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Seilage öes Vorwärts
Irettag, 2. November 1023
Zahlungsmittelmangel- Notarbeitsvertrag.
Au einer lebhaften Erörterung führte gestern zunächst der auch von den Kommunisten unterstützte Dringlichkeitsantrag unserer Genossen: den Magistrat zu ersuchen, bei der Reichsbank dringend dahin vorstellig zu werden, daß die nötigen Zahlungsmittel zur Auszahlung der Unkerstühungen an Erwerbslose, Sozial- und Kleinrentner, sowie an Wohlfachrts- Unterstützungsempfänger{ ch n e l l st e n s beschafft werden. Gen. haß entwarf von der unsäglichen Misere, die in den letzten Wochen und Tagen durch die Zahlungsmittelnot über die notleidende Be- völkerung hereingebrochen ist,«in erschütterndes Bild. Schuld sei der Mangel an jeder Doraussichl der Reichsbank, die einerseits heute noch Scheine zu 2 Millionen drucken lasse, andererseits die höchsten Werte, 50- und Il)y-Milliardcn-Scheine, in einfachem Buchdruck herstellen lasse, so daß sie binnen einer halben Stunde mit größter Leichtigkeit nachgemacht werden könnten.(Große Heiterkeit.) Diese Zustände seien ein öffentlicher Skandal, der das ohnehin fürchterliche Elend der breiten Volksmassen noch vergrößere. In der Aussprach« wurde die Notwendigkeit radikaler Abhilfe von allen Seiten anerkannt, von den Deutschnationalen durch koch außerdem beantragt, auch die Auszahlung der Gehälter und Löhne der Be- amten, Angestellten und Arbeiter in den Antrag Heimann einzu- beziehen. Schumacher(Komm.) stellte fest, daß Kurzarbeiter bis zu S Wochen auf die Auszahlung der Unterstützungen haben warien rnüssen. Der Kämmerer hob hervor, daß die'städtischen Kasten ungeachtet alles Drängens ungenügend mit Zahlungsmitteln be- liefert worden sind: mit der Ausgabe städtischen wertbeständigen Notgeldes habe man sich notdürfrig geholfen. Die Zweifel Kochs, ob der Magistrat auch wirklich stets rechtzeitig die Mittel für die Erwcrbslosenfürsorge angefordert habe, wurden vom Stadtrat Gen. Brühl als unbegründet dargetan. Der Mogistratsvertreter gab zu, daß die Kurzarbeiter leider übermäßig lange hätten warten müsten; dir fem Mißstand, der durch von den Arbeitgebern verursachte Umständlich- ketten verschuldet sei, werde vom 1. November ab durch ein neues veveinfachtes Softem ein Ende bereitet. Ferner teilte er mit, daß in der letzten Woche die Zahl der Arbeitsuchenden auf 195 300. die der Erwerbslosen- unterstützungsempföirger auf 131 500, der Kurzarbeiter auf 103 029 ermittelt worden ist. Der Antrag Heimann wurde mit der durch Koch beantragten Erweiterung ein st immig ange- n o m m« n. Der Entwurf eines Ortsgesetzes zur Borbereitung des Beamtenabbaues ging auf Antrag des Gen. Dr. Lohmann an einen Ausschuß. Am 14. Juni d. I. hatten die Deutschnotionalen Einsetzung eines Ausschusses zur Prüfung des zwischen dem Magistrat und den freien Gewerkschaften sowie dem AfA-Bund abgeschlostenen Nakarbeilsverirages b-antragt. Dieser Ausschuß hat am 10. Oktober beschlosten, der Versammlung vorzuschlagen, den Magistrat zu ersuchen, an die Ge- werkschaflen der Hirsch-Dunckerschen und der christlichen Richtung als gleichberechtigt« Tarifkontmhenien heranzutreten, um ihnen den Beitritt zum Notarbcitsvertrag anzubieten. Grund und Zweck des Vertrages fei. die