Abendausgabe
Nr. 592 40. Jahrgang
Ausgabe B Nr. 298
70 Milliarden M.
19. Dezember 1923
= Vorwärts=
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Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratifchen Partei Deutfchlands
Wenn Militärs regieren.
Eine Denkschrift des Thüringischen Staatsministeriums.
Hauptquarfler Weimar, den 15. November 1923. Borgang.
Die Gefchichte der Entstehung des militärischen Belags.] rungszustandes ist bekannt. In Bayern erhebt sich die rechtsradikale Revolution, es droht die Separation, ja die Bertreter der Gemeinde Gniebsdorf und Thalbürgel find bei offene Rebellion Bayerns gegen das Reich, dem General der Gruppe vorstellig geworden und haben beantragt, die von der p. Seedt wird der militärische Oberbefehl übertragen, um die Regierung mit Wirkung vom 1. Oftober 1923 verfügte 3wangs von Bayern drohende Gefahr des bewaffneten Umsturzes eingemeindung der Ortschaften Gniebsdorf , Thalbürgel , Hetzzu beseitigen. Sachfen und Thüringen als Grenzgebiete find borf nach Bürgel rüd gängig zu machen. Grund: zu erwartender Terror und Auspowerung durch die besonders gefährdet. An der thüringischen Grenze um Koburg tommunistische Gemeinde von Bürgel . liegen mehrere tausend bewaffnete Mannschaften der Ehr 1. R. der thüringischen Landesregierung Weimar mit dem Erhardt- Berbände. Der Schuß der Grenze ist unbedingt erfor suchen um Stellungnahme und Rüdäußerung. berlich. Der Belagerungszustand hat zwar schon länger be Hauptquartier, den 17. November 1923. standen, für Thüringen hat aber der Befehlshaber der V. Divi Der Oberprimaner Erich Freund von der Oberrealfion, Generalleutnant Reinhardt, ausdrücklich befundet, daß schule Sena hat mit folgende Angaben gemacht( folgt längere Dar er nicht beabsichtige, in den laufenden Ber- fuellung von Besprechungen des Eduldirektors Dr. Fride und der waltungsgang irgendwie einzugreifen". Seit. Oberschulrätin Dr. Siemsen mit dem Oberprimaner Freund über dem ist die bayerische Situation zwar feineswegs geflärt, aber feine Zugehörigkeit zum Jungdeutschen Orden. Bon Freund wurde jeder Mensch weiß, gegen Banern wird die Reichswehr nicht perlangt, daß er die Mitglieder des Jungdeutschen Ordens an der Oberrealschule bezeichnen soll Er ist dann am 15. November aus marschieren, und eine unmittelbare militärische Gefahr droht der Schule ausgeschloffen worden): auf der anderen Seite von Bayern nicht. Um so interessanter ist es zu sehen, wie die Reichswehrgeneräle ihre Aufträge in Thüringen durchführen. Die zweite Denkschrift der Thüringi. schen Staatsregierung vom 12. Dezember bietet eine Fülle von Material.
Am 12. November spricht der thüringische Staatsminister Froelich in Begleitung des stellvertretenden Reichsrats bevollmächtigten beim Reichspräsidenten vor, um ihm über das Vorgehen der Militärs in Thüringen Vortrag zu halten. Der Reichspräsident betont, daß die Verordnung über die Uebertragung des Oberbefehls an den General v. Seedt ein militärische Bedeutung habe, daß aber der Reichswehr. minister nach wie vor bie parlamentarische er antwortung trage. Ueber die Anweisung, die dem in Thürin gen einmarschierten Reichswehrtruppenteil gegeben sind, er
flärt er:
„ Die Truppen haben ten klaren Befehl, Thüringen gegen Ginfälle aus Bayern zu schützen und sich zu diesem Zwed bis an den Thüringer Wald heranzuschieben. Hineingehen in den Wald fönne man nach Auffassung der Generale nicht, da das bei der geringen Zahl der zur Verfügung stehenden Truppen militärisch unhaltbar fei. Da man andererseits bei einem evil Kampf teine tommunisti schen Hundertschaften im Rücken dulden könne, fei auf Borschlag des Militärs als untergeordneter Nebenzwed ein Borgehen gegen diefe gebilliot worden. Immer fei jedoch Anweisung gegeben worden, fich in engsler Berbindung mit dem Herrn Staatsminister Froelich zu halten. Wenn dies nicht geschehen sei und nicht geschehe, fo liege offenbar an irgendeiner Stelle ein Mißverständnis vor, über das er mit Minister Geßler fprechen wolle.
