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Kr. 359 940. Jahrgang

1. Heilage ües vorwärts

Sonntag, 22. Mi 1923

Herliner Kinöer in Dänemark .

Weithin schweift der Blick vom raffelnden Schnellzug in das dänische Land. Es grüßt in frischer Grüne! fette Weiden und braune Rinder, strotzend« Aehrenselder und saubere Bauernhöfe, die in ihnen verstreut liegen in stiller Berträumtheit. Das Ganze macht den Eindruck behaglicher Zufriedenheit, als ob all die Sorge und Unrast, di« sonst in der Welt sich austobt, jenseits des Wassers kein« Statt« gefunden hätte. In diesem Lärche Dänemark , von dem die deutsche Schule kaum etwas anderes lehrte als die Tatsache, daß«z den Krieg von 1864 und damit Schleswig -cholstein an Preußen verloren hatte, l«ben tausende deutscher Kinder, abwechselnd im Turnus von sechs oder acht oder zehn Wochen. Sozialdemokraten waren es, die die»Deutsche Kinderhilfe in Dänemark " organisierten und mit all der gestaltenden Kraft ausbauten, die langjährige Gewertschafts- Praxis zu oerleihen pflegt. Sozialdemokraten leiten auch heute noch dos umfassende Wert, das allmählich erst Unterstützung in anderen Bevölkerungsschichten gefunden hat. Sozialdemokratische Familien sind in erheblichem Maße an der Unterbringung und Der- pflegung der deutschen Kinder beteiligt. Sie bringen große Opfer für den Gedanken der Menschenliebe, der oll ihr Denken durchzieht. Als kleines Boll in kleinem Lande können die Dänen nicht an der großen Politik der machthungrigcn Großmächte teilnehmen. Aber sie wirken im Kleinen Großes. Sie überspannen die Länder- grenzen mit einem kostbaren Verbindungsdraht: mit der praktischen Hilfe in menschlichen Nöten, mit persönlicher Freundschaft in Zeiten des Dölkerhasses. Einen Blick in das Getriebe dieser sorgenden Arbeit zu tun, war uns in der letzten Woche vergönnt. Wir sahen Kinder aus allen Teilen Deutschlands . Auch und vor allem aus Berlin mit seinen Bororten. Und wir fanden dies« Kinder, die ihre Heimat grüßen lassen, froh und wohlgemut.... Sek den Taubstummen. In einem Vororte von Kopenhagen liegt inmitten eines pracht- vollen Gartens in der Nähe der deutschen Gesandffchost die Taubstummenanstalt. Dänische Zöglinge, die sonst hier verpflegt werden, sind in Ferien, in ihre Heimat gesandt. Aber neue Gäste hat dies Heim aufgenommen. Deutsche taubstumme Kinder aus Dresden , aus dem Rheinland , aus Chemnitz , aus Berlin . Mit Fachlehrern und-lehrerinnen, die sie begleiteten und ihnen in den Zeiten der Erholung Kameraden und Leiter zugleich sind. Es gab traurige Augenblick« in diesem so schön gelegenen Hause. Kinder, die wie Achtjährig« ausschauen und doch schon der Jahre sechzehn zählen: andere, die wir als Dreijährige einschätzten, und die schon sieben oder acht Jahre tragxn. Rachitische, eng- brüstige, bleichsüchtig« Äleine, die zu allem noch der Sprache ganz oder zum größten Teil entbehren. Aber einig« von ihnen sprechen ihre gebrochene Lautsprache mit dem tiefen gutturalen Klang. Ihre Augen leuchten auf. wenn sie unser« Fragen oerstehen: Ob sie satt zu essen kriegen, ob sie sich wohl fühlen, ob sie Spielgelegenheit hoben.... Ob sie sich wohlfühlen können! Sie bekommen Milch und Milchspeisen in solcher Menge und solcher Qualität, daß sie jähre- long in Deutschland vergeblich danach ausschauen dürften. Sie bekommen Weißbrot von so zarter Farbe, wie es hierzulande nur bei Schieberz möglich ist. Sie bekommen Fleisch und Erdbeeren und Rot« Grütze und noch vieles andere. Sie haben vorzügliche Luft, die ihr« Lebensgeister anregt, haben Freundschaft und Liebe. Direktor Högström, der Leiter der Anstalt, verzichtet selbst auf seine Ferien, um die deutschen Kinder mit dem Sprachgebrechen mit sorgender Liebe zu umhegen.... Im IaelleS-park. Das fft der.Feldpark", ein neu angelegter großer städtischer Port mit riesigen Spiel, und Sportflächen. Dorthin waren die Kinder eingeladen, die in Einzelfamilien untergebracht sind. Es sollte ein Abendfest werden mit den dänischen Eltern, den deutschen Kindern und uns Gästen aus der deutschen Heimat. Aber der Himmel hatte diesmal kein Einsehen. Er vergaß der großen Berge von Kuchen, di« sür die Kinder herangeschafft waren,«r vergoß der Freude, die sie alle bei dem Gedanken an dieses Abendfest vor- her empfanden. Er schickte einen unheimlichen Regenguß nach dem anderen nieder, den Abend und di« ganze Nacht hindurch. Da war denn der größere Teil der Eltern aus Sarge um die Gesundheit