Bevölkerung bei Streiks vor schweren Schädi- gungen zu behüten. Wolle der Magistrat dem Ausschußantrag ge- mäß an die genannten Organisationen herantreten, so möge er es nun, fühlten sich diese Organisationen stark genug, einen solchen Vertrag schließen und vor allem ihn durchführen zu können, dann gut, die freien Gewerkschaften aber müßten es ablehnen, ihren Namen gemeinsam mit jenen unter den Bcrtraq fegen zu lasten. (Beifall links.) Darauf wählt« die Versammmlung zunächst in den Vorstand des Vcr'waltungssennnars den Genossen haß und Dethlesssen(Dnat.) und in den Aufsichtsrat der Berliner Lehr- und Beschäftigungswerk- flätten für Kriegsbeschädigt« G. m. b. H. die Genossen llrich und Patkloch, Frau Häusler(Dnat.) und Müller-Aranken(WP.). In der weiteren Aussprache über den Notarbeitsvertrag sprach sich Sellheim(Komm.) gegen den Vertrag aus. Tisthlerobermstr. Päth(Dnat.) drohte den Bertretern der sreien Gewerkschaften, eventuell von der im Vertrag« vorgesehenen Kündi- aimgsklausel in geeigneter Weis« Gebrauch zu machen, wenn sie nicht selbst einlenkten.— Auch Dr. Renmoun(DVP.) trat wie vorher Päth für die„angebliche Streikbrecherorganisation" der„Technischen Nothilfe* in die Schranken. Der in Red« stehende Notarbeitsoertrag
gebe aber den freien Gewerkschaften die olleinig« Entscheidung über den Begriff„Notstart&sarbeiten" und ein unbedingtes Vorrecht. Stadtrat Genosse Koblenzer wiederholte die Erklärung, daß der Magistrat nichts dagegev habe, daß auch die genannten Organi- sationen analoge Verträge abschließen: sie brauchten nur zu kommen. Der Ausschüßantrag wurde mit 88 gegen 81 Stimmen a n- genommen. Dr. Caspari(DVP.) nahm dann zur Vorlag« betreffend die Erweilerunq des Westhafens das Wort, um Ausschußberatung zu beantragen, sodann aber auch, um Protest gegen die Willkür des Magistrats zu erheben, der, ohne di« Versammlung zu ftagen, die Baulichkeiten des ehemaligen Jo- hannisstists bereits Hab« räumen lasten und diese dem neuen Hafenbau opfern wolle, was gerade bei der herrschenden Wohnungsnot sehr zu beanstanden sei. Der Oberbürgermeister Vöß war über diesen unerwarteten Wideripruch aufs äußerste erstaunt. Ueber Einzelheiten der Aus- führung lasse sich ja reden, aber über das große Projekt selbst mit seiner wirtschaftlichen und sozialen Perspektive sollte man doch einer Meinung sein. Stadtmedizinalrat Genosse Dr. Rabnow zerstreute di« wegen Inanspruchnahme des Johannisstiftes bezüglich der zur- zeit dort untergebrachten Hospitaliten erhobenen Bedenken. Genosse Wildegans stellte zusammenfassend fest, daß alle gegen di« alsbaldige Ausführung der Erweiterung erhobenen Einwände der Stichhaltig- keit durchaus entbehren: hier sei eine ausgezeichnete Gelegenheit, Arbeit zu schaffen und die Substanz der Stadt zu vermehren. Noch- mals setzte sich Oberbürgermeister Böß mit größter Entschiedenheit für die sofortig«. Ausführung des Projekts ein. Schließlich ging di« Vorlage cm einen Ausschuß, der sofort ernannt wurde. Schluß gegen 10 Uhr. Die Postgebühren ab 5. November. Di« wesentlichsten Gebühren, di« vom ö. November im Bost- und Postscheck vertchr innerhalb Deutschlands gelten, sind folgend«: Postkarlen im Ortsverkehr 200 Millionen. Briefe im Ortsverkehr bis 20 Gramm 500 Millionen, über 20 bis 100 Gramm 600 Mil- lionen, über 100 bis 250 Gramm 1 Milliarde, über 250 bis 600 Gramm 1 200 Millionen. Postkarten im Fernverkehr 500 Millionen, Briese im Fernverkehr bis 20 Gramm 1 Milliarde. Ueber 20 bis 100 Gramm 1 400 Millionen, über 100 bis 250 Gramm 1 600 Millionen, über 250 bis 500 Gramm 1 800 Millionen. Pakete in der ersten bis dritten Zone bis 3 Kilogramm 2500. 