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Nr. 413 40. Jahrgang

Seilage öes Vorwärts

Mittwoch, 5. September 1423

Vieöeraufstieg öer Straßenbahn. Die folgenden Ausführungen wurden vor dem im gestrigen' Abendblatt veröffentlichten BcschluK der Berkehrsdevutation, die Straßenbahn in ihrer bisherigen Betriebsform stillzulegen und ihre Weiterführung einer städtischen Bctriebsgesellschaft zu übertragen, geschrieben. Zm übrigen hat sich durch den Beschluß an der Situation, die der Verfasser kritisiert, nichts geändert. D. Red. Aus den Kreisen des Gemeinde- und Stcatsarbeiterocrbandes wird uns geschrieben: Auf der Konferenz der Industriellen zur Sanierung der Berliner Straßenbahn am 7. Ncwinber 1922 hatte der Direktor Waldschmidt unter allgemeiner Zustimmung folgendes ausgeführt:Es wäre ein- fältig von feiten der Industrie, für die Straßenbahn irgendwelche Mittel herzugeben. Was morsch ist muß fallen. Die Straßenbahn ist reif: Laßt sie fallen. Es muß erwidert werden, daß schreiende Mißstände innerhalb der Straßenbahn bestehen. Die Verlängerung der Arbeitszeit wird kommen. Der allgemeine Zustand in der In- duftrie ist heute ein derartiger, daß sich die Ausgaben zusammen- feßen aus einem Drittel für Löhne und zwei Drittel für Materia- lien. Vor dem Kriege war das Verhältnis von ein Halb zu ein Halb. Die Industrie hat es fertig gebracht, die Ausgaben in einer für sie günstigen Form zu beeinflussen. Sie hat dies durchgesetzt trotz der Sozialisicrungsmahnahmen, die von ihr abgewürgt worden sind. Lassen sie die Straßenbahn in'den Dreck fahren und helfen Sie ihr nicht. Nur auf diese Weise wird der Einfluß des allgemeinen Wahl- rechtes auf die Industrie, der ein gottverfluchter Unfug ist, gebrochen." In einer Konferenz der Obcrbeamten der Straßenbahn vom 18. November 1922 wurde die Lage der Straßenbahner besprochen, wobei Direktor Lüdke erklärte, daßim November nur noch Motor- wagen laufen, daß für Anfang nächsten Jahres(d. h. 1923) nur noch mit 500 Motorwagen zu rechnen fei und daß voraussichtlich im Laufe des nächsten Sommers die Straßenbahn in Schönheit sterben werde. Am 22. August 1923 faßte der Berliner Magistrat folgenden Beschluß: Die Straßenbahn ist stillzulegen. Dem gesamten Perso- nal ist zu kündigen. Dem Unternehmen ist die Form einer G. m. b. H. oder Aktiengesellschaft zu geben. Das Unternehmen ist zu vcr- pachten. Der Beschluß des Magistrats vom 22. August 1923 vollstreckt die Forderung des Direktors Waldschmidt und erfüllt die Weiß- sagung des Direktors Lüdtke vom 18. November 1922. Damit wäre den Ansprüchen aller Gegner der Kommunalwirtschaft genüge getan und die Tage der Straßenbahn als kommunales Unternehmen wären gezählt. Die Valutakataftrophe hat der Schwerindustrie und der nach dieser Richtung orientierten Direktion Recht gegeben. Und trotz dieser Entwicklung ist der Beschluß des Mogistrats«in über- eilter. Er wurde gefaßt unter dem Druck äußerst widriger Verhältnisse, die geschickt von bestimm- ter Seite benutzt wurden, um impulsive Beschlüsse des Magistrats herbeizuführen. Di« Sitzung der Vcr- kehrsdeputation am Freitag, den 31. August, hat schon eine besinn- kichere Auffassung der Lage gezeigt. Nach den neuesten Beschlüssen soll die mit 91 Linien in Schönheit gestorbene Straßenbahn mit 28 Linien auferstehen. Wie sieht es in Wirklichkeit im Augenblick aus? Zweifellos leidet die Siraßenbahn schwer. Trotzdem war das Unternehmen in den Monaten März, April, Mai, Juni und teilweise auch im Juli in der Lage, Einnahme und Ausgabe in Einklang zu bringen. Tie vier letzten Wochen waren schwer. Der Torso de? Straßen- bahn auf die Hälfte ist der Verkehr schon reduziert war nicht in der Lage, die Konkurrenz der Stadtbahn und der Hoch- und Untergrundbahn zu ertragen. Die Stadtbahn deckt übrigens nur 29 Prvz. ihrer Ausgaben durch die Einnahmen. Kein Priootunter- nehmen wäre in der Lage, eine derartige Konkurrenz zu tragen, und sei es noch so gut geleitet. Die Beschlüsse des Magistrats, würden sie aufrecht erhalten, was uns unmöglich erscheint, wirken sich am 8. September aus. Wie stehen wir heute?- Nach der Erhöhung des Fahrpreises auf 199 999 M. sank die Zahl der Fahrgäste auf 263 990, gegen zirka 2 Millionen vor dem. Kriege und etwa 3 Millionen in den ersten Iahren nach dem' Kriege. Am Freitag war die Ziffer wieder auf etwa 599 999 ge- stiegen, hatte sich also fast verdoppelt und die Verkehrseinrichtungen 1 erwiesen sich oft schon wieder als unzureichend. Ab 1. September'