Der General bittet um Bericht bis 22. November 1923 1. Ob trotz der Aufhebung des Berbotes des Jungdeutschen Ordens durch den Staatsgerichtshof die Mitgliedschaft von Schülern bortseits beanstardet wird und mit welcher Begründung; 2. ob der Brimaner Freund tatsächlich durch die Androhung der Entlassung gezwungen werden sollte, seine Kameraden zu benunzieren; 3. ob die Ablehnung dieser Zumutung tatsächlich der Grund zu feiner Entlaffung gewesen ist; 4. ob die Maßnahmen zu 3iffer 1 bis 3, falls fie zutreffen, vom Herrn Minister für Boltsbildung verfügt worden sind oder von welcher anderen Stelle.
miete beseitigen. Am 9. Dezember wird Abschrift dieser untertänigen Bitte an das thüringische Staatsministerium weiter. geleitet:
Mit der Bitte, beldgefälligst Stellung zu nehmen, insbesondere zu der Angabe, daß das Ministerium sich bei der Festsetzung der Mieten nicht an die vom Gesetze vorgeschriebenen Teuerungstabellen gehalten habe. Um Uebersendung der Mietfestsetzungsverfügung für Dezember und Rücksendung der Anlagen wird gebeten. Für den Militärbefehlshaber: Der Oberquartiermeister." So geht die Korrespondenz" hin und her. Es gibt tein Gebiet, wofür sich die Generäle nicht interessieren. Die Folge ist zunächst: Ueberstundenarbeit bei den Behörden, deren ganzer Apparat durch das" sachverständ: 3 Eingreifen aller verstehender, alles wissender und alles können der Fachmilitärs durcheinander gebracht ist. Am 3. Dezember schreibt das thüringische Ministerium:
" Das außerordentliche Anwachsen des Schriftverkehrs felt Ber hängung des militärischen Ausnahmezustandes und insbesondere seit dem Einmarsch der Reichswehr in Thüringen läßt trog zahlreicher Ueberstunden des Kanzleis und Registraturpersonals eine Erledigung, wie fie vielleicht beim Militär mit seinen relativ einfach liegenden Berwaltungsverhältnissen, nicht aber bei dem trotz aller Bemühun gen und Vereinfachung noch immer start tkomplizierten Verwal tungsmechanismus nötig ist, leider nicht zu. Wir müssen daher dringend ersuchen, nicht Anforderungen an die thüringischen Zentralbehörden zu stellen, die mit ihrer Rückwirkung auf die Lokalbehörden dazu führen müssen, daß der Verwaltungsapparat in einer Zeit, in ter er im Intereffe der Aufrechterhaltung der Wirtschaft ungehindert au arbeiten notwendig hat, nach und nach vollkommen lahingelegt wird."
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Das macht nichts. Der Militärbefehlshaber bleibt weiter Auf eine längere Erwiderung des thüringischen Staats- neugierig. Am 29. November will er wissen, weshalb ber minifteriums, die Gott sei Dant vor Ablauf des lilti Lehrer Gifenträger in ihlo( Werra ) im Juli 1922 ent matums abgeschickt war, bemerkt der Generalleutnant Haffe , bildungsministerium eine Verfügung über Kirmesfeiern lassen worden ist. Er will wissen, weswegen das Bolks der den flaren Befehl erhalten hat, Thüringen gegen erlassen hat, welche Vorschriften für die Befreiung von Bayern zu schützen und hoch stens als Nebenamed Schülern an firchlichen Feiertagen bestehen. Er fommunistische Hundertschaften aufzulösen, wobei er in eng will wiffen, weswegen der Studienbirektor Dr. Hummel fter Fühlung mit der thüringischen Staatsregierung hal- vom Lyzeum in Altenburg seines Amtes enthoben ist: ten soll, daß das Berhalten des Echulleiters unter der Frau Ferner bitte ich um Auskunft über die fachliche Vorbildung Schulrat Dr. Siemsen in der von ihm gerügten Angelegenheit feines Nachfolgers, Studienrat Dr. Lorenz, die Dauer feiner ( er scheint ein guter Pädagoge zu fein) allen getätigteit im thüringischen Schuldierst, wo Dr. Lorenz funden Grundsägen über Jugenderziehung vorher tätig war, ob bei deffen Ernennung zum Leiter bes widersprich t". Die Reichswehrgeneräle sind aber nicht 2yzeums lediglich feine fachliche Eignung maßgebend war oder ob nur Pädagogen, sondern auch bewährte Hüter de'r seine politische