Nr. 303 40. Jahrgang
2. Beilage des Vorwärts
Was fängst Du mit Deinem Urlaub an?
Antworten aus unferem Leferkreise.
Sonntag, 1. Juli 1923
und Wanderstab aufs Geratemoh! 5 Tage in den Harz. Wie wir es machen: Als Kinderlose( leider) fahren wir vor oder noch den großen Ferien, um anderen nicht Platz fortzunehmen. Sonntage sind, weil teuer und befegter, möglichst zu meiden. Abfahrt eines Dienstags ganz früh, bis Potsdam Vorort-, ab Potsdam Fernzug. Erhebliche Ersparnis. Rückfahrt am Sonntag. Früh= st üd: Frühkaffee läßt man fich doppelt geben, füllt beide geldflaschen, Mutter macht gleich Stullen wie sonst zur Arbeit. Da ist unterwegs in 10 Minuten abgefrühstückt( auch wie sonst). Bäche und Quellen finden wir immer im Harz. Mittag: Ersten Tag gibt es den mitgenommenen Kartoffelsalat und( Pferde-) Buletten, legten Tag wird spät zu Hause bei Muttern gefuttert. Die andern vier Mittage find sicher noch zu bezahlen. Spätmittagessen gewohnt, fuchen wir solches im Nachtquartier zu bekommen, also fein unnüzer Aufenthalt und Ersparnis.
Die am vergangenen Sonntag veröffentlichten Eingänge etwas größere Tagesleiftung vollbringen, um wieder nach Hause zu unserer Rundfrage behandelten im wesentlichen das Grund zu gelangen. problem ,, Urlaub" während einer Periode der wirtschaftlichen Ich möchte jedem, der sein Rad täglich benutzt, um zur Arbeit Not in seinen vielfältigen Beziehungen zur Arbeiter- und zu gelangen, empfehlen, es mal mit einer mehrtägigen Radtour zu Angestelltenschaft. Die Reihe der Zuschriften, die schon in den versuchen. Die Angst vor Bannen, die diesem und jenem vor fo etwas zurüdhält, ist auch hinfällig. Denn ein Reifenschaden ist bald ersten Tagen sehr reichhaltig mar, ist inzwischen wieder be- behoben und Brüche sind doch bei einem einigermaßen guten Rad deutend angewachsen, so daß wir uns darauf beschränken so gut wie ausgeschloffen, oder zumeist auf die Unvorsichtigkeit des von fleinen Wirtschaften alle Schwarzen Adler" und" Deutsche Nachtlager: Alle großen Hotels werden streng gemieden, müssen, viele nur teilweise und soweit wiederzugeben, als sie Fahrers zurückzuführen. Es braucht ja nun nicht gleich eine Tour von Kaiser ", aber in Zahlstellen der Gewerkschaften( Platate achten) nügliche Anregungen enthalten. Wir veröffentlichen heute eine solcher Entfernung zu sein. Vielleicht eine Fahrt durchs Oderbruch , ist man oft ganz mütterlich aufgehoben. Weift man sich als BerReihe praktischer Vorschläge, die die wirtschaftliche Seite der oder den Spreewald, oder Berlin - Freienwalde , Eberswalde , Fürsten - liner Genoffe aus, findet man noch recht anregende Blauderstunden. Frage wesentlich mit in Betracht ziehen und sich wohl zum berg i. M.- Berlin , oder irgendeinen anderen Teil der Mark. Nur 2uch in kleinen Benfionen und aufs Geratewohl bei Privaten größten Teil auf eigene Erfahrungen der Einsender stüßen. raten möchte ich jedem, sich so einzurichten, daß er wohl Kur- und fanden wir faubere, gute Aufnahme. Doch übernachte man Badeorte besichtigt, aber zum Uebernachten ein abge- nie an großen Orten wie Braunlage , Thale usw. sondern legenes Dörfchen aufsucht. an fleinen Orten zuvor oder dahinter; auch taufe man dort alles Fehlende für den nächsten Tag ein.. Handtuch und Seife sind selbst zu halten.
Auf dem Rade ins Riefengebirge.
