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ttt. 463 4S. Jahrgang

Seilage öes Vorwärts

Donnerstag, 4. Oktober 1423

Der Moröprozeß v. Kähne.

Der gestrig« Dcrhandlungstag, über fressen ersten Teil wir be- reit« in der Abendausgabe berichtet haben, war dem chsrrn von Kähne nicht günstig. Höhepunkte erreichte die Beweisaufnahme in den Aussagen des Kriminalbeamten, der in Petzow nach Auffindung der Leiche des jungen Laase die Ermittelungen angestellt hatte, und des Arbeiters Dellin, der v. Kähne bei der Tat gesehen zu haben behauptet. Der Kriminalbeamte hält nach seinen Fest- stellungen einen Selbstmord schon deshalb für ausgeschlossen, weil der bei der Leiche vorgefundene eigene Revolver des Toten wieder gesichert war. Er vermutet, daß v. Kähne bei seinem Ritt durch den Wald dem Jungen den Revolver abgenommen und dann mit ihm auf den Davonlaufenden geschossen hat. Die von Bellin gegebene Schilderung macht das glaubhast. Wenn ste richtig ist, hätte Laase, nachdem er hinterrücks angeschossen worden war, sich in ein Ge- büsch geschleppt, wo er dann hilflos starb. In gespanntester Auf- merksamkeit hört der Angeklagte mit weit geöffneten Augen dieser Schilderung zu, deren Bedeutung für den Ausgang des Prozesses klar ist. Er sucht die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu erschüttern, indem er eine Einzelheit seiner Aussag« als unmöglich bemängelt, die Angabe nämlich, daß v. Kahnes Pferd erhitzt und voll Schaum gewesen sei. Auffällig ist, daß v. Kähne, der regelmäßig seinen Wald durchstreifte und in der Gegend der Leichenfundstelle oft vor- beikam, dem von anderen Personen bemerkten Verwesungsgeruch keine Bedeutung beigelegt hat. Er ging der Sache nicht auf den Grund, sondern begnügte sich, kurz zu antworten, es rieche nach Stinkpilzen". Di« Darstellung Bellins wurde auch in dem Lokal- tcrmin, der am Nachmittag im Walde bei Petzow stattfand, nichr widerlegt. * Die Vernehmung einiger« eiterer Zeugen brachte im weiteren Verlauf der gestrigen Verhandlung nichts Wesentliches. Einige Holzarbeiter bekundeten, daß sie ebensalls im Stern- walde damals einen Aasgeruch tvährgenommen hattem Mehrere Obstpächter bestritten entschieden die vom Vater Laases gestern aus- gestellte Behauptung, daß Kähne in einer Pächterbesprechung geäußert hätte:Machen Sie mal den Finger krumm und lassen es einen Fuchs fein." Im Gegensatz zu den anderen hielt sich die Aussag« des folgen- den Zeugen, der den Angeklagten entlastet«. Der Schranken- wärter Ra ckwitz aus Geltow bekundet« nämlich, daß er am 2. Mai abends von der Caputher Seit« aus plätzlich zwei Schüsse von Petzow her gehört und gleich darauf auch ein« graue Rauchwolke aufsteigen gesehen Hab«. Kurz« Zeit danach sei von der fraglichen Stelle ein Fischerkahn aus dem Schilf gekommen, in dem sich ein« Person befand, die dann nach Ferch weiter- ruderte. Der Zeuge bemerkt hierzu, daß auf ihn selbst schon wieder- holt von Fischern Schüsse abgegeben worden seien, weil die Fischer sehr unter den Diebstählen an Reusen und Retzen auf dem Schwielowse« zu leiden hätten. Der Zeuge hat nachträglich von dem Vater Laases erfahren, daß der Jung« auch öfter Fische mit noch Haus« gebracht hat, was er trotz Borhaltungen seines Vaters nicht unterlassen habe. Dann wurde der haupkbelastuagszevze der Arbeiter Belli» aufgerufen, der dt« schon bekannt« Aussage macht: Er sei am Z. Mai, einem schönen, sonnigen und warme» Frühlingstag, im Petzower Wald