ihrer Schutzbefohlenen daheimgeblieben. Aber etwa hundert von ihnen hatten es sich doch nicht nehmen lassen. Mann und Frau und deutsches Kind, im Regen auf der Sportwiese zu erscheinen und die Gäste aus Deutschland zu begrüßen. Ich traf unter den Er- wachsen«» eine große Anzahl deutschsprechender. Sie hatten teil- weise in Deutschland gearbeitet. Teils waren es Deutsche , die in Dänemark Heimatrecht erworben hatten. Vielfach aber waren sie Mitglieder des.Deutschen Vereins Vorwärts", de? sozialdemokra- tischen Klubs deutschsprechender Arbeiter in Kopenhagen . Eine Reihe der Kinder, die wir sprachen, sind schon zum wiederholten Male drüben. Sie fühlen sich teilweise so heimisch, daß einige sehr flott dänisch sprechen und man denke! ein blondes Mädel sogar keine Antwort auf die Frage fand, ob sie schon genügend Kuchen verzehrt habe. Erst als ihr di« Frage ins Dänisch« über- setzt wurde, fand sie die dänische Antwort! ?m Gefangenenlager. Eine Stunde Bahnfahrt nördlich von Kopenhagen liegt die Hafenstadt Helsingör. (Ihr gegenüber auf schwedischer Seite das namensverwandte Helsingborg .) In der Nähe von Helsingör , inmitten eines prachtvollen alten Buchenwaldes mit einem fast mär- lisch anmutenden Binnensee, finden wir em Kriegsgefange- n en lag er, wie es der dänische Staat während des Krieges zur Verpflegung von deutschen und russischen Kriegsgefangenen angelegt hatte. Von diesen großen und hellen Baracken des Lagers H o r f e r ö d sind einige für eine deutsche Kinderkolonie zur Ver- fügung gestellt. Sie wird von dänischen Köchinnen bedient, und die Frauen unserer Genossen Nielsen und Hansen wirken als freiwillige Helferinnen wacker mit. Kinder von sechs bis sechzehn Iahren sind hier untergebracht. Zum Teil Beamten linder, zum anderen Teil aus Arbeiter- und sonstigen Berusskreisen stammend. Dar deutsche Gesandt« von Mutius und fein Presseattache, Herr Dietrich, ebenso wie der Pressechef des dänischen Außemninisteriums, Herr Poulsen, nahm an dem Besuch dieses Lagers neben uns deutschen Presseleuten teil. Der Kinoervater Nielsen stellte uns fremde groß« Leute einzeln den Kindern vor. Wenn wir aber wissen wollten, woher die Kleinen des Weges kamen, so mußten wir sie selbst fragen. Und wir haben das gründlich getan. Große Burschen, teilweise mit schwarzweißroten