Kr. 3�7 ♦ 4S. Jahrgang
1. Beilage ües Vorwärts
Sonntag, 2H. August 1�23
Geistiger Verarmung entgegen»
Bor kurzem erst h<!b«n wir an dieser Stelle, an der wir in den| letzten Monaten leider schon zu est unsere krebsartig fortschreitende Verarmung haben schildern müssen, aufgezählt, was wir und unsere Körper heute entbehren müssen, und wie dürftig wir heute nur für unseren Leib sorgen können. Aber auch eine andere gleichfalls be- brohliche Auswirkung unserer allgemeinen Notlage darf nicht vergessen werden: die immer mehr um sich greifende und bald tiefere Wirkungen zeigende geistige Verarmung. MjchieS vom Such. Gerade die Arbeitenden spüren diese Auswirkungen in allererster> Linie. Es war bisher dem Arbeiter noch immerhin ob und zu mög- lich gewesen, sich zu einer Heranbildung oder seiner geistigen Cr- holung ein Buch z. B. zu leisten. Das hat nun aufgehört. Die neuen Bücherpreife haben einen Stand erklommen, der mit dem Ausgabeelat eines Proletariers sich nicht vereinen laßt. Bedenkt man, daß bei dem auf dem deutschen Büchermarkt angewandten Index- verfahren eine Broschüre billigst eine Grundzahl von 2, ein politisches Durchschnittswerk ein« Grundzahl von mindestens 5 bis 10, ja 15, ein populärwissenschaftliches Werk ein« solche von immerhin 0 und mehr, ein Durchschnittsroman eine Grundzahl von S, ein besierer, literarifä) wertvoller Roman eine von immerhin fast 10 haben und multipliziert man diese Grundzahl mit d«r augenblicklichen Schlüsselzahl von 1 000 000, das ergibt Preise, die zu bezahlen der Proletarier, der den Kampf um seine primitivste Lebens- notdurst nur fo eben aushält, sich nicht mehr leisten kann. Er muß Verzicht leisten. Er genau fo wie feine Kinder, die sich in der Schule entweder mit veraltetem, zerfetztem Buchinatcrioil oder dem als Ersatz vom Lehrer gesprochenen Wort begnügen müssen, oder die Studenten, die, wenn sie arm sind, nicht mehr die Möglichkeit ersehen können, sich ihr notwendigstes Arbeits- und Handwerkszeug zu beschasten. Di« Lage auf dem deutschen Büchermarkt ist trostlos, so trostlos, daß viele Verlag« sich entschloffen haben, die weiter« Bücher- Produktion einzustellen. Bor einigen Tagen ging durch die Preffe, daß so u. a. die wissenschaftlichen Verleger beschlossen haben, ihr« gesamt« weitere Verlsgertätigkeit angesichts der kato- strophalen Wirtschaftsloge einzustellen, ebenso ein Teil der schön- geistigen Verleger. Auch die Leihbibliotheken sind auf Grund der hohen Bücherpreis« zu einer fast unerschwinglichen Leihgebühr gekommen. Da die Wohlfahrtsbibliotheken aus Geldmangel keine neuen Bücher mehr anschaffen und die zerlesenen nicht mehr ersetzen können, herrscht dort ein Mangel an gesuchten und vielgelesenen Büchern, dem abzuhelfen diese Anstalten leider keinen Ausweg sehen: die staatlichen Unterstützungen und privaten Zuwendungen sind zu minimal, um helfen zu können. Wie beim Buch, so bei den Zeit- s ch r i f t e n! Die Arbeikerbildungsstäklen kämpfen einen bitteren Kamps um ihre Erhaltung: die papulärwissenschasllichen Hochschulen desg-eichcn. So wird auch der Besuch der Sternwarten, der Experi- mentiersäle, der Museen, des Botanischen Gartens, vom Zoologischen Garten ganz zu schweigen, vielen unmöglich gemacht, weil der Hunger des Magens