Abendausgabe
Nr. 510 40. Jahrgang
1 Milliarde M.
31. Oktober 1923
= Vorwärts=
Ausgabe B Nr. 257
Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise
find in der Morgenausgabe angegeben
Redaktion: Sw. 68, Lindenstraße 3
Fernsprecher: Dönhoff 292-295
Berliner Volksblatt
Berlag und Anzeigenabteilung. Geschäftszeit 9-5 Uhr
Berleger: Borwärts- Berlag Gmbh. Berlin SW. 68, Fernsprecher: Dönhoff 2506-2507
Lindenstraße 3
Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Bayern lehnt endgültig ab.
Amtlich wird aus München mitgeteilt:
Der bayerische Ministerrat hat jich gestern mit der von der Reichsregierung an die bayerische Regierung gerichteten Frage beschäftigt, ob sie bereit sei, in fürzester Zeit die verfassungsmäßige Befehlsgewalt im bayerischen Teil der Reichs wehr wiederherzustellen. Die bayerische Staatsregierung hat am 22. Oktober den bayerischen Teil der Reichswehr zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung in Bayern und zur Wahrung der bayerischen Belange bis zur Wiederherstellung des Einvernehmens zwischen dem Reich und Bayern als Treuhänderin des deutschen Volkes verpflichtet. Diese Maßnahme ist auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung erfolgt, der dadurch geschaffene Zustand ist daher also verfassungsmäßig. Die Veranlassung dazu bildete der neuerliche Eingriff in die bayerischen Hoheitsrechte, er hat die grundfähliche Frage des Verhältnisses zwischen Reich und den Ländern aufgerollt. In erster Linie muß diese Frage im Interesse des Reiches und der Länder einer endgültigen Lösung zugeführt werden, um Sicherheit dafür zu schaffen, daß konflikte zwischen Reich und Ländern für die Zukunft unmöglich werden, wie fie bisher Jahr für Jahr das friedliche Leben des Reiches und der Länder erschüttert haben. Einigkeit bestand auch darüber, daß eine Aenderung im Oberbefehl des bayerischen Teiles der Reichswehr unfragbar wäre. Die Fassung der der Reichsregierung zu erteilenden Antwort bleibt weiteren Beratungen vorbehalten.
Die Antwort des bayerischen Ministerrates ist insofern zu begrüßen, als sie es an Deutlichkeit nicht fehlen läßt. Diejenigen Kräfte in der Reichsregierung, die glaubten, be fonders staatsmännisch zu handeln, indem sie durch Berhandfungen und Erflärungen einen Keil zwischen Kahr- Lossow und Knilling- Breger zu treiben versuchten, sind um eine Enttäuschung oder im eine Blamage- reicher.
Denn mindestens nach dem Einmarsch der Reichswehr in Sachfen fonnte eine begründete Besorgnis, daß dort oder von dort aus bie Wer sorgt für„ verfaffungsmäßige Zustände" in Bayern ? öffentliche Sicherheit und Ordnung im Reiche gestört oder gefährdet Der Spezialforrespondent des„ S03. Parlamentsdienstes" in werde, nicht mehr bestehen. So bliebe nur die Anwendbarkeit des Südthüringen meldet: Absatz 1. Hier muß die Deffentlichkeit die Frage aufwerfen, welche
99
Die militärische Cage an der bayerischen und thüringischen verfassungsrechtlichen oder reichsgesetzlichen Pflichten nach AnGrenze hat sich am Dienstag verschärft. Bei Lichtenberg in Bayern ficht der Reichsgewalt vom Lande Sachsen nicht erfüllt sind, ist neue Artillerie in Stellung gebracht worden. Aus der Gegend und zu welcher Pflichterfüllung das Land Sachsen mittels Absehung von Arnstadt und Kronach hört man Gewehrfeuer, das auf Scharf- feiner verfassungsmäßig zuftande gekommenen Regierung angehalten schießübungen in diesen Gegenden zurückzuführen ist. Im Land- werden soll. Eine rechtfertigende Antwort auf diese Frage kann es freise Hildburg- Heldburg ist es zu Grenzüberschreitungen von Hitler - nicht geben. truppen gekommen, die auf thüringische Schuhpolizei Im Namen des Rechts erheben wir schärfften Biber. geschossen haben. Die Polizei hat diese Angriffe nicht erwidert. fpruch gegen die geschehene Anwendung des Artikels 43 gegenüber in der Gegend von Hildburghausen find von Rechtspulschisten Listen für die Aushebung von Pferden und die Requififion von Futtermitteln aufgestellt worden.
