Nr. 425 ♦ 40, Jahrgang
Seilage ües vorwärts
Mittwoch, 12. September mz
öeschweröen
Das unzufriedene Serlin
vorsthläge
Die Sefolöung öer Seamten. Von einem Beamten wird uns mit der Bitte um Veröffent- lichuna das Folgende übersandt: Wie unberechtigt das Sturmlaufen gegen die Höhe der Befol- dung der Beamten gewesen ist, haben zum Teil die Erwiderungen aus der Beamtenschaft erwiesen. Im ruhigeren Stadium des Ab- ebbens möchte ich nun noch einen Vergleich ziehen, wie ich ihn in keiner Entgegnimg gefunden habe und der vielleicht ein treffendes Bild von„einst" und„jetzt" geben dürfte. Meine eigene Lage will ich schildern. Ich bin Beamter der Gruppe 10 in Berlin , v e r- beiratet und habe zwei Kinder im Alter von S und 10 Jahren. Unter Friedensverhältniffen würde ich heute ein Gehalt von S�00 M.-st 1300 M. Wohnungsgeldzufchich jährlich oder rund S58 M. monatlich beziehen. Ich erhalt« jetzt monatlich an Gehalt, Ortszuschlag und Kinderbeihilfe 1 239 000-st 162 000-st 170 090 M. nebst 13 530-st 2112 Proz. Zuschlag und 7 500 000 M. Frauenbei- hilse; im ganzen also monatlich 254 806 820 M.(Ge- meint ist wohl für August. D. R. ) Bon diesen Monatsbeitrüqen ziehe ich ab: Steuern 16 960 700 M., Miete 4100 000 M., Gas llOo Kubikmeter) 35 000 000 M., Kohlen(5 Zentner) 15 000 000 M., Fahrkarte 4 500 000 M. Zusammen: 75 560 700 M. Es oerbleiben mithin für die übrigen Lebensbedürfnisse: 179 246 120 M. Diese übrig bleibenden Beträge.zur Bestreitung aller anderen Bedürfnisse verhalten sich wie 1: 427 285. Dabei ist die Berech- nung noch zu günstig aufgestellt. Es sind„jetzt" nur 10 Proz. Steuern angesetzt, obwohl ich mit einer Nachzahlung rechnen mutz: Kirchensteuern(? d. Red.) sind nicht berücksichtigt: die Kosten für Instandhaltung der Wohnung sind„jetzt" außer Ansatz gelassen, ob- wohl sie„einst" der Hauswirk tragen mußte. Nun möge jeder Un- befangene weiter rechnen, wie ich mich„bei den unglaublich hol>«n Bezügen" für den Rest der notwendigsten Lebensbedürfnisie ein- schränken muß. Hinzu kommt, daß ich moralisch gehalten bin, durch die Zeiwerhältnisse mittellos gewordene nächste Angehörige zu unter- stützen, die sonst nicht daran gedacht hätten, von mir etwas anzu- nehmen. An Arzt und Apotheke darf ich nicht denken, und an einen sonstigen Lebensoenuh, Theater, Konzert, Erholungsreise. Glas Bier, ebensowenig. Was kostet heute das Waschen und Plätten der Wäsche? Und was erst kostet die Instandsetzung oder gar der Er- satz irgendeines Gegenstandes in der Wirtschaft? Wir wollen doch nicht mit großem Wortschwall über die vielen Nullen reden, sondern ernstlich mit Bleistift und Papier errechnen, wie wenig hinter diesen Nullen steckt.„Aber der Beamte hat keine Not!"