Bei Gesinnungsgenossen.
E. D.
Nachtvögel.
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Als Mitglied des Arbeiter- Radfahrerbundes Solidarität" bin Was ich mit meinem Urlaub anfange? Ich gehe wiederum Kleidung: Anständig, aber derbe. Stiefel ebenso. Frauenich eifriger Anhänger des Radsports. Da doch nun der Radsport gerade unter der Arbeiterschaft viele Anhänger hat, bin ich der An- Parteigenossen aufs Land, nach Nordbayern, ins herrliche hut und Korsett bleiben zu Hause. Will man auf den Brocken, Fichtelgebirge . Wenn nur alle Genossen, die Urlaub erhalten, ist marme Unterkleidung und Dede nötig. Schon acht Tage ficht, daß meine Ausführungen vielleicht manchem Arbeiter von diesen so gut verbringen fönnten wie ich, so wäre allen geholfen. zuvor und bei der Wanderung Füße pflegen. Täglich waschen und Nugen sein können. Ich benuze jedesmal meinen Urlaub zu einer Es scheint nun auf den ersten Blick nicht sehr verlodend, nach ausgiebig einfelten. Ist man länger unterwegs, ist entschieden Ferientour per Rad. Go habe ich schon die ganze Mark Bayern zu gehen, in dieses Ordnungsland", wo Hitler - Horden ratsam, einen Kocher mitzunehmen. Hände sind immer frei Brandenburg , den Harz , Stettin , Ostseebäder, Insel Rügen , Riesen- hausen und alle Augenblide eine neue Ausnahmeverordnung die zu halten, also Rucksäcke, jeder einen. Die Kosten? Ich gebirge und Sachsen bereift. Das schönste bei einer Radtour ist, Gemüter erfreut. Aber gemach! Im nördlichen Teile Bayerns herrscht hoffe bestimmt, mit einem Wochenlohn auszukommen. 3. B. verdaß man von keinem Fahrplan abhängig ist. Man fann bei der ein anderer Geist als in München . Oberfranken , der am fauften Bekannte ein entbehrliches Bild als Glas- und Rahmenwert. Fahrt viel besser Land und Leute studieren als bei einer Bahnfahrt. nördlichstgelegene Regierungsbezirt, hat sehr viele fleine Lufttur 60 000 m. Reisezuschuß war da. Wollt ihr, so könnt ihr in o es einem gefällt, macht man halt, und überall fann man orte. Im romantischen Fichtelgebirge stößt man alle halben Stunden den Harz. G. N. fast bis vor die Tür fahren, wenn man so sagen darf; denn auf einen. Von den vielen seien erwähnt: Wirsberg , Kupfer= der Radfahrer ist ja in der Lage, fast jeden Weg und Steg zu berg , Marttschorgast, Berned, Goldmühl, Bibenutzen. Die diesjährige Ferienfahrt, die nach dem Erzgebirge fchofsgrün, warmensteinach, Fichtelberg, unund Thüringen geht, soll nach dem Muster der vorjährigen aus- fiedel, Alexanderbad. Dort ist fast überall die Sozialgeführt werden. An der Fahrt nahmen damals teil meine Frau demokratie festgewurzelt und in den meisten Orten sind unsere In den Sonnabendnächten schäumt die Friedrichstraße nur so und noch drei Sportgenossen. Auf Grund unserer Er- Barteigenossen in der Mehrheit. Ein hübsches Beispiel von wackerer über von dem lauten Schreien und Scherzen, der Heiterkeit und fahrungen famen wir zu dem Entschluß, uns nach Möglichkeit selbst Barteiarbeit kann ich aus dem Fichtelgebirgskurort Goldmühl dem zügellosen Hallo einer großen und genußgierigen Menschheit. zu beköstigen. Nachdem wir uns gehörig verproviantiert hatten, berichten. Dort erhielten bei den Wahlen zur Nationalversammlung Vor den Kneipen, Kaffeehäusern, den vielen Dielen und Zylindertraten wir an einem schönen Julisonnabend gegen Abend unsere die