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nc.335 40. Jahrgang

Seilage öes vorwärts

Ireitag, 20. Juli 1023

Nahrungsmittelfälfther an der Arbeit. Geldentwertung und Preissteigerung verführen znmStrecken".

Daß bei den ständig in die Höhe gehenden Preisen der Anreiz zu RahrungZmittelfälschungen besonders groß ist, bedarf keiner umständlichen Beweise. Eine Bestätigung dieser Tatsache wurde unserem Mitarbeiter, der sich deswegen mit dem Referenten im Preußischen Wohlfahrtsministerium, Ministerialdirektor I u ik e n a ck, in Verbindung setzte, zuteil. Herr Ju-kenack erklärte unserem Mit« arbeitcr folgendes: Die Nahrungsmittelgesetzgebung, auf Grund der man heute Nahrungsmittelfälschungen verfolgen kann, ist etwas veraltet. Sie stammt aus dein Ende der 70 er Jahre und trägt das Datum des 14. Mai 1879. Sie soll in allernächster Zeit durch ein neues Reichsgesetz ersetzt werden, das die Möglichkeit bietet, durch Erlaß entsprechender Ausführungsbestimmungen neu auftauchende Mißstände schnell zu bekämpfen. Milch, Satter, Margarine. Von den hauptsächlich gefälschten Nahrungsmitteln erwähnen wir die folgenden: ZMlch wird off in plumper weise verwSsserk uud cnkrahmk, um für die Bulferherstellung Aeberschuß zu gewinnen. Nach geltendem Recht soll eine vollwertige natürliche Vollmilch einen Mindestfettgebalr von S,7»/<, haben. Bei Luifer wird durch Zusatz von Wasser und Margarine das Gewicht unzulässig erhöht und außerdem die Nährkraft erheblich beeinträchtigt. Mar- garine wird häusig alS Butler verkaust. Infolge der hohen Fett- und Margarinepreise wird Margarine häufig mit sehr hohein Wasser- geholt hergestellt. Normalwassergehalt 16 Pro?. Außerdem wrrd, da viele mit der weiteren Entwertung der Mark rechnen, von Kausleuten sehr stark in Margarine spekuliert. Sie kaufen reich- liche Mengen ein und lassen diese Mengen entsprechend lange lagern. Die Folge ist, daß sie ranzig wird. Dadurch wird nicht nur der Käufer geschädigt, dem werlvolle Nahrungsmittel auf diese Weise verloren gehen, sondern auch die gesamte Volkswirtschaft, denn die Fehlmengen an Fett, die auf diese Weise entstehen, müssen gegen Goldwährung im Ausland« gekauft werddn. In der Zeit der Hitze dürfte es von Interesse sein, etwas über die Irifcherhallungsmittel der Milch zu wissen. Zu verwerfen sind chemische Mittel wie Doppeltkohlensaures Natron; Natron bindet zwar die Milchsäure, beivirkt aber andererseits, daß nun nicht nur die Milchiäurebakterien, sondern auch andere Milchorganismen nach Fortnahme der ihnen abträg- lichen Säure umso üppiger sich entwickeln. Andere Konservierungs- mittel sind das Formalin, da? aber noch in stärkster Verdünnung einen widerlichen Geschmack hinterläßt und nicht ohne Einfluß auf den Darm der Kinder ist. Ebenso unvorteilhaft ist die Konser» Vierung mit Wasser st off superophd und Ozon. Das beste Mittel, um die Milch vor dem Zersetzen zu bewahren, ist das wiederholte Pasteurisieren, das ist ein Erhitzen der Milch auf 8S Grad unter Luitabschluß mit sofort darauffolgendem Ab- kühlen: dadurch werden die zersetzenden Bakterien abgetötet und es können keine neuen hinzukommen. Ebenso besteht für die teure Butter die Absilbt. sie durch Zusatz von Ehemikalien, wie Borsäure, Salizylsäure und dergleichen frisch zu erhalten. Alle diese Mittel sind durch Reichsgesetz verboten. DaS beste Frischerhaltungsmittel ist die Aufbewahrung in einem durch Eis auf 45 Grad C abgekühlten Raum. Ileifch, Wurst, Zischkonserven. Den Schlächter läßt der Eifer der anderen Nahrungsmittel- berfälsiber nicht ruhen. Er streckt ebenfalls seine Waren. Den Wurstbrei rührt er mit Stärke- oder Mehlbrei, das Hackfleisch mit Wasser, die Blutwurst mit Sartoffeln an. Wa§ heule tm großen Umiange als geschnittene» Lachsfleisch feilgeboten wird, ist häufig nichts andere» als künstlich gefärbte» Aleisch der billigsten See- fische. Diese muffen auch mit ihrem Rogen den Stoff zum so- genannten.Kaviar" liefern, mit schwarzen Färbemitteln wird nach« geholfen, so daß dieser Rogen iin Aussehen von echtem Kaviar kaum zu unterscheiden ist. Mit Hilfe künstlicher Färbung der Wurstdärm« loird bei diesen der Anschein erweckt, als ob sie besonders gut geräuchert wären, hack- und Schabefleisch erhält durch Präservesalz eine lebhaft rote Farbe, um Frische vorzutäuschen. Au» leeren Butlertonaea werden verdorbene Beste zusammengekratzt uud an»- geschmolzen, mit frischer Butter vermischt und dann alS Butter