den Hunger des Geist es ab- würgt und nichts mehr übrig bleibt, ihn zu stillen. Wir sind der geistigen Verarmung ausgeliefert. Ein einziger Trost ist uns noch, daß die Bildungsanstalten der Partei wenigstens noch einiges hier lindern. Aber auch hier taucht die Frage auf: Wie lange noch!?! �bschieü vom Theater. Wie die rein geistige Fortbildung nur mehr das Privileg der Reichen ist, namentlich der Neureichen, die„Bildung"' mehr schänden als werten und in ihr nur den Begriff„Büldung" verstehen, so sit es auch mit der geistigen Erholung. Wer kann noch ins Theater gehen? Wer kann noch Preise zahlen, die teilweise in die Millionen hineingehen? Das Proletariat und der gebildete Mittelstand ist des Rechtes zum Theaterbesuchs verkustig gegangen: sie sind zu arm da- zu. Und der Erfolg? Di« Reichen, die Ausländer bevölkern nun die Parterren und diktieren den neue? Geschmack. Das Gut« ist ihnen nichts, der Kitsch, der holde, süß« Kitsch alles. So verschwindet, so verschwand die gute Literatur von der Bühne, und an ihrer Stelle triumphiert nun die Operette. Denn die Bühnen müsien sich halten!
Da aber diese Herrschaften für Literatur nichts übrig haben und der Proletarier und der Mittesitändler, die Kunst schätzen, zu arm zum Theaterbesuch sind, gibt es für die Bühne nur einen Ausweg. Und siehe da: 50 Bühnen in Berlin spielen Abend ssir Abend Operette. Und vegetieren doch nur dabei. Alles das ober bedeutet das Todesurteil für unsere gut« Bühnenliteratur, für unsere Dichter und schließlich für die Bühnen selbst. Wir gingen den Weg nach Küßnacht, von Goethe über Sttindberg-Wedekind zum »Blonden Gift"' der„Erztokette"', fabriziert von einigen geistesleeren Librettisten und musikalischen Kleptomanen! Uns aber bleibt die Oed«! Me das Theaterstück ist uns das Konzert versagt.(Eine Ausnahme machen die Dolkskonzert« der Philharmoniker und die großen Konzerte des Groß-Berliner Bildungsausschusies.) Und selbst das Kino verlangt zu hohe Preise, mn sich seines zu freuen. Für den süßen Kitsch photographierter Borniertheiten rund um die Erottk herum einige Hunderttausend Eintritt und einige Hunder- tausend Fahrgeld auszugeben, geht nicht mehr an. So wird der Film gezwungen, zu werden was er ist: getreues Spiegelbild des schwabbeligen, überparfümierten Parvenügehirns, mack« in Ger. rnany für Spießer, Kokotten und Lebejünglinge! Ein Glück, daß an denen nichts mehr zu verderben sit! Was bleibt uns....! Was soll uns da noch trösten? Di« Kirche? Di« Hand des lieben Herrgottes oben, den nur immer die Satten loben? Ich glaube nicht! Mich trösten mein Dompfaff, mein Star und mein Rotkehlchen. Zu einem Kanarienhahn langt es nicht mehr! Und sonst bisher noch die Natur, irgendwo draußen dos Grün«, irgendwo ein alles Städtchen, irgendwo ein verwunschenes Paradies! Aber auch das ist nun für viele Esiig. Dafür fahren die andern auch zweiter Klaffe nach Baden-Badcn und Oberbaqern. Unser« Alpen stehen im Lunopark. So bleibt uns nur noch eins: das Zuhausei Zu Hause sitzen, sich darin üben, zu verzichten und froh zu fein, in alten Schmökern zu schmökern, mit der holden Gattin öS und Schach zu spielen und dazu dünnen Tee zu trinken! Man könnte sich ja Freunde einladen, so ab und zu, wie man es bisher tat! Aber auch das hört