? Man muß es rückhcklts'os bewundern, mit welch klugem Geschick die wahrlich nicht zu beneidende Hausfrau es fertig bringt, den Haushalt bei den „hohen Bezügen mit den vielen Nullen ohne Kaufkraft" trotzdem noch aufrecht zu erhalten. Wer sah denn früher auf die Beamten wegen ihrer geringen Bezahlung minderachtend herab? Zum großen Teil doch diejenigen, die jetzt ohne Berechnung und ohne Berechtigung schrien und schrieben. Mein Einkommen„jetzt" hat nickt ein Fünftel der Kaufkraft meines Einkommens von..einst". Die Preis«, die ich zahlen muß. sind dagegen durchweg„wertbeständig". G. Nachschrift der Redaktion: Der Einsender scheint sich über die Einkünst« der Lohnempfänger, der Privatangestelltcn und Arbeiter nicht unterrichtet zu haben. Er hätte dann erfahren müssen, wie glücklich die anderen sein würden, wenn sie über die gleiche Kaufkraft verfügten._____ Nochmals die Gasbckriebsgesellschast. Bei der Gasbetriebsgescllschaft bestehen zwei Arten der Be- Zahlung: einmal die übliche Standaufnahme mit Rechnungszustellunq, zweitens Automatengasmesser, für die man als Zahlungsform Wert- marken geschaffen hat: eine Einrichtung, die sowohl vom Stand- vunkt des Kunden wie des Lieferanten als Ideal bezeichnet werden kann. Der Kunde kann den Gasverbrauch seiner' jeweiligen Kauf- kraft anpassen und die Gesellschaft hat somit den Vorteil, sofort Geld in ihre Kosten-zu bekommen. Wie nun diese Gesellschaft(um ihre eigenen Worte zu gebrauchen)„den Frieden mit ihren Kunden wiederherstellt", beweist der bei mir erfolgte Besuch des Gas-
kontrollbeamten; die gekauften Marken wurden mir gegen Quit- tung abgenommen und an Stelle des Berkauss von Wertmarken tritt jetzt Standaufnahme und nachträgliche Bezah- lung ein. Statt die eingangs erwähnte angenehme Zahlungs- weise beizubehalten und eventuell noch weiter auszubauen, wird die Kundschaft diktatorisch mit einer Verschlechterung beglückt, die für jeden einzelnen eine Härte bedeutet. Jetzt, wo man fast keine Kohlen bekommt, muß man im Durchschnitt pro Monat mit 80 Kubikmeter Gasverbrauch rechnen. 80 Kubikmeter ä 500 000 M. ergeben die stattliche Summe von 40 Millionen Mark. Kein Arbeiter oder An- gestellter wird imstande sein, diese Summe stets zur Hand zu haben. W. G., Adlershof . Auch eine soziale Tat. Wie allgemein bekannt, kaufen große Firmen, falls sich ihnen eine günstige Gelegenheit bietet, von Zeit zu Zeit größers Msngen Lebensmittel auf, die sie dann ihren Angestellten und Arbeitern zur Verfügung stellen. Diesem an sich„löblichen" Beginnen stand bis- her das Bankhaus H. u. Co. mit vornehmer Ablehnung gegenüber. Neuerdings aber, als die Lebensmittelpreise ein« immer blöd- sinnigere Höhe erklommen, sagte es sich, daß nun auch seinerseits etwas geschehen müsse, um der ständig wachsenden Not seiner An- gestellten zu steuern, und so kaufte es, um zunächst den allerdrin- gendsten Bedürfnissen abzuhelfen, je eine Fuhr« Klosettpapier und Butterbrotpapier. Der Konferenz, die dem Kaufakt vorausging, habe ich zwar nicht beigewohnt, ich habe aber von- unterrichteter Seite gehört, daß einer der leitenden Herren aus- sührte, über die Notwendigkeit und Annehmlichkeit eines gediegenen Klosettxapiers könne gar kein Zweifel bestehen, und die schönst be- legten Butterbrote hätten ihren Zweck verfehlt, wenn sie nicht ein- gewickelt.werden könnten. Dieser von durchschlagender Logik ge- tragen« Standpunkt fand allgemeine Zustimmung, und auch darüber herrschte vollkommene Einigkeit, daß ein