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Rücktritt öer Reichsregierung. Sieg des rechten Flügels der Volkspartei.   Um den Achtstundentag. Ein neues bürgerliches Kabinett Stresemann  ?
2BXB. melde! um 1 Uhr 6 ANnuleu nachts: Das Relchskabiaett hat sich am AMkwoch in mehreren Sitzungen mit der Lage beschäftigt. Durch die Ab- lehnuag der Sozialdemokratischen Partei, die soziale Ge- setzgebung>a dea Ermächiigungsantrag der Reichs- regterung beim Reichstag einzubezichen, war eine u u ü b e r- brsickbareDivergeuzinder Äusfassung der Koalition»- Parteien entstanden. In Anbetracht dieser Tatsache beschlotz das Kabinelt, durch den Reichskanzler dem Reichspräsidenten  seine Demissi on anbieten zu lassen. Der Reichs- Präsident hat die Demission des Kabinetts angenommen und den bisherigen Reichskanzler Dr. Stresemann mit der Reu- bildung des Kabinett» betraut. ch Der Vorstoß des schwerindustriellen Flügels der Deut» fchen Bolkspartei hat nach einer zweitägigen Krise zum Rücktritt der Regierung Stresemann   geführt. Es ist er- reicht! Die Deutsche Volkspartei   hat die Große Koalition, um die sie drei Jahre lang geworben hat, gesprengt, sie hat erst ihren Reichswirtschastsminister hinausgeworfen, dann ihren eigenen Reichskanzler gestürzt! Wenn es aber nur nicht mehr wäre, aber es ist mehr! Die Deutsche   Bolkspartei. die ehe» mals nationalliberalePartei der Reichsgründung� hat da- mit den schwersten Schlag gegen das Reich geführt! Nachdem die Dolkspartei die Sozialdemokratie aus der Regierung hinausgedrängt hat, die anderen bürger- lichen Mittelparteien dieses Manöver nicht verhindert haben. bleibt es deren Pflicht, die Entwicklung in verfassungsmäßigen Bahnen zu erhalten, die Einheit des Reiches zu schützen, seine auswärtigen Beziehungen zu regeln und der zerrütteten Wirt- schaft wieder aufzuhelfen. Der neuen Regierung, deren Bildung den burgerllchen Parteien zufällt, kommt zu allernächst die Aufgabe zu, die von der äußersten Rechten her drohende Gefahr eines B ü r- gerkrieges mit dem Ziel eines verfassungs- widrigen Gewaltregiments abzuwehren. Die Sozialdemokratie ist bis on die Grenze der Selbst- Verleugnung gegangen, um dem deutschen   Volk das Schwerste, das jetzt droht, fernzuhalten. Die Volkspartei hat sie aus der Verantwortung hinausgedrängt, indem sie Zumutungen an sie stellte, von denen sie wußte, daß ein Eingehen auf sie nicht zu erwarten war. Jetzt kann jeder Tag die Partei vor Entscheidungen von außerordentlicher Tragweite stellen. Durch das Scheitern des Experiments mit der Großen Koalition ist eine vollständig neue Situation geschaffen, neue Fragen werden auf- tauchen, hinter denen die der Vergangenheit verschwinden. Einigkeit tst das höchste Gebot der Stunde! ck Die sozialdemokratisch« Reichstagsfraktion hatte, wie schon km Abendblatt   berichtet wurde, gestern mittag den Beschluß gefaßt, erstens über die Formulierung der programmatischen Erklärung zur Arbeitszeitfrage neue Verhandlungen einzuleiten, zweitens«ine Ausdehnung des Ermächtigungs- gefetzes auf sozialpolitische Fragen abzulehnen. Folgende Ver- Handlungen im Kabinett und zwischen den Parteiführern er- gaben, daß sich über die Formulierung der programmatischen Erklärung in der Kanzlerrede wohl noch reden liehe, daß aber in der Frage, wieweit das Ermächtigungsgesetz auszudehnen sei, sich eine Einigung kaum würde erzielen lassen. In den Abendstunden kam ein Vermittelungs- Vorschlag von demokratischer Seite, das Ar- beitszeitgefetz auf dem regulären Weg« der Gesetzgebung zur Verabschiedung zu bringen, es also der Derordnungsgewall, die die Regierung durch das Ermächtigungsgesetz erhalten sollte, zu entziehen. Die sozialdemokratische