Menöausgabe Nr. 466 ❖ 40. Jahrgang Ausgabe B Nr. 234 Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise sind in der Morgenausgabe angegeben liadaMoi»: Sw. SS, Liadenstratze Z Ferasprachar: Dönhoff 292— 295 Tel. Adr-fseeSozialdemokrotverUa f TV WMG � Gevliner VolKsblÄti 2500000 Mark Ireitag 5- Oktober 7�23 ag und Anzeigenabteilung Geschäftszeit S— 5 Uhr erleger: VorwSrls-verlag GmbH. Berlin Sw. SS, Lindenstraff« 2 Fernsprecher: Dönhoff 2506-250} Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokrat» fchen Partei Deutfcblande Noch immer keine Regierung! Nene Verhandlungen nnd Unterhandlungen. Der„Sozialdemokratische Parlamentsdicnst" meldet aus dem Reichstage: Langsam beginnt im Reichstag die Einsicht sich Durch- bruch zu verschafsen, daß eine Regierung ohne var- l a m e n t a r i s ch e Spitze, also auch ein Kabinett der Per- sönlichkeiten, in Anbetracht der schwierigen innen- und außen- politischen Lage vollkommen unmöglich ist. Man er- örtert deshalb bereits jetzt wieder die Möglichkeit zur Rückkehr der großen Koalition mit Aenderungen in der bisherigen Be- setzung der Ministerien. Um 12 Uhr trat die sozialdemokratische Reichstagsfraktion zu einer Besprechung zusammen. Für 1 Uhr hat der Reichskanzler den Genossen Hermann Müller zu sich gebeten. Der Versuch Stresemanns, ein Überparlament a- r i s ch e s Kabinett zu bilden, muß jetzt als g e s ch e i t e r t be- trachtet werden. Dr. Stresemann hatte die Absicht, im wesent- lichen die demokratischen und volksparteilichen Minister und auch die des Zentrums seiner bisherigen Regierung in das neu zu bildende Kabinett einzubeziehen, dagegen die bisher von Sozialdemokraten besetzten Ministerien an Wirtschaftler auszuhändigen, die als politisch unbeschrieben gelten konnten. Er dachte hier u. a. an den bisherigen Direktor der Darmstädter Bank , Hjalmar Schacht , und an den bereits bei früheren Regierungskrisen genannten Kommerzienrat R a b e t h g e. Schacht sollte das Finanz- und Wirtschaftsministerium gemein- sam übernehmen, während Rabethge für das Ernäbnmgs- Ministerium auserkoren war. Der Reichskanzler gedachte mit der alten Rede, die er mit dem Kabinett der großen Koalition .zusammen ausgearbeitet hatte, vor das Parlament zu treten und die Vertrauensfrage zu stellen. Roch im Verlauf des gestrigen Abends mußte er sich je- doch davon überzeugen, daß ein derartiges Kabinett bereits in der ersten Sitzung fallen würde, weil ihm die Zustimmung der Deutschnationalen ausgeschlossen schien und auch die Sozial- demokraten gegen eine derartige Regierung starke Bedenken tragen mußten. Von unserer Seite wäre eine Vertrauens- formet für das sogenannte überparlamentarische'Kabinett Stresemann nicht in Frage gekommen. Der Reichskanzler bat deshalb noch am Donnerstag abend die Führer der Koalitions- Parteien, ernsthaft zu erwägen, ob nicht dennoch die Möglich- keit bestehe, ein Kabinett der großen Koalition zu bilden. Er sah sich zu dieser Ausfassung um so mehr gezwungen, als die nur noch übrig bleibende Lösungsmöglichkeit durch eine Auf- lösung des Reichstages außerordentliche Schwierig- leiten mit sich bringt, im übrigen aber die Möglichkeit der Kleinen Koalition an der Haltung des Zentrums und der Demokraten scheitern würde. Er gedenkt, dieses Kabi- nett der Großen Koalition aus Mitgliedern der alten Regie- rung zu bilden, jedoch das Finanz- und Wirtschaftsministerium dem Generaldirektor der Darmstädter Bank , Schacht, zu über- geben. Schacht bat ihin bereits seine Zusage gemacht. Es ist nicht ausgeschlossen, daß diese Kombination bereits im Laufe des Nachmittags zur Tatsache wird, da auch das Zentrum und die Demokraten sich um das Zustandekommen einer neuen großen Koalition ernsthaft bemühen. Die demokratische Frak- tion bat inzwischen folgenden Beschluß gefaßt: „Die deutsch - demokratische Reichstagsfraktion richtet an den Reichspräsidenten und den Reichskanzler die