ungestümer Run der An- gestelltenschaft auf diese köstliche Ware zu erwarten sei, und so wurde denn gleich von vornherein dekretiert, daß mehr als je drei Rollen ldie Rolle Klosetipapier zu 103 000 M. und die Rolle Bulter- brotxapier zu 240 000 M.) an einen einzelnen Käufer nicht abgegeben werden könnten. Der Erfolg entsprach jedoch nicht den Erwartun- gen. Die Angestelltenschaft vermochte leider nicht das nötige Inter- este für diesen schönen Akt sozialer Fürsorge aufzubringen, zeigte dem rollenden Material vielmehr die kalte Schulter, und so ist leider zu befürchten, daß es bei diesem wohlgemeinten ersten Vor- such sein Bewenden bat und daß der bereits für die nächste Zeit beabsichtigte Erwerb eines größeren Postens Stiefelschmier« nicht zur Ausführung gelangt. Winkerbekleidung wird zurückgehalken. Eins erhaltene außerordentliche Beihilfe zur Beschaffung von Wintervorräten wollte ich zum Teil für Ergänzung von Winterbe- kleidungsstücken verwenden.— Im Warenhaus T i e tz, in der Großen Frankfurter Straße, wurde mir auf meine Bitte um Vorlegung von Kindergamaschen von der Verkäuferin geantwortet, es wären nur Herrengamafchen da, im übrigen solle ich wiederkommen, wenn die Jahreszeit heran wäre.— Aehnlich erging es mir bei Jan darf, wo ich einen wollenen Sweatm fordert«. Die Der- käuferin bestritt nicht, daß solche am Lager seien, erklärte mir aber kurz und bündig, daß„ja jetzt die Saison für Wintersachen noch gar nicht sei", und sie mir deshalb damit nicht dienen könne. Wenn nun! die„Saison" heran ist: Bekomme ich die Sachen für den heutigen! Preis? Wohl kaum! Also nützt es mir auch nichts, wenn ich das Geld bis zum Winter liegen laste. M. Sie. Heber verzögerke Auszahlungen der üurzarbeilerunlerslühun. gen wird immer wieder Klage geführt. Aus einem größeren Be- triebe der Berliner Metallindustrie berichtet man uns, daß die bereits in der 17. Lohnwoche(22. bis 28. April) fällig gewesenen Unterstützungen erst vor einigen Tagen zur Ausnahlung gelangten. Die Unterstützung, die ungefähr 7800 M. beträgt, ist heute voll- kommen wertlos, und mit Recht fragen die davon Betroffenen, was sie mit dieser„Summe" beginnen sollen.
Erhöhung auch öer Sonntagsrückfahrkarten Wie alle Fahrpreise, werden leider auch di« Preise für Sonntagsrückfahrkarten erhöht. Dies« Fahrkarten werden nur zu einem geringen Teil von Ausflüglern, zu einem weit größeren von Siedlern benutzt. Die Eisenbahndirektion sollte den Wünschen der Siedler noch dahin entgegenkommen, daß sie die Gültigkeit der Fahrkarten noch auf alle M o n t a g f r ü h z ü g e erweitert. Die Preis« für Sonntagsrückfahrkarten(zur Hinfahrt ab Sonn- abend mittag, zur Rückfahrt bis Sonntag Mitternacht gültig), die gegen die gewöhnlichen Fahrpreise um 40 Proz. ermäßigt sind, werden seit dem 1. September ebenfalls nach Grundpreisen berechnet, die mit der jeweils gültigen Schlllstelzahl(zurzeit 600 000, ab 11. September 1500 000) zu multiplizieren sind. Die Grund- preise, die von jetzt ab, unoerändert bleiben, sind folgende: vom Stettiner Bahnhof nach Biesenthal 3. Kl. 1,20 M., 4. Kl- 1 M., Malchow 1,30 