Sozialdemokraten 181 Stimmen, die Gegner miteinander Fahrt ay. Sie ging von Neukölln über Mittenwalde bis zum 7 Stimmen. U niere Genossen in den Fichtelgebirgsorten destillen, die heute alle mit Musite" ausgestattet sind, stehen und Leupigfee, wo wir unser 3elt aufschlugen. Als wir am haben zumeist 3in er an Sommer gäste zu vermieten. Sie stauen sich die Bassanten. Nach 12 Uhr nachts aber, wenn die Lofale Gonntag früh Kaffee gefocht hatten und unsere Räder gepackt waren, find feine Wohnungswucherer, sondern geben es zu fehr mäßigem geschlossen haben, schiebt sich ein breiter Menschenstrom über die ging die Fahrt weiter. Wir fuhren über Baruth . Golßen, Kalau . Preis ab. Manche Genossen befizen ein ganz ansehnliches land- Friedrichstraße. Es ist alles genau so wie es früher war, wie„ im Im Walde hinter Kalau machten wir Mittag. Das Fleisch dazu wirtschaftliches Anwesen. Bei ihnen ist die Unterkunft schon um Frieden", als die Friedrichstraße in ihrer Sünden Maienblüte" hatten wir uns schon fertig zubereitet mitgenommen. Hier fanden deswillen angenehm, weil für Verpflegung durch Eigenproduktion stand. Nur eins ist anders geworden, ein neues ist hinzugewir auch soviel Pfefferlinge, daß wir gleich für den nächsten Tag( Brot, Kartoffeln, Milch, Butter, Eier, Speck und Fleisch) gesorgt kommen, Nachtvögel schwirren umher, stehen lauernd unser Mittagessen hatten. Wir setzten unsere Fahrt über Senften ist und die Kosten dafür nicht unerschwinglich find. Das Fichtelberg fort, wo wir die Kohlengruben zu sehen befamen, bis gebirge hat wunderbare Reize und Naturschönheiten, prächtige Straßenecken und stoßen auf die heimwärtswankenden Bassanien. Liste. Einsetzender Regen und Kälte zwangen uns ein Gasthaus birgsbächlein und eine gegen Fremde sehr zuvorkommende Be- Schwimmt man mit in diesem Strom die Friedrichstraße hinumter, aufzusuchen, wo wir ein gutes Strohlager gratis befamen. pölkerung. Dorthin gehe ich auch in diesem Jahre wieder! Bei einem schlängelt sich einer der Nachtvögel geschickt und unauffällig an Am Montag ging unsere Fahrt durch Spremberg , Mustau, Niesky bekannten Genossen fehre ich ein und helfe ihm bei der Heu die Seite des Heimwärtsftretenden und flüstert ihm ins Dhr: nach Nied.- Rengersdorf. Im Walde kurz vor Niesky bereiteten wir ernte, wenn ich Langeweile bekommen sollte. Für geringes Geld Wollen Sie Nackttänze sehen? Feine Weiber, bildhübsch, ganz unsere Pfefferlinge, und beraubten den Wald um die dort in Fülle erhalte ich Speise und Trank und Woheung. Und wenn auch jung, hier gleich in der Nähe, Friedrich- und Zimmerſtraßenede." wachsenden Blaubeeren. In Nied.- Rengersdorf mußten wir wegen andere Genossen dort ihren Urlaub verbringen wollen, so mögen Ein anderer lodt mit listigem Augenzwinkern:„ Spielchen gefällig? Kälte im Gerichtskretscham übernachten. Dienstag fonnten wir sie sich nur vertrauensvoll an die sozialdemokratische megen Regen erst um 12 Uhr weiter fahren. Es ging über Ortsverbandsleitung einer der oben angegebenen Orte Gaz ohne Risiko! Unbelästigt von der Polizei! Paar Häuser von Görlig, Lauban , von wo man schon das Gebirge fieht, über Greiffen- wenden. Diese werden gern bereit sein, den norddeutschen Partei- hier, in der Krausenstraße." Meiftens haben diese Anreißer einen berg nach Gr.