Einstellung mitbestimmend gewesen ist." Der Militärbefehlshaber mill folgendes wissen: Gerechtigteit. Sie nehmen Gnadengesuche ent Welche Oberschulräte, Schulräte und Leiter höherer und mitt gegen von Leuten, die wegen Beleidigung des St eichspräsidenten von thüringischen Amtsgerichten lerer Schulen in ihren jezigen Stellungen erst nach dem 7. Offoter rechtsfräftig verurteilt worden sind, und leiten diese Gnaden- 1921 eingerüdt sind und in welcher Stellung fie vorher waren. gesuche nicht etwa an die durch die Gerichtsver. Ferner ob bei ihrer Bersetzung in diese Stellung lediglich ihre fa ch. Solche Mißverständnisse scheint es mun feineswegs nur fajfung vorgeschriebene Stelle meiter, sondern behalten sich liche Eignung maßgebend war oder ob ihre polittiche Eint ob bei den verjeten Persönlichkeiten 8ugehörigteit au mit dem Herrn Staatsminister Froelich gegeben zu haben. Selbst die Entscheidung über solche Gnadengefuche vor. Sie ftellung mitbestimmend gewesen ist. Auch bitte ich um Mitteilung, Man erinnert sich der Mißverständnisse zwischen dem Reichs- find überhaupt die Retter in der Not für jeden Vereiner politischen Partei verlangt wird und zu welcher." fanzler Dr. Stresemann und dem Reichskommiffar folgten. Der Geraer Hausbejigerverein erlaubt Dr. Heinze der zur größten Ueberraschung des Reichs- ich z. B. seine Exzellenz unter dem 27. November unter fanzlers fünf Minuten nach seiner Ernennung bereits die tänigst zu bitten, er möge doch auch einmal auf dem Reichswehr das famose Paradeſpiel vor dem Dresdener als Retter eingreifen" und die standalöse NovemberReichswehr das famose Paradespiel vor dem Dresdener Gebiete des Wohnungswesens in Thüringen Regierungsgebäude aufführen ließ, das Deutschland im ganzen Ausland zum Spott gemacht hat. In Weimar ging es nicht anders zu, die Stadt wurde besetzt wie eine feindliche mitten im Kriege. Man meiß nicht recht, wer eigentlich in der Reichswehr Befehle erteilt. Jedenfalls: das Reichs. wehrministerium weiß von nichts. Der thürin gische Reichsratsbevollmächtigte Dr. Münzel stellt wenig ftens am 12. November( gleich nach der Unterredung beim Reichspräsidenten ) im Reichswehrministerium feft:
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Bessere Stimmung an der Börse.
Devisenkurse unverändert.
An der Börse herrscht bereits Feiertagsstimmung. Die Ge schäftstätigkeit war heute äußert minimal. Die Spefulation zeigt menig Neigung, vor der großen Feiertagspause noch erhebliche Engagements einzugehen. Die Grundstimmung der Börse ist an Herr Major v. Schleicher( der Bertreter tes Reichswehrmint fich durchaus nicht schwach, es fommen aber feit einigen Tagen sters) ist befremdet gewefen zu hören, daß am zweiten Tage nach größere Berkaufsorders an den Markt offenbar aus Kreifen des der Besprechung vom 6. die Stadt Weimar völlig überraschend für Marenhandels, der vor die Alternative gestellt ist, entweder seine die Regierung durch die Reichswehr besetzt worden ist, daß der Kom- Barenbestände mit träfligem Preisnachlaß zu veräußern oder aber mandant einen Erlaß, indem er den Einmarsch der Reichswehr mit neue Berläufe vorzunehmen. Man spricht davon, daß in legter Beschwerden, die seitens der Bevölkerung über die fommunistischen Beit besonders starte Abgaben durch die bekanntlich en der Börse Hundert'chaften erhoben worden leien, begründet an die thüringische immer sehr intereffierte Berliner Konfettion vorgenommen worden Regierung gerichtet habe und sonstige Maßnahmen, die die Berwal- ist. Bei den jeßigen geringen Umsätzen drücken derartige Abgaben fung des Landes berühren, treffe, ohne vorher mit der Candesregie- natürlich ziemlich erheblich auf die Börse. Infolgedessen ergibt sich rung sich in Verbindung gefeht zu haben. Herr v. Schleicher hat zu heute auf der ganzen Linie eine beachtenswerte Ab gefagt, daß er den militärbe ehlshaber nochmals veranlaffen werde ich wäch ung.