verkauft. Besonders stark find die Fälschungen von Kakao. Es werden Sokaoschalen als preiswerter Kakao angeboten. Die minder- wertige Qualität kann man schon daran erkennen, daß das Getränk nicht gleichmäßig sämig ist, sondern schnell eine» sandig schmeckenden Bodensatz abscheidet. Gerade im Sommer finden häufig Fälschungen von Flelsch- wareu statt; dazu werden besonders die Mittel zur Frischerhaltung verwendet. Alle Chemikalien sind wegen ihrer nachteiligen Wirkung auf den menschlichen Darm zu verwerfen. Borsäure und ihre Präparate können di.e Entstehnng von übelriechenden Erzeug- nissen verhüten oder verzögern. Am häufigsten werden schwes- ligsaure Salze besonders sckwefligsaureS Natron verwendet, besonders als Frischerhaltungsmittel für Hackfleisch. Die schweflig« Säure verändert den Blutfarbstoff nicht; im Gegen- teil, ein bereits grau gewordenes Stück Fleisch nimmt nach Bei- gäbe von schwefliger Säure eine schöne rote Farbe an. Durch eine BundeSratsverordnung vom 18. Februar 1902 dürfen zur Frisch- erhaltung von Fleisch keine Chemikalien irgendwelcher Art ein- schließlich der Farbstoffe zur Berbesierung des Aussehens ver- wendet werden. * Man könnte diese Aufzählung von NahrungSmittelfälschungen ins unendlich« vermehren. Die Hausfrau kann nichts weiter hier- gegen tun, als sich mit ihren Einkäufen an Firmen halte», die ihr als zuverlässig und reell bekannt sind. Hat sie nur den leisesten Verdacht einer Fälschung, so muß sie sich an da« zu« ständigePolizeirevier wenden: das Polizeirevier entnimmt eine Probe der zu beanstandenden Ware unb läßt sie chemisch untersuchen. Wenn der Untersuchungsbefund negativ ist, dann er- wachsen der Angeberin hieraus nicht die geringsten Scherereien. Ist er positiv, dann werden natürlich die zur Bestrafung der Fälschung notwendigen Maßnahmen getroffen. Von sich aus hat aber das Städtische NahrungSmitteluntersuchungsomt eine Reibe von Beamten, die in vielen Geschäften Proben von Waren ent- nehmen und wenn ihnen diese Proben verdächtig ersibeinen, mit Hilfe eine» amtlich angestellten geschulten Chemikers die Feststellung, ob eine Fälschung vorliegt oder nicht, machen. Die Polizei allein ist ohnmächtig gegen die vielen Fälschungen, wenn sie nicht beim Publikum die nötige Unterstützung und Mithilfe findet.