- Stödigt, wo uns eine ungewollte Banne Halt gebot genossen billige Unterkunft zu vermitteln. Die Fahrt geht über guten Riecher. Sie irren sich selten in der Person. Sie sehen und und unser gestecktes Tagesziel nicht mehr erreicht wurde. Immer Leipzig . Plauen , Hof nach Wunsiedel , oder von Hof nach Neuen suchen nur nach Bossanten, die die Provinz nicht verleugnen fönnen. gewannen wir den Eindruck, daß, je mehr man sich abseits von markt- Wirsberg und von dort aus mit der Lokalbahn ins Fichtel- und dann sieht man sie mit ihrem Opfer abbiegen aus dem Gewoge ben zentralen Berkehrswegen und mitteln hält, man gebirge, oder aber bis Bayreuth und von dort mit der Lokalbahn und in einer Seitenstraße verschwinden. Kommt es aber einmal um so billiger lebt. Am Mittwoch in aller Frühe ging es weiter nach Warmenſteinach. por, daß sie sich an den Unrechten gewandt, gleich wird es von anburch start bergiges Gelände. Wir tamen durch Ottendorf, LangEin kinderlofes Ehepaar. deren, die diesen Betrieb organisieren, dirigieren und überwaffer und Spiller, drei sehr lange schlesische Dörfer, welche viel Aehnlichkeit mit solchen im Schwarzwald haben, nach Hirschberg. Dant für die Rundfrage so schreibt eine Leferin, die Frau wachen, bemerkt. Schnell sind sie zur Stelle und flüstern:„ Laufen Bon dort durch Warmbrunn nach dem Kynast. Nach Besichtigung der eines Drehers besonders für das verständnisvolle Gedenten der lassen!" Ruine ging die Fahrt weiter durch Agnetendorf , Giersdorf, Seidorf, 3wangsfeiernden. Was jenen heute, ist uns morgen beschieden, Diese Warner sind die reinsten Galgenphysiognomien, wie aus Arnsdorf nach Krummhübel , wo wir im Gasthaus Zum Riefen- drum im Troß: Schafft euch Feiern, Feste, Ferien, folange es fich dem Verbrecheralbum herausgeschnitten. In ihren Gefichtern lieft rebirge" ein gutes und billiges Quartier fanden. Nachdem wir die irgendwie ermöglichen läßt. Es ist tragisch, daß ewiges Ent- man von so manchem Jahr Zuchthaus, und man braucht die Schneekoppe bestiegen und einige fleine Radschäden beseitigt hatten, behren und Berzichtenmüssen glauben macht, der Harz , der Spree - dunklen Ehrenmänner nicht lange anzublicken, um zu wissen, daß sie ging es durch Zillertal , Erdmannshof, Hirschberg , Mauer, wo wir wald, Thüringen , Rügen, das Riefengebirge, die Sächsische Schweiz vor nichts zurückschrecken. Anders die Nachtvögel, die dressiert die Talsperre besichtigten, wieder nach Gr.- Stödigt. Da gab es feien nichts für uns Arbeiter". Macht euch frei von dieser so richtige Radlerportionen. Am Sonnabend fuhren wir über Greiffen- falschen Ansicht. Fühlt euch ein durch Vorträge( Urania , Stern- find, auf naive Passanten zu stoßen und sie in allerlei Lasterhöhlen berg, Lauban , Görlig, Niesky nach Rietschen , wo wir bei einem warte usw.), Bücher bei Bekannten oder in Bibliotheken, und wird zu verschleppen. Meistens sind es blutjunge Burschen, die von den Chausseewärter übernachteten. Am Sonntag, dem letzten Tag unferer die Sehnsucht Wirklichkeit, so grüßt ihr jubelnd„ eure" Bastei ,„ euer" Stellen und Stätten, wo man auf die Dummen wartet, gut bezahit Man findet unter ihnen nicht Sour, mußten wir, gezwungen durch die Panne tags zuvor, eine Stubbenkammer,„ euer" Bodetal. So geht es also mit dem Rucksack werden für diese Echlepperdienste.
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Als die Wasser fielen.
