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Nr. 56440. Jahrgang Ausgabe B Nr. 284

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Vorwärts

Berliner Volksblatt

70 Milliarden M.

Montag

3. Dezember 1923

Berlag und Anzeigenabteilung Geschäftszeit 9-5 Uhr

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Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Das neue Ermächtigungsgesetz.

Das neue Reichskabinett hat in seiner gestrigen Sizung beschlossen, folgende Vorlage einzubringen:

§ 1. Die Reichsregierung wird ermächtigt, die Maßnahmen zu treffen, die sie im Hinblid auf die Not von Bolt und Reich für erforderlich und dringend erachtet. Eine Abweichung von den Vorschriften der Reichsverfassung ist nicht zulässig.

Langt.

Die erlassenen Verordnungen sind dem Reichstag und dem Reichstat unverzüglich zur Kenntnis zu bringen. Sie sind aufzu­heben, wenn der Reichstag dies in zwei Abstimmungen, zwischen denen ein Zeitraum von mindestens einer Woche liegen muß, ver­§ 2. Dieses Gesetz fritt mit dem Tage der Berkündung in Durch die Vorlage dieses neuen Ermächtigungsgesetzes wird die staatsrechtliche Streitfrage aufgeworfen, ob die Ber­abschiedung eines solchen Gefeßes mit einfacher Mehr. heit möglich ist, da ja mit einer Zweidrittelmehrheit nicht ge rechnet werden kann. Bei dem verflossenen Ermächtigungs­gesetz herrschte allgemein die Ueberzeugung, daß zweidrittel­

Kraft. Es tritt am 15. Februar 1924 außer Kraft.

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Polen und Rußland .

Bon Dr. Alfred Noffig.

Wird das Ermächtigungsgesetz abgelehnt, fo foll, wie es päischen Ostens ist seit furzem in eine neue Phase getreten, Das Verhältnis der beiden größten Republiken des euro­heißt, der Reichstag aufgelöst werden. Da in der reichstags- beren Verlauf hier mit um so wachsamerer Aufmerksamkeit losen Zeit die Maschine der Gesetzgebung nicht ruhen tann, verfolgt werden muß, als der Angelpunkt des gegenwärtigen wäre dann die Konsequenz der Ablehnung des Ermächtigungs- diplomatischen Spiels zwischen Rußland und Polen gesetzes die, daß die Verordnungen, die zu erlassen der Reichs Deutschland ist. tag der Regierung nicht gestatten will, auf Grund des Art. 48 der Reichsverfassung erlassen werden würden!

Polen und Rußland haben bekanntlich mannigfache po­Seit Der Reichstag wäre damit in eine eigenartige 3wid. litische und wirtschaftliche Berrechnungen miteinander. mühle gebracht. Denn durch sein Rein würde er nicht die dem Frieden von Riga sind die Beziehungen beider Staaten Regierung, sondern sich selber ausschalten und der Regierung äußerlich torreft. Ueber zahlreiche noch ungelöste Fragen die Baffe des Ermächtigungsgesetzes nicht aus der Hand schla- verhandeln fortlaufend Kommissionen teils in Moskau , teils gen, sondern sie ihr nur noch fester in die Hand drücken. in Warschau . Es wird da über Repatrierung, Durchführung gesetz zu lebhaften Erörterungen schon im Reichsrat An- dem Goldbestande der ehemaligen russischen Reichsbank und Es läßt sich voraussehen, daß das neue Ermächtigungs- des Rigaer Vertrages, Auszahlung des Anteils Bolens an laß geben wird, dem es morgen vormittag vorliegen wird. dergleichen gesprochen. Nebenher aber läuft ein verborgener, Geht es dort durch, so soll es morgen nachmittag im Reich soft sich scharf zuipigender Kampf um den Einfluß in tag eingebracht werden. den baltischen Staaten.

Im Fall einer Auflösung sollen nach einer Eca- Meldung die Wahlen Ende Januar vorgenommen worden. Für Preisabbau!

will es durch Belebung des großrussischen Solidaritätsgefühls Rußland verfolgt in Baltikum mehrere Ziele. Vor allem den Wiederanschluß dieser Gebiete vorbereiten. Des weiteren will es sich den Zugang zu den baltischen Häfen um jeden Breis sichern. Es will die Kontrolle über diese Länder in der and haben, um über eine sichere, wenn auch nicht die fürzeste und billigste Berbindung mit Deutschland zu ver­

fügen.