5000 und 5000 Mil- lionem über 3 bis 5 Kilogramm 3500, 7000 und 7000 Millionen, über 5 bis 6 Kilogramm 4000, 8000 und 12 000 Millionen. Ueber 6 bis 7 Kilogramm 4500, 9000 und 13 500 Millionen, über 7 bis 8 Kilogramm 5000, 10 000 und 15 000 Millionen, über 8 bis 9 Kilo- gramm 5500. 11000 und 16 500 Kilogramm, über 9 bis 10 Kilo- gramm 6000, 12 000 und 18 000 Millionen. Pakete über 10 Kilo- gramm kosten entsprechend mehr. Postanweisungen bis 10 Milliarden 500 Millionen, über 10 bis 50 Milliarden 800 Millionen, über 50 bis 100 Milliarden 1200 Millionen, über 100 bis 300 Milliarden 1600 Millionen, über 300 bis 500 Milliarden 2000 Millionen. Für Rohrpostsendungen beträgt das Porto, wenn der Aufgabe- und Be- stimmungsort innerhalb des Geltungsbereichs der Ortsbriefgebühr von Groß-Berlin liegt, für die Rohrpostkart« 2400 Millionen und für den Rohrpostbrief 3000 Millionen Mark. Liegt jedoch der Aufgabe- oder Bestimmungsort außerhalb des Geltungsbereichs der Ortsbrief- gebühr von Groß-Berlin, so kostet die Rohrpostkarte 2700 Millionen und der Rohrpostbrlef 3500 Millionen Mark. Zählkarten bis 10 Mil- liarden 200 Millionen, über 10 bis 50 Milliarden 400 Millionen, über 50 bis 100 Milliarden 600 Millionen, über 100 bis 300 Milliarden 800 Millionen, über 300 bis 500 Milliarden 1000 Millionen, über 500 Milliarden 1200 Millionen Die Auslandsgebühren betragen vom 5. November an für Postkarten 2400 Millionen, jedoch nach Ungarn und der Tschechoslowakei 1800 Millionen. Briese bis 20 Gramm 4000 Millionen, und für jede weiteren 20 Gramm 2000 Millionen Mark mehr. Amerika Hilst den deutschen Kindern. Nach einer TN.-Meldung au» New Jork Kaben bekannte Bürger des mittleren WestenS einen Ausschuß gegründet zwecks Beibilfe zu der bereits gemeldeten Speisung von 2 Millionen Kindern in Deutschland von Anfang November bis April. Die Kosten betragen 5 490 000 Dollar, wozu Deutschland elwas beisteuert.
papiergelö ist Zahlungsmittel! Nach einigen uns zur Kenntnis gekommenen Fällen scheint in gewissen Kleinhändlerkreisen d-i« Neigung zu bestehen, angesichts der soeben wieder«ingetretenen großen Markentwertung die Annahme von Papiergeld als Zahlungsmittel abzulehnen. Wir machen des- halb die Hausftauen und sämtliche Konsumenten daraus aufmerk- sam, daß alle in Umlauf befindlichen auf Mark lautenden Bank- noten nach wie vor gesetzliches Zahlungsmittel sind, und daß samt- liche Kleinhändler infolgedessen verpflichtet sind, die Noten in Zahlung zu nehmen. Dort, wo man die Aitnahme der Noten ver- weigert, möge man möglichst unter Beibringung eines Zeugen sofort di« nächste polizeiliche Wucherstelle benachrichtigen, die verpflichtet ist, einzugreifen. Dem Publikum wird dringend empfohlen, sich nur dieser ihm zur Verfügung stehenden gesetzlichen Schutzmittel zu be- dienen, sich aber im Zorn nicht zu unüberlegten Handlungen gegen- über den Kleinhändlern hinreißen zu lassen.
