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Mbenöausgabe Nr. 534 ♦ 40. Jahrgang Ausgabe B Nr. 204
»«zuzsbedingu�gen und Anzeigenpreis, sind in der Morgenausgabe angegeben Se&afüon: sw. 6t, Linden strabe 3 Jerosprecher: Dönhoff 292— 265 lel-ZldrefferLozinIdeinotral Berlin
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35 MMaröen M. MiLwoch 14. November 1Y2Z
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�entralorgan äer Vereinigten SosialdemoKratifchen partci DeKtfchlands
Stresemann und öer Reichstag.
Herr Gtrefemann muß vor den Reichstag ! Als Reichskanzler, der die Verfassung beschworen hat, hätte er eigentlich selber schon längst das Bedürfnis fühlen müssen, Klarheit darüber zu schaffen, wie die Volksvertretung zu ihm steht. Herr Stresemann hat aber offenbar noch nicht ganz be- griffen, daß sich durch den AustrittderSozialdemo- traten aus feiner Regierung feine Situation völlig ver- ändert hat, nicht nur politisch, sondern auch st a a t s r e ch t- lich. Solange die Große Koalition hielt, war feine Regierung das vollziehende Organ einer gewaltigen Reichstagsmehrheit. Sie hatte durch das Ermächtigungsgesetz geradezu diktatorische Vollmachten erhalten, denn der Reichstag hatte durch dieles Gesetz einen wesentlichen Teil seiner Rechte auf sie übertragen. Mit dem Scheitern der Großen Koalition fiel das Crmäch-
tigungsgesetz und verschwand die parlamentarische Mehrheit, auf die das Kabinett sich stützte. Nach der Verfassung bedarf jedoch jede Regienmg des Vertrauens der Volksvertretung: sie
muß zurücktreten, wenn die Volksvertretung ihr das Vertrauen entzieht. Darum hätte eigentlich sofort nach dem Austritt der Sozialdemokraten der Reichstag einberufen werden müssen, damit er Gelegenheit finde, seine Rechte gegenüber der Regie- rung wahrzunehmen. Aber der Reichstag hatte bisher selber darauf verzichtet, und Herr Stresemann war froh, dadurch eine Galgenstist gewonnen zu haben. Jetzt aber b e st e h t d'e Sozialdemokratie auf der Ein- berufung des Reichstags. Er wird voraussichtlich am Dienstag zusammentreten, und dann muß eine Klärung unserer innen- politischen Verhältnisse erfolgen. Herr Stresemann hat keine Mehrheit mehr nach links, es muß sich zeigen, ob er eine nach rechts hat. Die Deutschnationalen erstreben den Block der bürgerlichen Parteien als Uebergang zur Rechtsdiktawr. Für diesen Block der bürgerlichen Parteien ist aber die Fraktion der Demo- traten, und, soweit man sieht, auch die dl-s Zentrums nicht zu haben; obne sie ist dieser Block unmöglich. Die V o l k s p a r t e i ist für den Bürgerblock zu haben: sie will in ihm auch den Deutschnationalen starken Einfluß ge- währen, aber sie scheut sich, diesem Plan zuliebe ihren Führer Dr. Stresemann zu opfern. Die Deutschnationalen aber for- dern bisher den Rücktritt Stresemaims, sie weigern sich, ein Reichskabinett zu stützen, dos von Stresemann geführt wird. Rechts von den Sozialdemokraten sitzen im Reichstag fünf Parteien: Deutschnatiimals, Volksporteiler. Ken- irum, Demokraten und Bayerische Volkspartei , und zwei kleine Gruppen: Völkische und Bayerische Volkspartei . Die�e Par- te'en und Gruppen wollen jede etwas anderes als die anderen; sie können keine Mehrheit bilden; sie sind augenscheinlich auch nicht imstande, eine Regierung der Mitte zu stellen, die von der Sozialdemokratie toleriert werden könnte. Die Regierung Stresemann in ihrer jetzigen Zusammen- setzung ist eine solche Regierung nicht. Sie wollt« einmal eine Regierung der Großen Koalition sein. Jetzt ist sie überhaupt nicht mebr di« Regierung einer parlamentarischen Koalition. Wobl sitzen in ibr Mitglieder der verschiedenen Reichs- togsfraktionen der Mitte: Lolksparteiler, Zentrumslsute, Demokraten. Aber diese ihre fraktionell eingestellten Mitglie- der sind zum großen Teil längst nicht mehr als Vertrauens- Männer ihrer Parteien anzusehen. Weder hat Herr Stresemann die Volkspartei, noch bat cherr Brauns das Zentrum, noch hat Herr G e ß l e r die Demokraten hinter sich. Der dem Zentrum entstammende Vostministsr Hoefle und der demokratische Lahnminister Oeser sind Fachminister ohne politischen