sind die Fahrpreise der Stadtbahn und der Straßenbahn gleich. Für die 2. Klasse der Stadtbahn sogar um 59 Proz. höher als die der Straßenbahn. Daraus folgt, daß die Straßenbahn wieder Verkehrsmittel der Berliner Bevölkerung wird. Ihre Einrichiun- gen dürften sich in Kürze als unzureichend erweisen. Keine Ein- schränkung. sondern Erweiterung der Verkehrseinrjchtungen wer- den notwendig. Nicht Einschränkung, sondern Erweiterung des Verkehrs gibt der Straßenbahn die Lebensmöglichkeit.

Neue Crüftöße in Japan . lJOOOOW) Todesopfer. Der Kelch der Leiden, den das von der Erdbebenkatastrophe heimgesuchte Japan zu leeren hat, scheint noch nicht erschöpft. In dem zerstörten und verwüsteten Lande, dessen Bewohner allen Nöten des Hungers und der Witterung ausgesetzt sind, machen sich bereits wieder neue Erdbewegungen bemerkbar. So meldet ein Londoner Telegramm: Aus Japan werden neue Erdstöße gemeldet, durch die in der Umgebung von Tokio wiederum 300 Häuser zerstört und 900 beschädigt wurden. Auch neue Todesopfer haben sie, soweit bis jetzt seststeht, in Zokofala verursacht. Zn Tokio ist der mittlere und hauptteil der Sladt eine wahre Hölle gewor- den. Die Sttaßen sind beleuchtet und liegen voll von Lei­chen. Es ist völlig unmöglich, auch nur annähernd die Gesamt­ziffer der Menschenleben abzuschätzen, die bei der Katastrophe um­kamen: aber es wird damit gerechnet, daß niäzt weniger als 250000 Tote zu beklagen sind. 3n dem Erholungsort Hakane ist es leichter, die Lebenden zu zählen als die Toten. Zn Atama sind 7000 Personen gestorben. Die Orte Otowara und Samakina in der Nähe der Küste sind vollkommen zerstört. Der amerikanische Admiral Andersen hat eine Slasette von Zer- störern seiner.Flottendivision zur schnellen sunkentelegraphischen Ilebermittelunq aller Nachrichten aus den verwüsteten Gebieten eka- bliert. Weiterhin wird berichtet, daß entgegen bisherigen Nach- richten Ministerpräsident Zainamoto nicht ermor- d e t, sondern daß ein Mordanschlag aus ihn versucht worden ist. Nach einem Telgramm aus Osaka sind bei dem Erdbeben drei Millionen Menschen umgekommen. Nach einer Meldung aus San Francisco sind in Tokio wegen des.Mangels an Lebensmitteln Unruhen aus- gebrochen. Die Gendarmen machten von ihrer Schußwaffe Gebrauch. Die Brücke von Riogoku ist in dem Augenblick eingestürzt, als auf der Flucht nach den Bergen sich eine ungeheure Menschenmenge auf ihr befand. Das Schicksal der Ausländer. In Hakane hat ein Journalist eine Anzahl a u s l ä n d i- scher Flüchtlinge angetroffen, denen alles fehlt und von denen viele verletzt sind. Cr teilt mit, daß etwa 59 Ausländer In Hakane umgekommen sind. Von dem amerikanischen Kon- sulat in Tokio sind bisher keinerlei Nachrichten eingetroffen. Der englische Botschafter in Tamara, Charles Eliot, b:sindct sich bereits feit einigen Monaten in England auf Ferien, ebenso der englische Konsul in Tokio , Davidson. Von dem englischen Geschäftsträger Parlett und anderen Angestellten der englischen Botschaft ist man noch ohne Nachricht. 13999 englische Untertanen, die sich in der japanischen Hauptstadt aufhielten, haben auck kein Lebenszeichen von sich gegeben, mit Ausnahme des Sekretärs einer Missionsgesellschaft in Tokio , Mr. Barcelaye, von dem ein Telegramm aus Karuizan. einer Ortschaft, die etwa 139 Kilometer von Tokio entfernt liegt, eingetroffen ist. Nach einem Telegramm aus Moskau hat Tschitscherin der japanischen Regierung das Beileid der Sowjetregierung wegen der Erdbebenkatastrophe ausgedrückt. Nach Wladiwostok ist der Befehl gegeben worden, den Japanern Hilfe zu er- weisen. * Aus San Pedro an der kalifornischen Küste wird eine gewaltige Springflut gemeldet, der verschiedene Schiffe zum Opfer gefallen sind. Es handelt sich anscheinend um eine Aus- Wirkung des japanischen Erdbebens. Ein deulfches Schmuggelschiff in Kopenhagen . Der deutsche Dampfer Wartenau aus Hamburg wurde auf Grund von Ver- dachtsmomenten in Kopenhagen untersucht, wobei an Bord des Dampfers 190 Flaschen Spiritus gefunden wurden. Darauf wurde dem Schiff die Abfahrt gestattet. Na» der Abfahrt förderte die Hafenoolizei am Liegeplatz des Schiffes 5 9 9 Liter Spiritus, die versenkt waren, zu Tag«.