Morcheln suchen gegangen und sei dabei einem sungen Mann« begegnet, der Lietzeneier suchte und den er vor Kähne gewarnt habe. Kurze Zeit danach sei Herrn. Kähne auf seinem Fuchs angeritten gekommen, habe ihn, den Zeugen nicht bemerkt, fondern nach dem Jungen gesehen, den er angeschrien habe. Der Zeug« behauptet dann, daß er von seinem Versteck aus gesehen bebe, wie Kähne auf den fliehenden Jungen zweimal geschossen, daß der Getrosfene vornüber aus die Hände ge- fallen sei. flch dann wieder anfgerosst habe und dann in die Büsch« aetaumelt sei. aus denen er ihn nicht wieder herauskommen gesoWrn habe Von diesem Vorfall will der Zeug« einem polnischen Arbeiter des Gutes namens Paul Mittellung gemacht haben, doch konnte dieser angebliche Paul niemals ermittelt werden. Der Zeug« betont noch zur Bekräftigung feiner Aussag«, daß er noch ganz genau wisse,

daß der Fuchs, den Kähne ritt, starten Schweiß an der Hinterhand und an den Sattelgurten gezeigt hätte. Vorsitzender: Woher wissen Sie denn, daß der fraglich« Tag der 3. Mai 1921 war? Zeug«: Es muß Anfang Mai gewesen sein. Vorsitzender: Und im März 1922 haben Sie erst die ganz« Geschichte erzählt. Hatten Sie da noch einig« Anhaltspunkte dafür, daß der fragliche Tag der 3. Mai 1921 war? Zeug«: Jawohl, das wußte ich. Auf weiteren Vorhalt bleibt der Zeug« dabei, daß eine Verwechselung seinerseits ausgeschlossen fei. Hierauf begab sich der Gerichtshof um 214 Uhr nachmittags mit den Geschworenen und den Zeugen sowie den übrigen Gerichtsteilnehmern in Kraftwagen der Reichspost nach Schloß Petzow . Der Lokaltermin auf Petzow . An der Südwesteck« des Sternwaldes auf Petzow wurde Hall gemacht. Hier übernahm der Zeug« Be l l i n die Führung, um zu zeigen, welchen Weg er am Morgen des 3. Mai eingeschlagen hatte und wo er nachher Zeug« des Zusammenstoßes zwischen Kähne und dem ilmgen Laase gewesen sein will. Quer durch den Wald, der von Eichen und Erlen, vereinzelt auch von Tannen bestanden ist, führte Bellin die Prozeßteilnehmcr zum See, wobei er sich allerdings verlief und nicht den Weg einhielt, den er beim ersten Lokaltennin vor dem Untersuchungsrichter eingeschlagen hott«. Am See angekommen, übernahm es Untersuchungsrichter Landgerichts- rot Dr. K a e h l e r, die Gesellschaft mit der Oertlichkeit vertraut zu machen, um zu zeigen, wo nach der Darstellung des Bellin der junge Laase damals auf der breiten Uferwtes« a m Schrate- lörasei gestanden haben soll. Dann ging es durch einen Hohl» weg wieder das Waldufer hinan bis zu der Stell«, wo Bellin beim Pilzesuchen Herrn v. Kähne kommen gesehen haben will. Auch diese Stell« wurde von dem Zeugen erst nach längerem Suchen und unter Zuhilfenahme der beim ersten Lokaltermin angefertigten Zeichnungen aufgefunden. Um den Geschworenen das Bild besonders anschaulich zu tnachen, wurde der Kutscher Kahnes mit dessen Reitpferd, einem Bleßftichs, zur Stelle beordsrt, der dann den Hohlweg mehr- mals beraufrciten mußt«, damit man feststellen konnte, ob Bellin tatsächlich die Feststellungen getroffen haben kann, die er gemacht baden will. Bellin gab dann auch die Stelle an, wo im weiteren Verlauf des Hohlweges Kähne mit dem jungen Laase zu- sammengetroffen sei, und wo auf den Flüchtigen die beiden Schüsse abgegeben sein sollen. Kähne bestieg selbst den Fuchs und bewaffnet« sich mit dem Dienftrevoloer eines der anwesenden Land- jäger, um dann auf Geheiß des Borsitzenden an der betreffenden Stell« zwei Schüsse