dringend« Auf- forderung, den ZZsrsuch einer Wiederherstellung der Regierung der Großen Koalition nochmals zu unternehmen. Wenn ein solcher Versuch nicht unternommen wird, sieht sich die Fraktion nicht in der Lag«, einem sogenannten„unpolitischen" Kabinett ihr Vertrauen auszusprechen". Auch die Zentrumsfraktion ist bereit, weitgehende Zuge- ständnisse an die Sozialdemokratie zu machen. Sie schlägt vor, die Arbeitszeitfrage aus dem Ermächtigungs- gesetz herauszulassen und die übrigen sozialpolitischen Fragen nur unter Einschaltung eines Reichstags- ausschusses in Zukunft zu regeln. Die Demokraten sind darüber hinaus bereit, der Sozialdemokratie insofern eine ge- wisse Garantie für die sachliche Ausführung der sozial- politischen Ermächtigung dadurch zu geben, daß neben Reichs- arbeitsminister Brauns ein sozialdemokratischer Staatssekretär in das neue Kabinett eintritt. Für 1 Uhr mittags bat, wie verlautet, der Reichskairzler die Führer der bisherigen Regierungsparteien zu sich. Um 12 Uhr mittags trat die sozialdemokratische Fraktion zur Besprechung der Lage zusammen. Nach einem Bericht des Genossen Hermann Müller wurde der Fraktionsvorstand ohne vorherige Debatte ermächtigt, in Anbetracht der Zuge- ständnisse von Zentrum und Demokraten Verhandlun- gen über die Wiederherstellung der aroßcn Koalition mit dem Reichskanzler zu führen. Wie die„Voss. Ztg." zu berichten weiß, hat Hugo Etinnes gestern im Reichstag mit den D« u t s ch n a t i o n a ls n verhandelt. Diese Verhandlungen dürften ihre Vorgeschichte haben. Wenn die „Germania " richtig informiert ist, hat bereits in der vorigen Woche ein« Konferenz bei Stinnes stattgefunden, in der die List« für ein kleines Kabinett mit diktatorischen Vollmachtenl aufgestellt worden ist. Es wurde eine Ministerliste dieser so- genannten nationalen Diktatur aufgestellt, an deren Spitz« ein bekannter General stehen soll, und die Herrn Helfferich als Finanzminister und einen bekannten Gewerkschaftler als Arbeitsminister nennt. Man geht wohl kaum fehl, wenn man diesen Gewerkschaftler in der Person Stegerwalds in den � eigenen Reihen des Zentrums sucht. Da sowohl das Zentrum als ' auch die Volkspartei in auffälliger Weiss betonen lassen, daß sie für eine Regierung, die nicht auf der verfassungsmäßigen parlamen- t a r i s ch e n Grundlage steht, nicht zu haben seien, muß man sich fragen, was sonderbare Heilig« wie Stinnes und Stegerwald an ihre Parteien noch weiter bindet. Sturm auf Preußen. Die Stosttrupps an der Arbeit. Der Appetit kommt bekanntlich beim Essen. Seitdem die Deutsche Volkspartei so prompt zusammengeklappt ist, als die Deutfchnationalen und die mit ihnen in engem Bunde ar- beitenden Gruppen der Schwerindustrie das„marxistische" Koalitionskabinett Stresemann zu stürzen suchten, ist diesen Ministerstürzern der Appetit gewaltig gewachsen. Es genügt ihnen nicht, nach ihrer Meinung den„Marxismus " im Reiche beseitigt zu haben, sie strecken jetzt auch die Hände nach Preußen aus. Hinter den Ltulissen wird eifrig daran gearbeitet, der Deutschen Volkspartei in Preußen begreiflich zu machen, daß sie unmöglich in der bisherigen preußischen Regierungskoalition bleiben könne, weil in ihr ja auch Marxisten sitzen. Die volks- parteiliche„Zeit", die auch die U n t e r st r ö m u n g s n der eigenen Partei zwischen den Zeilen anzudeuten pflegt, hatte schon gestern abend geschrieben: „Gewiß ist der Versuch gescheitert, ous der großen Koalition im Reiche eine f e st e� und dauerhafte Regierung zu schmieden. Aber damit ist der Gedanke der großen Koalition keineswegs er- ledigt. Diese? Gedanke behält seine volle Berechtigung, und er be- hält hoffentlich auch seine volle Lebenskraft da, wo er sich durchgesetzt hat. Es wäre außerordentlich bedauerlich, wenn von der Kcisis im Reiche irgendwie ein Rückschlag auf die Regierungsverhältnisse in Preußen ausgehen sollte. Wir hoffen bestimmt, daß das