Bändern geschmückt, kamen aus Stuttgart . Erste Frage war:Was ist mit Ehrhardt?" Freud « leuchtet aus den Augen, als sie hören, daß seine Flucht ge- glückt sei. Aber als dann ein Kollege fragt, ob sie wisien, wer ihnen den Aufenthalt im Lager ermöglicht, antworten sie:Herr Nielsen!" .Wißt Ihr. wer Herr Nielsen ist?"Ja, er ist der Vater aller deutschen Kinderl".Und was noch?" Nach einigem Zaudern antwortet einer:Er ist Fürbitter beim König!" Die Borstellung, daß ein König als Allgewaltiger über dem Geschick der Memschen walte, ist diesen Beamtenkindern so eingeprägt, daß sie sich auch in dem steien Dänemark es nicht anders denken können. Um so ehrlicher waren sie erstaunt, als sie erfuhren, daß der größte Teil der Gelder für»die Kinderh�lfe von dänischen Arbeitern aufgebracht wur- den, die sich selbst besteuerten, um den deutschen Familien zu helfen! Berliner Kinder fand ich in großer Zahl: Aus Tempelhos, aus Niederschönhausen , aus der Gegend des Nollendorfplatzes, aus Moabit ! Sie haben mir auch ihre Namen genannt, aber ich habe sie zum guten Teil vergessen. Doch lassen sie alle schön grüßen und bestellen, daß sie sich selten so wohl gefunden haben als inmitten des dänischen Waldes im Kriegsgefangenenlager von Horseröd! Der Ruf öer öerliner. Dänemark ist«in wunderbares Land. Dort haben sogar di« Berliner «inen guten Ruf. Wenigstens ihre Kinder. Weil sie immer schlagfertig und witzig sind. I. P. Nielsen, der nun schon seit 1917 dauernd mit dieser Fürsorg« zu tun hat, erzählt amüsante Erlebnisse, di« er gerade mit Berliner Rangen gehabt hat. Etwa von dem Spartakistenbuben, der 1919 hinllberkam und einen kleinen Papp- karton alsGepäck" mitbrachte. Als Nielsen ihn in seiner väterlich- kameradschaftlichen Art fragte:Was hast Du denn darin?" erhielt er zur Antwort:.Das können Sie gern sehen, Herr Lehrer!" Und als er öffnete, fanden sich neben einem Papierkragen und sonstigen Kleinigkeiten eine rote Schleife und eineRote Fahne". Nielsen steckte das Zeltungsblatt«in und sagte treuherzig:Das will ich nur an mich nehmen. Wenn wir hier oben Revolution machen, dann besorgen wir das selber. Do brauchst Du nicht zu helfen." Und der Zwölfjährige starrt ihn an:Was find Sie denn, Herr Lehrer?" Darauf Nielsen:.Ich bin ein gewöhnlicher Sozialdemokrat!" Und