Iugenöliche auf öer Straße. Lor»iniger Reit winden an dieser Stelle in drei Aufsiitzen Kinder auf der Straße" gezeigt, wie sich im allgemeinen die psychische, soziale und wirtschaftliche Einstellung des heutigen Graßstadttinde» darstellt. Ein verwandtes Thema soll In folgendem angeschnitten werden. Jedermann weih, daß die Genußsucht der Erwachsenen heute größer denn je ist, und daß der Luxus, den wir auf allen Straßen und Plätzen Verlins sehen wir müssen natürlich die reinen Proletarierviertel davon ausnehmen, auf die heranwachsende Jugend Nur als schlechtes Beispiel wirken kann. Es ist einleuchtend, daß der junge Lehrling, der 17 000 M. im Monat verdient, nicht Oberhemden und Shimmyschuhe tragen kann. Aber doch ist sein ganzes Denken und Trachten oft darauf gerichtet, das nötige Klein- geld in die Finger zu bekommen, um sich als Kavalier bewegen zu können. Nicht selten sind die Fälle, in denen stutzerhaft gekleidete Burschen im Alter von 14 bis 17 Jahren hohe Wein- und Likör. zechen machen, ihren.Bräuten" Blumen kaufen usw. Da werden dann Märchen vom geschenkten Dollar, von Botengängen für den Chef,-von verkauften Notgeld- und Briefmarkensammlungen er- zahlt, die die Eltern leichtgläubig gar zu oft glauben. Wie kommen die Jungen zu dem Geld? Sie haben noch zwei bis drei Stunden Freizeit, eh« sie in die Wahlfortbildungsschule gehen, die sie zum Spazierengehen benutzen: oder sie machen abends zu ihrer Er- holung einen kleinen Spaziergang. Sie bleiben zuweilen an einem der elegante» Geschäfte stehen und bewundern die Auslagen. Da gesellt fich ein besserer, anscheinend gutsituierter Herr wie ganz zu-