nicht der Fall sein wird." Diese Hoffnung der„Zeit", die sich augenscheinlich der eigenen Mannen nicht mehr sicher glaubt, erscheint der„Kreuz- zeitung " außerordentlich bedenklich. Sie sucht die Volks- parteiler in plumpester Weise aufzuputschen, indem sie ver- sichert, die„Hörigkeit der volksparteilichen Landtags- fraktion von Herrn Severins fei allem Anschein nach größer als der Wille der Reichstagsfraktion der Stresemann- Partei". Um die Dolksparteiler vollends einzuschüchtern, veröffent- lichen die deutschnationalcn Blätter die Mitteilung, die deutschnationale Reichstagsfraktion habe beschlossen, der Fraktion der Deutschen Volkspartei bekanntzugeben, daß sie auch einem neuen Kabinett Stresemann das Vertrauen würde versagen müssen, da ein solches Kabinett keine Gewähr dafür böte, daß die S o- zialdemokraten auch aus der preußischen Regie- rung ausgeschaltet würden. Wenn die schmelzenden Rattenfängermelodien nicht mehr den erhofften Erfolg zeitigen, dann kommt der alt- preußische Junkerton wieder zur Geltung: Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt! Welche Wirkung diese Tonart auf die Gefolgschaft des Herrn Scholz in Preußen haben wird, läßt sich für den Augenblick nicht voraussagen. Immerhin kommt in dem Bestreben der deutschnationalen Stoßtrupps, auch die Regierungsfonn in Preußen zu ändern, die hohe Anerkennung zum Ausdruck, die das ener- gische, feste und zielklare Verhalten des sozialdemokra- tischen Innenministers S e v e r i n g auch der Iunkerpartei abnötigt. Sie weiß ganz genau, daß, wenn gleich stabile Ver- Hältnisse wie in Preußen auch im Reiche vorhanden wären, und wenn die republikanische Verfassung in gleich beständiger Form auch durch die Reichsregierung geschützt würde, wie das in Preußen durch Severing der Fall ist, daß dann ihre Hoff- nung auf Sieg alsbald in ein Nichts zusammenschrumpfen würde. Es ist deshalb begreiflich, daß der Sturmbalken zu- nächst an die preußische Mauer gesetzt wird. Die Stürmer wissen nur zu gut, daß ihre Absichten, das parlamentarische System und die Republik selbst im ganzen Reiche unmöglich zu machen, so lange scheitern werden, als der größte Einzelstaat dieses Reiches in Verwaltung und Regie- rung fest republikanisch bleibt. Für die Sozialdemokratie liegen die Dinge ganz klar. Schon einmal hat man nach der Revolution versucht, ohne die Sozialdemokratie in Preußen zu regieren, zur großen Freude der Deutschnationalcn. Aber das von dem Namen � Stegcrwald-Dominicus gekennzeichnete sozialistenreine Mini- sterium hat keine allzu lange Lebensdauer gehabt, und von den bürgerlichen Parteien selbst hat man sich damals immer wieder bemüht, unsere Fraktion zur Beteiligung an der Re-! gierung zu veranlassen. Seit zwei Iahren ist die große Koa- lition in Preußen Tatsache. Und wenn wir auch nicht mit allem einverstanden sind, was die einzelnen Ministerien getan und unterlassen haben, wenn insbesondere das Justiz- und das Kultusministerium mehr als einmal Anlaß zur Kritik geben haben, so sind die Verhältnisse in Preußen all- gemein doch ungleich gefestigter als im Reiche. In den breiten Massen der arbeitenden Bevölkerung, in denen wegen der Zustände im Reiche eine begreifliche Mißstimmung Platz gegriffen hat, wird man wegen der Verhältnisse in Preußen viel weniger Mißbehagen finden. Und wenn es wahr ist, daß diejenige Regierung die beste sei, von der man am wenigsten spricht, so trifft das zweifellos in weit höherem Maße für Preußen zu als für das Reich und etwa für Boyern. Wenn deshalb dieser neuerliche Vorstoß der Deutsch - nationalen gegen die preußische Regierungskoalition erfolgt, sa hat das keinen anderen Zweck, als die Aufmerksamkeit von dem landcsverräterischen Treiben„völkischer" und„nationaler" Kreise abzulenken und zunächst einmal den Widerstand zu zer- brechen, der den Putschisten gerade von Preußen aus ent- gegengesetzt wird. Denn darüber sind sich