Die wertbeständige» Stadtkassenscheine, die soeben in den Verkehr gesetzt sind, werden städtischerscits vor allem auch bei der Bezahlung der Beamten -, Angestellten- und Arbeiterbezüge sowie von Rechnungen Verwendung finden. Weitere Stadtgoldscheine gelangen in den nächsten Tagen auf den Markt. Nochmols wird die Oeffentlichkeit darauf hingewiesen, daß diese Stadtgoldscheine laut strengster Anordnung der Rcichsrepierung stets in voller Höhe durch die städtischerseitS hinterlegte Goldanleihe gedeckt bleiben müssen. DaS heißt also: es dürfen nicht mehr Stadtgoldscheine in den Verkehr gesetzt werden, als Goldanleihe durch die Stadt hinterlegt ist. Dieses neue werlbeständige Stadigeld löst vor allem auch die Frage der Bezahlung der R e ch n n n g e n für G a S, Wasser und Strom. Die Verbraucher können also die slädliscben WerkSrechnungen, welche in dieser Woche bereits auf Goldbeträae ausgestellt sind, in Stadtgoldscheinen begleichen. Diese Art der Begleichung liegt im eigensten Interesse aller Verbraucher.
Nun auch noch Postnvtgeld! Wir haben offenbar noch nicht genug Notgeld. Weil die Reichs- bank den Wettlauf mit der Entwertung der Mark längst aufgegeben hat, muß auch die Oberpostdirektion Berlin zu dem jetzt allgemein üblich gewordenen Hilfsmittel greifen; fi« teilt mit, daß fi« zur Behebung der Zahlungsmittelnot durch das Postscheckamt Zahlungsanweisungen in E i n z c l st ü ck e n von 10. 20, 50 und 100 Milliarden hat anfertigen lassen, die an die Beamten und Arbeiter usw. bei Zahlung der Bezüge als Ersatz für fehlendes Reichsgeld ausgegeben werden sollen. Aus- nahmsweise sollen die Zahlungen auch zu Zahlungen an die Bevölkerung verwendet werden. Die Zahlung?- anweisungen sind auf den Inhaber ausgefertigt, tragen im Buch- druck die Unterschrift des Präsidenten der Oberpostdirektion Berlin Gentzke, den Hochdruckstempel des Postscheckamts vom 26. Oktober, eine Nummer uud einen Nummerkontrollstempel, sowie den Ver- merk, daß sie an ollen Postkassen des Bezirks Berlin in Zahlung genommen werden. Sie sind wie Reichsbanknoten zu behandeln, Ouitwngsleistung auf der Rückseite ist nicht er- forderlich. Die Banken, die Stadt Berlin und die Reichsbahndirektion Verlin find gebeten, die Zahlungsanweisungen an ihren Kasten vorübergehend an Zahlungsstatt annehmen' zu lasten. Dieselbe Bitte ergeht im Interesse der Beamten an die Bevölkerung.
Wieder neue Gas- und Kohlenpreisc. DaS Nacbricktenamt der Stadt Berlin teilt mit: Nach dem amtlichen Dollarstand vom 1. November in Verbindung mit der am 1. November erfolgten Einführung der Goldfrachten stellen sich die Briketts und jlokspreise ab 2. November wie folgt: Küchen- und OfenbrandbrikettS, ab Lager 82 610, frei Keller 84 910 Millionen, GaSkokS ab Lager 181870, frei Keller 184 520 Millionen, bei fuhrenweiser Lieferung Küchen- und Ofcnbrand- brikettS, ab Lager 82 610, frei Keller 84 590 Millionen, GaskokS, ab Lager 181 870, frei Keller 184 170 Millionen.— Die Direktionen der städtischen GaS-, Wasser- und Elektrizilätswerke teilen mit, daß der Preis für diejenigen Kunden, bei denen am 2. November der Verbrauch festgestellt wird, für eine Kilowattstunde Strom 13 Milliarden Mark, für ein Kubikmeter Gas 6,5 Milliarden, für ein Kubikmeter Walser 6,5 Milliarden beträgt. Diese starke Steigerung der Preise ist durch die außerordentliche Dollar st eigerung und die ab heute nach Goldwert zu zahlende Eisenbahnfracht begründet.