fällig zu, der mit ihnen ein Gespräch über die teuren Zeiten und das geringe Taschengeld anknüpft. Er hat volles Verständnis für die Sorgen und Nöte der jungen Menschen. Man plaudert an- geregt und beschließt die Bekanntschaft in einer Konditorei, wo der nette Herr die Tasse Kaffee und den Kuchen bezahlt. Man verab- redet eine erneut« Zusammenkunft, die auch bald stattfindet. Der neue Freund ist freigebig, bezahlt das Eintrittsgeld für das Kino, für ein Motorradrennen usw. Schnell ist ein« feste Freundschaft geschlossen, die dem Jungen nun das Geld verschafft, um seinen Neigungen folgen zu können. Aber die Kehrseite der Medaille! Der Junge ist einem Homosexuellen es gibt mehr in Berlin als die Eltern ahnen in die Hände gefallen, der nun seinen unheil- vollen Einfluß auf den bisher unverdorbenen Jugendlichen aus- zuüben beginnt. Aehnlich liegen die Verhältnisse bei den jungen Mädchen, die mehr noch als die Jungen der Putz, und Vergnügungssucht ver- fallen. Selbstverständlich verdienen die wemgsten von ihnen so hohe Summen, daß sie sich es leisten könnten, dem steten Wechsel der Mode zu folgen und sich all die herrlichen Sachen wie Flor- strümpse, feine Wäsche, schöne Stiesel, Blusen, Konfekt und Schoko- lade zu taufen. Aber sie sehnen sich alle nach diesen Dingen und warten auf den Märchenprinzen, der ihnen dies« zu Füßen legen soll. Auch sie machen ihre Spaziergänge, auch sie müssen auf ihrem Wege vom und zum Geschäft durch die dichtbelebten Straßen der Großstadt, in denen stets Männer auf der Suche nach einer Mäd- chenbekanntfchaft sind, die ihren Wünschen gern und bald Folge leisten werden. Alle diese Männer zeigen zunächst nicht ihr wahres Gesicht, sie bewegen sich anfangs durchaus als Kavaliere, bewahren stets den guten Ton, was bei den jungen Mädchen fast nie die Wirkung verfehlt. Sie haben die Bekanntschaft eines.feinen und netten Herrn" gemacht! Das Mädchen erhält auch kleine Geschenke, ein Täschchen, Htndschuhe oder eine» Ring. Danach bleibt man abends später aus, wenn auch die Eltern schelten. Oft erfährt der Bater nichts davon, da die Mutter es ihm verheimlicht: glaubt sie doch, daß ihr« Tochter aus dem richtigen Wege ist, einefeine Partie" zu machen. So kommt es denn, daß manch« Mädchen einen Liebhaber noch dem anderen haben, wobei es ihnen möglich ist, über größere Geldmittel als bisher zu verfügen und sich, natür- lich in entsprechender Kleidung, in den Strudel der Vergnügungen der Großstadt zu stürzen, in dem gar zu viele bald jede Lust zu ernster Arbeit verlieren und manche, an Leib und Seele krank, untergehen. Diebstahl in üer Nationalgalerie. Ein wertvoller Spitzweg gestohlen. Di« Bilderdiebe in den Museen find fortgesetzt an der Arbeit. Jetzt hat die Nationalgalerie«inen unersetzlichen Verlust erlitten. Ein werwolles Bild,Derheimkehrende Klaußner" von Spitzweg , ist aus dem Rahmen herausgedrückt und gestohlen morden. Die Feststellungen ergaben, daß der Diebstahl erst kurz vor der Entdeckung verübt worden ist. Di« Nationalgaleri« wurde sofort abgefchlossen, und die anwesenden Besucher mußten sich eine Durchsuchung gefallen lassen. Unter ihnen befand sich jedoch der Dieb nicht mehr. Er muß mit seiner Beut« das Gebäude un- verzüglich verlassen haben und wird voraussichtlich alsbald versuche», das Bild, das in Oel auf Pappe gemalt und ohne Rahmen 18 X 22 Zentimeter groß ist, zu Geld zu machen. Kunsthändler, Antiquarer und Liebhaber werden vor dem Antauf gewarnt. Mit- teilungen über das Auftauchen des Bildes und zur Ermittlung des Diebes nimmt die Dienststelle B. 1. 3 des Kriminalkommissars Trettin im Zimmer 103 des Polizeipräsidiums entgegen.

Ueberzogene Bankkonten. Maffenüberhebungen von Kontoinhabern, die vor einigen Mo- naten bei der Bank des Berliner Beamtenvereins in der Link- ftraße vorgekommen waren, verursachten damals erhebliches Auf- sehen. Ein neuer Geschäftsführer entdeckt«, daß eine ganze Reihe von Leuten Beträge erhalten hatten, die weit über ihr Konto hinausgingen. Jetzt ist wieder so ein Fall bei dem Spar- und Darlehnsverein in der Potsdamer Straße festgestellt worden. Eine Poltgehilfin Meta V. vom Postscheckamt hat hier ihr Konto mit 2x3 Millionen Mark überzogen. Sie ent- schuldigte sich damit, daß sie geglaubt habe, ihr Freund würde den Betrag überweisen. Es wurde aber festgestellt, daß dieser ihr

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Als die Wasser fielen.

von Otto Rung .

