Nr. AZA ♦ 4H. Jahrgang
Seilage öes vorwärts
Vonnerstag, 19. Juli 192Z
Sommerliche Reiseerlebnisse.
Stimmungsmache.
Personenzug 8. Klasse zwischen Ducherow und Swine- münde. Lebhafte Debatte im Abteil. Ein Grvßmaul in der Ecks ruft:.An der janzen Ruhrjcschichte sind die Juden schuld!*„Nanu, warum denn?*„Ja seh'n Sie, Severing der muh zuerst weg!*{ ..Der ist doch kein Jude."„Jonz Berlin ist verjudet. ver-, steh'n Sie!*„Denn wär'n Sie doch auch Jude?*—„Ich weiß Bescheid in Berlin , alles Juden und Pollacken, faule Bande, alle Woh- nun gen kriegen die!*„Woher wissen Sie denn das?*—„Herr, ich bin Bezirksverordneter, Prenzlauer Berg , ver- steh'n Sie, ich kenne das Gesindel, wissen Sie, ich fahre jetzt rüber nach Polen , denn(leise ins Ohr flüsternd) ich bin Agitator— Stimmungsmache 4!!— Alle Pollacken müssen raus aus Deutschland !' „So, Sie sangen wohl schon an auszuwandern?*„Lassen Sie das, Herr— denn ich kenne die Pollacken, feige Bande, letztes Mal, wie ich drüben war, haben sie mir meinen Revolver abjenommen!* „Sehr vernünftig von den Leuten,* sage ich.„Herr, ich bin Be- zirkverordneter!"„Das ist mein« Frau auch, aber die würde sich schämen, so auf Berlin zu schimpfen!"„Herr, Sie beleidigen mich, wissen Sie nicht wer ich bin?— hier sehen Sie meinen Paß nach P o l e nl* Der Aetna war gar nichts gegen den Wutausbruch, der nun kam— aber da merkten wir, daß der Zug schon hielt, und die Stimmungsmache sprang hinaus und lief zum Bollwerk, um nach Polen zu segeln. „Nicht spucken.� Auf einer Station hatte ich Aufenthalt und ging in den Warte- saal. Fahre ich 3. oder 4. Klasse, gehe ich in den Wartesaal l. u n d 2. G ü t e. Man soll manchmal das„Milljöh* wechseln. Erst öde ich mich da, dann fällt mein Blick auf die Wand. Da hängen zwei überlebensgroße Kaiserbilder und dazwischen«in amt- liches Plakat: Man bittet, das Ausspucken zu unter» lassen. Bor wem und warum war auf dem Plakat gar nicht erläutert. /Us Aufpasser. An meiner Endstation treffe'ich meinen alten Freund vom vorigen Sommer.„Na,* sage ich,»habt Ihr nun endlich die gvnzm Schilder vom Bahnhof abgemacht, wo dran stand:„Königliche Esienbahndirektion*?"„Jau,* seggt der Olle,„bat Hebben wir— bis up ecns, dat hcbb ick hängen laten.* Und er führt mich in»ine duftere Ecke des Bahnsteigs und zeigt mir ein Plakat:„Dieser Ort darf nicht verunreinigt werden. Königliche Eisenbahndirettion." „Da kann er ja nu noch een bisken druf uppassen,* schmunzelte der Alte. Gemütskran?. Reben mir in der Pension wohnt eine Dame, sie hatte mir schon am ersten Tag« erzählt, daß sie Monarchistin wäre. Ich hatte daraufhin gefragt:„Aber sonst sind Sie doch gesund?* Seitdem waren unsere Beziehungen gestört. Gestern treffe rch sie am Bahn- Hof. Sie reist ab— zu ihrem Mann nach Liegnitz ,„Aber ich komme übermorgen wieder,* flötet sie,„ich will nur unseren Hund holen. Denken Sie nur, der arme Kerl, seit ich fort bin, frißt er nicht mehr, und der Tierarzt meint, er ist gemütskrank. 150 000 M. kostet mich die Reise hin und zurück, aber dafür geben wir es ja gerne aus.