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Nr. 523 4S. Jahrgang

Seilage öes vorwärts

Vonnerstag, S. November 1423

Ruhe in Serlin. Fortdauer der antisemitische» Aurempeluuge». Die vom Kommando der Schutzpolizei durchgeführten Maß- nahmen haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Im großen und ganzen haben die P l ü n d e r u n g e n in der ganzen Stadt erheblich nachgelassen. Im Lauf» des gestrigen Tages find 10 bis IS Fälle gemeldet, in denen kleinere Räubereien vorgekommen find. Auch im Scheunenviertel und in den angrenzenden Straßen herrscht volle Ruhe, nachdem durch umfangreiche Razzien das verbrecherische Gesindel, das die Rot der Bevölkerung für seine dunklen Zwecke auszunutzen suchte, zum größten Teil dingfest gemacht worden ist. Die Polizei befindet sich nach wie vor in erhöhter Alarmbereitschaft, um bei einem etwaigen neuen Aufflackern der Bewegung mit erforderlicher Energie durch- greifen zu können. Dagegen scheinen die völkisch-antlfemitischen Agitatoren auch weiter ihr dunkles, anscheinend gut bezah.tes chand- werk auszuüben. Das beweist die folgende Znschrist eines unserer Leser: Als ich am Dienstag von der Arbeit nach Haus« ging, wurde ich in der Schönhaus«? Allee von einem Manne in der unverschämtesten Weise angerempelt. Zur Rede gestellt, nahm er eine drohende Haltung ein und erklärte:Hält's Maul, dreckiger I u d en j u n g e." Nun bin ich zwar kein Jude, aber es gibt in diesen Tagen Leute, die in jedem, der dunkles Haar hat, sogleich den Juden wittern, sich für berechtigt halten, ihn anzu- pöbeln und dabei wahrscheinlich danül rechnen, daß derJude" schleunigst Fersengeld gebe, wenn er auch nur schief angesehen wird. Der Manu kam an die falsche Adresse. Er bekam Schlosserfäuste zu spüren, und das Erlebnis endete damit, daß er gründlich durchgebläut wurde. Ich habe ihm diese Pvügel gegönnt und teile Ihnen den Vorfall mit, weil ich der Meinung bin, daß allen, die sich von den Phrasen d«r Hakenkreuzler begeistern lassen und dementsprechend handeln, stets in der gleichen Weise gedient werden müßte."_" Prozeß Naujork. Der Raubüberfall auf den Kunsthändler Münz. Ein aufsehenerregender Raubüberfall wird in zweitägiger Ver- Handlung am Mittwoch und Donnerstag das Schwurgericht des Land- gerichts III beschäftigen. Unter der Anklage des versuchten gemein- schaftlichen schweren Raubes haben sich zu verantworten der Kauf- mann Rolf Naujork, dessen Ehefrau Elisabeth Naujork geb. Hasse und der Landwirt Paul Hasse, der Bruder der Frau Naujork. Alle drei Angeklagten entstammen angesehenen Familien. Naujork hatte sich heimlich verheiratet und lebte anfänglich mit seiner Frau auf großem Fuße. Bald ging aber das Geld aus, und nun reifte in dem jungen Ehepaare der verbrecherische Plan, sich durch einen Raubzug neue Geldmittel zum flotten Leben zu schaffen. Naujork war mit dem Inhaber einer Kunsthandlung be- kannt und erhielt hier Kenntnis davon, daß der auch in diesem Ge- schäft verkehrende Kunsthändler Münz in der Courbierestraß« 1 s« h r wertvoll« Bilder habe. Das Paar faßte den Entschluß, hier einen Raub auszuführen und rief telegraphisch den jungen Hasse noch Berlin . Der 21jährige, übrigens geistesschwache Hasse ging auch sofort auf den Plan ein. Zunächst suchte das Ehepaar Naujork den Kunsthändler allein auf und ließ sich stundenlang Bilder vorzeigen. Der Zweck des Besuches war aber nur, Münz in Sicherheit zu wiegen. Am Tage darauf gingen sie wieder zusammen mit Hasse hin, fanden aber nicht den Mut, die Tat auszuführen. Frau Naujork war über die Uncntfchlossenhest der beiden Männer in große Wut geraten und beschimpfte sie alsFeiglinge" undelende Wichte". Nachdem man sich in einer Konditorei am Lützowpiatz mit v e r s ch i e» denen Kognaks Mut getrunken hatte, ging das Verbrecher- kleeblott zu Münz zurück. Auf der Treppe nahm Frau Naujork ihrem Bruder den Totschläger ab. Als der Bilderhändler mit Hasse über den Ankauf der Bilder verhandelte, versetzte ihm Frau Naujork Kinterrücks einen wuchtigen Schlag über den Kopf. Hasse ergriff dann den Totschläger und schlug weiter auf Münz ein, während Frau Naujork und deren Mann den Ueberfallenen fest- hielten und am Schreien zu hindern suchten. Obwohl Münz über und über blutete und 30 Kopfverletzungen davongetragen hat, gelang es ihm doch, sich loszureißen und in das Nebenzimmer zu flüchten, wo er die Tür hinter sich abriegelte. Er rief zum Fenster lsinaus um Hilfe und Straßenpassanten nahmen die drei Verbrecher fest. Di« drei Angeklagten sind Psychopathen. Der Geisteszustand