abzufeuern, wobei der Fuchs aber schließlich unruhig wurde. Dann wurden die weiteren Fesistellungen ge­troffen, soweit sie die Aussage des anderen Belastungszeugen Reh- feld angingen, der angeblich den Laase am Abend des 2. Mai auf dem völlig übersichnchen breiten Ilferstreifen aus den Augen ver- loren haben will. Im Wald« selbst wurde dann die Fundstelle der Leiche besichtigt, die sich ziemlich dicht bei dem genannten Hohlweg in einem schwer zugänglichen Tannendickicht befand, bemerkenswerterweis« aber nur wenig von der Stelle entfernt war, wo Bellin den vor Kähne flüchtenden Laase im Gebüsch verschwinden hat sehen wollen. Weiter wurden die Holzarbeiter des Angeklagten über ihre Holzarbeit in der fraglichen Zeit vernommen und es ergab sich, daß in der engeren Umgebung des genannten Tannendlckichts, in dem die Leiche fett dem 2. Mai gelegen haben muß, die Arbeiter Bäume gefällt und Holz aufgeschichtet hatten, ohne die Leiche selbst zu finden. Eine lebhafte Kontrovers« enispann sich dann an Ort und Stell« noch über di« Frage. welchenAnzug Herr v. Kähne am 3. Mai. als ihn Bellin gesehen baben will getragen hat. Di« Kleidungsstück« wurden au» dem Schloß herbeigeholt; es handelt sich um eine feldgrüne Jägerunlsorm, einen bräunlichen Stosfhut und«in« passende Umsonnmütz«. Der Angeklagt« behauptete, daß er meistens den Uniformrock und den Stoffhut getragen Hab«, während sowohl Dellin, wie der Dater Laase, der bekanntlich Kähne am 3. Mai gegen Mittag in Geltow gesehen hat, diel« Bekleidung bestreiten und behaupten, daß Herr v. Kähne eine bräunlich« Jovp« angehabt hätte. Bei dieser Gelegen- helt ergab sich plötzlich di« Feststellung, daß Bellin den Angeklagten gegen 10 Uhr im Sternwald«, also südlich von Petzow getrvffen haben will, während zwei Stunden später Laase den Angeklagten,

der anscheinend zu Pferde von Potsdam kam, in Geltow , also auf der anderen Seite der Havel , nördlich von Petzow getroffen hat. Kähne selbst erklärte hierzu, daß er an diesem Tage seinen braunen Stadtocitanzug netragen habe, den Laase ober ebenfalls nicht wiedererkannte. Erst durch Befragen der Holzarbeiter ergab sich dann, daß Kähne damals auch noch«inen dritten Anzug getragen hatte, und zwar einen hellgrauen Reitanzug, der aber, wie der Angeklagte erklärt«, inzwischen ausrangiert worden sei. Vollige 5ilarheit über diesen Punkt, wie über die Tatsach«, daß Kähne am gleichen Vormittag zu verhältnismäßig wenig ouseinaufrerliegenden Zeiten an zwei ganz verschiedenen Stellen gewesen sein soll, wurde nicht erzielt. Auch die Angaben des Zeugen Rackwitz , der bekanntlich von der Caputher Seite aus zwei Schüsse gehört und eine Rauchwolke sowie später einen Fischerkahn gesehen haben will, wurde nachgeprüft, wobei sich ergab, daß man bei klarer Sicht und gutem Wetter dies« Angaben als nicht unwahrscheinlich bezeichnen kann. Eine weitere Feststellung wurde noch hinsichtlich de» augeblichen Sammein» von Lietzeueirrn gemacht. Eine Inaugenscheinnahme des verhältnismäßig spärlichen Schilfes am Ufer des Schwielowsees, südlich von Schloß Petzow, ergab, daß das Suchen von Lietzeneiern dort völlig ausstchts- l o s gewesen sein muß, da Nester von Ließen dort, wie der Ange- klagte bekundet«, überhaupt nicht zu finden seien. Außerdem sei das Wasser an den Schilfstellen viel zu tief, als daß«in Mann watend dorthin gelangen könne. Untersuchungsrichter Dr. K a e h l e r be- ftätigt« dies« Feststellung, indem er betont«, daß