nun aus! Der ein« wohnt hier, der andere da und man selbst dazwischen! So würden die Fahrtkosten denen zuviel und fie müssen es oteiben lassen. Und wir selbst, wir überlegen uns und rechnen: kann man noch jemanden einladen, darf man es noch, ohne die Wirtschoftskasie zu sehr zu belasten? Und man antwortet leider: nein! Etwas will die Frau doch anbieten, sie sollen doch nicht trocken sitzen, sie sollen auch etwas rauchen: aber— Tee kostet Millionen, Malzkaffee hat jeder die Rase voll, ein« Zigarre 100 000 Mark,«ine Zigarette 30 000! Und das olles ist nichts und doch, wer kann es von uns sich leisten, diese Ausgaben für ein Zu- sammensem? Also: verzichten wir und bleiben wir allein«! So marschieren wir vorwärts, der geistigen Verarmung ent- gegen: vom simplen Buch bis zur billigen Diskusiion am Teetisch, vom Theater bis zum Konzert, vom Vortrag bis zur Bildungsanstalt, von der Experimentiermaschin« bis zum astronomischen Rohr— alles liegt für uns hinter verschlossenen Türen! Das schön« Buch wie die fünf Monde des Jupiters, der Faust wie die Neunte Sinfonie, der Weg zur Erkenntnis wie Rubens und Rembrandt — alles nur mehr für die Reichen! Und für uns— die geistige Verarmung, die Dereinsomung, die Oede, die Leere, das Nichts! Nicht nur unser« Magen hungern, auch unsere Hirne! Und Hunger tut weh, in diesem wie in jenem Falle... Ein Ltter Milch 178 0«« Mark. Für den Dezirk der Stadt Berlin betrog«» vom 27. August ab die Preise für Vollmilch 178 000 M. se Liter, für Magermilch 80 000 M. j« Liter. Mit dem gleichen Tag« treten die bisherigen Vreisfestseyungen außer Kraft. Die /--Milch karten werden mst % Liter, die st-Milchkarten sowie die Karten für werdend« Mütter (E-Karten) mit je H Lite? Vollmilch beliefert.
Die Mark steigt.
... Szene: Eine der Wechselstuben-Ktoske in Berlin , Unier den Linden, vor der Kranzler-Ecke, am Donnerstag. Der Dollar, der am Wochenanfang bis zu 8 Millionen Mark gekostet hatte, hat einen heftigen Stoß erhalten. Der Berliner Devisenmarkt liegt schwach. Vor dem Wechsel- KioSk staut sich eine Menge wohl» gekleideies Volk, offenbar größtenteils Tagediebe, deren einzige Sorge der Kurszettel ist. Schon ist die Wechselstube voll, niemand kann mehr herein. Da— o Wunder— formiert sich eine Schlange Eine Schlange von ebenmäßiger Schönheit, wie sie nur Menschen biiden können, die vom Geiste der Ordnung erfüllt sind. Man konnte solche Menschenschlangen schon oft beobachten, und kann sie noch täglich sehen, nämlich wenn der Dollar steigt und dann stauen sich die Menschen zu langen Schlangen nicht vor den Wechselstuben, sondern vor den Butter- und Margarineläden: und es sind auch meist keine wohlgekleideten Leute, sondern von Unterernährung zerknitterte Proletariergesichter im schäbigen Kittel. Man braucht sonst nicht schadenfroh zu sein, mußte aber doch seine Freude haben an der Geduldsübung, welche hier dem gewinngierigen Valuta- gesindel auferlegt wurde. Dieses Völkergemisch, da« sonst auf Kosten deZ ganzen Volkes ein Schlemmerdasein führt, hat es auf einmal mit der Angst,«S könnte für seine bunten Lappen ein paar Havenstein-Rubel zu wenig bekommen! Da ruft einer aus der Menge: Kieke mal. der Dollar fällt; nu steh'» se uff Mark!