Nr.19 41.Jahrgang

Ausgabe A nr. 10

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Zentralorgan der Vereinigten Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Redaktion und Verlag: SW 68, Lindenstraße 3 Ferniprecher: Redaktion: Donhoff 292-295 Verlag: Tönhoff 2506-2507

Sonnabend, den 12. Januar 1924

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Der Berliner Bürgerblock gesprengt. Englands historischer Augenblick

Dr. Caspari tritt zurück.

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Londoner Berichterstatter. O. P. London , 10. Januar. Mit aller althergebrachten Feierlichkeit und eines Krims­Bas nach der Donnerstagsigung im Berliner Rathaus tischer Unterstützung zur Sanierung der Finanzen unternahm. frams ehrwürdiger und unverständlicher Zeremonien ist die vorauszusehen war, ist gestern, 24 Stunden nach erfolgter Genau so feht man sich auch jezt über alle gefchäftsordnungs- Seffion des englischen Parlaments eröffnet worden, die das Wahl Dr. Casparis zum Vorsteher, bereits Tatsache ge- mäßigen und politischen Selbstverständlichkeiten hinweg, um große Neue bringen foll: den historischen Augenblick, da worden. Die Kandidatur des Bürgerblocs erwies sich nach nur das eine Ziel zu erreichen: Beit zu neuen politischen zum erstenmal eine Arbeiterregierung die Lenkung dem provozierenden Vorstoß der Deutschnationalen gegen die Schiebungen zu gewinnen. Der Appell Dr. Leidigs an die der Geschicke des Weltreiches übernimmt. Die englische Mittelparteien und nach der geradezu unglaublich ungeschick Bürgerschaft, die Narrenpolitit der antimargi Deffentlichkeit, mit Ausnahme eines Klüngels von Politikern ten Rede des neugewählten Vorstehers nicht mehr als haltbar. stischen Bürgerfront unter allen Umständen aufrecht und eines Häufieins verängstigter alter Weiber begegnet dem So sehr die bürgerlichen Parteien in den Beratungen des zuerhalten, foll offenbar lediglich neuen Verhandlungen Regierungsantritt der Roten" vor allem mit erwartungs­Aeltestenausschusses und im Plenum sich auch bemühten, um zwischen den bürgerlichen Parteien dienen. Der offizielle voller Neugier. Jedermann in England spürt den frischen des Budels Kern herum zu reden, die Situation ist voll- Sprecher der Demokraten, Herr Merten, hat es gestern ver- Sjauch einer tommenden neuen Macht. Die kleine Panik, die fommen flar. Dr. Leidig, einer der prominentesten Führer mieden, der Kaze die Schelle anzuhängen und die Provo - ein paar Börsenjobber in den Kreisen anrichten wollten, in der Volkspartei, nicht nur im Berliner Rathaus, sondern auch fation des Herrn Dr. Caspari am Donnerstag und Dr. Leidigs denen man sich vor„ Konfistationen" fürchtet, ist längst in der in Preußen und im Reich, betonte ausdrücklich, daß nach dem gestern gebührend zu kennzeichnen. Wären die Informationen allgemeine Spannung untergegangen; für die bürgerliche Wahlausfall von 1921 die Bürgerschaft" die Wahl eines der Boffischen Zeitung" richtig, dann müßte man mit der Presse ist die Labour Party die große Entdeckung, die seit bürgerlichen Vorstehers erwartet habe. Damals hat man sich Möglichkeit rechnen, daß die Berliner Demofraten immer Tagen ihre Spalten füllt und sie, je näher der entscheidende geschämt, das öffentlich zu bekennen. Man schützte gegen noch mit Verständigungsversuchen über eine bürgerliche Augenblid tommt, zu immer fieberhafteren Vermutungen, Den damaligen Kandidaten der Sozialdemokratie lediglich Kandidatur rechnen. Wir möchten nicht glauben, daß die demo- wohlwollenden und gehässigen, anspornt. persönliche Gründe vor. Namentlich die Demofraten, fratische Frattion ernsthaft diesen Weg zu gehen versuchen Es fehlt freilich nicht an politischen Man övern, die unter Führung des Herrn Merten, leugneten mit dem Bruft wird. Sie hat im Reich und an anderen Stellen des öfteren noch im letzten Augenblick die Arbeiterregierung durch eine ton der Ueberzeugung, bei der Unterstützung der Kandidatur folche Lockungen von sich gewiesen. Sie hat jetzt eine günstige bürgerliche Koalition vereiteln möchten; in der City, dem Lon­Casparis irgendwelche„ antimarristische Absichten" zu haben. Gelegenheit, auch in Berlin mit dieser Tradition zu brechen. doner Geschäftsviertel, und in Paisley, Asquiths Wahlkreis, Wie sehr die bürgerlichen Barteien noch heute von dem Sie könnte sich getrost an Hamburg und anderen Orten find solche kleine Verschwörungen gesponnen worden, die von Bahn besangen sind, diese kindische Politik weiter fort ein Beispiel nehmen. Die Sozialdemokratie ist jedenfalls in der Presse ungeheuer aufgebauscht wurden. Die Rothermere führen zu können, zeigte der inbrünstige Appell Dr. Lei Berlin nicht gewillt, den bürgerlichen Parteien die Sabotie- Bresse fährt fort, nach der antifozialistischen