prompt kam die Antwort:Dashabeichmirgleichgedacht! Ich bin aber Kommunist!" Oder etwa von jenem Trupp Unternehmungslustiger, die eines Abends in Kopenhagen ankamen, um am frühen Morgen aufs Land weiter transportiert zu werden. Und doch nicht zufrieden waren, weil sie nicht die Hauptstadt Kopenhagen sehen durften. Fragt so ein Berliner Orge:Können wir denn nicht die Stadt heute abend noch ansehen?"Nein, das geht nicht, Ihr seid müde, und da könnt Ihr doch nicht nachts in der Stadt herumlaufen."-- Plötzlich der Junge:Herr Lehrer, Sie sind doch sicher öfter schon in Berlin gewesen?"Ja, aber...?'Haben Sie sich da noch niemals Berlin bei Nacht angesehen?" Der brave Kindervater war entwaffnet. Er mußte seine Frau mit einigen Mädchen nach Hause schicken und mit den Berliner Jungen Kopenhagen bei Nacht ansehen! Was ihm und ihnen sehr unterhaltsam war. Aber so große Mühe sie ihm auch machen, er und andere haben di« Berliner Jugend gern. Sie läßt sich auch von der Sorge der Eltern nicht unterkriegen. Sie behält ihren Mutterwitz und ihre Beschlagenheit. Und wenn man auch in deutschen Landen hier und dort Uber Berlin und die Berliner schellen mag, es ist ein Trost, daß sie wenigstens in Dänemark Freude bereiten und Freude empfangen. _ F. Kl. Zinkenburg Nauen . Mt den Vorortzügen fahren wir vom Lehrter Hauptbahnhof bis Fi n k e n k r u g. In nördlicher Richtung wandern wir durch den Wald«mi Forsthaus Finkenkrug vorüber zumAlten Finken- krug". Das Wirtshaus wurde 1777 erbaut. Vorher bestand hier ein Teerofen. Dies« Siedlung ist anscheinend schon sehr alt, denn der Sage nach hat sie schon zur Zeit der Quitzows(15. Jahrhundert) bestanden. Finkenkrug liegt am Rande des Brieselang , eines prächtigen Laubwaldgebiets, das von den Wiesenniederungen des Haoelländifchen Luchs umgeben wird. Der Reichtum an seltenen und eigenartigen Insekten lockte schon von altersher viele Enthymologen nach dem Brieselang . Die zahlreichen sumpfigen Stellen im Walde sind recht geeignet« Brutstätten für die verschiedenen Stech- mückenarten. An manchen Tagen kann die Pein, die diese blut- dürstigen Insekten dem Wanderer bereiten, schier unerträglich werden. Der NameMückenkrug", mit dem der Volksmund den Finkenkrug bezeichnet, scheint dann voll und danz berechtigt zu sein. Wir wan- dern entweder am Rande zwischen Luch und Wald oder auf den schönen Gestellwegen mitten durch den Wald zum Forsthaus Brieselang . Hier fließt der Haveländische 5)auptkanal oder Große Graben vorüber, der das Havelländische Luch in seiner ganzen Länge durchzieht und der im Anfang des 18. Jahrhunderts zur Eni- Wässerung und Urbarmachung des Luchs angelegt wurde. Vordem war das Waldgebiet bedeutend ausgedehnter. Der Nam« Brieselang ist aus dem Wendischen herzuleiten: er hängt mit Birke zusammen, ebenso wie z. B. das Briesefließ, das bei Birtenwerder in die Havel mündet. Urkundlich wird der Brieselang zuerst in einer Urkunde von 1315 genannt. Wir überschreiten den Kanal und wandern jen- seits auf dem Wege unmittelbar an der Niederung gen West. Nach kurzer Zeit kommen wir zu einer inselartigen natürlichen Erhöhung, dem BurgwallBussen walde". Er steigt allmählich bis zu 6 Meter über die umgebenden Wiesen an. Der stark mit Humus vermischte Boden enthält di« Ueberbleibsel einer sehr langen vor- geschichtlichen Besiedlung, von der garmanischen Zeit durch die ganze wendische Zeit bis in das Mittelalter hinein. Wir wandern am Rande derNauenerStadtforst weiter. Auf der Schweine- stetgbrücke überschreiten wir wieder den Kanal: hier liegt dos Borwerk Glien. Jenseits der Brücke führt der Weg anfangs neben dem Kanal, später in einiger Entfernung von ihm weiter durch das Luch. Wir kommen auf die Chaussee, der wir nach links zum Bahnhof Nauen folgen. Das Städtchen Nauen liegt südlich der Bahn. Die erste Ur- künde, in der Nauen erwähnt wird, stammt von 981. Hiernach würde der Ort, nächst der Stadt Brandenburg, von allen Städten der Mark die älteste Urkunde besitzen. Aber in dem großen Wenden- ausstand unmittelbar darauf ging das Land östlich der Elbe d«m Deutschen wieder verloren und wurde erst 159 Jahre später wieder zurückgewonnen. Bon der Stadtmauer ist nichts mehr erhalten ge- blieben. Die Kirche stammt nur in ihrem Unterbau aus dem 14. Jahrhundert: der jetzig« gotische Backsteinbau stammt der Haupt- fache nach aus der Zeit nach dem großen Brande von 1693. So erinnert uns Nauen , obwohl es auf«ine tausendjährige Geschichte zurückblickt, keinerlei mittelalterliche Baulichkeit mehr an den Wechsel des Zeitgeschehens.(Weglänge ohne Rundgang durch die Stadt etwa 17 Kilometer.)