* Ich macht« noch einige sozialpolitisch« Be- merkungen über die Not, Kinder ohne Milch, ohne Hemd, alte Leute am Berhungern usw. Sie besteigt mit einem Dcrachtungsblick den D-Zug, und ich grüble darübch nach, wer denn eigentlich gemüts- krank ist, sie oder der Hund. öer Straaübrücke. Auf der von der Sonne beschienenen Brück« sitze ich allein auf einer Bank. Ein Herr stelzt auf mich los und schnarrt:„Gestatten Sie, hier noch ein Platz frei?"„Ja. aber für Sie nicht.*»Erlauben Sie mal,' prallt der Herr zurück,„was soll das heißen?'»Daß ich nicht mit Ihnen auf einer Bank sitzen will.*„Aber das ist ja ganz unglaublich, mir noch nie vorgekommen!".Möglich!"„Sie sind mir eine Erklärung schuldig, Herrrrl"»Gern«, vor einem Jahr schlugen Hakenkreuzbuben Rathenau tot, und Ei« tragen noch heute diesen Mörderorden— das ist es!"„Frecher Kerl, werde mich beschweren bei der Kurdirektion, unglaublich!" Und er stelzt weiter, sich den Aermel mit den hellgrauen Handschuhen abstäubend.
Es gibt keine komischeren Leute wie die Menschen. Auf der Promenade sah ich einen Herrn mit einem Hund, und dieser Hund hatte eine Decke mit Hakenkreuzen bestickt.— Im Familienbad saß eine Dame im Sand in einem schwarzweiß- r o t- g e st r e i s t e n Bademantel. Die sah ulkig aus, wie ein koloriertes Zebra. Auf dem— natürlich— Kaiser-Wilhelm-Turm wimmelt es von H a k e n kr« u z e n— ich dachte bisher, die gäbe es nur in Bedürfnisanstalten— und einen Vers fand ich auch: Heil dir im Hakenkreuz, Wotan vom Himmel streut's— Heil, Deutschland , dir! Stärk' unser junges Blut wider Verräterbrut, führ' uns zum Sieg empor. Heil Hakenkreuz! Fein, was? Und vis-a-�is las ich: O, alter Kaiser, steig her- nieder und führ uns wieder, dann schlagen wir die Welt von Feinden nieder, denn nur allein am deutschen Wesen, kann Gottes schöne Welt genesen!— Bums, basta— nun weißt du Bescheid, du lieber Gott.—
Rosen für alle. Vor einiger Zeit veröffentlichten wir an dieser Stelle eine kleine Abhandlung über Rosen, in der die traurig stimmende Tat- sache erwähnt wurde, daß die Rosen eigentlich nur für die Reichen da sind. Im Namen vieler Kleingärtner des Gaues Groß-Berlin wird uns nun eine Zuschrift gesandt, die nicht nur uns erstellte, sondern auch unsere Leser erfreuen wird. In dem Schreiben heißt es u. a.: »Es ist wahr, Rosen kaufen können sich heute nur die feinen Leute vom Kurfürst-ndamm, wobei man getrost an das Berliner Couplet denken kann:„Wer das Geld hat, der ist fein, braucht nicht erst gebildet stin." Die teuer gekauften Rosen wollen wir den Lebemenschen gönnen, denn sie verhelfen manchem armen Händler zu einem Verdienst und wir alle wissen, wie schwer es heutzutage ist, sein Leben zu fristen. Was uns aber betrübt, ist die Feststellung, daß arbeitende Menschen auf der Straße aufheben müssen, was übersättigte achtlos wegwerstn. Das brauchen unser« arbeitenden Volksgenossen nicht, sie dürfen und sollen auch nicht die Anlagen berauben und dort Rosen oder Blumen abpflücken. Hier gibt's einen Ausweg,— geht in die Kleingartenkolonien rund um Berlin —, nicht um dort zu mausen—, nein, bittet die Kleingärtner, Menschen der Arbeit wie ihr, euch einige Blmnen zu