bei dem ersten Lokaltermin der junge Kähne probeweise mit seinem Pferd ins Wasser geritten und in Höhe des Schilfes das Tier schon fast völlig im Wasser verschwunden gewesen sei. Nachdem man kreuz und quer all« Wege abgegangen war, die der Zeug« Rehfeld und später nach Auffindung der Leiche der Obstpächter Laase mit Herrn v. Kähne gegangen war, wurde der Lokaltermin, an dem auch Oberstaats- anwalt o. Pfaffe, sowie olle in Frage kommenden Sachver- ständigen teilgenommen hatten, nach etwa 214stündiger Dauer be- endet und die ganze Gesellschaft begab sich wieder nach Potsdam zurück, wo um k Uhr abends die Verhandlung wieder ihren Anfang nahm. In der Abendsitzung brachte die Vernehmung der weiteten Zeugen nichts Wesentliches. Von Jntevess« waren nur die S a ch- verständigenautachten. Der Schießsachoerständig« Major Bachelin, Direktor der Deutschen Versuchsanstalt für Handfeuer- waffen, bezeichnete es als höchst wahrscheinlich, daß die ge- ftinden« K n g e l aus dem Revolver stammt, er hält es auch für möglich, daß die Sicherung sich später von selbst in die Trommel geschoben hat. vom waffentechnischen Standpunkt aus hält der Sachverständig« einen Selbstmord nicht für un- möglich. Di« Löcher im Schuh des Lagse bezeichnet er als keine Schußlöcher. Diesem Gutachten schloß sich auch der Waffenhändler Leim im wesentlichen an. Ein cftemischer Sachverständiger be­kundete zum Schluß, daß weder an der Kleidung des Laases noch an den Stiefeln Blut gesunden worden sei. Die Löcher im Schuh hält er ebenfalls nicht für Schußlöcher. Ueber das gefunden« Geschoß äußeret« er sich dahin, daß es nach«ingehender Untersuchung auf Grund gewisser Merkmale unwahrscheinlich sei, daß dieses Geschoß «inen menschlichen Körper durchschlagen habe. Entgegen dem Antrag« des Staatsanwalts beschloh dann das Gericht, ven Förster Lacher zu vereidigen. Um 1410 Uhr abends wurde die Verhandlung auf heut« früh 9 Uhr vertagt. Ieüe« Tag neue Kohlenpreise. Die Kohlenprei-erhöhung nach dem Dollarstand ist zunächst nock eine täglich« Einrichtung. Nachdem bereits gestern die Kohlen. preise erhöht wracken waren, teilt jetzt dos Nachrichtenamt der Stadt Berlin über eine weitere Erhöhung folgendes mit: Nach dem amt- lichen Dollarstant, vom 8. d. M stellen flch die Brikett, und Koks- preist ab 4. d. IN. wie fotzt: Küchen, und Ostnbrand Briketts ab Lager lg1Z«»000 stei Keller 190 280000 M.. Gas- kok, ab Lager 491230 000 Bd. stei Keller S004Z0000 M. fuhren- weist Lieferung Brikett» ab Lager 191 250 000 M., frei Keller 198 050 000 M.. Gaskoks 491230 000 M., stei Keller 499 230 000 M Da» Nachrichtenamt der Stadt Berlin teilt mit: Ab 4. d. M. beträgt der Preis für 1 Liter Vollmilch 14 Millionen, der für Magermilch 5 500 000 M. Devisenrazzia im Romanischen Cafe. Aus Veranlassung de» Staatskommissars für Dwisenerfassung Dr. Fellinger wurde gestern nachmittag um 1 Uhr unter Mitwirkung der Kriminal- und Schutz- Polizei im Romanischen Cafö. K u r f ü r sie n d a m m 132. eine Devistnrazzia abgehalten. Die Beamten besetzten sämtliche Zu-