Die gleiche Auskunft will er über Staats- und Ober staatsanwälte haben, über Offiziere der Landes Staatsanwälte haben, über Offiziere der Landes felbstverständlich keineswegs bei solchen generellen RundPolizei und Gendarmeriefommiffare. Es bleibt fragen. Es hagelt nur so Anfragen über einzelne Personen. Auch ins Wirtschaftsleben greifen die Militärs ein. Ein spaltenlanger Schriftwechsel informiert über die Hauptund Staatsaktion gegen die Thüringische Getreide. attiengesellschaft, ein gemischt- mirtschaftliches Unter nehmen, das auf Grund von Denunziationen der privaten Konturrena schifaniert wird, bis schließlich der Oberstaatsanwalt diesem Heldenstreich ein Ende machen muß.
Presseverfügungen der Thüringischen Regierung werden offenbar zum Schuße der Staatsautorität aufgehoben und abgeändert. Haussuchungen, Berhaftungen, Be lästigungen find an der Tagesordnung. Daß selbst der Rechtsausschuß des Reichstages einstimmig die Wiedereinfüh rung des früher bestehenden Schuzhaftgesetzes für notwendig hielt, spricht ja für sich und zeigt, daß diefe Art von Biel regiererei fchließlich jeden Menschener mag politisch stehen, wie er mill vor den Kopf stoßen muß.
Wenn der Militärbefehlshaber in Thüringen offenbar zur Ablenkung von dem blamabeln Eindruck, den die Tat in enger Fühlung mit Herrn Staatsminister Froelich zu handeln." Im Devisenverkehr ging es fehr ruhig zu, die Nachfrage sachen dieser Denkschrift hinterlassen müffen, jetzt mit großen Es wird sogar ausdrücklich versichert, daß Bemühungen hielt sich in engen Grenzen. Die Kurse blieben unver Bublikationen über Aufmarschpläne der Roten beim Reichspräsidenten nicht mehr notwendig feien ändert. Wertbeständige Anleihen find nach wie vor schmach. Ar me e fommt, so ist das nicht die geringste Entschuldigung offenbar, weil das Reichswehrmnifterium über das Borgehen Etwas Intereffe besteht für Dollarschaganweisungen, während für die Desorganisation, die die Militärs entgegen der Reichswehr so urteilt wie die thüringi'de Regierung und Golbanleihe ziemlich start angeboten ist. Man fürchtet, den ihnen erteilten flaren Befehlen" angerichtet haben und beshalb das Erforderliche veranlassen werde. Und nun geht daß mit Beginn des neuen Jahres noch weitere Goldanleihe- weiter anrichten. Der kommunistischen Gefahr fann man auch das frisch- fröhliche Regieren in Thüringen los. Mit dem Emissionen erfolgen fönnten, da angeblich auch die neuen Steuern ohne Militärs Herr merden, und vor allen Dingen berech Kampf gegen Bayern ist es nichts, und der Kampf gegen die nicht hinreichen, um den Geldbedarf des Reiches zu decken. Die tigt bei weitherzigster Auslegung diefe Gefahr nicht zu den gefährdeten fommunistischen Hundertschaften scheint dam politische Lage wird zuversichtlich beurteilt. Auch in bezug auf die dauernden Uebergriffen in das sonstige Verwaltungs- und Tatendrang der Reihswehrgeneräle nicht zu genügen. Wir wirtschaftliche Situation herrscht jetzt ein gewisser Optimismus, da Wirtschaftsleben der Länder. Jeder Denunziant bekommt in fönnen aus der Fülle der Dinge nur einige Einzelheiten bieten. die Industrie weiter lebhafte Eingänge von Aufträgen meldet. Die Thüringen einen Freibrief; er tann auf dem Umwege über Es ist wohl nicht nötig, fie lang und breit zu tommentieren. Geldmarktlage ist füssig, doch zeigte sich heute hier und da vereinzelt das Militär einer nicht unbequemen Regierung auf der Cafe Wir bringen nur der Reihe nach Originalschreiben zu unveränderten Sägen von Prog. täglich etwas reichlichere herumtanzen. Der moderne Staat verlangt gewisse Rechts. Der Gruppe Haffe: Nachfrage garantien, nur als Rechtsstaat tönnen wir existieren und