der Angeklagten wird daher m der Verhandlung eine große Rolle spielen. Es ist ein ganzes Heer von Sachverständigen aufgeboten worden.___ Em Srot 105 MillkarSen. Ist das nun Wucher? Mit Zustimmung der zustündigen Behörde ist, wie der Zweck- verband der Bäckermeister Groß-Berlins mitteilt, von heute Donnerstag ab der Preis für ein Brot auf 105 Milliarden, der Preis für«ine Schrippe auf 4,5 Milliarden fest­gesetzt worden. Von guwnterrichteter Seit« schreibt man uns:Die gestrige Brotpreisberechnung, aus der stch ergab, daß der Klein- Handelspreis beim Bäckermeister am Montag nicht 140, sondern 64,1 Milliarden betragen durfte, war berechnet aus der Basis eines Roggsnpreises von 20 Goldmark am Sonnabend. Inzwischen ist aber der Goldmarkpreis für Roggen auf 18,5 Goldmark zurück- gegangen. Daraus ergibt sich zwingend auch die Notwendigkeit einer sofortigen weiteren Ermäßigung des Brotpreises. Es wäre ein Skandal, wenn«r noch länger auf 80 Milliarden gehalten würde. Auf keinen Fall ist ein Preis berechtigt, der auch mir um einen Pfennig höher wäre als etwa 60 Goldpfennig." Di« vorliegenden Ausführungen sind durch die neueste Dollar- steigemng überholt. Trotzdem muß ein Brotpreis von 105 Mil- liarden als«ine skandalös« Ueberforderung bezeichnet werden, und es ist völlig unverständlich, wie die Preisprllfungsstelle dazu ihre Genehmigung erteilen kann. Ein Preis von 90 Milliarden muß heute als völlig ausreichend bezeichnet werden.