— Die Gesichter hättet ihr sehen müssen! Die Septembermiete. Das SSVfache der Grundmiete in einfachen Häusern. Der Berliner Magistrat hat sich gestern in einer auherordent- lichen Sitzung nachdem bereits am Anfang der Woche der Aus- schuß für das Wohnungswesen Stellung genommen hat, mit der Festsetzung der Septembermiete befaßt. Die Zuschläge zur Grund- miete wurden folgendermaßen festgesetzt: Zu zahlen am 1. September: Für den Zwjendiensl die O.Ssache Grundmiet«, für die verwalkungskosten einschl. der Kosten für das Hausreinigungsmaterial in einfachen Häusern die löOOsache, in Hau. fem mit besonderen Einrichtungen(Warmwasserversorgung, Sammelheizung, Fahrstuhl), wenn mindestens eine dieser Einrich- hingen im Betrieb ist, und in geschlossenen Häusern die 1700fache, in Geschäfts- und JndustrieHäuserni die 2000fache Grundmiet«. Die Löhne der Angestellten in allen Häusern sind bis zu der Höh«, in der sie jeweils vom Demobilmachungskommisiar für ver- bindlich erklärt werden, auf die Mieter umzulegen. In Geschäfts- und Industriehäusern haben die nicht gewerbllckicn Mieter nur die Löhn« der Hausangestellten zu tragen, die im Interesse dieser Mieter tötig sind. Der Zuschlag für lausende llnstandsetzungsarbei- ten ist auf das lS84S,6fache der monatlichen Grundmiete festgesetzt, der Höchstsatz, b'v zu dem das Mieteinigungsamt einen Zuschlag bei großen Instandsetzungsarbeiten festsetzen kann, ist auf die-JOOOfache der Jahresgrundmiet« erhöht worden. Es können umgelegt werden, die Kosten der Müllabfuhr bis zum monatlichen Höchstbetrage der 1200sachen monatlichen Grundmiete, die Kosten für Schlackenabfuhr bis zum monatlichen Höchstbetrage der SOOOsachen, der Kessel relni. gung bis zum monatlichen Höchstbetrage der llOOsachen, der Fäkalien« abfuhr' bis zum 0500 fachen, der Feuerversicherung bis zum Monat- lichen Höchstbetrage der LOOOsachen, der Versicheruno gegen Glas- schäden bis zum Höchstbetrage der 300fachen, gegen Wasserlcitungs» schaden der 400fochen, gegen Haftpflicht der ZOOsachen monatliche» Grulckmnet«. Der im letzten Monat auf das 200fache der Grundmiete festgesetzte Vorschuß ist auf das ZOVOsache erhöht worden. Mieter, die ihren Mietzins vierteljährlich voraus zahlen, sind'vor- pflichtet, den Unterschiedsbetrag des Vorschusses am 1. September nachzuzahlen. In einem gewöhnlichen Hause sind auf Grund dieser neuen Bekanntmachungen am 1. September an festen Zuschlägen das ISZSOsache der Grundmiete zu zahle«. Di« neue Bekanntmachung enthält ferner gegenüber der frühe- ven Fassung verschiedentlich« Abänderungen, da inzwischen die neuen preußischen Ausführungsbesttmmungen zum Reichsmietengesetz in Kraft getreten sind. Auf Grund dieser Bestimmungen sind bei der Berechnung der Grundmiete für die F a h r st u h l- benutzung äußernden übrigen Abzügen noch 2 Proz. in Abzug