Einiluß. Zwischen diesen mehr oder weniger parlanrentarisÄten Ministern sitzen »ichtparlamentarische wie der Finanzminister Luther , der WirtstHastsminister K o e t h, der Innenminister Jarres, die r-chtsgeciclüete Persönlichkeiten sind. Der Ernähnmgs- minister Graf Könitz war bis zu seiiwn Eintritt in die Re- giernna Mitglied der deutscbnationolen Reichstagstraktion. Schon vor dem Austritt der Sozialdemokraten aus der Regierung war der Einstuß der Rechten auf sie so stark, daß Herr Stresemann versuchte— mit Hilfe der Sozialdemokraten —. eine rechtsnerlchteie Politik zu treiben. Siehe Sachsen , Thüringen . Bayern . Arbeitszeitgesetz usw. Dieser Versuch ist. wie er mußte, qcscheitert. So steht Herr Stresemann mit seinem umgebildeten Kabi- nett a>or der Frage, ob er von den Deutschnationalen«ine Weile toleriert werden wird, oder ob er zurücktreten muß. weil er selbst eine notdürftig zusammengeflickte Mehrheit nicht finden kann..—., Man spricht von einer Auflösung des Reichs- tags. Wir halten es für selbstverständlich, daß zu ihr nicht früher geschritten wird, als bis auch noch ein allerletzter Ver- such unternommen worden ist, mit diesem Reichstag eine Regierung auf parlamentarischer Grundlage zustandezubringen. Denn die Aussicht, durch Neuwahlen einen Reichstag zu schaffen, in dem die Bildung einer parlamentarischen Regierung leichter sein würde als im gegenwärtigen, ist angesichts
der Zersplitterung der bürgerlichen Parteien äußerst gering. Der Wahlkampf verschärft nur die Gegensätze und läßt die Parteien in einem Seelenziistand zurückkehreu, in dem sie zu Regierungsbündnissen noch weniger geneigt sein werden als jetzt. Also kann die Auslösung nur dann in Betrocht kommen, wenn der Beweis erbracht ist, daß es mit diesem Reichstag überhaupt nicht mehr weitergeht. Verbrecherisch ist der Gedanke, den Reichstag aufzulösen. ohne ihn innerhalb der verfassungsmäßigen Frist von 60 Tagen neu wählen zu lassen. Eine solche Aufläsung wäre ein glatter Staatsstreich; durch ihn würden automatisch alle Rechts.» grundlagen vernichtet werden, auf denen die Staats- ordnung beruht, und wir würden in einen Zustand der Gc- setzlosigkeit hineinglesten, aus dem nur die Gewalt allein neues Recht schöpfen kann. Welche Gefahr ein solcher Einbruch der Anarchie für die Außenpolitik, für die Wirtschaft, für Leib und Leben jedes einzelnen bedeutet, braucht nicht erst ausführlich geschildert zu werden. Solche Aussichten müssen allen Parteien des Reichstags zeigen, welche Verantwortung sie vor dem Volk zu tragen haben. Die Sozialdemokratische Partei hat sich, wie die Geschichte der letzten Jahre beweist, niemals qeweigert, den festen Kern für die Bildung einer verfassungsmäßigen Re- gierung abzugeben, sie hat sich nur, und mit Recht, geweigert, in einer rechtsgerichteten Regierung sunstes Rad am Wagen zu sein und eine Politik mitzuvbrantworten, die ihren Ueberzeugungen geradewegs entgegengesetzt sst. Ein Reichstagswahlkampf hat nur dann einen politischen Sinn, wenn er geführt wird als ein K a m p f d e r S o z i a l- �demokratie gegen die reichszerstörende Reaktion und gegen die unfähige zersplitterte Mitte. Durch die Reichstags» auflSfung wird die Frage aufgeworfen, ob die Deutsche Repu- blik ohne und gegen die Sozialdemokraten regiert werden kann. Diese Frage ist durch die Erfahrungen der letzten Zeit verneint worden. So wird jede Stimme für die Sozialdemokratie ein Baustein für die Wiederaufrichtung des Reiches, jede Stimme gegen sie aber ein zerstörender Stoß sein.' Die untereinander hadernden bürgerlichen Splitterpar- teien vermögen nichts. Die Zukunft unseres Volkes hängt davon ab, ob es imstande ist. große, regierungsfähige Parteien zu bilden. In diesem Sinne ist die groß« Sozialdemokratische Partei , die sich auf die breiten Schichten der Arbeiter, �Ange st eilten und Beamten stützt, ein politisches Be- : sitztum für alle. Rechtsdiktatur und Anarchie oder Aufrichtung eines ge- � ordneten, freiheitlichen sozialen Staatswesens unter cntschsi- ! dendem Einfluß der Sozialdemokratischen Partei, so ist die Frage unerbittlich gestellt. Der Fall Streseman ist nur ein Zwischenspiel.