und 1,10 M., Eberswalde 1,80 und 1,40 M., Chorinchen oder Niederfinow 2.20 und 1,70 M., Chorin oder Fol- kenberg 2,30 und 1,80 M., Freienwalde 2,60 und 2 M.i nach Fich- tengrund IM und 1,10 M., Nassenheide 1,30 und 1,10 M.. Löwenberg 1,70 und 1,40 M., Gransee 2,20 und 1,70 M, Fürstenberg 3,20 und 2,40 M., nach Werbellinsee 2,60 und 1,90 M.. Joachims- thal 2,60 und 2 M. Vom Sch l e s is che n Bahnhof(von Stadt- bahnstationen 20 Pf. mehr) nach Rehfelde 1,30 und 1,10 M., Dahmsdorf-Müncheberg 1,80 und 1,40 M., Buckow 2,10 und 1,70 Mark; nach Werneuchen 1,30 und 0,90 M., Tiefensee 1,60 und 1,10 M.(zurück auch von Strausberg gültig), Lauenberg 1,90 und IM M. Vom G ö rlitz er Bahnhof(oder Stadtbahn) nach Groß-Besten IM und 1 M.. Teupitz-Groß-Köris 1,70 und 1,30 M., Hatbe 2 rmd IM M., Brand 2,40 und IM M. Lübben 3 und 2,20 M., Lübbenau 3,50 und 2,60 M.: nach Storkow 1-90 und IM M., HubertushLh« 2,10 und 1,60 M., Scharmützelsee 2,30 und 1,70 M., Beeskow 3,10 und 2,30 M. Bom Potsdamer Bahnhof nach Caputh -Geltow über Wildpark 1,30 und 1,10 M., Ferch-Linnowitz 1,50 und 1,30 M.— Die Sonntagsrückfahrkarten nach Lindow(Mark), Rheinsberg und Löwenberg werden bis auf weiteres nicht mehr ausgegeben. Opfer öer Nacht. Auf feinem ßukschbock erschlagen. Die Erregung über di« letzten beiden Bluttaten in Berlin ist noch nicht verebbt, und schon ist es ein neuer, grauenerregender Mord, der mit entsetzlicher Deutlichkeit Kunde gibt von der Unsicherheit, die in den durch die wirtschaftliche Notlage dunkel gewordenen Straßen Berlins herrscht.> In der Reichsstraße, in der Nähe der Witzleben- und Preußenallee, wurde in einer der vergangenen Nächte von einem Wächter ein Droschkenkutscher schwer oerletzt und bewußtlos auf dem Bock feiner mit einem Schimmel bespann- ten Droschke zusammengebrochen aufgesunden. Der Wächter brachte ihn nach dem Krankenhaus Westend und den Wagen nach der Revierwache. Der Kutscher starb im Krankenliaus, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben. Er wurde jetzt fest- gestellt als der Kutscher G r o t h. Mit einem Stück Gasrohr hatte er einen schweren Schlag an die linke Kopfseite erhalten. Nur das Spritzleder hatte ihn auf seinem Bock festgehalten. Der Hieb mit dem Gasrohr hatte dem Kutscher die linke Seite seines Wachs- lederhutes durchschlagen und ihm den Schädel zertrümmert. Der Beweggrund zu dem Ueberfall ist noch ganz rätselhaft. Ueberfälle auf Kutscher sind in der letzten Zeit bereits fünfmal verübt worden, und in der Regel viel zu spät zur Kenntnis der Behörde gekommen. Für die Aufklärung des noch ganz dunklen Verbrechens ist eine hohe Belohnung ausgesetzt. Mitteilungen, die streng vertraulich be- handelt werden, nehmen Kriminalkommissar Werneburg und Kri- minalassistent Brumme im Zimmer 80 des Polizeipräsidiums, Haus- anruf 601 und 433, entgegen. Dreißig Millionen Geldstrafe für eine Taube! Das Markt- gericht zu Werder a. H. verurteilte den Händler August Falkenberg zu 30 Millionen Geldstrafe, weil er ein« Taube, die er mit 50 000 M. eingekauft hatte, eine Stunde später mit einer Million verkauft hatte.