ver magere ZahrraSverwalter. Eine Warnung für alle Atihrradbesitzer. Mit einem neuen Trick, arbeitet" ein Schwindler, der auf Fahrräder abgesehen hat. Er stellt sich im S ch a l t e r r a u m eines Postamtes ans und hält Leute an, die dort mit einem Fohrrad erscheinen. Diesen erklärt er, e S sei v erb o t en, sich mit einemFahrrad imSchalterraumaufzu halten. Die Räder müßten bielmehr in Verwahrung gegeben werden, bis die Radier ihre Angelegenheiten am Schalter erledigt hätten. N i t der Verwahrung sei er beauftragt. Er nimmt dann auch das Rad in Empfang und gibt dem Besitzer einen Zettel mit einer Zahl und irgendeinem Stempel, auf den er das Rad wieder aus- gehändigt bekommen soll. Während nun die Leute am Schalter zu tun haben, verschlvindct der Verwahrer mit dem Rad und läßt sich nicht Ivieder sehen. Vr ist ein etwa 25 Jahre alter mittelgroßer auffallend magerer Mensch mit dunklem wolligen Haar und trägt eine grau-bramte Litewka von mili­tärischem Schnitt, mit hochstehendem Kragen und zwei gelben Patten, die früher einmal vergoldet gewesen zu sein scheinen. Mitteilungen die geeignet sind, diesen Schwindler unschädlich zu machen, nimmt die Kriminalpoftdienststelle entgegen. Neue Kohlen-«nd Gaspreise. Da? Kohlenamt der Stadt Berlin teilt mit: Nach dem amt- lichen Dollarstand vom 7. d. M. stellen sich die Brikett- und Koks« preise ab 8. d. M. wie folgt: Küchen- und Ofcnbrandbriketts ab Lager 309.000, frei Keller 320,400 Milliarden. G a S k o k§ 683,800. 695,700 Milliarden. Bei fuhrenweiser Lieferung Briketts 809,900, 819,000 Milliarden. GaSkokS 683,800, 694,300 Milliarden. Die Direktionen der Städtischen GaS«, Wasser- und Elektrizitätswerke teilen mit. daß der Gas preis für den 8. November 31,5 Milliarden Mark, der Wasserpreis 31 Milliarden Mark, die EntwässerungSgebiihren 23 Milliarden Mark und der Preis für Strom 63 Milliarden Mark beträgt.__ Das zweite Abentener des schwedischen! Professors. Vor kurzem berichteten wir über eine Erprcssungsaffäre, deren Opfer der schwedische Universitätsprofessor Dr. Hellström aus Upsala war. Dieser Vorfall hatte vor der Strafkammer seine Sühne gefunden. Run hat sich ober ergeben, daß der Schwede unmittelbar vor diesem Erlebnis schon ein ähn- liches Erpressererlebnis gehabt hatte, das jetzt gleichfalls den Gegenstand einer Anklage wegen räuberischer Er- Pressung, und zwar gegen den jugendlichen Kellner Heinrich Koch vor dem Schwurgericht des Landgerichts III bildete. Nach dem Besuch einiger Dielen soll Koch auf der Straße unter erpresserischen