Die thüringische Regierung hat heute an den Reichs präsidenten , den Reichskanzler und den Reichsminister des Innern telegraphiert und die Wiederherstellung verfassungsmäßiger Zustände in Nordbayern gefordert.
Wer trägt die Verantwortung?
Eine Klarstellung.
Noch immer wird versucht, für die verhängnisvolle Art des Einschreitens gegen die sächsische Regierung auch die fozialdemokratischen Kabinettsmitglieder verantwortlich zu machen. Es genügt, demgegenüber auf den Schlußabsatz des Schreibens zu verweisen, das Reichstanzler Dr. Stresemann am 27. Oftober an den Ministerpräsidenten Dr. Seigner gerichtet hat. Dieser Absah lautet:
Ich ersuche Eie, mir über, den Rücktritt der Regierung innerhalb des morgigen Tages, den 28. Oktober, Nachricht zu geben. Falls eine Neubildung der Regierung auf anderer Grundlage ohne Mitwirtung fommunistischer Mitglieder nicht sofort herbeigeführt und dadurch die Ruhe, Sicherheit und Ordnung des Landes weiter gefährdet werden sollte, wird der Inhaber der vollziehen den Gewalt einen Reichskommissar bestellen, der die Berwaltung des Landes bis zur Wiederherstellung verfassungs. mäßiger Zustände in die Hand nimmt.
Sachsen , und verlangen schleunigste Rüdgängigmachung der ge troffenen Maßregeln. Das ganz andere Verhalten der Reichsgewalt gegenüber Bayern zeigt den Gebrauch von zweierlei Maß bei den einschneidendsten und wichtigsten Verfassungsvorschriften. Dies muß das Rechtsempfinden aller Republikaner auf das schwerste verlegen.
In der
Die Volkspartei gegen Fellisch. Dresden , 31. Oktober. ( Eigener Drahtbericht.) Nachtfihung des Sächsischen Landtages wurde der frühere sächsische Wirtschaftsminister Fetisch mit 46 gegen 18 Stimmen zum Ministerpräsidenten gewählt. Die Kommunisten und Deutsch. nationalen verließen bei der Abstimmung den Saal, während die Bolkspartei gegen Fellisch stimmte.
Ueber den Verlauf der Nachtsihung gibt die TelegraphenUnion" einen Bericht, dem wir die wesentlichsten Stellen ent nehmen. Danach wurde in der Sigung gegen 10 Uhr ein Brief des Genossen Dr. Zeigner verlesen, in dem dieser mitteilt, daß er fein Amt niederlege. Abgeordneter Böttcher beruft sich auf § 27 der Verfassung und erklärt, die Regierung Zeigner fet auch weiterhin die einzige verfassungsmäßige Regierung in Sachfen. Der Deutschnationale Beutler bezeichnet das Schreiben Dr. Zeigners als überflüssig, er fei nicht mehr Ministerpräsident, er sei seiner Stellung enthoben und eristere für seine Partei nicht mehr. Nash langer Geschäftsordnungsdebatte wird das Haus dann vertagt und um 21 Uhr eine neue Gigung einberufen.
Seit mehr als einem Monat wird in Berlin Bayern gegenüber eine Vogel- Strauß Tattif befolgt, die ebenso verhängnisvoll wie würdelos ist. Vor allem seit der offenen Meuterei Loffows muß man diese Haltung gewisser Berliner Stellen geradezu als verhängnisvoll empfinden, zumal wenn man einen Vergleich mit Sachsen anstellt. Bei allen Versuchen, durch die Bermittlung des Gesandten v. Breger mit Knilling zu verhandeln, um diesen zu veran laffen, von Kahr und Lossom abzurücken, schien man die TaiIn dieser Sigung führt der Abg. Böttcher( Komm.) in fache vollkommen außer acht zu lassen, daß die Ernennung In diesem Schlußfaß ist klar ausgesprochen, daß das BeLossoms zum„ bayerischen Landeskommandanten" und die schlußrecht des Kabinetts ausgeschaltet und längerer Rede aus, die Sozialdemokraten hätten sich damit einver. Inpflichtnahme der bayerischen Reichswehrteile auf den bane- dafür der Inhaber der vollziehenden Gewalt, d. h. der Reichs- gesetzt werde. Damit