Der Hochverräter als Staatshüter. Heute geht uns der volle Wortlaut der Verfügung des Generalstaatskommissars v. Kohr über das Verbot der sozia- listischen Presse zu. Diese Beifügung ist ein Dokument für | sich und verdient, in vollem Wortlaut abgedruckt zu werden. ! Es fehlt nur noch die Anordnung, daß jedes Mitglied der So- 1 zialdemokratischen Partei für seine Mitgliedschaft mit Zucht- baus bestraft und jeder Führer erschossen wird. Dann ist das Ideal des Kahrschen Zukunftsstaates erfüllt. Es ist eine Schande für Deutschland , daß dieser Staatsver- breche? von der Reichsregierung geduldet wird, die offen- bar nicht die geringsten Anstalten trifft, ihre Machtmittel gegen den Hochverräter Kohr anzuwenden. Di« Verordnung hat folgenden Wortlaut: Anordnung über die Verbreitung staatsgefährlichre Druckschriften. Aus Grund der Berortnune vom 26. September 1923 i Staats» Anzeiger Nr. 224) wird mit sofortiger Wirksamkeit angeordnet: § 1. Dos Erscheinen aller Zeltungen und Ieltschristen der Der- einigten Sozialdemokratischen und der Sommunisiischen Partei und aller anderen Zeitungen und Zeitschrifien, die sozialistische oder kommunistisch« Ziele verfolgen, wird Im rechtsrheinischen Bayer» verboten. In zweifelhaften Füllen entscheidet die Polizeibehörde» ob eine Zeitung oder Zeitschrist unter das Verbot fällt. Hierfür zuständia sind in München und in Nürnberg -Fürth die Polizei- direktionsn, In den übrigen unmittelbaren Stüdien die Stadt- kommlssare und sonst die BczirkspolizeibeHorden. Gegen die Entscheidung ist Beschwerde an die Kreisrezierung, K. d. I., zulässig, die i feine ausschiebends Wirkung hat. Deren Entscheidung ist endMtig. § 2. Zuwiderhandlungen gegen§ 1. werden mit Gefängnis und mit Geldstraf«, deren Höchstmaß unbeschränkt ist, bestraft. Der Versuch ist strafbar. Gegenstände, die bei Begehung der strafbaren Handlung ver- wendet wurden, dazu bestimmt waren oder durch die strafbare Hand- lung hergestellt wurden, können eingezogen werden, auch wen« sie weder dem Täter noch einem Teilnehmer gehören. München , den 11. November 1923. Der Generalstaatskomnrissar: gez. Dr. v. Kohr..