Drohungen von dem Schweden Geld gesordert und Kiesen dabei mit einem Schlagring bedroht haben. Der Angeklagte bestritt das. Rechtsanwalt Dr. Roth fand es unverständlich, daß überhaupt eine Anklage wegen räuberischer Erpressung erhoben worden sei. Der Schlvede schein« eine perverse Neigung zu haben, Erpressungsanklagen hervorzurufen. Tatsächlich habe er doch nach diesem Erlebnis»och nicht genug gehabt und neue Abenteuer aufgesucht. Das sei ein Beweis, daß er den Vorfall nicht so tragisch aufgefaßt habe. Die Geschworenen folgten diesen Ausführungen und erkannten nur auf einfache Nötigung. Koch erhielt dafür sechs Monate Gefängnis unter Anrechnung der Untersuchungshaft. Wohnungen in Sicht! Die Wohnungsämter richten zurezit ihr Augenmerk scharf auf Läden, um aus ihnen Wohnraum zu gewinnen. In der kürzlich erschienenen SchriftWie arbeitst das Wohnungsamt?", wird hierzu von den Verfassern, Magistratsrot Körner und Dr. Margarete Hoff- mann, gesagt: Das Recht der Inanspruchnahme gewerblicher Räume ist denkbar weit gezogen. Grundsätzlich kann jeder Raum, der nicht Wohnzwecken dient, beschlagnahmt werden. Selbstverständlich wird dieses Recht in der Praxis äußerst vorsichtig gehandhabt. Es findet seine Grenz« in der Rücksicht auf die wirtschaftlichen und kulturellen Zwecke, denen die Räum« zu dienen bestimmt sind, und nicht zuletzt in der Pflicht der Gemeinde, den Betroffenen angemessen zu entschädigen. Zweck der Bestimmung ist in erster Linie die Z u- sam m en d r än g un g des gewerblichen Wohnraumes zugunsten der Wohnungsuchende n." Dies? Zusammen- drängung wird jetzt automatisch bewirkt durch die Krise im Wirt- schaftsleben. Zahlreiche Geschäftsleute haben ihre Läden unter Bei- beHaltung der mit diesen m«ist in wirtschaftlicher Einheit verbundenen Privatwohnung bereits geschlossen, weitere werden folgen. Das berechtigt aber gerade unter Berücksichtigung der oben angeratenen Vorsicht noch nicht ahne weiteres zur Beschlagnahme. In den meisten Fällen wird die Schließung der Läden nur vorüber- gehender Art sein, um auf bessere Geschäftskonjunkturen zu warte». Hier die spätere Existenzmöglichkeit abzugraben, geht nicht an. Etwas anders schon liegt die Sache bei den vielen jetzt vom Pleitegeier erfaßten Gastwirischaften. Durch die riesigen Bier- und Schnapspreise sind die Gäste innerhalb weniger Wochen dezimiert worden. Aussicht auf wirtschaftliche Besserung in diesem Gewerbe besteht vorläufig nicht. Di« Schließung vieler Gastwirtschaften wird also im allgemeinen eine dauernd« sein. Natürlich ist dann nicht die anschließende Privatwohnung, nur der Gast räum beschlag- nahmefähig. Eigentlich« Hotels stehen dagegen zum Schutze des Reiseverkehrs unter Sonderrecht. Di« Beschlagnahme von Hotel - räumen ist, wie die genannten Verfasser ausführen, ohne Zustim­mung des Oberpräsidiums unmöglich. Nur die sogenannten Ab- steigeguartiere, die unter der Maske des 5)otels florleren, machen ein« Ausnahme. Merten, Tropfte unö Troll. Dieses Trifolium stellt den Rückschritt in unserem Berliner Schulwesen dar. Alle drei sind Schulmänner und üben in der Schul- deputation in Gemeinschaft mit Lehrern und Geistlichen einen immer unheilvoller werdenden Einfluß aus unser Schulwesen aus. Herr Merten, der vom Gemeindefchullehrer zum Gewerbsfchul- und Regierungsrat bei der Regierung in Potsdam emporgeklettert ist, ist politisch zwar Demokrat, repräsentiert aber den verknöcherten Kommunalliberalismus alten Schlages. Herr Tropfte ist Ober- studisndirektor der Kirschner-Oberrealschul« und reaktionär bis auf die Knochen. Durch besondere Umstände m die leitende Stelle ge- kommen nicht etwa wegen überragender Kenntnisse, gebärdet sich Tropfke als wütender Sozialistenfresser. Als dritter im Bunds reaktionärer Schulmänner wirkt Herr Troll,«cht deutschnationalen Einschlages und Rektor einer Gemeindeschule am Wedding . Für all« diese Herren und ihren'Anhang gelten nur die söge- nanntenschulischen" Interessen. Soziale Gesichtspunkte spielen für sie im Schulwesen kaum eine Rolle: um so mehr die per- sonellen. Das hat sich am deutlichsten gezeigt gelegentlich der Wahlen zu leitenden Stellen als Rektoren van Gemeindeschu'en und von Direktoren für höhere Schulen. Diese Leute sind die lautesten Schreier, wenn irgendwo ein Schulmann in eine leitende Stelle kommt, der im Verdachte sozialistischer Gesinnung steht, und es ist bezeichnend, wie in solchen Fällen nachPunkten" gesucht wird, um die Ungeeignetheit solcher Kandidaten nachzuweisen. Von irgendeinem schöpferischen Gedanken zur Förderung unseres Schul- wesens ist nicht die geringste Spur zu entdecke», im Gegenteil, jedem wirklichen Fortschritt stellen diese Herren sich hemmend in den Weg. Unter solchen Umständen muß man es beinahe als einen Glücks-

Copyrieht Oeorz Müller, München .