ver Traum vom Eigenheim. Und was daraus wurde... Einen unverschämten Schwindel hat der Dentist Alfred W o l l i Z, der sich vor der Ferienstraskammcr des Landgerichts II wegen Be- truges zu verantworten hatte, verübt und dadurch einen Kassenboten um einen größeren Betrag geschädigt. Der Kasienbote wünscht« sich ein Eigenheim zu schaffen und wurde von dem Angeklagten bestimmt, ihm einen größeren Betrag zu übergeben, um das Haus seines Onkels in Lichterfelde zu kaufen. Der Angeklagt« hatte dem Kauflustigen gesagt, daß fein Onkel die Villa nur an Verwandte verkaufen wolle, so daß er das Haus auf seinem Namen erwerben und dann ohne Verdienst an den Auftraggeber weiterverkaufen wolle. Nachdem der Kassenbot« mehr­fach Beträge abgeführt hatte, wurde er schließlich durch das Der- halten des Angeklagten mißtrauisch gemacht und begab sich nach Lichterfelde , um sein erträumtes künftiges Eigenheim selbst in Augen- schein zu nehmen. Bon der Tochter des Onkels muhte er zu feinem Leidwesen erfahren, daß er angeführt worden sei, denn die Billa war schon seit Jahren verkauft. Das Schöffengericht Schöneberg hatte Wolliz zu sechs' Monaten Gefängnis verurteilt. Gegen dieses Urteil hatte Rechtsanwalt Bahn Berufung eingelegt. Die erneute Beweisaufnahme fiel für den Angeklagten noch ungünstiger aus. Die Zeugen bekundeten, daß der Onkel des Angeklagten erklärt hatte, daß er mit diesem schon längst keine Verbindung mehr habe und daß es endlich an der Zeit fein würde, ihn wegen seiner Schwindeleien zu entlarven. Die Strafkammer kam daher zu einer Verwerfung der Berufung. Die Tat des Angeklagten zeugt nach Ansicht des Gerichts von einer niedrigen Ge- f i n n u n g, da er, obwohl in keiner Notlage befindlich,«inen kleinen Beamten um fein« sauer ersparten Groschen zur Gründung eines eigenen Heims gebracht hatte.__ Zeit und Geld. Tausend Mark sind bei einem Dollarstande von 2 Millionen etwa ein Dreitausendstel Goldpfennig. Demnach werden dies« Bruchteile eines Goidpfennigs sehr häusig sorgsamer beachtet als früher das gute alte Kupferstück. Frauen stellen sich irgendwo stundenlang an, wenn die Ware ein paar Tausend Mark billiger ist. Kinder gehen von Hof zu Hof und durchsuchen Müllkasten nach Müllkasten, um ein paar taufend Mark für Stampe oder für Konservenbüchsen zu bekommen. Das sieht man täglich. Doch ändern sich die