haben sie dokumentiert, daß für sie eine Berrischen Staat von dem bayerischen Gesamtministe- wehrminister Dr. Geßler, eingeschaltet wurde. Schließlich aber fassung nur ein Fehen Papier fei. Der Redner greift den eherium verfügt und mit einem Aufruf bekanntgegeben wor- ging man doch noch einen etwas anderen Weg, indem der maligen Ministerpräsidenten Dr. Zeigner in heftigfter Weise an. den war. hat man etwa im Ernst geglaubt, daß Herr Reichskanzler sich eine allgemeine Ermächtigung zum Er fei unwürdig von seinem Plah gefchieden, habe kampilos den v. Knilling sich selbst desavouieren würde? Wir neigen Vorgehen gegen die sächsische Regierung von dem Herrn Berliner Parteifchiebern gegenüber tapituliert.( Der Sozialist eher zu der Auffassung, daß der banerische Gesandte, indem Reichspräsidenten geben ließ. Weder diese Verord- Göldner ruft den Kommunisten auf ihre Zwischenrufe zu: Thr er seine guten Dienste als Vermittler anbot, den Auftrag nung noch die Ernennung des Reichskom- bezahlten Subjekte". Der Abgeordnete Lieberasch( Komm.) er hatte, 3eit zu gewinnen, vor allem in der Hoffnung, daß missars hat aber dem Reichskabinett vor dem widert: hr habt ja das Geld der Unternehmer, Ihr Schufte!") ( Die vielen weiteren Zwischenrufe lassen teilweise die Worte des die Reichsregierung inzwischen zusammenbrechen würde. Bollzug vorgelegen. Damit ist die Verantwortlichkeit für Redners vollständig untergehen.) Böttcher wirft den Sozialdemokraten die Vorgänge in Dresden flar und unwiderleglich gegeben. vor, daß viele Mitglieder zu den kommunisten gekommen feien und um Schutz gegen den rechten Flügel gebeten haben. Abgeordneter Bethte( S03) nimmt seine Barteimitglieder gegen den Bormurf Böttchers in Schuh. Solche Lumpen gebe es in seiner Partei nicht. Die Kontroverse zwischen Sozialisten und Kommunisten wiederholt sich in scharfer Weise. Der Demokrat Seyfert hält die Stunde für zu ernst, um solchen Streit auszufechten. Es sei bestimmt versichert worden, daß der Ausfall der Ministerpräsidenten. wahl bestimmend sein werde für das Schicksal unferes ganzen Reiches. Von diesem Standpunkt aus habe Seine Partei die Entscheidung getroffen. Wir werden den von den Sozialdemokraten vorgeschlagenen Ministerpräsidenten mitmählen. Wir bringen damit ein Opfer um des Reiches und des Volkes willen. Der Sozialdemokrat Wirth erklärt, seine Partei habe nicht die Errungenschaften der Arbeiter in den letzten fünf Jahren preisgeben wollen. Die übrigen Worte des Redners gehen unter in dem un. geheuren Lärm der Kommunisten. Abgeordneter B 5 t t- Geld- cher( Romm.) schreit: Berräter! Schieber! Ihr wollt ja nur Eure Pöstchen für Eure Mitglieder halten" ufm. Schließlich schlägt der b geordnete Wirth als Ministerpräsidenten den Abgeordneten Fellise
Wer überhaupt noch im Zweifel war über den Ausgang diefer diplomatischen Aktion, dessen Illusionen mußten jedenfalls durch den Beschluß der Landesversammlung der Banerifchen Volkspartei endgültig zerstreut werden: indem die stärkste, ausschlaggebende Partei Bayerns sich nicht nur mit Knilling, fondern auch mit Kahr solidarisch erklärte, machte sie endgültig mit dem Meuterer Lossow gemeinsame Sache.
-
Gegen die Rechtsbeugung.
Der Gesamtvorstand des Republikanischen Richterbundes erläßt zur Absehung der sächsischen Regierung folgende Er flärung:
Im Namen des Reichspräsidenten ist die sächsische Regierung auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung ihres Amtes enthoben worden. Absatz 2 des Artikels fann nicht wohl in Frage kommen.
Dollar 72,5 milliarden.