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Die Lofolfischer. Roman von Johan Dojer.

Kristaver begrüßte diesen und jenen Bekannten, eilte dann aber weiter. Er gehörte zu den Männern, nach denen die Leute sich umdrehten. Der kräftige Mann in seinem Fries- anzug hatte einen so leichten Gang, der kurze rote Bart und das lockige blonde Haar hatten noch keinen grauen Streisen. Immer noch konnte es geschehen, daß er abends ein paar Runden tanzte. Wenn er auf See seine Leute einschüchterte, so war er an Land heller Sonnenschein, ja, wer konnte wohl so jubelnd über einen Schnaps und eine lustige Geschichte lachen wie Kristaver? Aber in diesem Jahre hatte er seinen Jungen mit, und wenn er den Bengel recht kannte, so hatte der zwei Augen, die genau acht auf das gaben, was sein Vater tat. Er konnte Lars übrigens nie recht zu fassen kriegen. Es war, als gehe der Junge um ihn herum und beobachte und prüfe und über- lege, ob der Vater wirklich so ein Mann sei, daß es sich lohnte. denselben Weg zu gehen wie er. Nun ja, mehr gelernt hatte er wohl, und einen guten Kopf hatte der Grünspecht, ober wenn seine Mutter ihren Kopf durchsetzte, so daß Lars sich von seinem Dater trennte und seinen eigenen Weg ging, dann... ja, dann wurde es eben nicht just so, wie er sich damals gedacht hatte, als er sich in dies Wagnis mit der Robbe " hineingestürzt hatte. Hallo, bist du es denn wirklich?" Ja, gestern wenigstens war ich's noch, aber... bist du es wirklich?" Kristaver war mit Edvirtd Hansen zusammengestoßen, einem guten Freunde aus dem hohen Norden, aus Daran- ger, und der Mann stand mit dem roten, bartlosen Gesicht vor ihm und lachte, und Kristaver mußte ihm die Hand hin- strecken und auch lachen. Sie waren seit dreißig Wintern hier zusammengetroffen. Kristaver chatte den anderen in einer Sturmnacht vom Kiel eines gekenterten Bootes geborgen, und Edvind Hansen hatte das Messer gezogen und Kristaver ge- rettet, als betrunkene Matrosen ihn bei einem Auflauf tot- schlagen wollten. Später waren sie dann, so oft sie an Land waren, so häufig beisammen, daß die Leute sie das Braut- paar nannten.... \

Es geht dir also gut?" Unglaublich gut," sagte der Nordländer.Aber weißt du schon... der Kommandant wird erwartet." Ach, sollen wir jetzt schon visitiert werden?" Ja, weiß Gott , jetzt wird es sich zeigen, ob du deine Sache kannst, Kristaver. Der Kommandant war der Leiter des Aufsichtswesens, und wenn es auf dem Lofot überhaupt einen Gott gab, so mußte es dieser Mann sein. Es war keine Kleinigkeit, wenn er an einem Fischerplatz eintraf. Sein Dampfer führte die königliche Splittslagge, die Leute wußten, daß er draußen in der Welt Kriege mitgemacht und noch Kugeln im Leibe hatte. Außerdem war er Oberadjutant im Schloß beim König, er wetterte und schimpfte auf Hoch und Niedrig, und wo er sich sehen ließ, flogen die Mützen ab. Edvind Hansen nahm Kristaver mit in eine Kneipe, und hier blieben sie bei einer Tasse Kasse« sitzen und plauderten. Sie schmatzten und erzählten von zu Hause. Und der Nord- länder hatte schon soviel von Marja und Tosten und Oluf gehört, daß er nach ihnen fragte, als kenne er sie aus- und inwendig. Und Kristaver sragte nach Frau und Kindern des anderen, und er kannte sie ebensogut, obwohl so viele Meilen zwischen ihnen lagen. Edvind Hansens rotes Gesicht hatte eine winzig kleine Nase, aber der wettergebräunte Boots- führer lächelte wie ein junges Mädchen. Ja, er hatte zwei seiner Brüder verloren, seit sie sich zu- letzt gesehen hatten, der eine war an einer Krankheit gestorben, der andere im Herbst auf dem Barangersjord geblieben. Nein, das ist doch nicht möglich!" Kristaver starrte ihn an. Leider, es war wirklich so. Und der«inen Witwe gehörte das halbe Boot, auf dem er Führer war; deshalb konnte sie zu Hause sitzen und litt keine Not. Sie bekam den dritten Teil des ganzen Fanges. Und darüber war er sehr froh. Und die andere?" Die andere, ja, die hatte nichts in der Welt, wovon sie leben konnte, nicht einmal eine Hütte auf einer Klippe, und deshalb hatte er sie und ihre vier Kinder zu sich ge- »wmmen, ehe er jetzt abgefahren war. Ja, aber du host doch selber eine Frau und sechs Kin- der und auch mir eine Hütte aus einem Felsen." Ja gewiß, es war ja kein großer Reichtum, und Platz war auch nicht sehr viel da, eins der Kinder mußte unter der Küchenbank liegen, aber sonst ging es wie geschmiert. Ein