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Als die Wasser fielen.

Von Ollo Rung.

Der herrenlose kleine Hund kam über das Deck ge- schlichen. Eude, der nach einer unbefriedigenden Unterredung mit Direktor Steensen heimgekommen war, pfiff ihm, und zu seiner Verwunderung kam der Hund gleich zu dem Korb- sessel, auf dem er saß, und schnüffelte an seinen Stiefeln. Es war ein kurzbeiniger, gelber, stichelhaariger Hund. Gude kämmte ihm das Haar aus der Stirn: er hatte große, t' aurige, graublaue Augen. Seit er ihn zuletzt gesehen hatte, war der Hund dick ge- worden Er bekam'jetzt offenbar seine regelmäßigen Mahl- zeiten. Früher waren seine Futterstellen wohl die Müll- eimer Nyhavns gewesen, wo er, wenn es hoch herging, eine Aalhout fand, und er mochte manchen Schuß Bier an den Äopr bekommen haben von vergnügten Seeleuten, die er im Caf6 um Knochen anbettelte. Jetzt war er trage und satt. Gude seufzte: Wahrscheinlich würden binnen kurzem die Ratten an Deck grassleren! Vom Kai aus wurde dem Hunde gepfiffen. Gude drehte sich um und sah Gerda auf der vorderen Landungsbrucke stehen. Sie trug ein neues Frühlingskleid und einen neuen dunketroten Hut, sicher das allerletzte Modell. Sie lockte ver- grbens den tzund.... Warum schicken Sie meinen Hund nicht an Lano. fragte sie hochmütig.__,. Cr sing ihr den Hund, und sie dankte ihm sichtuch be­sänftigt. Sie zog ein rot lackiertes Halsband hervor und schnallte es dem Tiere um. Der Hund wäre eben ssebadet worden, berichtete sie lustig, deshalb oersteckte er sich Jehl. Sie blieb auf dem Kai stehen und sah ihn an. Sie lächelte:Wie Sie sehen, habe ich aus diesem kleinen Daga- bunden einen kultivierten Hund gemacht." Sie ging ein paar Schritte, blieb aber wieder stehen. Er nahm seinen Hut und ging über die Landungsbrücke zu ihr hinab. Wollen Sie spazierengehen?" fragte er.Darf ich mit- komm_ funkelte die Brauen, offenbar das Für und Wider überlegend.Spazierengehen will ich nicht gerade," sagte sie. Sie schwieg einen Augenblick.Wenn Sie mich ein Stück be-