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Seit er Croupier war. sah er sie regelmäßig. Fast immer kam sie in Begleitung von ein paar eleganten Herren, immer anderen, die dann sehr rasch anfingen zu spielen, worauf sie gelegentlich verschwand. Das war wohl ihre Beschäftigung, die Leute zum Spielen heranzubringen.— Daß das gerade ein sehr ehrenvoller Beruf war, darüber konnte man freilich streiten. Aber wenn Kilian erst Geld genug hätte... Und eines Tages konnte er es nicht mehr verwinden und er schrieb ihr einen zweiten noch leidenschaftlicheren Brief und versicherte ihr aufs neue, daß sie über ihn verfügen möge. Er fei zu jeder Tat und zu allem Tun entflammt. Sie ließ darauf nichts von sich hären, aber einige Zeit später erhielt Kilian eine Einladung zu Ostrawin Semjano- tscheff. Kilian erinnerte sich sofort, diesen Namen aus Esthers Mund gehört zu haben. Es war der alte Herr, der damals bei der Bootsahrt der Anarchistengesellschaft dabei gewesen war. Als Kilian sich zur angesetzten Zeit bei Semjanotscheff einfand, wurde er in ein vornehm ausgestattetes Zimmer ge- führt, das an den Wänden ganz voll Büäzer war. Auf einem kleinen Tisch brannte eineSpiritusflamme unter einem Teekessel. Die Tür ging auf, und der alte Herr kam herein, an seiner Seite, jung und schön, wie immer, Kilians heimlich Ge- liebte. Beide grüßten Kilian herzlich und ohne Aufhebens, als wäre er seit Jahren ihr Freund und Gast. Später kamen auch Mettler und der Groß« mit dem Amerikanerschädel. Mabel nannten sie ihn, während der Alte nur mit„Meister" ange- sprachen wurde. Der schönen Frau aber gaben alle nur den Vornamen Esther. Die Rede kam sofort auf die Politik, und man sprach ausgiebig von den Unzulänglichkeiten der Demokratie im all- gemeinen und der schweizerischen im besonderen. Mabel ver- trat die Ansicht, daß es nirgends einfacher wäre, als in der Schweiz eine Revolution durchzuführen. Mit hundertzwanzig � mit Maschinengewehren versehenen Automobilen sei der ganze Staatsstreich zu bewältigen. Die kleine Schar der politischen und militärischen Führer müsse verhaftet und wenn nötig, an die Wand gestellt werden, und schon habe man dos ganze Völklein in der Hand.— Kilian wagte einzuwenden, daß man sich vielleicht täusche. Es frage sich, wie sich die Bauernschaft verhalten würde. Es könne sein, daß sie wenig Verständnis für das Reue hätte und großen Widerstand.. „Dann würde man sie zwingen," schnitt Mabel den Ein-
wand ab.„Im schlimmsten Fall würde eine Revolution in der Schweiz fünfzigtausend Tote kosten. Das wäre nicht so übel." Kilian schwieg. Aber Mabel sagte leichthin:„Wie denken Sie darüber, mein junger Freund, würden Sie den Staats- streich wagen, wenn Sie wüßten, fünfzigtausend Ihrer Lands- leute bleiben auf der Strecke?"» Es blitzte in Kilians Hirn auf: Diese Sekunde entscheidet! Er sah Mabel ruhig ins Augs und sagte:„Selbstverständlich!" Nachher ließ er seinen Blick nach Esther schweifen, die gleichgültig die Asche einer Zigarette in eine Schale streifte. „Uebngens," fügte Kilian hinzu,„Boraussetzung wäre, daß ein Erfolg gesichert ist." Ein Erfolg ist bei keiner Revolution gesichert, junger Mann." lachte Mabel. „Doch!" warf hier Semjanotscheff ein,„die Frage des Erfolges einer Revolution hängt von ihrer Vorbereitung ab. Diese Vorbereitung aber beruht nicht auf der Bereitstellung von Maschinengewehren, sondern der Gehirne der Massen." „Ihre Ansicht kenne ich, Meister," sagte Mabel und ver- neigte sich leicht vor Semjanotscheff,„und Sie wissen ja, wie sehr wir im Endziel einig sind." „Die Frage ist," fuhr Semjanotscheff fort und wandte sich an Kilian,„ob die Denkart des Volkes in der Schweiz für eine Revolution reif ist. Unser« Freundin Esther hat mir gesagt, daß Sie sich für die Sache des Anarchismus interessieren. Ich habe übrigens in einem Zeitungsausschnitt mit Vergnügen Ihre Rede vor den Geschworenen gelesen. Sie ist mit ein neuer Beweis, daß die Sache des Anarchismus eigentlich im Herzens des Volkes wurzelt.