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Als gelte es, taufend Menschen von einem leckgewordenen Dampfer vom Ertrinken zu retten, so macht sich alles ans Werk. Schon fährt der erste Wagen voll Reisig heran. Zehn, zwanzig Männer stürzen sich darauf, um die Wellen auf den Platz zu tragen. »He da, helft auch!"" sagt ein Herr zu Kilian, der dicht dabei steht.„Oder seid ihr etwa— ein Kommunist, ein Jung- bursch?"" „Wieto?� sagt Kilian und bekommt einen roten Kopf. „Dann helft!" > Kilian drückt sich- Einer faßt ihn am Arm und sagt mit giftigem Blick:„Seid ihr nicht einer von den verdammten Sozi.?" „Blödsinn," antwortet Kilian und lügt schon sehr b«- stimmt. „Dann helft doch mit!" sagt ein anderer und stößt Kilian an.„Jawohl!" kommt's von einer anderen Seite.„Wer nicht hilft, ist ein Vaterlandsverräter!" „Das ist auch einer von denen, weist ein vierter auf Kilian. Da verschwört sich dieser:„Ich emer von den Halunken? Wie käme ich dazu?" ruft er s-hr beleidigt und nimmt eine Reisiqwelle auf und stellt sich damit in die Reihe derer, die das Holz von Hand zu Hand bieten. Und um ihn erklingen die anfeuernden Rufe der Menge. Er hört die Jubelschreie. Er kühlt die Anteilnahme der Masse, die Begeisterung, die mit dem emporsteigenden Holzstoß cmschwill.. Es übernimmt Kilian: er lacht mit. er kommt selber in Begeisterung. Die Menge rings um den Platz wird größer, wird zahllos: ihr Murmeln, Reden und Rufen wird zur Brandung voll Leiden- schast und Zorn. Schon ist der neue Reisigberg aufgeschichtet, schon hat man einen neuen Wattsmann um eine Stange gewickelt. Dreißig, vierzig Hände greifen zu: Ho-hop! Ho-Hop! Schnell steigt der Bögg in die Höhe. Hurra! donnert's aus tausend Mündern. Hurra, ein Sieg ist erfochten! Ein Haßruf hat die Lust durchschnitten. Hurra! Ein Triumvh der Feindschaft steht der zweite Bögg. „Es ist ihnen nicht gelungen, uns den Spaß zu verderben! funkelt's aus jedem Auge.„Aber es soll ihnen gleichwohl un-
vergessen bleiben," murmelt's in den Bürgerseelen. Und alle wissen, alle: hoch und neu ist die Mauer aufgetürmt zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft. Die Kriegsflagge ist gehißt. Auf dieses Thema sind alle Reden gestimmt, die bis gen Mitter- nacht auf den Zunftstuben gehalten werden, mit weinbeschwer- ten Zungen und aus haßerfüllten Herzen. Kllian aber wurde, als der Bögg aufgerichtet war, am Arm genommen. Seine Freundin Mathilde! Er war ganz verwirrt und verstand im Anfang den Sinn ihrer Fragen nicht. Ob er denn berauscht sei, frug sie. Da wurde er grob. Sie wechselte mit einemmal ihren Ton und ftug fremd und höflich, ob er ihr noch einig« Fragen erlaube. „Meinetwegen." Ob er geholfen habe, den erstey Bögg anzuzünden?— Ja.— Ob er geholfen habe, den zweiten aufzurichten?— Ja.— Ob er mit„Hurra" geschrien habe?— Ja.— Ob er für ein solches Verhalten eine Erklärung wisse?— Rein.— Nach einer Weile sagte sie ruhig:„Ich würde dir raten. sofort deinen Koffer zu packen, und mit dem Nachtschnellzug fortzufahren. Aufgebracht, wie die Bürger sind, werden sie nicht ruhen, bis sie die Täter erwischt haben, und der Buben- streich ist für ihre Rachcwut doch zu harmlos." „Meinst du?" sagte Kilian kleinlaut.„Und was fall denn mit uns beiden geschehen?" „Mit uns?— Du wirst, so wie ich dich kenne, schon zu etwas kommen und deinen Weg machen. Und ich... ich werde den Abteilungschef in meinem Rayon heiraten." „Du?-- Und deine Pläne?" „Meine Pläne?— Ich werde", sagte sie müde,„ans der Partei austreten. Man hat mir irgendwie das Rückgrat ge» brachen.