mehrheit erforderlich sei, da es sich um ein verfassungändern Jm Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft fand des Gesez handle. Bei seinem jezigen Nachtömmling ver am 30. November mit Vertretern des Fleischergewerbes eine Be­treten die Regierungsjuriſten die Auffassung, daß einfache fprechung wegen herabsehung der Fleischpreise statt. Mehrheit genüge, weil ein Eingriff in Verfassungsrechte aus. Die Beteiligten wurden aufgefordert, die gegenwärtigen Preise un­geschlossen sei. In früheren Zeiten hat der Reichstag mit verzüglich herabzusehen und für die Zukunft auf der Grundlage feitsfireben der baltischen Staaten zu stärken und sie zu über­Bolen tut seinerseits das möglichste, um das Unabhängig­einfacher Mehrheit der Regierung die Bollmacht erteilt, be- der tatsächlichen Gestehungsfoften unter Einrechnung eines Gewinn­stimmte Materien wie& B. Beiträge zur Angestellten zuschlags, der den im Frieden für die Gewichtseinheit gehabten Ber - zeugen, daß ein fester 2 n schlußan Bolen diesem Streben versicherung, Biersteuer, Bofttarife usw. von sich aus zu dienst feinesfalls überschreiten darf, die Preise in Goldmark neu land und Bolen miteinander im Verhältnis zu den natio den sichersten Halt gibt. In ähnlicher Weise rivalisieren Ruß­regeln, eine so allgemeine Ermächtigung aber, wie sie festzusetzen. Solange diese Umstellung die von allen Risikozuschlägen nalen Minoritäten". Sowjetrußland hat bekanntlich diesmal gefordert wird, ist noch nie erteilt worden außer im freizuhaltenden Goldmartpreise nicht erfolgt ist, ist bei Zahlung in die Hoffnung der Ukrainer und Weißruthenen auf nationale Falle des bekannten Ermächtigungsgefezes der Großen Koa wertbeständigen Zahlungsmitteln( Rentenmart, Goldanleihe) ein Autonomie zunächst enttäuscht. Bilfuditis Föderationspolitik lition, das als verfassungänderndes Gesetz mit Zweidrittel- entsprechender Nachlaß( Rabatt) von den im übrigen erheblich war demgegenüber darauf gerichtet, diese Völker zu Polen mehrheit beschlossen wurde. herabzusehenden Paplermartpreisen zu gewähren. Die Bertre­Auch die einfache Mehrheit für das Gefeß tann nicht ter des Fleischergewerbes fagten zu, daß sie in ihren hinüberzuziehen. Nunmehr aber hat sich die Situation ge­erreicht werden, wenn ihm nicht die Unterstügung von Bar Kreisen auf die Einhaltung dieser Richtlinien hinwirten werden. ändert. Mit unleugborem politischen Geschid wußte Sowjet­teien zuteil wird, die in der Regierung nicht vertreten find. Erfolgt die Herablesung nicht oder nicht in genügendem Maße, dann rußland die Stärkung des nationalistischen Kurses in Polen Ist es schon an sich eine starte Bumutung, daß solche Bar ist es Aufgabe der Preisprüfungsstelle und der Polizeibehör- auszunuzen, um sich feinerseits den kleinen Nationen ent­teien an eine Regierung, die nicht die ihre ist, Rechte der den, mit allem Nachdruck einzugreifen. Das Reichsministerium gegenkommend zu zeigen. Seit einiger Zeit häufen sich in Gesetzgebung übertragen sollen, so wird durch die weite All- für Ernährung und Landwirtschaft wird in ähnlicher Weise auch fern die Pflege ihrer nationalen Sprache und Rußland Verordnungen, die den kleinen Völ­gemeinheit der Ermächtigungsformel und die Forderung einer mit anderen Parteien des Nahrungsmittelgewerbes und Handels zweimaligen Abstimmung über die etwaige Ablehnung die ins Benehmen freien, um eine allgemeine Sentung der Kultur in weitestem Ausmaß ermöglichen sollen. In Weiß­Lage noch schwieriger gestaltet. hohen Lebensmittelpreise zu erzielen. rußland beschüßt die Sowjetregierung sogar den Katholizis­mus. So wird gleichzeitig den baltischen Staaten demon­striert, daß ihrer nationalen Selbständigkeit in einem Anschluß an Rußland feine Gefahr droht.

Warschaus erlittene Niederlage hat sich bis vor kurzem in der Der Ruf nach Revanche für die vor den Toren Sowjetpreffe oft vernehmen lassen. Trogti ließ keine Ges Rußlands zu betonen. Dies hat sich aber seit einigen Mona­ten geändert. Die Vertreter Sowjetrußlands in den gemisch­ten Rommissionen zeigten sich immer entgegenkommender.

