer Freundin in zärtlichem Beisammensein überraschte. Kurz ent- schlössen riegelte sie die Tür ab und machte dem Pärchen eine große Szene, der die Angehörigen der jungen Dame ein unsanftes Ende bereiteten. Da K. die Sachen versetzt hatte, lief die Betrogene zur Polizei und erstattete Anzeige. In der Verhandlung erklärte die Zeugin, weshalb sie sich als verheiratete Frau mit dem Angeklagten so weit eingelassen habe. Sie hatte geglaubt, ohne i hui nicht leben zu können, denn sie habe ihn als ihren S ee l e n a r z r angesehen, denn in dieser Eigenschaft sei derselbe ihr gegenüber auch immer aufgetreten. Dem Zweifel des Vorsitzenden, ob er übet- Haupt Schriftsteller sei, begegnete K. mit der Vorlegung einer Legitimation als Pressevertreter für die Konferenz in Genua . Zum Beweise dafür, daß er dieser auch beigewohnt habe, legte er eine Karte vor, die die Autogramme von Lloyd George , Rathenau , Wirth, Facta und anderen Diplomaten ent- hielt. Ter auf Antrag von Rechtsanwalt Dr. Ludwig Mayer ge- ladene Sachverständige Dr. Hirsch erklärte Kalscik für erblich er- heblich belastet und stark minderwertig. Das Gericht sah auf Grund dieses Gutachtens den Fall auch ziemlich milde an und bestraste K. wegen Unterschlagung und Diebstahl nur zu drei Monaten Gefängnis, die durch die Untersuchungshaft als verbüßt zu erachten sind, sowie zu 200 000 Mk. Geldstrafe.
Ein Opfer des Sturms. Der Sturm, den wir jetzt häusig zu spüren bekommen, hat gestern ein Menschenleben als Opfer gefordert. Ein Arbeiter, der auf dem Dach des Schulhauses in der Olivaer Straße beschäftigt war, um Deckenreparaturen auszuführen, wurde vom Sturm erfaßt und stürzte auf die Straße. Aus dem Weg« nach dem Friedrichshain -Krankenhause erlag er seinen schweren Der- letzungen. Der Deutsche Arbeiler.ZNandolinisten.Bund erläßt einen Aufruf an alle Mandolinenvereine, in dem er feststellt, daß der größte Teil der Arbeiter- und Angestelltenschaft sich noch heute in bürgerlichen oder wild«n Vereinen aufhält. Der Bund hat sich die Aufgabe gestellt, dahin zu wirken, daß die Mandolinenmusik als ernst und vollwertig anerkannt wird. Die heranwachsende Jugend, die Lust und Liebe zur Erlernung eines Instrumentes hat, soll mit Rat und Tat unterstützt werd«n. Dazu ist notwendig, daß alle Arbeiter den bürgerlichen oder neutralen Mandolinmvereinen den Rücken kehren. Alle Arbeiter und Angestellten, die Mitglied eines Mandolinenvereins sind, werden ersucht, in d'chem Sinne zu arbeiten. Es Mutz rafür gesorgt werden, daß jeder Verein dem Deutschen Arbeiter-Mand« linisten-Bund sich anschließt. Sendet die Adresien von Vereinen, die dem Bund noch nicht angegliedert sind. Die Bundesleiwng setzt sich wie folgt zusammen: 1. Vorsttzender: Karl 5iopp, Adlershof , Handjcrystr. 12; 2. Vorsitzender: Karl Klodt, Adlershof , Oppenstr. 55: 1. Geschäftsführer: Gustav Natusch. Berlin W., Jaqowstr. 15; 2. Geschäftsführer: Alexander Jankowski, Berlin , Beusselstr. 42: für den Gau Mitteldeutschland : Paul Zumbusch, Magdeburg ö, Grusonstr. 8. Sämtliche Zuschriften sind an den 1. Geschäftsfiihrer zu richten. Bezirköbildnngsaueschuh Gros,-Berlin . Heute abend pünktlich 6 Uhr Sitzung des erweiterten BildungsauZschusses' in der Bibliotbck des BezirksbildungSausschusses, Lindenstr. 3, 2. Hof 2 Tr. Wichtige Tagesordnung. Die Fragebogen sind unbedingt mitzubringen. Bezirksamt Pankow . Am Sonnabend, den tK. Juni, findet im Bürgerpart in Pankow ein Sängertag statt. Es soll sich nicht um ein Wettlingen handeln, sondern es soll den Besuchern sür möglichst geringes Eintrittsgeld die Möglichkeit geboten werden, gute Mnlit und gut gesungene Lieder zu hören.