Sie hob den Kopf:„ Haben Sie schon gegessen?" fragte fie. Wollen Sie nicht mit mir essen? Das Kuvert, das ich an Bord bekomme, ist so reichlich, daß genug für zwei da ist. Und mas das Geschirr betrifft, so helfen wir uns wohl mit dem Inventar der Kambüse."
„ Wir beßelfen uns schon." Er verbeugte sich. Ich danke Ihnen sehr."
„ Sie müssen nicht mir, sondern Herrn Rustad danken. Und ich hätte gewünscht, daß er als Dritter mit dabei wäre! Ich bin böse auf ihn, weil er mir seine Adresse nicht geschickt hat. Aber ich weiß ja, daß er seine guten Gründe hatte, wenn er fortreiste."
„ Sicher!" räumte Gude ein.
„ Er arbeitet," erklärte Gerda, und will nicht gestört merden; menn er arbeitet, ist er mie ein Orfan mit Bliz und Donner. Reiner darf ihm zu nahe kommen! Im letzten Jahre malte er meine beiden Freundinnen, die Zwillinge. Wenn fie nur mit den Augen blinzelten, raste er wie ein wildes Tier. Stundenlang ließ er sie ohne eine Sefunde Unterbrechung stillftehen, obgleich er sie fast gar nicht ansah, während er malte. 2lber er konnte hören, wenn sie auch nur von einem Fuß auf Den andern traten und ihre Schuhe fnirschten. Dann fuhr er mit Gebrüll über sie her und wollte sie schlagen. Sie weinten jeden Tag, wenn sie nach Hause kamen, aus Müdigkeit und itgst vor dem nächsten Male. Aber im übrigen sagte Rustad felbst, daß er nie wieder Zwillinge malen wollte. Man würde schieläugig davon, behauptete er!"
Blötzlich schwieg fie. Sie sah zum Licht empor, wandte ihm darauf langsam das Haupt zu, begegnete aber nicht ganz feinen Augen. Sind Sie böse," fragte sie, wenn ich eine Stunde arbeite, ehe wir essen?"
Sie rollten die schwere Staffelei an Ded. Er spürte das Feimliche Zittern ihrer Hände.
Im allgemeinen hielt er nichts davon, daß Frauen sich mit Runit obgaben. Den besonderen Farbenfinn, der in unferer Zeit für das höchste Talent gilt, fand er selbst bei Männern feminin und weichlich; und in Frauenhand geht Der letzte Rest von Struktur verloren, der Kunst ihren Wert perleiht, and
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E. N.
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Er wünschte fast, jetzt, da Fräulein Gerda ihr Bild auf, verheimlichte sie ihm nicht. Die beiden letzten Jahre waren die Staffelei stellte, das Auge, mit dem er sah, schließen zu wie ein Rausch: Es war die große, üppige 3eit für sie und fönnen. Wäre es noch eine Kunstweberei oder eine Sticke- ihre Kameraden, es waren die abenteuerlichen Jahre, da die rei gewesen! Konjunkturen auch in der Kunst den Ausschlag gaben und Nachfrage nach bemalter Leinwand in Tausenden von Metern für die Paläste der neuen Reichen herrschte. Er ahnte, daß es für sie eine Zeit starken Erlebens in einem wild übermütigen Kreise junger Leute gewesen war. Sie sprach jedoch nicht viel über jene Tage und nur äußerst wenig über ihre Kameraden. Wo mochten die jetzt sein, da die goldene Zeit vorbei war! Es hätte, erzählte sie, damals angefangen, als sie noch in den alten Münzhof ging.
Sie begann zu malen. Sie hatte ihn nicht angeblickt, hatte nicht mit einer Miene gezeigt, daß sie ein Urteil von ihm über ihr Werk zu hören erwartete. Er verhielt sich schweigend.