Verdienst- Möglichkeiten und oft sind es nur ein, zwej Tage, an denen man sie weidlich ausnutzen kann. Das hat unsere Jugend, durch ihr sorgenschweres Dasein und die Not des Tages gewitzigt gemacht, bald herausgefunden. So sah man in den letzten Tagen vor den Postämtern eine Anzahl Kinder, die Briefmarken mit einem kleinen Aufschlag verkauften. Da zahlreich« Menschen indenPostämtern nach Briefmarken Schlange standen, war mancher heilfroh, wenn er «in« oder zwei Marken, die er gebrauchte, schnell durch Kinder be- ziehen konnte. Bemerkenswert war, daß meistens Männer zu den Käufern zählten. Frauen hingegen stellten sich lieber an. Man könnte daraus den Schluß ziehen, daß die Frau das Geld, der Mann aber die Zeit für wertvoller hält.

Ein gewerbsinShiger Schwindler macht feit einigen Tagen reiche Beute. Der Gauner lauert junge Burschen mit be- ladenen Handwagen auf und bittet sie gegen bohen Lohn, ibm rasch eine kleine Zwischenfnhre zumachen. Unterdesien verschwindet er mit ihrer Ladung, die beim nächsten Schankwirt unterstellt wird. So versprach er jetzt wieder einem Schlächterlebr- ling, der vom Schlachthof nach der Zentralmarkthalle fuhr, ein paar Millionen, wenn er ihm rasch einen Sack Zucker mit seinem Handwagen hole. Der Lehrling weigerte sich zunächst, ließ sich dann aber doch überreden,'und da« Ende war, daß der Anttrag- geber mit seinen Fleisch- und Wurst waren im Werte von 49 Millionen verschwand. Dieser Gauner ist ein mittelgroßer schlanker Mann von etwa 26 bis 28 Jabren, der zu- letzt einen blauen Anzug trug. haarschneiden für Minderbemittelte. Sich als Kulturmensch zu betätigten, wird immer schwieriger. Wie die Halbwilden, mit langer Mahne, kaufen auch in Groß-Berlin viele Menschen herum. Die wenigsten sind Naturapostel und sogenannteIdealisten", die sich von anderen Leuten wenigstens äußerlich unterscheiden wollen. Den meisten fehlt das Geld, dem Verschönerungsrat sechsstellige Papier - zahlen zu opfern. Man braucht nicht lange zu suchen, um die gro- tesken Schöpfe wie an Theaterperücken zu sehen. Bei Kindern ist das ein« nicht geringe Gefahr der Verseuchung mit Ungeziefer. Sollte es da nicht möglich sein, öffentliche Stellen zu schaffen, an denen Minderbemittelte sich entweder ganz umsonst oder

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Kilian. Roman von Jakob Bührer .