Ne.27? 40. Fahrgang
Das neue Mieterschutzgejetz. In der letzten Versammlung der Abteilungsmieter- Vertreter sprach Genosse Dzieyt üb«r das kürzlich vom Reichstag angenommene Mietschutzgesetz. Wie alle durch Kompromiß und geläufig« Kenntnis der Materie geschaffenen Ge- setze hat auch dieses mancherlei Schwächen zu verzeichnen, die auch der Referent erklärte. Durch das Gesetz, dos am 1. Ottober in Kraft tritt, werden bei den Amtsgerichten besondere Mietskammern ein- gerichtet, die bei richtiger Auswahl der Richter und der Laien- beisitzer wohl soziale Aufgaben erfüllen können. Ohne genügend substanzierte und begründete Klage kann ein« Aufhebung des Miels- Verhältnisses gegen den Willen des Mieters nicht mehr erfolgen. Reben bestimmten Sicherungen des Mieters gegen solche Auf- Hebungsklagen legt das Gesetz fest, daß auf bestimmte Zeit(ohne Kündigungsfrist abgeschlossene Verträge) gleichfalls nur vom Mieter oder mit dessen Einverständnis ohne Aufl)ebungsklige gelöst werden können. Der Vermieter kann auf Aufhebung, klagen, wenn«dem Mieter eine erhebliche Belästigung von Mitbewohnern des Hauses oder Mangel an gebotener Sorgfalt bei der Benutzung der Miet- räume nachgewiesen wird und eine Abmahnung des Vermieters erfolglos war. Klage auf Räumung seitens des Vermieters muß, wenn die Gründe stichhalttg sind, innerhalb 6 Monaten nach er- langter Kentnis von der Verfehlung erfolgen. Verjährung dieser Gründe erfolgt innerhalb eines Jahres. Auf Aushebung des M! e tv er hä l tn i ss e s kann bei monatlicher Mictzahlung erst nach zweimonatigem Rückstand geklagt werden. Bei Unkenntnis des Mieters über den rechtlich zu zahlenden Betrag kann die Auf- Hebung nicht erfolgen. Einem Verlangen des Vermieters, Räume zum Eigenbedarf freizugeben, kann nur bei genügendem Nachweis besonderer Dringlichkeit stattgegeben werden. In Berlin ist die Neuwohl der Beisitzer bei den Mieteiniungsämtern wegen dieses Gesetzes noch hinausgeschoben worden. Di« Beisitzer sind von den Mieter- und Hausbesitzerorganisation«n vorzuschlagen; zu den Sitzungen werden sie der Reihenfolge nach von der Behörde heran- gezogen. Als ein besonderes Teilgebiet ist das Mietrecht aus dem allgemeinen Reichsrecht losgelöst worden. Wenn uns das Gesetz auch nicht bcstiedigt, so müssen wir es doch soviel wie möglich ausnutzen.— Genosse Rüben wies in der Diskussion an Hand einzelner Gesetzesbestimmungen nach, wie dringend erforderlich eine eingehende Aufklärung der Genossen sei, damit nicht die Gegner aus dem Gesetz ein Werkzeug gegen die Mieterschaft mache. Auf seine Anregung hin wurde der Ausschuß beausttagt, sich mit der Reichs- und Landtagsstaktion wegen der Ausführungsbestimmungen ins Benehmen zu setzen. In der Debatte zum zweiten Punkt„Berechnung der Vortierumlagen" kam das Widersinnige der betr. Berlin «? Magistratsbestimmung zum Ausdruck. Fast in jedem Hause liegen die Verhältnisse anders; wie nun die Berechnung vor sich gehen soll, darüber müssen sich Mieter bzw. Mietervertreter jedesmal mit dem Vermieter herumstreiten. Zum Schluß wurde ein noch stärkeres Interesse der Partei an den Mieterfragen gefordert.— Beschlossen wurde noch, die Versammlung an jedem 1. Dienstag im Monat abzuhalten._