Bruder ist etwas Merkwürdiges, und für einen, der tot ist, ist es schwerer, Weib und Kinder zu versorgen, als für einen, der lebt. Ja, so war es. Man durfte nicht locker lassen und mußte vertrauen. Und du, du hast ja wohl deinen Sohn mit in diesem Jahr, habe ich gehört." Als Kristaver endlich wieder zwischen den Häuserreihen weitereilte, kam Per Suzansa ihm entgegen. Weißt du es schon," sagte er,der Jakob hat gewettet, er wolle heute abend auf der Straße dem Kommandanten einen Schnaps spendieren." Haha, Teufel auch! Das möchte ich wohl mit ansehen!" Das wird um sieben Uhr geschehen. Da ist der Kom- Mandant beim Platzkönig eingeladen, und der Jakob will ihm auflauern. Hahaha! Nein, dieser Jakob! Das ist ein Mords- kerl!" Kristaver lachte schallend und eilte weiter. Und er sah allen, denen er begegnete, an, daß die Neuigkeit von Jakob sie hin und her trieb. Selbst der Uhrcnjude Moses trippelte geschäftig einher, das lockige schwarze Haar unter der Pelz- mütze, die Hände tief in den Taschen des braunen Ueber- zichers.Neuigkeit... große Neuigkeit... der Jakob! Ach Gott, haben Se schon gehört?" Im Kaufmannsladen beim Platzkönig drängten sich die Fischer. Sie kauten Tabak und spuckten und erzählten sich Neuigkeiten,.aber kaufen taten sie nichts, sie hatten ja noch keinen Pfennig verdient. Aber es war auch ein heimlicher Krieg zwischen den Fischern und dem Mann auf der anderen Seite des Ladentisches. Der Ladengehilse in den hohen Stie- feln und der blanken Lederjacke stand mit der Elle in der Hand vor dem Fenster und schaute hinaus, aber es war nichts zu machen. Der Hausherr selber kam dann und wann aus dem Kontor heraus und tat, als suche er etwas in diesem oder jenem Regal, aber die Fischer im Laden waren Luft für ihn. Er war ein grauhaariger, dicker, alter Mann mit rotem, runzligem Gesicht und gelblichen Augen, die er zusammenkniss, wenn er irgend etwas sehen wollte. Die Zeiten waren vor- über, da Hüte und Südwdster von den Köpfen flogen, wenn er sich nur zeigte. Früher einmal war er wirklich etwas wie ein König hier gewesen, damals, als kein Fischer seinen Fang an einen andern als an ihn verkaufen durfte, als er selber den Preis bestimmte, als ihm alle Hütten gehörten und er die Abgabe nehmen konnte, die ihn selber gut dünkte. (Fortsetzung folgt.)