Die Frage, die sich jetzt einem jeden aufdrängt, lautet: Was nun? Die Reichsregierung hat in der sächsischen Frage alles eher als Ruhm und Ehre geerntet, der Riß zwischen ihr und den republikanischen, verfassungstreuen arbeitenden Massen des Volkes flafft riesengroß; er fann, wenn überhaupt, nur dann noch überbrückt werden, wenn sich das Reichskabinett endlich dazu entschließt, mit allen Mitteln, über die es verfügt und diese sind nicht gering, gegen Bayern ernst zu machen. Die scharfe Anspannung des Geldmarktes ist nach Erledigung Sperrung der Gelder für die meuternden Teile des Ultimogeschäftes überraschend schnell einer allgemeinen der Reichswehr, für die verfassungsbrüchigen Elemente der flüssigkeit gewichen. Heute wurden bereits sehr große Beträge zu Beamtenschaft und Landespolizei, Post- und Tele- Gägen von 2 bis 4 Proz. angeboten. Diese günstige Entwicklung graphensperre, Sperrung des Eisenbahnver der Geldmarktlage war von einschneidender Bedeutung für die Ge fehrs, diese Mittel und noch andere, offiziell angewandt und staltung des Geschäftes am Devisen- und Effektenmarkt. Schon bei mit Unterstützung der deutschen Arbeiterorganisationen inter- Beginn des offiziellen Verkehrs deutete ein Eröffnungskurs national ausgedehnt, wie einst gegen Horthy- Ungarn, wür- der Goldanleihe von 72,5 milliarden die steigende ' den den Spuf der banerischen Konterrevolution in nichts zer- Tendenz der ausländischen Zahlungsmittel und Wertanleihen an. flattern lassen, wahrscheinlich noch bevor ein einziger Reichs- Die bei Beginn der Woche an den Auslandsbörsen eingetretene wehrsoldat die weikblauen Pfähle überschreiten müßte. Und Kurssentung der Mart, die trotz der Ausgabe großer schließlich wäre die Reichswehr des Generals von Seedt auch Beträge wertbeständiger Zahlungsmittel riefenhafte Papiergeld dazu da, gegen meuternde Generäle und verfassungsbrüchige fummen erforderte, die Vorgänge in Sachsen, die ablehnende HalRegierungen vorzugehen. Ist fie dazu nicht imstande, dann tung Bayerns gegenüber den Verständigungsversuchen der Reichs mag sie zum Teufel gehen mitsamt ihrer Musit. regierung und die an der Börse umlaufenden Gerüchte über eine neue bedenkliche Wendung in der Kabinettsfrage wirften zufammen, Das Programm derer um Kahr. um eine sehr starte Nachfrage nach Devisen und wert. München, 31. Oktober .( WTB.) Veranlaßt durch die Gerüchte beständigen Anleihen hervorzurufen. Bei der Festsetzung der von einer-binettsumbildung in Berlin haben die Vaterlanamtlichen Kurse mußten wieder wie gestern sehr scharfe Repartiedischen Verbände Bayerns( Borsitzender Kahr! Red.) rungen vorgenommen werden. in einem Telegramm an den Reichsverband folgende Stellung- Im Effektenverkehr entwidelte fich ein ziemlich be nahme fundgegeben: deutendes Geschäft bei sehr fester Tendenz. Auf vielen Märkten Die Vereinigten vaterländischen Verbände Bayerns fehen die waren Berdoppelungen der Kurse zu verzeichnen. Besonders gesucht Boraussetzung für die Lösung der deutschen Frage nur in waren auch heute wieder alle westdeutschen und oberschlesischen einer rein völfijchen und nationalen Diftatur. Eine Reichsdiftatur, Papiere. die fich auf General Seedt ftützt, gibt diese Gewähr nicht.
Dollar amflich 72,500 bei 5 Proz. Repartierung.
DOT.
Die dann stattfindende Bettelwahl ergibt die Wahl des Abe geordneten Fellisch zum Ministerpräsidenten. Die Kommunisten rufen: Der fann nur mit der Boltspartei regieren. Ministerpräsident Fellisch erklärt sich zur Annahme der Wahl bereit und dankt der Mehrheit des Hauses für das Bertrauen.( Burufe der Kom muniften: Wo ist die Mehrheit?) Er werde unverzüglich an die Bildung der neuen Regierung berantreten und das neue Kabinett in der nächsten Sigung unter Abgabe einer Ertlärung vorstellen. Die nächste Sigung findet Dienstag, den 6. November, mittags 1 Uhr, ftatt mit der Tagesordnung: Ber eidigung des ministerpräsidenten, RegierungsSchluß der erflärung und Aussprache darüber. Sigung gegen 2 Uhr morgens.
Die Ernennung des Senators Kollog zum amerißanischen Ge sandten in London wird in Washington offiziell bestätigt. Genoffe Ramsay Macdonald ist gefiern von seiner Orientreife nach London zurückgekehrt. Politische Attentate in Bulgarien. Der frühere Minister Genadieff ist gestern abend beim Betreten feines Hauses ermordet worden. Der in seiner Begleitung befindliche frühere Gesandte in Berlin, Gefchoff, wurde schwer verlegt.