Fraktion war bereit, auf diesen Vermittlungsvorschlag einzugehen. Er konnte freilich nur dann zur Beseitigung der Schwierigkeiten führen, wenn im Reichstag eine sachllche Einigung gelang, was bei dem Verhalten der Bolkspartei und eines Teile« des Zentrum» zweifelhaft war. Immerhin konnte das Kabinett durch Annahme dieses Vorschlages zunächst gerettet werden. In der folgenden Kabinettssitzung um V-J Uhr abends zeigte sich, daß die demokratischen Kobinettsmitglieder v'on dem Vorschlag ihrer Freund« nicht unterrichtet waren. Eine Einigung auf dem Boden dieses Vorschlages war nicht zu erzielen. Die sozialdemokratischen Minister kamen um S Uhr abends mit dem Bescheid zurück, die sozialdemokratische Reichs- tagsfraktion sei noch einmal vor die Entscheidung gestellt, ab sie der Regelung auch der sozialpolitischen Angelegenheiten einschließlich der Arbeitszeit auf dem Verordnungswege zu- stimmen wolle oder nicht.
Ueber die Personenfrage, das Verbleiben Hilfer- d i n a s im Kabinett, war eine klare Antwort nicht zu erzielen gewesen» doch herrschte die Ansicht vor, daß die Bolkspartei nach wie vor auf dem Rücktritt des sozialdemokratischen FinanMinisters bestehe. Obgleich damit zu rechnen war, daß das Festhalten an dem Beschluß vom Vormittag zur Krise führen würde, und obgleich man sich über die unabsehbaren Folgen dieser Krise im klaren war, kam die Fraktion mit 61 gegen 54 Stimmen zu dem Beschluß, festzuhalten. Die Ansicht überwog, daß nach dem brutalen Vorstoß der Bolkspartei vom Tage zuvor die Aussichten, zu einer Einigung zu gelangen, sowieso erschüttert seien. Die Fraktion könne nicht ein Ermächtigungsgesetz beschließen, das dazu miß- braucht werden könne, durch Majorisierung der Sozialdemo- traten im Kabinett eine Entscheidung gegen die Interessen der Arbeiter herbeizuführen. Mit diesem Beschluß gingen die sozialdemokratischen Minister wieder in das Kabinett zurück. Die Lage war soweit > geklärt, daß nur durch Nachgiebigkeit der bürgerlichen Par- teien in der Frage, ob die Arbeitszeit durch Gesetz oder Verordnung geregelt werden solle, das Weiterbestehen des Kabinetts ermöglicht werden konnte Es war also ein Zurückgehen auf den demokratischen Der» mittlungsvorschlag notwendig. Der Gedanke lag jedenfalls sehr nahe, daß man gegen den Willen einer so großen Fraktion wie der sozialdemokratischen die Frage der Arbeitszeit nicht auf den Weg der Verordnung schieben konnte. Der Gedanke, der Regierung ein Ermächtigungsgesetz zu bewilligen, war unseres Wissens erst am letzten Sonntag aufgetaucht. Nichts war selbstverständlicher, als daß man durch freie Ver- einbarung der Parteien das Gebiet abgrenzte, auf das das Ermächtigungsgesetz zu beziehen sei. Wollte man nicht die Krise, so durfte man nicht die sozialdemokratische Fraktion m dieser Frage vor ultimative Forderungen stellen. Es darf daran erinnert werden, daß noch eine ander« Partei nicht bereit war, voraussetzungs- und bedingungslos für das Ermächtigungsgesetz zu stimmen. Es war die Volks- p a r t« i, die ihre Zustimmung zu diesem Gesetz von sehr schraf- fen Bedingungen abhängig machen wollte. Sie hatte ihre Absicht verraten, mit Hilfe des Ermächtigungsgesetzes dem Achtstundentag den Hals umzudrehen. Wenn die Sozial- demokratische Fraktion nachher für ihre Zustimmung die Be- dingung stellte, daß sozialpolitische Fragen, insbesondere die der Arbeitszeit, nicht in das Ermächtigungsgesetz miteinbezogen werden dursten, so war das formal eine durchaus berechtigt« Handlungsweise, sachlich eine Antwort auf die Herausforderung durch die Volkspartei. Ging man auf diesen berechtigten Wunsch der Sozial- demokratie nicht ein, so war die Krise da. Und sie ist da!
