ständige Neubauten neben dem Bürgerstchen Gesetzbuch', so das neugeordnete M i e t r e ch t, so das zu einem großartigen, ebenbürtigen Gegenstück des„bürgerlichen" Gesetzbuchs aus- zugestaltende Arbeitsrecht. Ein Gebiet des Bürgerlichen Gesetzbuchs freilich ist auch für die Arbeiterschaft von stärkstev Bedeutung, das Famili«nrecht. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß die dringend erforderliche Reform unseres Ehescheidungsrechts nicht an dem Wider- spruche einer der mit uns in der Koalition verbundenen Par- tcien scheitern wird. Ferner wird das Erbrecht lachender Zufallserbcn der Allgemeinheit weichen müssen. Als sicher aber kann angesehen werden, daß das lang vorbereitete G c- setz über die Rechtsstellung des unehelichen Kindes noch diesem Reichstage zugehen wird. Seine Auf- gäbe ist es auch, die Aufwertung alter Abfindungen unehe- licher Kinder zu ermöglichen— wenn nicht sogar die Vorweg. nähme dieser dringend notwendigen Bestimmung sich als nötig erweisen sollte. Aufwertung und Wertbeständig- k e i t sind überhaupt die großen Schlagworte der nächsten Zeit, auch für die Justiz. Mannigfache, noch gar nicht voll über- sehbare Aufgaben sind für die Justiz in ihnen beschlossen, meist aber so, daß die Währungsreform vorangehen, die Justiz- reform ihr folgen muß. Auch die Mühlen der Justizgesetzgebung mahlen langsam. Justizreformen sind sehr selten zu früh, aber sehr häufig erst dann gekommen, wenn sie aus neuen und kühnen Entwürfen zu selbstverständlichen, ja überholten Forderungen geworden waren. Wir werden aus dieser Tatsache zu lernen haben. Die Ueberteuerung üer Kohle. Neber den Weltmarktpreisen. Die für den Bergbau mit Wirkung vom 13. August fest- gesetzten Lohnerhöhungen haben, wie WTB. meldet, auf Grund der durch Beschluß des Reichskohlenverbandes vom 9. August d. I. festgelegten Berechnungsweise folgende pro- zentuale Zuschläge zu den jetzt gültigen Brennstoffver- kaufspreisen ergeben, die vom 20. d. M. ab unter den Bedin- gungen der genannten Bekanntmachung gelten: Rheinisch-Westfälisches Kohleiisyndikat...... 63,3 Praz. Aachener Steinkoblensyndikat......... 63,3 Nieversächsisches Kohleniyndikat Ibbenbüren... 56,8, Niedersäcdsisches Koblensyndikar. übriges Revier.. 58,3„ Sächsisches Sleinkohlensyndilat........ 56,6, NiederichlesischeS Sleinkohleniyndikat...... 57,4, OberfchlesischeS Steinlohlensyndikat....... 55,5, Mitteldeutsche? und Ostelbifches Braunkohlenshudikat 62,5„ Rheinisches Brannkobienshudilat........ 62,0„ Oberbayeriiche Pechkohlen.......... 55,9 Bayerische Braunkohlen........... 62,5, Die sich hieraus ergebenden Preise liegen zurzeit nicht un- erheblich über den Weltmarktpreisen. Das Ueber- schreiten der Weltmarktpreise kann, wenn es länger andauert, für die deutsche oerarbeitende Industrie eine die W e t t b e- werbsfähigkeit vernichtende Belastung her- beiführen. Der Reichswirtschaftsminister hat sofort veranlaßt, daß die zuständigen Organe der Kohlcnwirtschaft bereits am 21. August zusammentreten, um zu der nach seiner Auffasiung nicht haltbaren Lage Stellung zu nehmen. Aus gleichen Erwägungen hat die Geschäftsführung des Reichs- kohlenverbandes bei dem Reichsminister der Finanzen die Aufhebung der Kohlen st euer beantragt. Mit den neuen Preiszuschlägen hat sich die Kohlenpreis- Politik wieder einmal festgefahren. Obwohl die Unter- nehmer längst nicht Valutalöhne zahlen, haben die Preis«, die immer unter Berufung auf Lohnerhöhungen gesteigert wurden, jetzt glücklich die Weltmarktpreise überschritten. Und mit der- selben Selbstverständlichkeit, mit der man die Weltmarktpreise überschreitet, fordert man im Augenblick der größten Finanz- not des Reiches den Abbau der Kohlensteuer, die zu den er- tragreichsten Steuern gehört! Run ist die Kohlensteuer bereits einmal um ein Viertel ermäßigt worden, ohne daß die Preis« der