— Gute Nacht!" Viertes Kapitel. „Zibele-Märit." Zwiebelmarkt in Lern! Wer hat das einmal mit ange» sehen und kann es wieder vergessen? Vom Bahnhof an- gefangen, gleich bei der mit so feinen Verhältnissen prunken- den Heiliggeistkirche, die Spitalgafle hinunter, beim Käfigturm vorbei, die reichere Marktgasse entlang, zum mächtigen Zeit- glockenturm und weiter durch die ernste Kramgasse und weiter bis hinunter zur Nideckbrücke— alles voll Zwiebelsäcke! Beigen, Berge von Zwiebelsäcken, gaßauf und-ab: vor all den wuchtigen Strebepfeilern, mit denen die Hauser so trutzig in die Gasse hine'mtreten und Zwilchen denen die Laubenbogen sich wölben. Zwiebelsäcke allüberall auf den nebelnassen Te- setzesteinen! Denn der„Zibelemärit" fällt in Winteransang,
da allmorgendlich die Nebel wie graue Gespenster aus dem Aarewasser steigen und die Gassen hinausschleichen, die jetzt so gemessen und amtlich dreinblicken, jetzt, da den Häusern die Fensterladen, die bunten Gesimskissen, darauf sich feierabend- genießend der Bürger verbreiten konnte, den Brunnen und ihren steinernen Edeln alle Blumenzier genommen ist. Feucht wird alles, was die Aarenebel mit ihren Gewändern streifen. Aber um so heller leuchtet am Zibelemärit dos Gelb der Ge- würzknollen aus grauflimmriger Lust, aus Mauergrau und Straßenschwarz! Leuchtet in den Zwiebelkränzen, die über die Sackberge hängen, leuchtet aus dem Segen, der aus an- gebrochenen Säcken quillt, leuchtet aus den Wagen, auf denen sie gewogen werden, aus den Körben, in die sie gleiten und darin man sie von bannen trägt, dorthin und hierhin. Denn ehe der Novembertag— lässig und mürrisch, wie die Novembertage nun einmal sind— recht aufgestanden ist, träufelt's und quillt's und rinnt's aus allen Gegenden und „Leisten", wie man die Stadtviertel dort nennt, quillt's und rinnt's und träufelt's aus allen Häusern von ganz Groß-Bern und eilt und drängt und läuft nach den Hauptgassen zu den Zwiebelbergen, Männlein und Weiblein, und quillt an zu einem Strom, schwarz und undurchdringlich, und füllt die Gassen bis zur frühen Dämmerung. Und alle Welt prüft und vergleicht und erwägt und feilscht und kauft und freut sich seines Handels, just als hinge, wenn nicht der Seele Seligkeit, so doch des Leibes Wohl ganz und ausschließlich vom dem Besitze von Zwiebeln ab. Ist aber die Gasse ein brodeAder Strom, in den zu tauchen nur Lust hat, wer feines leiblichen Daseins Würze noch nicht nach Haufe getragen, so sind die Laubengänge links und rechts der Straße liebliche Flüßlein, durch die es sich gondelt, wie durch den Fluß Namir im siebenten Himmel der Oberchristen. Es segeln da Menschen herum, sonntägliche und wahlgelaunt«, die etwas getauft haben oder taufen werden. Auch sind junge Leute da, Gymnasiasten, höhere Töchter, junge Bäuerinnen und Bergler, item Jungvolk, das der Liebe entgegenreift, und einiges hat sich besonders festlich angetan, hat bei den Zuckerbäckern lustig nachgemachte Zwiebelkränz- lein erstanden und sich um den Hals gelegt, und verlusttert sich nun also, sich selber und den Begegnenden zur Freude unter den Lauben. Und wo irgendein Mensch geht, sei er wo er wolle, der Bundespräsident oder die Putzfrau aus dem Bahn- Hofsabtritt, es ist über ihn gebreitet wie Silberstaub über den Weihnachtsbaum— irgendein fremdes, süßes Glück hat sie überrieselt! Es ist aber ein unerklärliches Geheimnis, warum und wieso dem also ist...,.,.. (Fortsetzung folgt.)