Zur Regierungsfrage in Sachsen . wärtigen Situation nicht in Frage tommen tönne. Einer Anregung des Vertreters des Parteivorstan In Dresden tagte Sonnabend und Sonntag im Plenardes, des Genossen Dittmann, zu veranlassen, daß die faal des Landtagsgebäudes der sozialdemokratische Lan- Begründungsrede des Genossen Liebmann möglichst ausführlich) besparteitag für Sachsen , über den wir an anderer in der Presse wiedergegeben werde, stimmte der Parteitag legenheit vorübergehen, um Polen gegenüber die Macht Stelle berichten. Der für die politische Deffentlichkeit wichtigste zu So verschieden auch die Meinungen waren, die über die Berhandlungsgegenstand des Parteitages war die Stellung Vorgänge der letzten Zeit in Sachsen geäußert wurden, darin nahme zur Landespolitik. Troß der berechtigten Empörung waren sich alle Diskussionsredner einig, daß es Pflicht und Erbitterung über das Vorgehen der Reichswehr in Sach- aller Parteigenossen fei, alles zu tun, um Troyli eröffnete eine oratorische Kampagne, in der sen wurde zu dieser Frage ein Beschluß gefaßt, der eine starte das Kabinett Fellisch zu erhalten. Entwicklung zur Realpolitik seit dem letzten sächsischen Lan­Desparteitag, der im März stattfand, ertennen läßt. Das tritt am fiarsten hervor, wenn man den Beschluß des März­parteltages und den Beschluß des jezigen Parteitages einan­ber gegenüberstellt, wie es nachstehend geschieht:

Märzparteitag.

Dezemberparteitag.

Für Völkerverständigung.

er den Pazifismus Sowjetrußlands prinzipiell, aber audy ganz besonders im Verhältnis zu Polen unterstrich. Schließ­lich vernahm man, daß Vigdor Kopp als Vertreter des russischen Kommissariats für Außenpolitik nach Warschau ging, um mit der polnischen Regierung über die Regelung des Durchfuhrverkehrs zu verhandeln.

Paris , 3. Dezember. ( WTB.) Auf Veranlassung der Inter. nationalen Friedensgesellschaft in Bern vereinigten sich gestern und heute unter dem Borfiz des belgischen Senators Henri Lafon. Für die Uneingeweihten war dies etwas unverständlich. faine Bertreter internationaler Organisationen, teren Ziel die An- Der Berkehr wurde durch Art. XX11 des Rigaer Vertrages 1. Eine Koalition mit den De 1. Die gewaltfame Beseitigung näherung der Bölber ist, um einen neuen internationalen Organismus Definitiv geregelt und findet den Bestimmungen dieses Ber­mofraten ist abzulehnen. der sozialistisch kommunistischen zur Aufklärung über die pazifistische Strömung zu schaffen. Es 2. Die Verhandlungen mit der Regierung durch die Reichserefu- maren u a. vertreten die Friedensgesellschaften, die Internationale trages gemäß heute ungehindert statt. Hinter diesen Berhand­APD. find fortzuführen mit dem tive war ein Bruch der Ver- Freimaurerloge, die gewerkschaftliche Internationale, lungen mußte sich also ein ganz neues Problem ver­Bestreben, sie zur Teilnahme an fassung. die Internationale Liga für Menschenrechte sowie eine Anzahl bergen. der Regierung zu veraniajjen. 2. Der Landesparteitag bekennt Frauenorganisationen, auch firchliche Vereinigungen. Es wurde ein 3. Der Landesparteitag be- fich erneut zu dem Grundsay, internationaler Ausschuß gebildet, der sich einmal oder zweimal im trachtet die neuen Borschläge der ber eine Geltendmachung der Jahre, wenn die Umstände es erfordern auch öfter, vereinigen soll, KBD. als geeignete Berhand proletarischen Landtagsmehrheit terbund zu vervolltommnen und einen internationalen Fries um eine Propaganda zu schaffen, die darauf abzielt, den Völ Lungsgrundlage für eine gemein- erstrebt. densgeist durch die Bresse und durch die Schulen zu schaffen, damit fame Regierungsbildung mit der Unter den gegenwärtigen Ver- die Bölker ihre gegenseitigen Interessen besser verstehen lernen. Mit PD. In diefem Sinne bat hältniffen ist eine fojialistische der Ausführung wurde das Internationale Friedensbureau in Bern die gewählte Verhandlungsfom- Minderheitsregierung das Ge- beauftragt. mission die weiteren Berhand gebene. lungen zu führen.