Es war ein Motiv vom Hafen. Die Malart war die der letzten Periode: hart gegeneinandergefeßte flingende Farbflächen. Die Technik war in Ordnung; aber er sah fein Zeichen von Talent. Eines verstand er jedoch: Sie gab sich die größte Mühe, begnügte sich nicht mit einer bloßen Wiedergabe der Natur. Sie wollte aus sich selbst heraus schaffen. Schön, sie war tapfer und verdiente Respekt! Das stand fest: In dieser Art von Kunst fand sie nicht den Ausdruck ihrer Seele. Ob sie das wohl selbst ahnte, die Binfel mit zusammengebissenen Lippen, die Pinsel in der fleinen tollfühnen Hand, dastand?
Auf einmal sah er, daß sich verschiedene Farben nicht auf ihrer Palette befanden. Der Kasten zu ihren Füßen mar mit ausgeflemmten leeren Tuben angefüllt. Er dachte sich, daß es Farben wären, die am teuersten waren. Sie war auf schmale Ration gesetzt; der Tag würde kommen, da alle ihre Tuben leer waren. Er grübelte: Und was dann?
Doch er bewunderte ihren Mut. Sie stand fest in den feinen Ladschuhen, wohl den einzigen, die sie besaß, und trug die Balette wie einen Schild; mit dem Bündel von Pinseln in der Hand glich sie einem blutjungen zielenden Bogenschüßen. und er sah, daß alles im Meer und in der Luft, was sie in der Farbe festzuhalten suchte, in ihr selber lebte, ihre Bupille zeigte den Schimmer des Lichtes, das über dem Strome spielte, ihre Wangen waren frisch vom Hauch des Westwindes.
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Es war ein Stück vom Meere in ihr und war das nicht genug?
Sie aßen zusammen. Edelmütig teilte sie ihre Portion mit ihm. Darauf saßen sie in ihrer Kajüte.
Wie stets, wenn sie erzählte, troch sie auf dem Stuhl zu sammen und versteckte ihre Füße unter dem grünen Rock, die Wangen wurden heiß, selbst die Haut des entblößten Halfes erhielt eine leuchtende Röte.
Bon dem alten Münzhof bis zu den Gärten der Kunstakademie war es für die Kinder von Gammelholm nur ein Sprung, und schon, als sie noch ganz flein war, saß sie in der Pförtnerloge bei dem Beamten der Akademie, dessen Tochter ihre Spielkameradin war. Hierher kamen die jungen Maler aus der Schule und hielten bei einer Taffe Kaffee Palaver ab; der Pförtner war früher Modell gemesen; aber jetzt war er der allmächtige Ordner von Gips und Zeichenbrettern, Stundenplänen und Lichtbildern, der über jeden Schnörkel der dunklen Politik der Akademie Bescheid wußte und von seiner Hilfe bei tausend Vorträgen in der Damenwelt beliebter Professoren in der Kunst aller Zeiten bewandert war. Sicher war er der erste, der eine Persönlichkeit in dem kleinen Mädchen entdeckte, und er nahm sie mit in die Ateliers von Charlottenborg, wo fie Modell zu Genrebildern in jener Zeit der Idyllenmalerei stand.
Sie lernte die alten Professorenwohnungen hinter den.geheimnisvollen roten Mauern kennen. Es war ein uralter Akademielehrer, der in seinem Atelier Gerda wies auf sein Fenster im inneren Hof Charlottenborgs, das gerade jetzt in der Sonne blinkte mit nadelspigem Binsel„ Besuch bei der Unaufgefordert begann sie ihm von den ersten Jahren Großmutter" oder„ Auf den Weihnachtsbaum wartende Kinihrer Laufbahn als Malerin zu erzählen. Während fie ar- der" malte. Auf fünfzehn seiner Bilder war sie das bebeitete, hatte er nicht ein Wort gesprochen; aber was er dachte, rühmte kleine Mädchen, das bald mit einer farierten Schürze, verstand sie sicher. Es war auch etwas Gedrücktes, beinahe bald in rosa Tüll, immer aber mit einem Geficht wie Drops Demütiges in ihrem Ton, als sie ihm jezt erklärte, wie sie be- und Marzipan in tausend Heimen rings im Lande hing. gonnen hatte. Eigentlich war es ein Zufall gewesen, das
( Fortsetzung folgt.)