Das verbrechen öer Elise Geitler. 8� JtoveOe von Hermana Keffer. Das Spiel ging zu Ende und in den innigen Abschied hin- ein, ohne daß der Schauspieler, wie es die Szene geboten hätte, seinen Platz am Balkon verließ. Mit ersterbender hin- gebung, langsam und weich, brachte er Romeos Nachtgruß: Schlaf lieg' auf deinem Aug', Friede auf deiner Brust, 0 war' ich Fried' und Schlaf und ruht' in solcher Lust!" Dann sprang er mit einem Satze von der Leiter: Otto erging sich in einer überwallenden Danksagung. Gertrud rief nur ein kurzes Wort des Beifalls hinab und erschien erst nach einigen Minuten im Garten, wie es dem Schauspieler dünkte, abgekühlt und förmlich bewundernd. Alle drei mochten wohl fühlen, daß nach der lebhaften Stund«, die jedes ver- schieden empfand, keine Geneigtheit mehr war, noch viel von belanglosen Dingen zu reden, und so schied der Schauspieler, ehe es Mitternacht war und von dem fahlen Gewölk am Nachthimmel ein lauer Regen herniederfiel. Noch an der Gartentüre aber hatten die Geschwister mit ihm abgesprochen, daß ff« der kommende Tag in der Stadt zusammenführen solle. Gertrud fand in dieser Nach: keinen Schlaf, auch dann nicht, als sie aufftand, um das Zimmer dem Wind und dem Regen zu öffnen und auch nicht, nachdem sie entschloffen war, dem Schauspieler am nächsten Tag« nickt zu begegnen. So lag sie wachend, gequält und umsponnen vom Wider- schein ihres Erlebens in der Fieberhitze des Linnens, als sie vernahm, daß hoch über ihr, in dem Giebelftübchen, in dem Elise hauste, schlürfende Tritte gingen und gesprochen wurde. Sie setzte sich aufrecht, von einer dunklen Beklemmung um- schnürt, und lauschte. Es war ihr, als murmelte die Alte verstörte und abgerisiene Worte, wie sie nur aus dem Munde von Menschen kommen, die im Traum vor sich Hinreden. Nun hörte sie wieder di« Schritte und dann kliprte ein Fenster, das Fenster von der Stube Elistns, und jetzt drang es wie von außen hereinLiebchen... Fräulein", und Gertrud er- kannte die Stimm« der Alten und die Worte, die Elise von der Szene geblieben waren, als sie stumm und starr in ihrem lichtlosen Stäbchen gesessen war. aufsog, was sich unter ihr zutrug, und davon eine irre und ruhelose Nacht hatte. Wie wenn der Zufall selber den Ort und die Gelegenheit zu einer gefährlichen Freiheit schaffen und ein ratloses Meu-

schenkind in einer bedrängten Stunde um die stützende Hand bringen wollte, ereignet« es sich, daß Otto von Sohr am nächsten Morgen ein Schreiben erhielt, das ihn mit einer Frist van wenigen Tagen zu einer mehrwöchigen Hebung auf ein tagwclt entferntes militärischess Waffenfeld rief. Drohende Hände faßten in jenen Tagen an die kurze Zürchschnur. daran das feuergefährliche europäische Friedens- glück befestigt ist, und dst Völker stellten sich klirrend in Positur. Es war noch nicht ausgemacht, ob man losschlagen werde, aber die Reiche und Staaten zählten ihre Soldaten, und wie andere junge Leute, die schon einen goldenen Streifen und einen Knopf auf dem Kragen trugen, wenn sie bei den Herbstmanövern unter den Reservisten marschierten, wurde auch Otto von Sohr von einem Tag auf den anderen von seinem Regiment verlangt, damit er schneller, als es gedacht war, zu stinem Offizierssäbel käme. So würden sie heute mit dem Schauspieler in der Stadt ein Wiedersehen und einen Abschied in einem haben, meinte Otto zur Schwester und lies, durch die Nachricht und die Aus- ficht, auf einige Wochen ohne Bücher und ohne Schreiberei erfrischt und tätig gemacht, im Haus« umher, nahm sich vor, noch vor Mittag in der Stadt einige Obliegenheiten zu er» ledigen, und beschloß, am kommenden Tag zu reisen. In den Morgen, der zwar mit einem trüben und schweren Himmel, aber doch regenfrei aufzog, war durch die Nachricht eine ungewöhnliche Bewegung gekommen. Mit der Dienst- magd schleppte Elise einen schweren, eisenbeschlagenen