übrigen Industriewaren entsprechend heruntergegangen wären. Dieses erste„Ruhropfer", das nicht von den Besitzenden, son- dern von dem Reiche gebracht wurde, ist also glatt von der Industrie aufgezehrt worden. Man wird sich daher doppelt und dreifach überlegen müssen, ob es irgendeinen Zweck har, jetzt wieder die Kohlensteuer herabzusetzen und so, wenn der Dollar wieder steigen sollte, der gesamten Industrie ein ge- waltiges Geschenk zuzuwenden. Vielmehr wird es endlich an der Zeit sein, daß die von dem früheren Reichswirtschafts- minister Becker unbeanstandet gebliebene Preispolitik der Syndikate einer nachdrücklichen Revision unter» zogen wird und daß die G e w i n ne des Kohlenbergbaues ein- mal energisch beschnitten werden. Kampf üem tzunger! Tie Konferenz der Ernährungsminister! Im Reichsministerium für Ernährung und Landrvirischas! traten gestern die Ernährungs- und Landwirtschafts- minister der Länder zu einer Konferenz zusammen, die sich mit den Schwierigkeiten auf den verschiedenen Gebieten der Ernährung und den für die Versorgung zu treffenden Maßnahmen beschäftigte. Die eingetretenen Schwierigkeiten fanden eine ein- gehende Würdigung in den einleitenden Worten des Reichsministers Dr. Luther sowohl, wie in den Darlegungen der Vertreter der Länder. Im Einzelnen war die Versorgung mit Getreide und Brot, mit Kartoffeln, Zucker, Fett und Milch besonders Gegenstand der Beratung. Die Sicherung der Brotversorgung. Die Vertreter der Länder stimmten dem Reichsminister darin bei, daß die Martenbrotversorgung vom 15. September bis 15. Okiober verlängert werden soll. Em entsprechender Antrag ist dem Reichsrat zugegangen. Weiter wurde erörtert, ob eine Erhöhung der für das Wirtschaftsjahr 1923/24 in Aussicht genommenen Reserve von einer Million Tonnen erforderlich sei, und ob die Versorgung der großen Verbraucherbezirke über den 15. Oktober hinaus besonders zu sichern sei. Beide Fragen wurden bejaht. Dabei wurde von einzelnen Ländern eine Erneuerung der Umlage angeregt: dieser Gedanke wurde jedoch von der Mehrheit der Konserenz abgelehnt. Kredite für die Kckrtoffelversorgung. Für die Kartoffelernte sind die Aussichten noch Berichten aus den verschiedenen Landesteilen, mit denen die Auffassung der Vertreter der Länder übereinstimmte, nicht ungünstig. Für eine weitere günstige Entwicklung scheint allerdings warme Witterung notwendig. Eine chauptschwierigkeit für die Versorgung liegt nach allseitiger Austastung auf dem Gebiete der Finanzierung. In dieser Beziehung wurde Mitteilung gemacht von der Gründung einer Kartoffelkreditbank, welche die Finanzierung des Kar- toffelhandels sich zur Aufgabe macht. Ferner ist vor kurzem mit den Städten Fühlung genommen worden, um zu erreichen, daß sie in Verbindung mit dem ortsansässigen Handel gleichfalls die Finan- zierung fördern. Eine weitere wichtige Frage für die gute Versorgung mit Kar- ioffeln ist die Ueberwindung der Verkehrsschwierigkeiten. Mit dem Verkchrsministerum besteht seit längerer Zeit ein enges Einvernehmen, um den Transport im Herbst möglichst zu beschlcu- nigen. Das Vcrkehsministerium wird Kartoffeln und Getreide an erster Stelle befördern. Dabei muß damit gerechnet werden, daß für die Kartoffeln nicht immer gedeckte Wagen zur Verfügung stehen werden. Von allen Seiten ist auf schnellste Räumung der Wagen Hinzuwirten, um die volle Ausnutzung zu ermöglichen. Die Ver- treter der Länder stimmten diesen Maßnahmen als zweckdienlich zu. Auf eine Anfrage hinsichtlich der Verbrennung der Kar- toffeln zu Spiritus erklärt« der Reichsminiftcr, daß noch nicht 2 Proz. der vorigen Ernte zu Brennereizwecken