eurer Freude oder für einen erkrankten Mitmenschen zu schenken, denn vorkaust soll auf den Kleingarten kolonien des Reichsverbande» der Kleingartenver- ein« Deutschlands , Gau Groß-Berlin. nichts werden. Ihr werdet williges Entgegenkommen finden. Wir geben gern von dem was wir haben an die Volksgenossen, die sich in diesen harten Zeiten von ihrem Verdienst kaum das kaufen können, was.»um Leben nötig ist. In dieser Beziehung geht es uns ja wie euH, ober wir haben noch Blumen, die uns nach des Tages Last und Arbeit er- freuen, und von diesen Blumen wollen wir euch geben, um euch zu ersteuen....."__ 1. /lugost 1914.— 1. Nnguft 1923. Große Ariedenskundgebungen am 29. 3ulL Der Aktionsausschuß„R i e wieder Krieg* teilt un» mit: Anläßlich der neunten Wiederkehr des Tage» de« Weltkriegs. ausbruchs veranstalten die Kulturoerbände aller Länder unter Füh- rung der nationalen„Nie-wieder-Krieg'-Ausschüsse große Kund- gedungen für die endlich« Befriedung der Welt. In England, den Dominions, den Niederlanden , in Skandinavien steht die Forderung nach radikaler Weltabrüstung im Vordergrund« der Veranstaltungen. tn den Vereinigten Staaten von Amerika ist das Parolewort:„Law — not War*(Recht— nicht Krieg!). Der Hauptgedanke der beut- schen Kundgebungen ist die deutsch -französische Verständigung. Zu dieser Frage nehmen in allen Teilen des Reiches Redner aller Par- teien das Wort: die Mitwirkung namhafter Vertreter der stanzösi- schen Lintspolitik ist gesichert, so wird in Berlin u. a. der berühmte französische Physiker Prof. Lange» in, Mitglied der Sorbonne, das Wort nehmen. Di« Berliner Veranstaltungen finden auf und neben dem GcländedesGarnisonfriedhossinder Hasenheide, an den
Gräbern der Soldaten des Krieges, am Sonntag, das 29. Juli vormittags 10 Uhr, unter Mitwirkung zahlreicher künfklerischer Kräfte der Berliner Bühnen und Kapellen des Deutschen Musikcrverbandes statt._ Der Schöneberger Morö aufgekiär!. Der Täter, ein Schwerathlet, verhaftet. Ueberraschend schnell ist es den Ermittlungen der Kriminal- polizei gelungen, auch das zweite Kapitalverbrechen der letzten Tage aufzuklären. Der Töter wurde in den Kreisen gefunden, in denen man ihn bald nach der Entdeckung des Verbrechens suchte. Es ist ein Schlächter Alexander Hofsmann, ein unter dem Spitznamen „S ch l ä ch t e r- A l e x" bekannter Berliner Schwerathlet von ungeheuren Körperkräften. Der ermordet« Makler Friedmonn hatte, wie wir schon mit. teilten, unter Sportsleuten, besonders den Schwerathleten, viel« Bekannte und Freunde. In näheren Beziehungen stand er auch zum „Schlächter-Alex*. Ein Kampf zwischen dem schmächtigen Matttr und diesem Riesen, wie er nach dem Ergebnis der Obduktion statt- gefunden hat, mußte unbedingt zuungunsten Friedmanns avsfollen. Das Verbrechen steht in der Art der Ausführung in der Berliner Kriminalgefchicht« einzig da. Es spielen auch sexuelle Momente hinein. Es war ein schweres Werk, aus 2 00 Ver- d ä ch t i g e n, die in Betracht kamen, den richtigen herauszufinden. Nur durch unausgesetzte Ermittlungen, die Tag und Nacht an- dauerten, war es möglich, soviel Beweismaterial