Sacharovitsch! Kilian vergaß Steuer und Motor. Da ward er plötzlich inne, daß der Blick der Dame die längste Zeit auf ihm geruht haben mußte, und er wurde über und über rot. Doch sie lächelte und machte eine leise Kopfbewegung, als wollte sie sagen:Es macht nichts, horchen Sie nur." Und man konnte ja kaum widerstehen, besonders wenn der Greis sprach, aus dessen Silberhaar eine große, krankhast weiße Stirne ragte, unter der zwei braune Augen mit einem wundervoll steten Blick brannten. Manchmal, wenn er nur die Hand aufhob und diese dann weiß und unglaublich zart vor dem blauen Wasser stand, war es schon wie eine Ver- heißung, wie ein« Auferweckung vom Tode, wie eine Gnaden- spende, wieder glauben zu können. Die andern hingen denn auch mit Andacht an seinen Lippen. Besonders der Jüngste, ein Mensch, wenig älter als Kilian, mit einem blonden Rundbart, wie ihn die Maler tragen! Nur der andere, ein glattrasierter, straffer Herr, mit einem starkknochigen Amerikanerschädel, hatte manchmal etwas im Blick, das Verneinung und Verdruß bedeuten konnte. Die schöne Dame war gleichfalls ganz Hingabe. Kilian war überzeugt, daß er nie einer fFrau begegnet war, die so viel Anmut und Klugheit in ihren Zügen vereinigte. Plötzlich zog der Herr mit dem Amerikanerschädel die Uhr und sagte erschreckt zu Kilian:Rasch, rasch nach Hause!" Kilian sah den Vieren lange nach, als sie über den Floß- sieg und den Kai verschwanden. Zweimal rief ihn Madame Favre, zweimal überhörte er sie. Da trat sie herzu und sagte sanft und voll heimlicher Angst:Was ist mit dir, Bill?" Ach, nichts," fuhr er zusammen und ging von ihr weg. Sie lief ihm nach und sagte vorwurfsvoll:Aber Bill!" Was gibt's denn da?" schrie Favre, der plötzlich mitten auf dem Floß stand. Da ihm niemand Antwort gab, fuhr er fort:Seid Ihr beide verheiratet, oder wer ist da verheiratet? Also Antwort!" Schweig doch, Favre!" sagte sie,und mache keinen Skandal!" Wer macht Skandal? Ihr macht Skandal. Ihr bringt

einen in der Leute Maul." Plötzlich schrie er auf:Komm mal her, Halunke, verfluchter, gestehe mal!" Er schlenkerte seine Hand in der Lust und verriet damit, wie sehr er dies- mal betrunken war.Komm her, sag ich!" Kilian rührt« sich nicht. Da ging jener mit einigen großen, unsicheren Schritten auf seinen Widersacher los, packte ihn mit der Linken am Kragen und zog mit der Rechten aus. Kilian trat ihn leitlings ins Schienbein, und Favre schlug längelang auf das Floß nieder. He! He!" rief Frau Favre und warf Kilian einen feind- lichen Blick zu. Favre aber erhob sich mühsam, wischte sich umständlich die Knie ab und lachte vor sich hin.Hingeschla- gen, plumps, hingeschlagen. Das hast du glänzend gemacht. Komm mit, ich zahl einen Halben. Glänzend! Komm!" Geh!" ziichte Frau Favre.Die Leute bleiben stehen." Kilian nahm Favre am Arm, und so gingen sie in den Falken". Kilian bestellte Kaffee. Favre sagte:Sehen Sie. Bill, ich weiß alles. Ich Hab es von Ansang an gewußt. Ich bin aber nicht so! Sie denken, ick sei betrunken? Ich weiß sehr genau, was ich sage. Wenn Sie einmal so alt sind, wie ich, dann werden Sie manches verstehen. Dann werden Sie ein- sthen, daß die Welt blödsinnig eingerichtet ist. Dann werden Sie möglicherweise begreifen, daß Sie vielleicht sagen können: Meine Hose, oder mein Hemd, oder mein Wein aber nie­mals: meine Frau! Einen Menschen kann man nicht besitzen. Das ist nnmögllch, oder dann eine Gemeinheit. Berstehen Sie? Nein, das verstehen Sie nicht! Sie sind noch zu jung, zu moralisch. Darum betrügt mich meine Frau nicht. Ver- stehen Sie? Einmal, weil sie nichtmeine" Frau ist. Zum andern, weil das kein Betrug ist, wenn ein Mensch etwas tut, das ihm Freude mackt. ohne daß es dem anderen schadet." Favre," sagte Kilian,warum trinken Sie so viel? Ich habe schon lang« vermutet, daß Sie kein gewöhnlicher Mensch sind." Doch, Bill, ich bin ein sehr gewöhnlicher Mensch. So, wie ich, denken viele Menschen. Eigentlich alle. Wenigstens das denken alle: es ist blödsinnig eingerichtet auf der Welt! Und wenn man das einmal richtig erkannt hat, Bill, dann trinkt man halt. Es bleibt einem nichts anderes übrig." Es ist schade um Siel" Ah bah, um nichts ist es schab«! Wissen Sie, Bill, ich bin anständiger, als ich aussehe. Aber heute hat mich so ein