verwandt worden feien. Die Herstellung von Spiritus zu gewerblichen Zwecken fei eine wirtschaftliche Notwendigkeit, aber die Freigabe von Kar- toffeln zu diesem Zwecke würde nur nach sehr sorgfältiger Prüfung erfolgen. Die Znckerwirtschaft. Im Anschluß an die bereits im Frühjahr gepflogenen Derhand- lungen über die Zuckerwirtschost 1923/24 wurde die Zucker- Versorgung im laufenden Jahre und die Aussichten für die nächste Ernte eingehend erörtert. In der Aussprache wurde übereinstimmend die Notwendigkeit einer Hebung des Zuckerrübenbaues betont. Daneben wurde die Frage erörtert, ob und auf welche Weise
es möglich fei, bei einer Freigabe der Wirtschaft die Zuführung des Mundzuckers an die Bevölkerung zu sichern und Bor- kehrungen gegen übermäßigen Ankauf durch die Zucker verarbeiten- den Industrien und gegen die Spekulation mit Zucker zu treffen. Die �ettversorgung. Sehr eingehend wurde dann noch die Frage der F e t t- und Milchversorgung behandelt. Die Notstände, die in der letzten Zeit bei der Fettversorgung zutage getreten sind, sind nach übercin- stimmender Auffassung auf den Mangel an Deviseu zurück- zuführen. Die Bemühungen des Reichsministeriums in Verbindung mit der Reichsbank, hier Abhilfe zu schaffen, wurden anerkannt. In den letzten Tagen ist eine starke Erleichterung eingetreten, die sich bereits auf dem Markte fühlbar macht. Die Konferenz sprach sich einmütig dahin aus, daß für die Versorgung mir den, notwendigen Mengen an Fett die Zuteilung von Devisen unbedingt erfolgen müsse, um eine Ergänzung der nicht ausreichenden inländischen Feite zur Befriedigung des notwendigen Bedarfs herbeizuführen. In der Erörterung über die Milchversorgung wurde mehrfach das Bedauern ausgesprochen, daß die Verhältniste in der Versorgung und die Preisgestaltung im Reiche sehr verschiedenartig seien. Es wurde anerkannt, daß die Mittel, die für die Ver- b i l l i g u n g zur Verfügung gestellt find, für einen Teil der Be- völkerung Erleichterung gebrocht haben und daß die weitere Bereitstellung derartiger Mittel notwendig erscheint. Verschleppung ües Noßbach-prozesses. In der Cuno-Zeit. Leipzig , 18. August. (BS.) Zu den mehrfach durch die Preste gegangenen Nachrichten über die Behandlung Roßbachs in der Ge- fangenenanstalt I in Leipzig nach der Flucht Ehrhordts bat sich Roßbach in einem am 11. August vor dem Untersuchungsrickster .des Staatsgerichtshofs aufgefetzten Protokoll wie folgt ausge- losten: „Tatsache ist. daß die Reichsregierung(Kabinett Cuno! Red.) um zu entscheiden, ob General o. Seeckt vernommen werden soll, dieselbe Zst braucht(etwa zwei Monate, in der der Unter- suchungsrichter tne ganze Bornntersuchung geführt hat). Ich stehe nicht an, meine Verwunderung darüber auszudrücken, daß, nach« dem die Voruntersuchung so schnell durchgeführt wurde, daß nur eine ungeheuerliche Verschleppung bei den Reichs- stellen eingetreten zu sein scheint. Am 18. Juni wurde der Bs- schluß des Staatsgerichtshofes auf Verwerfung meiner Hastbe- lchwerde und auf Vernehmung des Generals v. Seeckt gesaßt. Heute, nach fast zwei Monaten, sind die Akten noch nicht beim UntersuchungsrickNer und ist noch kern Entscheid über die Verne h- mung getroffen." Von dieser Erklärung Roßbachs ist dem Oberreichsanwalt zur Kenntnisnahme und Weiterleitung an den Reichsjustizminister ge. mäß dem Antrage Roßbachs Mitteilimg gemacht worden. Wie wir hierzu von unterrichteter Seit« erfahren, ist der Untersuchungsrichter beim Staatsgenchtshos, Dr. Richter, in dieser Angelegenheit bereits am 30. Juli zum Vortrag beim Reichs- wehrminister Dr. G« ß l e r gewesen, dessen Entscheidung über eine Vernehmung des Generals v. Seeckt noch im Laufe der gestern zu Ende gegangenen Woche erfolgen sollte.