Ehrhardt fordert Amnestie. München . 14. November. (MTV.) Am gestrigen Abend ist es zu keinen Ansammlungen mehr gekommen. General Epp tritt in einer Kundgebung dafür ein. daß die nationalen kreise wieder in ein gutes Verhältnis zur Trupp« und zur Polizei kommen müßten. Die Angehörigen der vater- ländischen Verbände, die ausgelöst wurden, sollten gewiß nicht dauernd der Möglichkeit, sich in vaterländischem Sinne zu betätigen, beraubt werden. E» sei auch nicht das Bestreben der Reichswehr . den vaterländischen Willen zu unierdrücken, aber mit deu Waffen m der Hand könne man doch einem poltiisoheo Willen nicht Gellung verschasien. Mau müsse nach ruhiger Ueberlegung zu einem ge- rechten Urteil auch über die Handlungswelse der politisch verant- worttiche« Männer kommen. Der Bund.Bayern und Reich", ein« über ganz Bayer« verbrelteie Wchrorganisatton. erklärt, daß er nach wie vor getreu hinter dem Generalstaakskommissor steh«, da nur unter Kohr» Führung eine Wendung zum Besser« möglich sei. Auch der Verband valerländischcr Vereine in Augsburg erläßt eine Kund- gebung desselben Inhalts; ebenso erklärt die katholische Studenten- schast in einer Enlschliehung. daß sie mit der unbesonnenen Haltung weiter Studentenkrelse nichts gemein habe«md ebenfalls voll und ganz hinter Kohr stehe. Wie der.Miesbacher Anzeiger" melde«, hoben fich Kapitän Ehrhardt und Hauptmann heiß» Nürnberg dem General- staatskommisfar zur Verfügung gestellt. Sie fordern. daß alsbald eine Amnestie erlassen, und de» ver-! boten«» nationalen verbänden unter«euer zu- verläfslger Führung die Möglichteti weiteren »ailonalen Arbeiken» gegeben werde. Miesbacher Vermittlungsvorstblay. München . 14. November.(TU.) Im„Miesbacher Anzeiger� wird heut« die Forderung gestellt, daß die Führung der bayeri» scheu Reichswehr dem General v. Epp, die Leitung der vaterländischen Kampsverbände dem Kapi» tänleutnant Ehrhardt übertragen werde. Da» Watt nimmt an, daß rmf dies« Wiese die Erbitterung zwischen Volk und Heer Überbrückl werde.
Wo ist der„vorwärts" verboten? Nachdem das bayerische Staaiskommisjariat den Vertrieb des .Vorwärts" untersagt hat, gibt es drei Länder, in denen das Zentralorgan der deutschen Sozialdemokratie verboten ist: S o w j« t- R u h l a n d, das besetzt« Rheinland : und Bayern . Dort, wo reaktionäre Tyrannei herrscht, wird da» Sprach- rohr der demokratischen und sozialen Freiheit unterdrückt. Im Kampfe gegen den.Vorwärts" arbeiten Trotzki , Degoutt« und Kohr Hand in Hand und dokumentieren dadurch ihr« geistige Verwandtschaft. In diesem schönen Bunde fehlt nur noch M u s s o. lini. Aber dieser hat sich bisher damit begnügt, den römischen Berichterstatter des.Vorwärts" zu bedrohen, falls er für die faschistische Herrschaft nicht die erforderliche Begeisterung an den Tag legen würde._ fluf Umwegen. Wie der Achtstundentag beseitigt werde« soll. Die Demobilmachungsverordnungen über die Arbeitszeit der Arbeiter und Angestellten laufen nur noch bis zum 17. November. von der jetzigen Regierung ist beabsichtigt, eine Verlängerung nicht mehr vorzunehmen. Die Fote davon wäre, daß vom 17. November ob eine gesetzliche Regelung der Arbeitszeit in Deutschland überhaupt nicht mehr besteht. Ob der Reichstag zusammentritt und ob er in absehbarer Zeit das Arbeits- zeitgesetz verabschiedet, ist gleichfall» mehr als zweifelhaft. Im Zusammenhang damit muß es aussallen, daß die Gut» l a ss u n g e n von Arbeitern und Angestellien auch dort, wo wirt- fchastliche Gründe nicht vorliegen, immer mehr zunehmen und bei Neueinstellungen die Anerkennung de» Zehn st und««- tage» von den Unternehmern verlangt wird. Aehnlich« Tendenzen zeigen sich auch bei den Tarifver Handlungen in den letzten Tagen. Es kommt hinzu, daß in einer offiziösen Pressenotiz schon vor einiger Zeit angedeutet worden war, daß auch ohne die Be» Handlung des Arbeitszeitgefetzes im Reichstag die Frage der Arbeitszeit ihr« Erledigong finden könnte. Das alle» deutet dar» ans hin, daß die Anhänger de» Zehnstundentages fich aus der ganze» Linie Im Bormarsch befinden und der Reichstag von der Regienmg»»ehr oder weniger schon vor vollendete Tatsachen ge- stellt werden soll. Die sofortige Einberufung des Reichstages und die unverzüglich« Behandlung der Arbeitszeitsrage sind daher ein Gebot der Stunde. Bis dahin ist aber unbedingt zu fordern, daß das jetzt geltende Recht in Kraft bleibt, wenn man nicht absichtlich einen Kampf um die Arbeitszeit in ganz Deutschland herauf- »schworen will._ 1 Soldmart— 300 Milliarde«.