gleiten wollen, wird es mich nur freuen, Gesellschaft zu haben." Er schloß sich ihr an. Es war das erstemal, daß sie zusammen gingen. Ihr Schritt fand schnell den gleichen Rhythmus. Er sah, daß sie es genoß, hier in ihrem schönen neuen Kleide zu promenieren. Der blanke rote Hut lag gleich Ko- rallen auf ihrem Haar, das Kleid schmiegte sich demütig um ihre Lenden, die Füße traten zart und doch selbstbewußt in den neuen Wildlederschuhen auf die Fliesen. Aber ssanz ernst, das merkte er bald, nahm sie durchaus weder sich selbst noch diesen komischen kleinen Hund mit dem affenhaarbesetzten roten Halsband. Und über ihrem Gang lag etwas Demü- siges als ginge sie hier nur einen einzigen Tag als stil- volle Dame von Gnaden der Sonne, dankbar wie ein Schmetterling, der gestern noch als Raupe auf einem Kohl- köpf faß. Sie sprachen sich nicht offen über ihr letztes Beisammen- sein aus. Aber der Gedanke att-jenem Abend stand zwischen ihnen wie eine seltsame Spannung, die im Grunde beide mit Behagen fühlten. Sie schlug die Richtung nach der Bred- gade ein, und er grübelte darüber, wo sie hinwollte, da es sich nicht lediglich um einen Spaziergang handelte. Familien- weise, in kleinen schwatzenden Gruppen strömten die Spazier- gänger vorbei, minderjährige Mädchen mit Pagenhaar und Haremsaugen, deren schlanke Beine in Seidenstrümpfen frei unter den Kleidern herausguckten, schlenderten Arm in Arm vorüber. Sie blickten Gude nach, und Gerda schritt rascher aus, wenn aber Kavaliere sich nach ihr umsahen, verlang- samte sie ihren Schritt. Die grünen Bäume von Grönningen umstanden sie stets und still. Sie kamen zum Kastellswall: Gerda hatte auf ihre funkelnagelneue Armbanduhr gesehen, und nun schien sie Ueberfluß an Zeit zu haben. Der Wall duftete nach Veilchen : er dachte daran, wie er hier als Junge mit den Horden der Schule Obst aus dem Garten des Kommandanten gestohlen hatte. Er erinnerte sich der Frühlingstage hier: des ersten feinen Dustes von Sauerampfer, Gras und Erde. Ueber dem Sunde draußen standen die Wolken wie schwere Kuppeln, in der sväten Sonne errötend.. Sie lachten und schwatzten beide drauf los, aber stets ahnte er in ihrem Gang ein verstecktes Beben, eine stille Un- ruhe, hie kaum zur Angst wurde: es war, als genösse sie den

Augenblick mit jedem Nerv, fühlte sich aber längst nicht so sicher wie sie wohl jetzt, da ihre ganze Zukunft im Lichte lag, geglaubt und gehofft hatte. Er dachte an seine Knabenzeit, erzählte, wie er die riesige Flaggenstange dort auf der Bastion halb hinaufgeklettert, wie er mit einer Schar ungezogener Kameraden in festem Tritt vorbeimarschiert war, so daß die alten Damen, die strickend auf der Bank saßen, dachten, die Patrouille käme, um die Durchlaßkarten zu visitteren! Doch die Pattouille, die jetzt nm die Ecke kam, blieb vor der Bank nur stehen, um eine lange Nase zu machen. Gerda hatte plötzlich angefangen, von Andreas Pauli zu erzählen.-Sie beugte den Kopf beim Sprechen, ihre Wangen erröteten leicht, und sie ging schneller als zuvor. Ich habe längst gemerkt," sagte sie,daß Sie etwas gegen Andreas Pauli haben. Das ist sicher ungerecht, ich weiß, daß er sie schätzt. Gestern sagte er mir, daß Sie in dem Fache, das seines wie das Ihre ist, höchst Verdienstliches ge- leistet hätten, und daß er die größte Achtung vor Ihnen besäße!" Wirklich." Gude mußte lächeln.Sie haben Direktor Pauli also gestern getroffen?" Sie nickte.Ich besuchte ihn. Er hatte mich auf seinen Landsitz in Vedbeck eingeladen." Sie sah wieder auf ihre Uhr. Beständig grübelte er, wo sie hinwollte und was sie heute abend vorhatte. Ein kleiner, hinterlistiger Schimmer leuchtete in ihren Augen. Sie fuhr fort:Andreas Pauli holte uns in seiner Li- mousine ab. Kapitän Stark und mich." Er sah unruhig auf. Sie haben Andreas Pauli nicht besucht?" fragte sie. Sie beschrieb in hohen Tönen den Landsitz. Die Fahrt durch die herrliche Pappelallec vor dem Hause dauerte drei Mi- nuten! Pauli hatte ihr seine Treibhäuser gezeigt. Er hielt sich einen Obergärtner und fünf Gartenarbeiter und eine Orangerie, die fast das ganze Jahr hindurch trug. Er hatte einen Speisesaal in weißem Marmor, in dem wenigstens hundert Personen Platz hatten, und mitten auf dem Speise- tisch befand sich ein Springbrunnen mit Skulpturen. Wir aßen indessen im Wintergarten," erzählte Gerda, es war nur für uns drei gedeckt." (Fortsetzung folgt.) j

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