Zusammenstöße am Rhein . Köln , 18. August.(Mtb.) Bei«inerKommurastenversammlung in Wiesdorf wurden mehrere P o l i z e i b e a m t e verletzt. Als die Menge gegen die aus Köln herbeigerufene Polizei mit Stein. würfen vorging, machte diese von der Waffe Gebrauch. 20 Versammlungsteilnehmer wurden verletzt und 100 Personen festgenommen. In der Nacht versuchten Kommunisten aus Hilden das Rathaus in Wiesdors zu stürmen. Der Angriff konnte von der vereinigten Wiesdorfer und Kölner Polizei ab- gewiesen werden. Dabei wurden 12 Angreifer verletzt. Auch in S ch l o b u s ch kam es zu ZusammensiLßen, wobei 16 Personen verletzt und vier festgenommen wurden. In Ohligs kam es ebenfalls zu Unruhen, wobei fünf Personen verhaftet wurden. Die mit Knüppeln und Steinen bewaffneten Ruhestörer legten Bäume über die Straßen und hielten Autos an. Der Nachmittag ist in Leverkusen ruhig verlaufen. Die Zahl der sich meldenden Arbeits» willigen nimmt zu. Weitere Ruhestörungen sind nicht eingetreten. Di« Polizei ist nunmehr Herr der Lage. In G e l s e n k i r ch e n ist der Streik der Notstands- o r b e i t e r infolge besserer Lebensmittelzufuhr beendet.
„Krieg und Jrieden/ Von Ernst N i e t i s ch. Der Höhepunkt des 26. Gewerkschaftsfestes, dos vom L e i p- ziger Gewerkschaftskartell am 11. August veranstaltet wurde, war die Aufführung des Mastenfesstpiels.Krieg und Frieden" von Ernst Toller . Keiner unserer gegenwärtigen Dichter ist so sehr im ttefften seines Wesens mit proletarischem Denken und Fühlen verwachsen wie Toller. Ihm war niemals wie zahlreichen unserer jüngeren Literaten Sozialismus und Revolution eine Konjunktur, die man literarisch ausnützen konnte. Leid und Rot, Sehnsucht und Glaube der ausgebeuteten arbeitenden Mäste sind ihm mehr als nur will- kommener Stoff zu dichterischer Gestaltung: st« sind ihm eigenes Erleben, das in ihm wühlt und ihn quält, bis er ihm Sprach« und Form verliehen hat. Di« innere Verbundenheit Tollers mit der Gesamtheit des proletarischen Daseins wird durch nichts«indring- licher bestätigt als durch die Tatsache, daß er nicht bloß der Dichter, sondern zugleich auch ein Märtyrer der proletarischen Sache ist. Verschiedenen seiner Dichtungen wurde der Vorwurf gemacht, daß von ihnen vielmehr ein« agitatorische als eine im üblichen Sinn« rem künstlerische Wirkung ausgeh«. Sicher ist, daß Tollers Dramen nicht jene selbstgenügsame und absichtslos« Abgeschlossenheit eignet, die in sich selbst ruht und im Zeichen einer zeitlosen Ge- setzmähigieit den Zufälligkeiten und Besonderheiten des Alltags fern und kühl gegenübersteht. Toller» Dramen wollen Gesinnungen beeinflussen, wollen Ueberzeugungen bekennen, wollen aktiv in den Entwicklungsgang der menschlichen Gesellschaft eingreifen. Von'ge- wohnlicher Tendenzdichtung unterscheiden sie sich freilich durch die Größe des Ziels, in dessen Dienst sie stehen, durch den hinreißenden Schwung ihrer Handlung, durch die wahrhaftig dichterisch« Bild- hastigtefl und die bedeutungsvoll« Tiefe ihrer Szenen, durch das glüheud heiße Herz, das sich in ihnen oerrät. „Die Wandlung ",„Masse Mensch ",„Die Maschinenstürmer" zeigten, daß Toller bei aller bildnerischen Kraft doch nicht ein Nur- Gestalter ist, der lediglich dem innerlich Gcschauten den sichtbaren Körper schafft, sondern daß er gewinnen und überreden, daß er die Gwisteii schärfen und fiir Sozialismus und Menschlichkeit werben will. Sein Massenfestspiel„Krieg und Frieden" ist von ähnlicher Art. Nur daß die Proletarier, die vom Abscheu vor