Ueber die Vorgänge des gestrigen Tages, die in unserem Leitaufsatz geschildert werden, berichtet noch derSoz. Par- lamentsdienst: Die in der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch geführten Besprechungen über die Lösung der durch die Volkspartei her- aufbeschworenen Regierungskrise wurden bereits am Mitt- wech in den ersten Vormittagsstunden fortgesetzt. Den Be- ratungen der Fraktion lag folgende Formulierung der vom Reichskanzler beabsichtigten Erklärung betr. das Er- mächtigungsgesetz zugrunde: Die äußerst« Not unseres Volke» im schwersten Ringen um seine wirtschaftliche und politisch« Existenz zwingt uns, vorläufig in der Urproduktion die Arbeitszeit auf das Maß zu er- höhen, das gesundheitlich tragbar erscheint. Insbesondere Ist im Bergbau unter Tage eine Arbeitszeit von a ch t Stunden einschließlich Ein» und Ausfahrt unentbehrlich. Analog muß auch der Industrie, insbesondere zur Ausnutzung der Exportkonsunt» tur und zur vermehrten Ausnutzung inländischer Rohstoffe die Mög­lichkeit zur U« b e r s ch r e i t u n g der achtstündigen Arbeltszeit ge- geben«erden. Für die öffentlich« Verwaltung wüsten ähnliche ßrundsötze sinngemäß angewendet werden. Dobel   ist sewstoer. ständlich für schwer« und gesundheitsgesährliche Betriebe der Acht- stun.dentag beizubehalten. Die sozialdemokratische Fraktion, die um 10 Uhr zusam- mentrat, konnte sich n i ch t bereit erklären, dieser Formulierung zuzustimmen, entschied sich jedoch dafür, dem Kabinett ge- gebenenfalls Ermächtigungen in stnanz- und wirtschaftspoN- tischer Hinsicht zu geben. Ueber die sozialpolitischen Fragen, insbesondere die Frage des Achtstundentages, sollten die, sozial- demokratischen Unterhändler weitere Besprechungen führen. Außerdem beschäftigte sich die Fraktion mit der Klärung des
Verhältnisses zwischen B a y e r n und dem Reich. Sie erklärte sich hier einverstanden mit der von dem Reichskanzler beab- sichtigten Erklärung, um dadurch die Position des Reiches zu stärken und die des bayerischen Generalstaatskommissars nach Möglichkeit zu entkräften. Der Tags zuvor gefaßte Beschluß über personelle Veränderungen in dem Kabinett der großen Koalition wurde aufrechterhalten, ohne daß die Fraktion jedoch der Auffassung war, an einer Personen- frage die Beilegung der Krise scheitern zu lassen. Nachdem Genost« Hermann Müller   zunächst noch- mals persönlich mit dem Reichskanzler Rücksprache ge- nommen hatte, fanden nachmittags 4 Uhr in der Reichskanzlei in Gegenwart Dr. Strefemanns Besprechungen mit den Führern der Koalitionsparteien statt. Auch im Verlauf dieser Veratungen ergab sich keine Möglichkeit, die Krise schnell zu lösen, da insbesondere die Volkspartei auf ihrer vormittags gefaßten Entschließung beharrte. Diese Entschließung hatte folgenden Wortlaut: I. In der Frage der Arbeitszeit b i l li gt die Fraktion die Ent- schließungen des Kabinetts in seiner gestrigen Sitzung. 