Effektenverkäufe an der Börse.

Die

Aus zahlreichen Rundgebungen der Bertreter der Sowjet­regierung ließen sich die Umrisse dieses Problems erkennen. most au wollte die Möglichkeit erlangen, auf dem Wege wirksam eingreifen zu fönnen, ohne sich zu diesem Zwed über Bolen in den Gang der Ereigniffe in Deutschland vorzeitig durch einen Krieg mit Polen zu schwächen. Führer des Bolschewismus stehen auf dem Standpunkt, daß davon, was in Deutschland jetzt geschieht, die Zukunft des Kommunismus in Europa abhängt. In der Sizung des kommunistischen Klubs des Presnja- Bezirks in Moskau äußerte Trotti:

Wird die sozialistische Minder­beitsregierung gestürzt, fo muß bersucht werden, mit den Kom- Bei Beginn der neuen Woche lag an der Effettenbörse ..Entweder gelingt es jetzt der europäischen Bourgeoisie, das munisten zu einer gemeinsamen ein auffallend großes Angebot vor. Es handelt sich meist um Ber. Proletariat völlig niederzuwerfen und die Industrie wieder aufzu Regierungsplattform zu fommen täufe für ausländische, insbesondere englische und holländische Rech. bauen, dann sichert sie sich noch die Macht für eine gewisse Periode; Landesinstanzen und Landtags nung, die mit Erstarten des belgisch - französischen Einflusses im be- oder aber, ihr Verfuch mißlingt, dann ist ihre politische Herrschaft fraktion find an diesen Beschluß setzten Gebiet zusammenhängt, teils tommen die Berkaufsorders aus zu Ende. Die Entscheidung wird von der Widerstands­gebunden. Die Bildung ieder westdeutschen Industriefreisen. Man führt dies darauf zurüd, daß traft der deutschen Arbeiter und der Unterstützung Koalitionsregierung ist an die die rheinisch- westfälischen Industrien genötigt seien, sich durch Ab- tes russischen Proletariats abhängen." formelle Zustimmung eines Partei- ftoßung von Effekten, die zur Wiederaufnahme des Betriebes und Man erinnert sich auch an die Erklärung Trogkis dem tages gebunden. zur Zahlung von Kohlensteuern nach dem Micum Ber.amerikanischen Senator King gegenüber: Wenn wir der Während der Märzparteitag eine Koalition mit den De- trage notwendigen flüssigen Mittel zu verschaffen. Außerdem Revolution in Deutschland , ohne das Risiko eines Krieges, mofraten ablehnte und der Verhandlungstommiffion aufgab, fommen aber auch aus den unbefeßten Gebieten ziemlich erhebliche den Sieg sichern fönnten, würden wir in dieser Hinsicht alles die Koalition mit den Kommunisten zu suchen, erklärte der Bertaufsorders an die Börse, da man annimmt, daß nach der Ber- run, was in unserer Macht ist." Noch viel deutlicher wurde geftrige Parteitag die von den Demokraten unterstüßte fozia- abschiedung des neuen Ermächtigungsgesetzes durch den Reichstag , Trotti in den Reden, die er auf dem Kongreß der Metall­listische Minderheitsregierung Fellisch für das Gegebene und die Regierung fofort die Steuerverordnung in Kraft sezen wird, die arbeiter und auf der Konferenz der Politischen Arbeiter der bindet jede Koalition sowohl mit den Demokraten wie mit bekanntlich sehr bedeutende Zahlungen auf Goldbasis, schon für den Roten Armee " hielt. Er sagte hier im wesentlichen: den Kommunisten an die Zustimmung eines Landesparter Monat Dezember vorsieht. Man verwies an der heutigen Börse auch tages. Die Begründung für den gestrigen Beschluß gab der darauf, daß infolge der festen Haltung der Mart im Auslande auch sächsische Innenminister, Genosse Liebmann, der dabei die inländischen Lebensmittel und warenpreise betonte, daß auch nach seiner Meinung ein zusammen träftig zu finfen beginnen. Diese Borgönge finden natürlich in der gehen mit den Kommunisten in der gegen Rursfentung ber Effetten eine gewiffe Parallele.

"

,, Rußland muß unbedingt den freien Durchfuhrverkehr nach Deutschland erlangen, um während der entscheidenden Phase des revolutionären Kampfes das deutsche Proletariat mit Getreide zu versorgen. England und Frankreich verfügen nicht über genügende Kräfte, um einer kommunistischen Revolution in Deutschland wirksam