Koffer vom Dachboden über die Treppe hinab, und bald klopften die beiden Weiber auf einer Stange im Freien auf die blauen Uniformstücke los, um ihnen den Staub und den Dunst von ihrem verfchloffenen Lager zu nehmen. Unterdessen rieb Ger - trud emsig über das Seitengewehr, das blanke Metall der Knöpfe und den Schwarzlack des Helmes. Sie wollte ihren Teil an der Arbeit haben und sah kaum einmal aus ihrer Geschäftigkeit auf, ging auch mit wenigen Worten über eine beiläufige Frage des Bruders, was sie über den gestrigen Abend denke, hinweg und überschnellte ihn, so oft er darauf kam, mit dem dringenden Verlangen nach wichtigen Au»- künsten. Also schien das Tun und Denken aller der Menschen im Hause auf die Vorbereitung der Abreise gestellt und jede Er- innerung an den vergangenen Tag verblaßt, und doch hatte sich Gertrud in dem Gefühl erhoben, als fei sie während der Nacht in rollenden Woge» gelegen und hätte kaum«ine

Stunde gehabt, in der nickst alles, was an diesem heißen Tage gewesen war. aber ineinandergemengt, heftiger und er­schütternder und mit krausen Nachtgestalten belebt, jäh und bunt auf ihre Schlaflosigkeit zukam. Als die Nacht gewichen und der Grauschimmer der Dämmerung in ihr Zimmer ge- fallen war, hatte st« die Müdigkeit in einen kurzen Schlummer gedrückt. Ab«? auch aus dieser verspäteten Ruhe war sie mit einem klopfenden Puls und mit heißen Gliedern erwacht; ein Traumgesicht, eine lichte Erscheinung war tröstend wie Sternenglanz cm ihr vorbeigeschwebt, und sie hatte ihre sehn- süchtigen Arm« ausgestreckt, in einem unnennbaren Schmerz und Rausch. In ihr Grübeln und Sinnen über den Traum war das Geräusch des Tages gedrungen und hatte sie auf- gerüttelt: beim Ankleiden aber war sie fest geworden, hatte sich gesagt, daß sich nichts, rein gar nichts begeben habe, und war mit der Erwartung, daß der Tag die Qualen der Nacht verjagen würde, zu dem Bruder ins Zimmer getreten. Als sich Otto feine Fahrt zurechtgelegt hatte und die Weiber am Hause noch immer klopfen hörte, ging er, von Gertrud gefolgt, um selber nach seinen Sachen zu sihen. Es stellte sich heraus, daß alle die Uniformen stecklos und sauber waren und auch das peinlichste Auge ertrugen, und so unter- brach er denn den Eifer Elisens, fiel ihr mit dem Scherz in den Arm, die Woffenröcke möchten ihm wehwn, wenn sie noch länger geprügelt würden, und sandte die Frauen mit dem Auftrag, den Koffer zu packen, in» Haus. Die machten sick) eilig daran, dies mit aller Aufmerksamkeit zu besorgen, wobei Elise noch streng über all« Falten und Brüche wachte und oft mit ungestümen Händen und tadelnd dazwischenstthr, was di« Geschwister mit einem behaglichen Lächeln hinnahmen. Co war denn eine frohe Laune und betriebsame Munter- keit zu verspüren, als ein brauner Bauernbube, den Kopf ge- senkt und schüchtern auf seinen nackten Füßen über den Steg geschritten kam und vor dem Gartentor, ohne die Klingel zu ziehen, geduldig still hielt. Er hatte zwei steife kreisrunde Totenkranze aus Immergrün und aus gelben und roten Blumen im Arm und wartete ruhig, bis jemand seiner ge- wahr wurde, worauf Elise, der plötzlich eine fahle Röte über die Runzeln hinflog, ihren Fleiß hemmte, die Kränze abnahm und sie stumm in einem Winkel des verregneten Gartens ver- barg, in einem leisen Trotz und einer Verlegenheit darüber, daß die Geschwister dies wohl für eine Mahnung nehmen könnten, ihres Tages nicht zu vergeffen. �Fortsetzung folgt.)