Und Gude erkannte seine eigene steife Zurückhaltung, seinen genau rechnenden Stil, das Herkommen, mit dem er durch Erbe und Schulzucht sein Gemüt umgab, und das vielleicht wie ein Panzer schützte, meist ober drückte. Pauli konnte aus- gelassen und kameradschaftlich Gerdas Arm nehmen, und wenn er lachte, so lachte sie mit. Das Zelt des Zigeuner- wagens umgab beide. Jetzt saß sie dort im Winkel und lächelte still. Nur ab und zu fand ihr Blick- das Gesicht des Banjomannes, und ein Schauer ging durch ihre Schultern. Pauli winkte mit der Hand:«Und nun emen Tanz, einen Shimmy oder Go on!", Wedelnd, kitzelnd, grotesk und albern kam eine neue Melodie von dem messingblanken Banio. Die Zunge des Tätowiermannes zeigte sich wie eine unkeusche Gefte, einge­weideartig blau, im Takt schlürfend, hinter den schwarzen Zähnen.- Gerda hatte sich erhoben. Ihr Blick leuchtete dunkel m tiefem Ernst, die Zähne funkelten weiß. Der Rhythmus ließ ihre Brust wogen, ihre Knie sich regen. ±... Pauli lachte, legte den Arm um sie, tanzte jedoch mch», fast mit einem Wurfe führte er sie Jorgen Stark zu, der zurück- gelehnt in seiner nachlässigen Ruhe auf dem niedrigen Stuhl saß.._ f Gerdas Augen bekamen einen Schimmer Wie«layl. «Kommen Sie!" flüsterte' sie.,Wollen Sie?" Stark stand auf. Der blanke schwarze Nacken erhob sich witternd wie eine Kobra, ganz leicht vom Rhythmus gewiegt. Sem Körper glitt an dem ihren entlang, bis ihre Hände, ihre Hüften, ihre Schultern sich trafen. Dann führte er sie leise mit sich, ließ sich mit ihr von der Musik tragen, wohin sie wollte, sein Antlitz war stumm wie zuvor, aber in die dunklen Augen kam Licht. Bewußtlos tanzten sie beide, berauscht, wiegend und weichend, zitternd wie zwei Palmen, die von demselben Lufthauch bewegt werden. Es war Nacht geworden. Der Hafen war still. Sterne waren n'cht zu sehn, doch auf dein Wasser blinkten die Lichter in der Ferne. Das Banjo schwieg. Die Tanzenden trennten sich. Stark sank, unbeweglich wie zuvor, auf seinen Stuhl zurück. Wer plötzlich spürte Sude sei««» Klick, haßvoll. zerquält wie

den eines Mannes, der für einen Augenblick aus der Narkose erwacht ist und die Messerspitze fühlt. «Kommen Sie her, Johnson!" rief Pauli.Zeigen Sie uns Ihre Marke!" Der Tätowiermann zeigte bereitwillig seine Marke: die in feine Handfläche gezeichnete ausgestreckte Frauenhand. Gerda hatte sich genähert, ein eigenes heimliches Genießen zitterte um ihren Mund. Sie stützte sich vertraulich auf An- dreas Paulis Arm. Johnson öffnete die Hand dicht vor ihren Augen: Ich habe die Hand meiner Liebsten in meiner," sagte er gedämpft, die Stimme war rauh und doch melodisch.Die Hand meiner Liebsten in meiner immer!" Er lachte. Gerda trat einen Schritt zurück und wurde etwas bleicher als zuvor. Es fiel Gude auf, daß der Mann sie zu kennen schien und sie ihn. Möglicherweise erinnerte sie sich seiner aus ihrer Kindheihin Nyhavn. Ob er wohl einer der Männer war, die in einem Halbdunkeln Torweg lauerten und durch eine Geste oder durch Worte die kleinen Kinder des Viertels verscheuch- ten? Er war von einem Dunst aus der unflätigen Tiefe Nyhavns, von dem stinkenden Atem aller Kneipen und Keller umgeben. Halb im Protest trat Gude näher. Gerda lächelte schwach, doch sichtlich jetzt ohne Furcht, ihre Nasenflügel vibrier­ten leise. Andreas Pauli schob den Aermel von seinem Handgelenk zurück.Seht," rief er munter,hier ist meine Marke!" In Rot und Blau waren auf seinem Arm zwei ineinander- gehende Triangel tätowiert.Seht her!" sagte er.Das Flaggenzeichen der Dänischen Werft und ihrer Schiffe!" Er ließ den Tätowiermann die Sammlung schmieriger kleiner Karten, die er als Muster und Reklame bei sich hatte, zeigen: Meerfrauen, Fregatten und Hände, die in einem mit der Mütze der Republik geschmücktem Buchenkranz Brüder- schaft schlössen. Sie wären namentlich bei Kommunisten be- liebt, erklärte Johnson. Zeigen Sie uns Ihre Nadeln!" befahl Pauli. Johnson öffnete ein Etui. Auf fettigem Samt lagen die langen Nadeln mit gelben Beingriffen: auf jeder steckte ein Korken. Plötzlich ergriff Pauli Gerdas Hand. Sein Gesicht wurde duntcirot. Seine Finger tasteten an dem Acrmelknop, ihrer Bluse herum. Und nun Sie, Gerda," flüsterte er,zeigen Sie uns, welche Marke Sie tragen� Blitzschnell schob er ihren Aermel