altes Giftweib drangekriegt, hat mich verhetzt.Deine Frau hintergeht dich, Favre, mit dem Staufiffer, dem elendigen. Ich will's dir beweisen, wenn du willst." So lang bat sie gegiftet, bis ich auf den Leim ging. Aber du hast mich hin- geschlagen. Geschah mir ganz recht. Denk doch, Bill, man stirbt! Kami man sich das ausdenken: man ist, und plötzlich hört man auf. Ist das nicht entsetzlich? Was? Und dann soll man hingehen und einem Menschen zürnen, wenn er sich des kurzen Lebens freut? Kann man das? Darf man das? Nein, nein, Bill, komm, wir trinken Bruderschaft! Einen Halben!" Kilian empfand halb Sympathie, halb Abscheu. Da trat eine Dirne durch die Hintertüre ins Lokal. Favre rief sie sofort herbei und setzte sie auf sein Knie. Kilian sah in die Augen des Mädchens, das mit seinem Leibe Geschäfte machte, und er erschauerte in seinem Herzen.Ihre Seele hat den Aussatz!" schrie es in ihm, und er dachte: Ist es nun mit Marutschka wohl auch so weit? Auch kam eine schlotternde Angst über ihn: Bin ich denn nicht auf dem gleichen Weg? Ist denn mein Verhältnis zu Madame Favre nicht eine ab- scheuliche Luderei? Und er benutzte die erste Gelegenheit und machte sich da- von. Er wurde die Aufregung nicht ws, und Möre Iuliette, die ihn erst eine Weile beiorgt beobachtet hatte, überraschte ihn mit der Frage:Kann ich Ihnen helfen, mein Freund?" Wieso helfen?" tat er groß. Ich meine nur, wenn in Ihrem Verhältnis zu Madame Favre..." Woher wisien Sie denn, daß ich ein Verhältnis mit Madame Favre?.. Aber Kilian, das ist doch selbstverständlich. Sie beide sind jung, täglich zusammen, viel allein, der Mann ein Trin- ker! Es wäre ja geradezu unnatürlich gewesen, wenn.. Aber Mbre Iuliette. wenn Sie alles wußten, warum bähen Sie mich denn nicht gewarnt?" Aber was war denn da zu warnen! Es ist doch alles in schönster Ordnung!" In schönster Ordnung, sagen Sie dann?" frug Kilian, und brachte vor Erstaunen den Mund nicht mehr zusammen. Gewiß, schön ist ein relativer Begriff. Gemessen an unseren sittlichen Einrichtungen war Ihr Verhältnis zu Ma- dame Favre, soviel ich bisher merkte, ein schönes." (Fortsetzung folgt.)