Einheitsfront zu digs an alle Kreise des Bürgertums", doch unbedingt zur rung der Arbeit für das Gemeinwohl irgendwie zu erleichtern. fchreien und die offiziellen konservativen Barteifreise haben sich Einsicht zu kommen und die Aufstellung eines gemeinsamen Sie hat oft genug unter schwersten Opfern vom in den letzten Tagen die Lesart zurechtgelegt: wenn bei der Kandidaten zu ermöglichen". Das ist der Inbegriff Standpunkt des nackten Parteiintereſſes ausbewiesen, daß entscheidenden Abstimmung über das Mißtrauensvotum gegen der politischen Weisheit hervorragender für sie das Wohl der Gemeinde oberste Richtschnur ihres Han- Baldwin mur fünfzig oder sechszig Liberale mit den Konser­Führer des deutschen Bürgertums, das ist alles, delns ist. Sie wird nach diesem Gesichtspunkt weiter handeln nativen stimmen würden... Aber die Liberalen haben sid; was sie bisher aus der politischen Entwicklung gelernt haben. und an dieser Politik werden die Versuche der bürgerlichen viel zu sehr festgelegt, als daß eine derartige Absicht zur Mög­Grotest war der Versuch, mit allen Mitteln noch Zeit zu Parteien, uns in Berlin rückwärts zu revidieren, scheitern lichkeit würde: sie wollen und werden die Regierung Baldwin neuen Mogeleien zu finden. Dieselbe Mehrheit, die müssen. Nach dem vollständigen Zusammenbruch des Bürgerblocs das, wie man sehr wohl weiß, feineswegs aus Liebe zur ftürzen und eine Arbeiterregierung ins Amt setzen. Sie tun ganz genau weiß, daß sie aus eigener Kraft nicht im stande ist, auch nur einen Tag die Geschäfte der Ge- in der gestrigen Sitzung der Stadtverordnetenversammlung Arbeiterpartei. Auch sie wissen, daß die öffentliche Meinung meinde zu betreuen, die ganz genau weiß, daß die egoistischen muß vielmehr damit gerechnet werden, daß Bernunft und es fehr übel genommen hätte, wenn die Labour Party durch und antistaatlichen Interessen in den Reihen ihrer fünf Fraf Anft and endlich zu ihrem Recht kommen werden, und daß eine unpopuläre Koalition oder Kombination um die Gelegen­tonen, in die sie glücklich zerfällt, viel zu start find, als daß der Weg für die allein mögliche Kandidatur der sozialdemo: heit gebracht worden wäre, die ihr die parlamentarische Tra­te aus eigener Kraft aus ihren Reihen heraus finanziell und fratischen Fraktion jetzt frei wird. Nach dem Rücktritt Cafparis dition- wenngleich auf geänderte Berhältnisse angewandt fie all die Gemeinde ſtüßen könnten, diese Mehrheit wagt fällt der lezte Borwand, den die bürgerliche inte ge eröffnet, fie hoffen, daß fie nach den sonderbaren Regeln dieser es, unter Mißachtung der dringendsten Intereffen der Ge- brauchen konnte, um sich ihrer selbstverständlichen Verpflich Tradition, der ungeschriebenen englischen Verfassung, selbst meinde, Die aufs ſchmerſte unter dieser Sabotierung ihrer Ge- tung zu entziehen. Ihre offiziellen Sprecher haben ausdrüd in absehbarer Zeit die Regierungsnachfolger der Labour ichäfte leiden muß, fie von einer Krise in die andere zu stürzen. lich anerkannt, daß nicht das geringste gegen die sozialdemo▪ Barty werden können, und sie rechnen jedenfalls damit, daß Mit welchem Temperament und welcher unnachahmlichen kratische Kandidatur einzuwenden sei. Es bleibt also die Arbeiterregierung in ihren Handlungen wie in ihrem Be­Arroganz fämpfte noch Herr Dr. Leidig Anfang Juli vorigen hoffen, daß endlich an Stelle perrannten Partei. Jahres, vier Wochen vor dem vollständigen Zusammenbruch geistes anständige und fachliche Arbeit für ftande von der Unterstützung der Liberalen abhängig Der Cuno- Regierung gegen den selbstverständlichen die Gemeinde auch von den bürgerlichen Fraktionen ist. Für die Liberalen, die wie jede Mittelpartei nach beiden Seiten hin schwanken, die sich nach links hin zu diskreditieren Versuch, den die Gemeindeverwaltung mit sozialdemokra getrieben wird. fürchten, wenn sie sich auf ein Romplott gegen die Labour Barty einließen, und denen ebenso von rechts gedroht wird, fie begingen Selbstmord, wenn sie, als Gegner der Sozialisten gewählt, nun den Sozialisten zur Macht verhelfen für die Liberalen ist diese Spekulation, die ihnen, der fleinsten Partei, auch noch weiterhin die entscheidende Rolle sichern soll, ein Der deutsche Geschäftsträger, Botschaftsrat von Hoesch, wird, Offenhalten aller Möglichkeiten. Für die Labour Party aber bedeutet sie die Gewißheit, daß wie auffallend freundlich auch im Augenblick die liberale Presse gestimmt sei- die heute bedeutungslosen Manöver doch die Vorzeichen einer bürgerlichen, antisozialistischen Einheitsfront sind, die über furz oder lang tommen wird. Auch in den Reihen der Sozia­liſten des Auslandes wird man gut tun, nicht zu vergessen, daß die erste Arbeiterregierung in England im Grunde nur von der Gnade des Klaffengeg­ners leben wird.