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Die Lofokfischer. Roman von Zohan Rojer.
Lars kam es vor, als würden alle Männer an Boich ein- ander ähnlich. Sie standen alle auf einem Fleck und sahen das- selbe, sie dachten an dasselbe, alle Gesichter waren nur noch Wind und Wetter, Himmel und Meer, sie wurden einander mit jedem Tage ähnlicher. Nur der Bootsführer stand von frühmorgens, wenn sie ausfuhren, bis abends, wenn sie vor Anker gingen, wach und aufmerksam am Steuer. Nahm er mitten am Tage einen Bissen zu sich, so führte er ihn mit der freien Hand zum Munde und big ab, ohne zu ahnen, was er eigentlich aß, während die andere Hand das Steuer hielt und die Augen blitzschnell von der Takelage zu den Wellen glitten. Er duckte sich, um unter dem Segel nach vorn zu blicken, er schob die Steuerpinne nach der einen Seite, wenn das Boot scharf umgelegt werden sollte, seinem Gesicht konnte man es ansehen, wenn ein Windstoß kam, er schrie einen Befehl, und unausgesetzt kaute er auf der Brotrinde, ohne zu wissen, was es war. Und die Zeit geht hin. Grau sind die Tage, grau ist das Meer, grau sind die kahlen Berge und grau auch die Wolkenschichten, die die Berg- gipfel umwirbeln. Die Möven in der Luft über den Booten sind weiß, aber Scharen von schwarzen Scharben heben sich schattenhast und fliegen unter heiserem Gekreisch dem Meere zu. Einige rotgestrichene Häuser drängen sich im Schutze einer Insel zusammen, dann sieht man meilenweit wieder nur Meer und Berge. Hier starrt ein dunkles Land grübelnd in den Winternebsl hinein. In der Dämmerung blinkt ein Leuchtfeuer aus dem Nebel, und es ist, als wollten die weißen Lichter, die nach Westen über das Meer gleiten, nach jemandem suchen, der Hilfe braucht. An Land wird in einer Bucht ein gelbes Licht angezündet, wahrscheinlich in einer verwitterten kleinen Hütte,— dann ist wieder eine Meile weit Finsternis bis zum nächsten Licht. Aber die auf dem Meere segeln, wissen, daß Fjorde in das Land einschneiden mit bewaldeten Hängen und Höfen am Strande, und aus diesen Fjorden steuert jetzt ein Segel nach dem anderen heraus und wendet sich nach Norden wie die anderen. Und hinter ihnen bleibt die graue Küste mit all den
Banken und Krämern, vor denen die Fischer beben müssen,> wenn sie diesmal nicht genau die Stellen finden, wo die Dorsch- � züge entlangziehen. Eines Morgens aber, als sie nördlich von Helgeland vorüberstrichen, machte Lars große Augen. Er sah ein Boot an einer Landspitze vorbeifahren, das anders war als die Lofot- boote, die er bisher gesehen hatte. „Nein, seht den da!* sagte er und wandte sich zu Kaneles. „Ja, hast du noch kein Boot gesehen?" sagte Arnt Aasan und konnte nicht begreifen, was Merkwürdiges daran sei. „Ja, das ist das Nordlandsboot," sagte Kaneles,„es ist an sich ganz gut, aber mit uns kann es nicht um die Wette fahren." Lars starrte noch immer hinüber. Es war kleiner als das Staväringer Boot, hatte aber kein Topsegel, auch schwang der Bootsführer nicht im Stehen die Steuerpinne, sondern saß ruhig auf der Bank, das Steuer in der Hand. Aber das ganze Boot war so schön und zierlich gebaut, es flog dahin, als könne es sich jeden Augenblick emporheben und fliegen wie ein munterer Seevogel. Das war das Zehnruderboot der Nord- länder, und on Bord saßen Männer mit gelben Südwestern und in Oelröcken, aber sie hatten eine leichtere und mehr singende Sprache. Immer