Prozeß Kehn. Die Großbanken sollen schuld sein. Iin weiteren Verlaufe des Prozesses wurde in sehr aussührlicher Weise das Verhalten Köhns zum Müller-Konzern «rörtert. Köhn erklärte, daß«s sein Prinzip gewesen wäre, sowohl die Einzahler als auch die auf schwachen Füßen stehenden Weit- konzerne zu schützen. Aus diesem Grunds erließ er«in Rundschreib«n an sämtlich« Konzerne, um mit einem«inen Trust zu gründen zur Abwendung aller Gefahren. Hierbei waren auch die Gefahren, vi« von den Behörden, der Staatsanwaltschaft und dey Finanzämtern drohten, ins Auge gefaßt. Bei der Konferenz der Wettkonzern« im Atlantic-Hotel in Hamburg hatte er den Vorschlag gemacht, gewisser- maßen einen Stützungsfonds für notleidend« Weit- konzerne zu gründen. Der Angeklagte Köhn muß dann weiter einräumen, daß er den ganzen Müller-Konzern vor dessen Zusammenbruch übernommen IM und daß er ebenso mehrere Millionen in den damals schon ver- krachten Union-Konzern in Hamburg hineingesteckt hat. Er muß sich hierbei von Landgerichtsdirektor Siegert den Vorwurf ge- fallen lassen, daß er mit unverständlicher Leichtfertigkeit und Le i ch t g l ä u b i g k e i t mit den Geldern der Einzahler ge- wirtschaftet habe. Köhn erklärt« u. a., daß er zugeben müsse, daß
-ii Als die Wasser fielen. von Otlo Rung. Er begann in kleinen Kreisen um Guds herumzugehen. „Sie ist mein ProtegH", erklärte er.„Ich traf sie zum ersten Male gestern im 5)ause von gemeinsamen Freunden. Dort tonnte sie nicht bleiben!� fügte er hinzu. Er schüttelte den Kops.„Nein, es ließ sich nicht mackzen. Es war kalt, sie hatten auch nichts zu essen, und außerdem waren sie auch alle zusammen weggereist, ja!" W „Aber ich muß Ihnen erklären," fuhr er fort,„warum wir so spät an Bord kamen, obwohl wir heute morgen um neun ausbrachen. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, verstehen Sie, wo in der Hölle Beß Ruthby lag! Ich habe sie bis heute nie zu sehen bekommen. Aber als ich Fräulein Gerda— das ist ihr Vorname, ihr Nachname wird mir später noch einfallen—, als ich sie in eine Droschke gepackt hatte, fuhren wir erst zum Bahnhofsrestaurant und tranken Schokolade. Der Kellner wußte nicht, wo Beß Ruthby lag, und so fuhren wir nach dem Fredcriksholrner Kanal; dort hat ein alter See- mann, der Boote ausleiht, seinen Stand. Bei ihm mietete ich die Jolle. Bei allen Leichtern und Hafenfähren, an denen wir vorbeikamen, fragte ich nach Beß Rulhby. Ein Idiot auf einer Motorfähre jagte, daß sie im Börnehusgraben läge. Da fuhren wir also hin. Wir ruderten durch alle Kanäle und schließlich südwärts bis ungefähr zu den Duc d'Alben. Da- rum, verstehen Sie, hat es so lange gedauert, bis wir kamen, Herr Gude." Rustad beugte sich über Gude. Seine Augen wurden schmal und drohend: „Sie erlauben wohl, Herr Ende, daß die junge Dame ein Unterkommen hier an Bord erhält?" „Sie setzen also voraus," lächelte Gude ein wenig kühl, daß ich ohne weiteres den Platz räumen sollte, nachdem ich mich hier doch vollkommen eingerichtet habe!" Herr Rststad besah seine Stiefelspitzen: seine Miene wurde mutlos. Dann putzte er sich schallend die Nase. „Als ich meinem Gast anbot, sich hier an Bord nieder- zulassen," sagte er niedergeschlagen,„meinte ich, daß die Idee originell und neu war. Aber hören Sie, wie merkwürdig: Ich hatte zugleich eine Vorstellung davon, daß ich dies schon einmal früher erlebt hätte. Sie kennen das Phänomen, Herr
Gude: Das Bewußtsein spaltet sich, nicht wahr?— wie wenn die Gläser in einem Opernglas zwei Bilder zeigen und nicht eines. Aber jetzt sehe ich:"— er machte eine weit ausladende Handbewegung—„ich habe die Geschichte schon tatsächlich einmal erlebt! Ich habe Ihnen das Schiff wirklich vermietet. Und das hatte ich vergessen!" Er trocknete sich die Stirn mit einem Taschentuch, das von Ssewasser triefte. „Die Jolle muß um drei Uhr abgeliefert werden," sagte er niedergeschlagen,„der Besitzer hat meine Uhr zum Pfand bekommen. Ich muß jetzk fort." Er wandte sich um:„Die junge Dame darf also bleiben?" „Ich werde mich so entgegenkommend stellen, wie ich kann", antwortete Gude.