heranzubringen, daß Hofsmann festgenommen werden tonnt«. Dieser bestritt zunächst ganz entschieden, mit dem Verbrechen etwas zu tun zu haben. Unter der Last des Materials mutzt« er sich dann dazu bequemen, wenigstens einige Punkte zuzugeben. Hieraus bauten die Beamten weiter auf und so gelang es den Kommissaren endlich, den Athleten zu dem Geständnis zu bringen, daß er sich in der Wohnung Friedmanns aufgehalten habe. Schließlich gab er dann auch zu, daß er in dieser Zeit aus Anlaß seiner früheren Dezi:- Hungen zu riedmann mit ihm in Streit geraten sei. Aeußerungen des Maklers hätten ihn in«in« solche Wut oersetzt, daß er sinn- *5� ihn eingeschlagen habe, ohne zu wissen, was er tu«. Erst als fein Blutrausch vorbei gewesen sei, so sagt« der Ver» hastete weiter, sei ihm bewußt geworden, was er getan" habe. Wie von Sinnen� Hab« er aber noch eine Zeitlang dagesessen und dann fluchtartig die Wohnung verlassen. Wenn sich nun auch diese An» gaben mit der Sachlage nicht ganz decken, so ist c« doch nicht ganz ausgeschlossen, daß der Raub der großen Werte nicht von Hoff- mann selbst, sondern nachträglich im Laufe der Nacht von anderen verübt worden ist._ Urteile eilte« Markt-TSuchergcrichtS. Das Marktwuchergericht in Eharlottenburg hat gestern in den Räumen des Polizeireviers 125 getagt und verurteilte wegen Nichtauszeichnung von Waren den Kaufmann W. zu 100 000 M Geldstrafe oder 1 Taq Gefängnis für je 10 000 M., die Kaufmannswiwe F. zu 400 000 M. oder 1 Tag Gefängnis für je 40 000 M., die Kaufmannswitwe A. zu ISO 000 M. oder 1 Taq Ge- fängnis für je 2S 000 M. und den Geschäftsführer W. zu SOOOOO M. ober 1 Tag Gefängnis für je SO 000 M.: wegen Preiswuchers den Kartoffelhändler K. zu 2SOOOO M. oder 1 Tag Gefängnis für je IS 000 M., die Händlerin R. zu ISO 000 M. oder 1 Tag Gefängnis für je IS 000 M., den klcmpnermeister R. zu 100 000 M. oder 1 Tag Gefängnis für je 10 000 M.: wegen Verfälschung von Lebensmitteln und Preiswuchers den Kaufmann L. zu 7 Millionen Mark Geldstrafe, Einziehung der Vorräte und Maschinen, Publikation des Urteils und Aushang im Laden. Unfälle durch abstürzende Bauteile. In neuerer Zeit mehren sich die Unfälle durch Herabstürzen von Bauteilen infolge Nachgebens oder Zerstörung ihrer Befestigung«- mittel. Die Gefahr des Herab st Ürzens droht namentlich be, den Putzscholen der Häuser, bei den Stuckkonsolen von Balkon-:, und Gesimsen und bei solchen Bauteilen, deren Standfestigkeit in der Regel auf Hilfskonstruktionen aus dünnen Eissnstab- oder-droht- gebilden beruht, da diese einer schnellen Zerstörung durch Rost aus- gesetzt sind. Hier kommen namentlich Fahnenstangen, Schornsteine und ausgehängt« Blinddecken in Frage. Aber auch die Dach- und Bolkenkonstruktionen aus dünngliedrigem Eisenfachwerk sind der Gefahr eines Zusammenbruches ausgesetzt, wenn der vorgeschriebene Oelfarbenanstrich nicht in gewissen Zeiträumen erneuert wird. Es liegt im Interesse der Hauseigen tümer, die Gebäude innerhalb angemessener Fristen durch geeignete Sachverständige auf die erwähnten Gefahrmöglichkeiten untersuchen zu lassen
Als die Wasser fielen.