2. Die Fraktion ist bereit, dem Ermächtigungsgesetz zuzu- stimmen, hält aber aus sachlichen Erwägungen eine ander« Besetzung des Reichsfinanzministeriums für unerläßlich. In der Besprechung der Parteiführer beim Reichskanzler wurde auch die Frage erörtert, was werden soll, wenn das gegenwärtige Kabinett zusammenbricht. U. a. wurde die Möglichkeit der Reichstagsauflösung erwogen. Genosse Hermann Müller   ließ keinen Zweifel über die sich hieraus»ergebenden innerpolitischen Gefahrenmomente auf- kommen. Während die Fraktionen den Bericht über die Besprechung der Parteiführer beim Reichskanzler entgegennahmen, trat das Kabinett erneut zu einer Besprechung des bisherigen Ver- handlungsverlaufs zusammen. Abends 9 Uhr begann eine weitere Sitzung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, die das an anderer Stelle gemeldete Ergebnis hatte. Der Kampf um üie Arbeitszeit. Eine im Interesse der deutschen   Volkswirtschaft liegende Notwendigkeit zu dem Vorstoß der Deutschen Voltspartei. hinter dem lediglich der Wille der Schwerindustrie steht, liegt nicht vor. Gewiß muß die deutsche Produktion gesteigert werden. Aber das ist zu allerletzt eine Frage der Dauer der Arbeitszeit. Viel wichtiger sind stabile Währungsverhält- nisse, politische Ruhe, auskömmliche Entlohnung und technische Verbesserungen der Bettiebe. Die jetzige Wirtschaftskrise hindert uns ja sogar an der Ausnutzung der vorhandenen Ar- beitstraft. Etwa ein Zehntel der deutschen   Arbeiterschaft ist gegenwärtig voll erwerbslos, mindestens ein weiteres Drittel hat Kurzarbeit bis herunter zu acht Stunden. Das gilt nicht nur für die Industrien, die auf den inneren Absatz ange- wiesen sind, sondern auch für die E x p o r t i n d u st r i e n. Lediglich im Bergbau brauchen wir die sofortige und stärkste Steigerung der Erzeugung. Aber im Ruhrgebiet   ist die Arbeit überhaupt noch nicht aufgenommen. Politische und Wirtschaft» liche Schwierigkeiten hindern sie gleichermaßen. Im Braun- kohlenbergbau des unbesetzten Deutschland   klagt man über Absatzmangel! Braunkohlen und Briketts sind wegen der Uebergoldpreise nicht absetzbor. Massenentlassungen und Kurzarbeit bestehen auch hier. Im niederschlesischen Stein- kohlenbergbau sind jetzt ebenfalls Feierschichten einge- legt worden. Auch dort kann die Erzeugung nicht voll abge- setzt werden. Solange englische Kohle billiger ist, als deutsche, wird der Dedarf der Wirtschaft mit ausländischer Kohle ge- deckt werden. Daß das ein auf die Dauer unhaltbarer Zustand ist. wird auf allen Seiten anerkannt. Am meisten aber bei den Arbei- tern, Angestellten und Beamten. Sie wissen, daß der starke Devisenbedarf für Kohle die Devisenkurse und die Preise aller Waren in die Höhe treibt. Währung und Wirtschaft zerstört und die Festbesoldeten am meisten schädigt. Die Bergarbeiter sind deshalb bereit, die Kohlenförderung mit allen Kräften zu steigern. Das haben sie bereits bewiesen. Viele Monate hin- durch wurden in allen Bezirken Ueber st unden und Ueber- schichten geleistet. Als die Glasindustrie im Herbst 1922 wegen Kohlenmangel stillgelegt werden sollte, da haben die Berg- arbeite? des Senftenberger   Gebiets wochenlang Ueberstunden und Sonntagsarbeit geleistet und die angebotene Mehrbezab- lung der Unterstützungskasse überwiesen. Auch in vielen ande- ren Industrien sind Ueberstunden, die notwendig waren, stets geleistet worden. Die deutsche   Arbeiterschaft weiß, daß die ...i