kriegerischem Morden ergriffen werden sollen, selbst als Mitspieler herangezogen werden: sie selbst machen die Ideen und Stimmungen sichtbar, die nach de» Dichters Willen in allen proletarischen Herzen für alle Zeit« lebendig bleiben sollen. In elf Bildern erscheinen knapp und kräftig die Leidensstationen des Krieges bis hin zu dem seligen Tage, an dem die„Roten ", die rastlos Unzufriedenen und ewig nach Boll- kommenheit Dürstenden den ewigen Frieden zwischen den Völkern hrrausgesührt haben werd*??:. Und da innerhalb der verschiedenen
Völker sich im Grunde genommen stets Gleiches und Gemeinsame» abspielt: Irreführung und Berauschung der Masten, Ausschreitun- gen gewissenloser Spekulanten, Komödiantcntum der politisch Herr- schenden, der Schrei der Darbenden nach Brot, Erwachen der Völker vom Blutrausch, greift Toller zu dem Kunstmittel, die gleichen Vor- gänge gleichzeitig fünfmal parallel nebeneinander sich ereignen zu lasten. Unter den Bannern Englands, Frontreichs, Deutschlands , Italiens und Oesterreichs vollzieht sich gemeinsames Schicksal. Die Hingabe der mitwirkenden Arbeiterschaft an das Spiel war bewunderungswürdig. Von unübertrefflichcr Wucht war jene Szene, in der die Völker sich gegen ihr« gekrönten Herrscher erheben: die Herrscher rufen ihre Frontsoldaten zu Hilfe, diese ober marschieren unter dem Gesang der Internationale ihren Volksgenosten ent- gegen, um sich mit ihnen zu verbrüdern. In kläglicher Flucht suchen die Fürsten Rettung vor ihren zur Erkenntnis gelangten„vielge- treuen Untertanen". Zweifellos ist die Kunstform von.Krieg und Frieden", die die Masten selbst einbezieht in das Spiel, das nicht Spiel, sondern Auf- rüttelung sein möchte, endlich„ernst zu machen", nichts Willkürliches und Erklügeltes. Man spürt, wie das Ethos des Dichters notwendig auf diese Ausdrucksform verfällt, da sie in der Tat das eindringlichste Mittel zu wirksamer Welt- und Bewußtseinsbeeinflustung ist. Wenn es je«ine„proletarische Kunst" geben kann, dann ist sicher.Krieg und Frieden" einer der bedeutsamsten Vorläufer dieser Kunst.
Die überzeugnngskeue Badehose. Also es ist am Strand ge- wesen in einem Fischerdorf und Osffecbad. Da hat meine Freundin, die in der Sozialdemokratischen Partei als Mitkämpferin nicht ganz unbekannt ist, einen Strandkorb stehen, der durch die aufgemalten Anfangsbuchstaben ihres Namens deullich als Privateigentum ge- kennzeichnet ist. Gestern komme ich an den Strand, da sind in dem Strandkorb zwei gänzlich unbekannte jung« Damen angelegentlich damit beschäftigt, sich ihrer verschiedenen Hüllen zu entledigen und sich für ein Bad im Meer vorzubereiten. Es gibt nämlich hier keine abgegrenzten Badeanstalten, sondern im allgemeinen entkleidet man sich in kleinen hölzernen Buden, die den einzelnen Hausbesitzern ge- hören. Wild Badende suchen sich ein« Gelegenheit zum Auskleiden, und besagte zwei Domen hatten den Strandkorb meiner Freundin gewählt. Vor ihnen in einiger Enffernung stolziert ein Jüngling auf und ab, der ein« grellrote Badehose trägt. Die eine der Damen ruft ihm zu: „Pfui, du hast ja solch rote Badehose! Man könnte dich beinahe für einen Sozialdemokraten halten." „Um Gotteswillenl" ruft er zurück. Ich hatte schon vorher die beiden Damen darauf aufmerksam gemacht, daß der Sirandkorb Privateigentum sei und ich ihn benutzen wolle. Sie hatten indessen keine Miene gemacht, ihn zu verlassen. Jetzt sage ich: „Wissen Sie auch, meine Damen, daß der Sirandkorb, den Sie benutzen, einer begeisterten Sozialdemokratin gehört?"