von Otto Rung . Plötzlich fiel ihr ein, tiah die anderen hungrig sein konnten, wie schämte sich, schüttelte aber aufgebend den Kopf: mit dem einen Gedeck konnte sie unmöglich alle vier bespeisen! � � Pauli lachte: Gewiß, er wäre mächtig hungrig— und noch durstiger! Aber es wäre schade, diesen Abend, wo sie als gute Bakkameraden an Deck versammelt waren, abzu- brechen. Jetzt müßten sie ihm nur erlauben, zu suragieren! „Ganz auf Zigeunerart! Alle Läden sind jetzt ge» schlössen. Aber ich übernehme es, alles zu schaffen, was das Herz eines Bohemien begehren kann. Wir sitzen hier als Seeleute in Nyhavn, und ich verspreche, daß alles, was wir erhalten, nach Nyhavn schmecken wird!' Er lachte dröhnend: „Wie Salz und Teer! Geben jöie mir eine Viertelstunde Ur- laub, und Sie werden sehen'.*, Mit einem Sprung war er an Land, wie sahen ihn die Straße am Kanal entlanglaufen. Als er zurückkam, war er mit Paketen beladen, daß er sie kaum schleppen konnte. Er lachte mit seinem ganzen breiten Gesicht wie ein freigebiger Weihnachtsmann.� «Seht her, Kinder, was ich für euch habe! Er schüttete Tüten und Pakete auf das Deck und nestelte sie auf. Der Schimmer in seinem Auge war hinterustig und neckisch, er kicherte wie ein Junge, der sich einen Streich er- sonnen hatte! „Jetzt sollt ihr Augen machen: Nyhavn A la carte!" Er breitete ein Tischtuch auf dem Deck aus und verteilte kleine Pappteller. Und dann packte er aus:„Hier kaltes ge» hacktes Beefsteak mit Zwiebeln aus Cafä Ausguck!* grinste er. Er legte ihnen Labskau und Frikadellen aus dem Cafä „Haltaus!" vor. Drei Ellen Bratwurst rollte er auf. Um die hatte er wie ein Laokoon mit dem Kellner der Wirtschast ,.5iaienruhe* gekämpft.„Der Bursche wollte nichts mißer dem .Hause verkaufen, und wir zogen Tau, bis ich gewann!" Im Keller unter„Hotel Hopsa" alias„Hotel zum König Oskar " war ein komischer kleiner Küfer, aber sein Wein war ganz cxtra— darin war Pauli Kenner! Hier waren warme Pea- xiuts zum Dessert-- von dem Kesselmann bei Charlottenborg
— sowie Apfelsinen und Bananen von dem Wagen, der an der Ecke der Store Strandstraede hielt. Gerda lachte lustig über den Scherz, sie war gerade bei ihrem Essen vom Diner transportable. Pauli schüttelte komisch getränkt den Kopf über die beiden Herren. „Sind die Herren wählerisch?" neckte er.„Sind Sie Seeleute oder nicht? Ja, Sie, Gude, sind ja viele Jahre Landratte, seit Sie der See Lebewohl sagten, aber du. Jör- gen, bist doch gewohnt, in einen Schiffszwieback zu beißen. Versuch einmal diese! Und ich möchte darauf schwören, Gude, daß du selbst an der Table d'hote in dem feinen Klub in Archangelsk der Puter nicht halb so pikant geschmeckt hat wie diese Bratwurst!" Pauli nahm selbst einen Bissen Wurst und kaute mit vernehmlichem Wohlbehagen. „Daß man ein bißchen Sand mitbekommt," schmatzte er, „ist nur gesund für die Zähne. Bitte bedienen Sie firb. Erste Kajüte-Küche! Versucht mal diesen marinierten Hering; glauben Sie nicht gleich, daß er ranzig ist. weil er einige Wochen in der Wirtschaft„Zum Roten Meer " geschwommen hat. Denken Sie, daß wir selber hier auf einem Schiff mitten auf hoher See schwömmen! Wenn man sich auf einer weiten Reise befindet, muß man das Essen der Messe