hinauf. Der Arm fuhr wie ein Schwert aus seiner Scheide, bebend, leuchtend weiß im Licht der Laterne. Ihr Blick streifte für einen Augenblick Gude, lockend und hart. Sie machte sich nicht frei, sie zitterte, als ob sie fröre, ließ ihn aber ihre Hand behalten, während ihr Blick schwarz wurde. .Kommen Sie her!" rief Pauli.Tätowiermann! Hier will ich meine Marke haben. Die Marke der Dänischen Werft! Kommen Sie her, zeichnen Sie heute mit Tusche, morgen stechen wir sie mit Nadeln! Wollen Sie, Fräulein Gerda, oder sind Sie bange?" Sie zeigte die weißen Zähne und schüttelte heftig den Kopf: Bange war sie nicht! Der Tätowiermann war noch einen Schritt näher ge- treten. Seine Hand kroch, bleigrau, breit, hervor, öffnete sich, und in ihrer Fläche lebte unbeschreiblich obszön die kleine Frauenhand. Sie berührte Gerdas Haut. Gude trat schnell einen Schritt vor.Gehen Sie!" befahl er kurz.Gehen Sie an Land. Augenblicklich!" Der Mann duckte sich, schielte zu Andreas Pauli hin, doch der saß grinsend auf seiner Bank und sagte nichts. Langsam wandte der Tätowiermann sich um, steckte sein Banjo in die Hülse, nahm seine Nadeln und ging lautlos in seinen Segel- tuchschuhen an Land. Gerda saß auf ihrer Bank, ihre Absätze trommelten wütend gegen das Deck. Ein feindlicher Schimmer trat in ihre Augen.Das war dumm," sagte sie,daß Sie ihn gehen ließen." Gude nickte.Möglich!" antwortete er trocken.Biel - leicht war es dumm, daß ich Sie gehindert habe, ihr Blut mit dem der gestrigen Hafenkunden zu mischen!" Er verabschiedete sich und ging nach vorn in seine Be« hausung. Es wurde Gude später klar, daß Andreas Pauli ihm feine Marko im Ernst gezeigt hatte. Mehr vielleicht, als er selbst gedacht hatte. Er erinnerte sich des lüsternen Schimmers in Paulis Augen, der wilden Zuckung in seinem Gesicht einer Eruption ungesunder innerer Triebe, die der kranke Nerv in ihm für einen Augenblick entblößt batte. Für Gude war es sicher, daü euch in Andre"" Vaill'S Leituno der Dänischen Werst zahlreiche derartige Fehltritte, Ausschläge einer inneren Entzündung geschehen waren, die sich krampfhaft Last machten.«(Fortsetzung folgt.)