Kaum habe ich dies gesagt, da ergreifen die beiden trotz des fragwürdigen Zustandes ihrer Toilette die Flucht ins Freie, weit fort von dem ominösen sozialdemokratischen Strandkorb. Aber heute morgen habe ich sie wiedergesehen, alle drei, die Damen und d«n Jüngling. Sie entkleideten sich im Schatten einer kleinen Holzbude, und der Jüngling trug eine schwarz und weiß gestreifte Badehose. Die rote hatte er abgelegt. Es ist doch schön, wenn man überzeugungstreu ist bis zur Badehose! Lena. Im„Karussell". Die deutschen Breill haben es nicht loicht heut- zutage, sie haben keinen Sttl— wie die russischen mit ihrer dekora- tioen Kultur und dem volkstümlich-mustkalischen Gesamtcharaktcr (dem jeder heiße Zeitatem fehlt!). Vorzügliche Einzelleistungcn, aber weder ein sich steigernder Aufbau im Programm— noch irgendeine innere Einheit. W ld-chaotisch, wie die Zeit, aber immer- hin aus der Zeit, die glossiert, sallrisch aufgeputscht, verulkt� wird. Zwischen Erotik und Satire pendelt„Das Karussell" am Kurfürsten- dämm, das von den russischen Vorgängern Namen und Lokal, aber sonst nichts übernommen hat, stellt die Einheit durch seinen Ein- peitscher, Publikumdresteur, Zwischenakteur L a m b e r tz- Paulsen her. Er ist in allen Sätteln der höheren Mastagckunst gerecht und ein ziemliches Urvieh(«n xra�ie). Er würde uns gut und gern allem unterhalten, und man versteht nicht, warum er dazu noch eine Berliner Sängerin, hawaitische Gitarrespieler, die obcrbayerisch zittern, und die Jagd noch Witzen eines B. Z.«rs benützt. Der kleine Boytler, der urkomisch einen Friseur und eine Dome bei der Toilette so aus dem Handgelenk mimt, re:zt schon eher, und die Aenn Heusinger, die Zartes und Freches im Pagenkostüm singt, hat bestes deutsches Chansonblut. Bela Laszky bringt sein« altbewährten feinen Kompositionen: eine rassige junge Sängerin Ffffi Mars, die alle Vorzüge und einige Mängel der Jugend hat, schmettert und trällert sie hinaus. Benow, ohne gleichen in seinem Telephongespräch. hat's mit einem Devisenschieber zu tun. dar endlich zum Sitzen gekommen ist. Sein entzündender Dämon und Schwächling in der Schlußnummer täuscht nicht darüber hinweg, daß diese Anleihe beim„Internen Theater" geisttos ist.— T- Das Phonogramm-Archiv. das an der Berliner Staatsbibliothek angeschlossen ist und unter Leitimg des Professors Wilhelm Doegen steht, ist bereits auf zweitausend Nummern angewachsen. Es enthält Sprarhaufnahmen von 217 Völkern der Erde. Der Sprachforscher der Zukunft wird also nicht in der Lage sein wie der heutige Philo- log«, der zwar weiß, wie die alten Griechen, Römer usw. dekliniert haben, nicht aber mit Bestimmtheit sagen kann, wie sie ausgesprochen haben und wie die Sprachen klangen. Die Stimmen sind mit den vollkommensten Phonographen aufgenommen worden und geben die Laute und Klänge mit wunderbarer Klarheit wieder. Vieles ist von reisenden Gelehrten mitgebracht worden, einen großen Beitrog lieferten auch die Aufnahmen, die mit Kriegszefangcnen des letzten Krieges, Indern, Tataren und sonstigen Mohammedanern aus dem russischen Asien , Afrikanern und dergleichen gemacht wurden. Ebenso reichhaltig wie die Berliner Sammlung ist die, welche Professor Siegmund Exner in Wien angelegt hat."Auch die? Museum, in der Tchwarzspanierstraße, besteht erst zwanzig Jahre und hat bedeutende