diese Kreise völlig im Reinen, daß alle ihre Absichten, durch einen trockenen oder feuchten Putsch die Regierrmgsgewalt in die Hand zu be- kommen, solange scheitern werden, als in Preußen die Staats- gewalt in den Händen zuverlässiger und energischer Republi- kaner liegt. Wenn die Deutschnationalen mangels eigener Geistestätigkeit jetzt das Hitlersche Schlagwort vom„Marxis- mus" nachplappern, so brauchen sie ein solches Schlagwort lediglich, um die im Denken bequemen Anhänger der bürger- lichen Parteien leichter einsangen zu können. Der Marxismus ist bekanntlich eine Gesellschaftslehre, die den Programmen der modernen.sozialistischen Parteien zu- gründe liegt. Daß in Preußen odel im Reich bei den gegen- wärtigen Kräfteverhältnissen wirklich marxistische, d. h. rein sozialistische Gesetzgebung erfolgen könnte, glauben auch die trcuesten Nachläufer Adolf Hitlers und Helfferichs nicht. Sic wissen so gut wie wir, daß es für die Sozialdemokraten inner- halb oder außerhalb der Regierung zunächst nur darauf an- kommen kann, die demokratischen Einrichtungen zu festigen, die die Revolution gebracht hat, und in die Gesetz- gebung dasjenige Maß von sozialistischen Gedanken zu über- tragen, das der gegenwärtigen Kräfteverteilung entspricht. Jeder Sozialdemokrat weiß, daß die sozialistische Gesellschaft als Ziel nur auf einem mit Hindernissen bepflasterten Ent- wicklungswege zu erreichen ist. und daß soziale und sozia- listische Tendenzen nur im gleichen Maße wachsen wie das Verhältnis der Gesellschaftsklassen sich verändert. Das Schlagwort vom„Marxismus " ist deshalb ein törichtes Gerede, um Dumme zu fangen. Daß die Sozialdemo- kratie den wirklichen Marxismus nicht aufgibt, ist eine Selbstverständlichkeit, denn auf ihm beruht ihre ganze Ge- dankenwelt. In der Gegenwart aber handelt es sich nicht allein um Sozialismus und Marxismus , sondern vor allem um die Erhaltung des Deutschen Reiches als Republik und als Wirt- schaftsgemeinschaft. Wer angesichts der separatistischen Bestre- bungen im Rheinland und in Bayern jetzt auch noch Preußen in die gleichen Regierungswirren stürzen wollte, unter denen das Reich zu leiden hat, handelt als ein Schädling am ganzen Volke. Es ist daher verständlich, wenn die Deutsche Volkspartei in Preußen es bisher abgelehnt hat, den deutschnationalen Rattenfängern im gleichen Maße Gefolg- schaft zu leisten, wie ihre Parteifreunde im Reichstage, und daß sie, wie ein Mistagblatt zu melden weiß, dem preußischen Ministerpräsidenten ausdrücklich von dieser ihrer Haltung in Kenntnis gesetzt hat.___ Das Werk üer Krisenmacher. Die Mark stürzt ins Bodenlose. An der Börse herrscht vollkommen katastrophal« Stimmung. Man steht den Bemühungen Stresemanns, eine neu« Regierung zu bilden, sehr skeptisch gegenüber. Die heute ver- öffentlichten Zissern über die Geldbewegung bei der R«i<hshaupt- lasse, die ein katastrophales Anwachsen der schwe- b e n d e n Schuld in der letzten Septemberdekad« um das Fünf- einhalbfache erkennen lassen, bildete den Gegenstand lebhafter Er- örterungen. Die Tendenz am Devisenmarkt« war angesichts dieser trostlosen finanziellen Lage und der außerordentlich schwierigen politischen Verhältnisse sehr fest. Vor der amtlichen Rotierung wurde der Dollar mit 5Z0 Millionen, das englisch« Pfund mit 2800 Millionen genannt. Im Effektenvertehr trat ebenfalls nach etwas un« sicherer Eröffnung ein« sehr fest« Tendenz hervor. Diese erstreckte sich jedoch nicht auf all« Märkte gleichmäßig. Die stärksten Kurssteigerungen wiesen die Aktien aller Unterneh- mungen des besetzten Gebietes und auch Ober- s ch l e s i e n s auf. Demgegenüber bleiben die Aktien von Gesell- schaften des unbesetzten Gebietes hinter der Devisenbewegung im Kurse wesentlich zurück. Die Geldflüssigkeit, die sich seit einigen Togen an der Börse bemerkbor macht, hält vorläufig noch an.
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