nehmen, wie es ist! Was sagen Sie, gnädiges Fräulein? Sind unsere beiden Kavaliere zu fein, um Seemannskost zu essen?" Gerdas Pupillen schimmerten nadelspitz vor Bosheit. Sie lachte ausgelassen:„Gewiß sollen sie essen!" Pauli pfropfte sich mit Wurst und Schiffskeks voll. Dazu trank er mit behaglichem Glucksen Rotwein in großen Schlucken aus einem ungeheuren Bierglas. Sein Gummi- gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen, seine Hände wühlten in den Speisen, er spielte die Rolle eines im Sturm arbeitenden Seemannes. Gerda hielt sich die Seiten vor Lachen. Aber sie hatte allerdings ihr Küken! Gude faßte sich ein Herz und aß. Nicht alles war schlecht. nur schmutzig: das war er von seinem Reiseleben in Rußland gewöbnt. „Na," brummte Paull, ein bißchen aus der Stimmung aekommsn.„Ganz, kür den Gaumen reicher Leute ist meine Küche also nicht. Zlbcr dieser Tisch, versiebt ibr, würde ein Festmahl für jeden Proletarier des Hafens abgeben!" Er nabm Gerdas Arm:„Sie und ich, gnädiges Fräulein, Vir sind Zigeuner genug, um dies alle Seeguartier ganz bis
zum Grunde genießen zu können: die Nase in alle Kneipen Nyhaons zu stecken, im Kanalschlamm wie ein Bagger zu plätschern: wir sind nicht bange vor ein paar Spritzern hier und da, und wenn sie direkt aus der Schlammgrube kommen sollten! Wie?" Als sie gegessen hatten, bot Pauli jedem der Herren eine Zigarre aus eine Papphülse an.„Ich habe sie aus einem Automaten geholt," erklärte er königlich,„an der Ecke drüben. Ich hoffe, daß sie Ihnen schmecken werden!" Er gab ihnen Feuer. „Und jetzt." rief Pauli,„kommt der Clou des Festes: Musik!" Er klatschte in die Hände. Und vom Vorderdeck kam langsam ein starkgliedriger Bursche in blauem Seemanszeug. Gude sah jetzt, daß es der Tätowiermann war. Unter dem Arm trug er ein Banjo. „Ich traf ihn im Cafä Ausguck," erzählte Pauli,„und es zeigte sich, daß Herr Johnson und ich alte Bekannte waren. Als ich noch Lehrer an der Navigationsschule war, kam er ab und zu nach der Schulzeit mit meinem Passierschein und gab den jungen Seeratten einen blauen Stempel." Er schlug dem Manne derb auf die Schulter.„Her mit dem Banjo, Schiffer, und laß uns deine Melodie hören!" Der Tätowiermann sah sich, nicht ganz ohne Mißtrauen, um, das schwammige weiße Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, feine Augen streiften Gerda, ein gieriger, gemeiner Schimmer kam in seine Augen. Der Mann hatte sich auf eine Flaggenkiste gesetzt. Zögernd begann er zu klimpern, spielte dann taktfest und mit Getöse einen Marsch: Stars and Stripes. Pauli schenkte ein. Er wiegte sich im Takte, seine Stiefel steppten auf dem Deck. Aber Gude sah seine Augen, die, hinter den runden Gläsern spähend, auf der Wacht waren. Gude verstand auf einmal die Macht dieses Mannes. Er hatte die Fähigkeit, in einem Augenblick fein Ruder loszu- machen, sich dem wogenden Meers zu überlassen und von seinem gewaltigen Temperament wild umhertummeln zu lassen. Er konnte kentern und mit dem ganzen Körper unter Wasser kommen, um dann nur mit einem leichten Ruder- schlage das Boot wieder aufzurichten. Sein rollendes Lachen war wie das Flattern von Wimpeln, die als Slegessignal in die Höhe stiegen. (Fortsetzung folgt.)