„Sie wissen, ich habe meinen Aufenthalt hier an Bord gewählt, um Ruhe und Platz für meine Arbeit zu haben. Den Rest der Frage überlasse ich Ihnen." Rustad sah ihn an und nickte gravitätisch:„Dann teilen wir!" Er griff in die Manteltasche und holte ein mit blauem Papier umwickeltes Stückchen Kreide, offenbar von einem Villard, hervor. Mit geübter Hand zog er mittschiffs einen schnurgeraden Strich über das. Deck. Er oerbeugte sich tief ernst vo? Gude und ging nach achtern, augenscheinlich zu- frieden mit der getroffenen Ordnung. Ein wenig aus dem Gleichgewicht geraten, ging Gude in seine Kajüte, um zu arbeiten. Als er gegen sechs Uhr wieder an Deck kam, sah er zu seinem Erstaunen, wie eine kleine weißlackierte Karosse von Nyhavn auf den Kai gefahren kam und vor dem roten Packhause hielt. Zwei Ponys mit schellen- läutendem Geschirr aus rotem Saffian zogen sie. Aus dem Bock saßen zwei weißgekleidete Knaben,.der eine ein Mohr, braun wir Schokolade, der andere blond wie Marzipan, und über der Karosserie stand mit feuerroter Schrift auf einem Schild:„Diner trrmsportadie". Herr Rustad zeigte sich achtern und schwenkte majestätisch wie ein Geist der Lampe die gewaltigen Arme. Und die beiden Knaben, der weiße und der schwarze, trugen hoch in den Händen mit blanken Kupferdeckeln zugedeckte dampfende Terrinnen und Schüsseln über die schräge Landungsbrücks an Deck der Beß Rhuthby. Rustad wies sie mit einer fiirst- lichen Handbewegung in das achtern gelegene Deckhaus. Gude schüttelte den Kopf: J�tzt fehlen nur noch ein paar Geister mit einem Möbelwagen, dächte er. Und zwei Stunden
später sah er auch einen Transportwagen auf dem Kai halten. Neben den Leuten auf dem Bock faß, die Hände auf den Knien, Edwin Rustad, und die Männer begannen unter seiner Aufsicht an Deck zu schleppen: ein Nußbaummöblement mit hochroten Plüschbezllgen und Quasten, einen Schlafdiwan und zwei ältere Brüsseler Teppiche sowie einen kleinen runden Waschtisch. Besser könnte es nicht werden, dachte Gude, wenn Aladdins Schloß an einem Tage erbaut werden sollte!— Noch spät am Abend saß er bei seiner Arbeit. Gegen zwölf Uhr wurde deutlich, offenbar mit einem Schlüssel, an das Skylight über seinem Kopfe geklopft. Gude drehte die Schirmlampe und sah Rustads riesiges Gesicht, weiß beleuchtet, sich wie einen Vollmond aus der Nacht abhebend. Sein Mund bewegte sich, offenbar sprach er und ging davon aus, daß jedes Wort gehört würde; er ließ sich nicht stören. Ende winkte, daß er hereinkommen sollte und schob die Papiere auf dem Tisch beiseite. Rustad bückte sich unter dem niedrigen Eingang und kam herein. In den Falten seines Paletots brachte er eiskalte Nachtluft mit, die herausstob, als er den Mantel öffnete. Er sank lautlos auf das Sofa nieder, das erst eine Weile später unter seinem Gewicht zu krachen begann; mit dünner Stimme hustete er und bat um Feuer für seine Zigarre. Als Gude ihm eine neue aus seinem Etui anbot, erhob und verbeugte er sich. zündete aber seine eigene an, die dick und schwarz war und wie die Blüte von ganz Havanna duftete. „Der Patientin geht es jetzt besser", sagte Rustad.„Aber sie hat nicht das geringste von dem Diner gegessen, das ich an Bord transportieren ließ. Ich mußte alles selber essen. Ich hätte ja Herrn Gude einladen sollen. Aber ich wollte nych nicht aufdrängen!" Jetzt schliefe die Patientin, erzählte er. „Das Licht in ihrer Kajüte war ausgelöscht, als ich gegessen hatte." Aber jetzt erlaubte Herr Gude doch wenigstens, daß er ihn zu einem Glase Whisky— vortreffliche Marke— einlüde. Er holte eine viereckige Flasche aus der inneren Tasche hervor. Gude konnte nicht abschlagen und holte Gläser. „Danke, am liebsten ohne Wasser!" unterbrach Rustad schnell und schenkte ein. Gude mußte sich darein finden, sein Glas ein Viertel voll mit dem schwefligen Getränk gegossen zu sehen. Er beeilte sich, es mit Kapitän Samuelsens Gemeinde- wasser zu verdünnen. (Fortsetzung folgt.)'