— Was wir einzelne denken, das denkt zwar die Menschheit nicht, verleugnet es vielmehr aus einer irregeleiteten Selbftsucht heraus, aber sie empfindet es im tiefsten Herzen als durchaus selbstverständlich un>d richtig. — Run ist freilich eine Demokratie mit so hoch entwickelten Volksschulen, wie si? die Schweiz besitzt, der denkbar schlechteste Nährboden für ursprüngliche, überlieferungslose, das heißt wahrhaft freie Ideen.. Darum sind hier Revolutionen doppelt mühsam zu erreichen, und es ist überhaupt fraglich, ob man mit einer solchen nicht einen zu hohen Kaufpreis bezahle, da ja die Entwicklnug sowieso zur letzten Freiheit, die zugleich auch die größte Unterordnung bedeutet, führen muß." „Natürlich!" fuhr hier Mabel auf.„So weit müßt Ihr vornehmen Edclanarchisten kommen, daß Ihr die Revolutionen bekämpft oder sie doch zum mindesten in Frage stellt! Als ob es sich jetzt darum handle, aus der kleinen Schweiz einen Kom- munistenstaat zu machen des Selbstzweckes wegen. Was wäre denn damit gewonnen? Der Umsturz dieser alten Schein-
demokratie ist nur ein Gliedlein in der großen Kette der Welt- reoolutionen.— Rein, wenn ich diesen jungen Mann früher oder später dazu auffordern würde, sagen wir einmal den schweizerischen Bundespräsidenten zu erschießen, so muß er wissen, daß es im Interesse der Welterlösung geschieht und ge- schehen muß.— Würden Sie davor zurückschrecken, Bill- wanger?" Kilian überwand einen Schauer im Rücken und sagte: „Gewiß nicht!" „Das brauchen Sie auch nicht," fuhr Mabel leidenschaft- lich fort,„denken Sie doch, wie diese Kapitalisten und Klein- bürger Ihrer Heimat Leute Ihrer Herkunft jahrhundertelang darniederhielten und entbehren ließen! Ist es denn etwas anderes als Gerechtigkeit, wenn die Heraufkommenden den Kleinbürger eine Zeitlang ebenso mißhandeln? Wer hat des Entrechteten Seele denn gemein und brutal gemacht, als eben der Kleinbürger und Kapitalist, indem er ihm eine bessere Herzensbildung vorenthielt?— Rein, nein, Billwanger, machen Sie sich kein Gewissen daraus, die Führer dieser eid - genössischen Bourgeoisie über den Haufen zu knallen! Ueber- legen Sie es sich noch einmal: ich lasse Ihnen drei Tage Zeit. und dann entscheiden Sie, ob Sie sich restlos und bedingungs- los dem Komitee der Weltreoolution zur Verfügung stellen wollen.— Es ist möglich, daß ich schon in den nächsten Tagen Bericht erhalte: Fertig zur Weltexplosion! Vorwärts." Die Unterhaltung wurde noch eine Weile fortgesetzt. Schließlich brach man auf. Kilian hatte kaum bis zum Schluß seine Selbstbeherrschung bewahren können. Er begriff: er stak in einer Mausefalle. Es ging auf Leben und Tod. Unge- heuerliches verlangte man von ihm. Unter Umständen: den Bundespräsidenten zu ermorden! Wie kam er dazu? Was hatte ihm denn der zu Leid getan? Was kümmerte ihn die Politik? Was ging ihn das alles an? Kommunismus? Anarchismus? Das war ihm doch im Grunde alles sehr gleichgültig. Er verlangte weiter nichts, als daß man ihn in Ruhe ließ, und daß er gut zu leben hatte!— Gut zu leben? Das stand nun eben auf dem Spiel: Gut zu leben haben... Anarchist werden... Ließ er Mabel sein Rein, wissen, er mache da nicht mit, so war er natürlich Croupier gewesen. Mit seinen fünftausend Franken im Monat war's dann vorbei.— Selbstverständlich!— Und auch mit Esther war's vorbei. Klar. Sie würde ihn oerachten!— Und wie stand es mit seinen künftigen Einnahmen? Seinen Hoffnun- gen, seinen Träumen, seinem Luftschloß? Es versank im Nebel, erschien nud verging und verblaßte, das steinerne Haus, das sichere Haus an sonniger Straß«... (Fortsetzung folgt.)