mehr Nordlandsboote tauchten auf, Segel, Segel überall im ganzen Fahrwasser, eine Jacht hebt ihr graues, vier- eckiges Rahsegel höher als die anderen, eine Galeasse schiebt ihren schwarzen Rumpf durch den Schwärm hindurch, auch ein Dampfer speit Rauch in die Luft, eine Völkerwanderung dem Norden zu in Schneegestöber und Sturm. Drei Tage lang mußten sie in Bodö überliegen, und jetzt waren von der„Robbe " alle an Land außer Arnt Aasan. Er war so mitgenommen von allem, was er in der letzten Zeit durchgemacht hatte, daß er Ruhe brauchte, wenn er überhaupt wieder Mensch werden sollte, und nun lag er da und zitterte, so oft er das Gejohle all der betrunkenen Seeleute in dem Hafenort hörte. Später am Abend kam Elczeus Hylla hereingekrochen, er roch nach Branntwein, begann aber von Jakob zu erzählen: ja, der, hehehe. Jetzt hatten sie ihn wohl wirklich totgeschlagen. „Bist du verrückt, Mensch?" Ja, es war in einer Kneipe vor sich gegangen, und er selbst sei nur froh, daß es ihm gelungen fei, sich fortzuschleichen, ehe die Polizei kam. Es seien Bergener gewesen, mit denen der Jakob, der Schwcrelwt mit dem Kurzfuß, sich entzwckt hatte.
Damit legte Elezeus sich schlafen. Einer nach dem anderen kamen auch die übrigen an Bord, und Kristaver ging etwas unsanft mit Kaneles um: er öffnete die Kambüsentür und beförderte ihn kopfüber aus die Pritsche. Jetzt waren alle da außer Henrik Rabben. Spät in der Nacht erst kam er zum Hafen hinunter, aber er ging mit schweren Schritten, denn er trug Jakob auf den Schultern. Es war stockfinster am nächsten Morgen, als Kristaver die anderen weckte; Unwetter war noch immer, aber jetzt wollte er fort, er hatte keine Lust, noch länger hier zu liegen und zu warten. Während sie einen Schluck Kaffee tranken, erzählte Elezeus von Jakob, aber Kristaver arttwortete, der Schwerenot mit dem Kurzfuß sei so oft schon totgeschlagen worden, daß sie des- halb hier nicht liegen bleiben könnten. Henrik Robben sagte nichts. Große Dampfer und Schuten schaukelten mit ihren La- lernen im Sturm, als die„Robbe" mit stark gerefftem Segel in die Finsternis hinausfuhr. Die Männer an Bord wußten, daß es wahnsinnig war, da nicht einmal die Dampfer abzu- fahren wagten. Aber Kristaver auf See einen Rat zu geben, dazu hatte keiner Lust. Die Lichter des Hafens schwanden im Nebel, die„Robbe" ritt bald auf mächtigen, weißschäumenden Wellen, von Holmen und Schären sprühte der Gischt himmelhoch ans. Die Süd- wester mußten unterm Kinn festgebunden werden, damit sie nicht fortflogen, ein Höllenlärm ging von Meer, Brandung und Sturm aus, die Männer auf dem Norderfchist schöpften unermüglich, während Sturzseen über Bord schlugen, alle schöpften außer dem Mann am Steuer, dessen von Meerwasser triefendes Gesicht Wind, Segel und Wellen beobachtete. Im Lauf des Tages, als das Schneegestöber nachließ, steuerten sie mit Gischt und Schaum um Segel und Boot in den Hafen von Grötöya hinein. Das ist die letzte Station, bevor man nach dem Lofot kommt, jetzt ist nur noch der West- fjord zu überqueren, aber das ist auch eine Sache für sich. Viele Leute standen an Land und blickten diesen Unwetter- vogel an, der ganz allein vom Meer hereinkam. Die Männer an Bord sahen aus wie Gespenster, mit weißen Bärten, Haaren und Augenbrauen, und unter den Erwachsenen war ein .Knabengesicht, das triefend naß war, von Tränen oder von Mcerwasier. (Fortsetzung folgt.)