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Antworten Frankreichs und Belgiens .

Paris , 11. Januar. ( WEB.) Der deutsche Geschäftsträger,

Boffchaftsrat von Hoesch, ist heute nachmittag 5 Uhr vom politifchen wie verlautet, am Sonnabend abend nach Berlin reisen. Direttor des Ministeriums des Aeußeren Peretti della Rocca emp­fangen worden, da Poincaré durch die Kammerfizung über die aus. wärtige Polifit verhindert ist. Pereiti della Rocca hat dem deutschen Geschäftsträger die Antwort auf die deutsche Note vom 24. De­

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Konferenz der Kleinen Entente . Belgrad , 11. Januar. ( WTB.) Ueber die Konferenz der Reinen zember in Form eines Memorandums überreicht, das einen Umfang Entente wird folgende amtliche Mitteilung veröffentlicht: Die erste von 14 Seiten hat. Dieses Memorandum geht Punkt für Konferenz der Kleinen Entente fand gestern nachmittag 5 Uhr unter Punkt auf die deutschen Ausführungen vom 24. Dezember ein, um dem Borsiz von Baschitsch statt zur allgemeinen Erörterung der internationalen Lage. Der füdslawische Ministerpräsident den franzöfifchen Standpunkt, der, wie man nach den Preffeäuße­Diese Situation ist auch in technisch- parlamentarischer Be rungen der letzten Tage annehmen darf, im wesentlichen ab. Baschitsch, der südslawische Außenminister Nintschitsch, der lehnend ist, zu begründen. Der deutsche Geschäftsträger und tschechische Außenminister Benesch und der rumänische Außen- ziehung neu und ungewohnt. Das englische parlamentarische Peretti della Rocca hatten im Anschluß daran eine faft einstündige minister Duco fteliten in einem Meinungsaustausch fest, daß sie Regierungssystem, aus dem 3weiparteienschema entstanden und Unterredung über alle die Lage im befehten Gebiet be- pollkommen einig feien, die Kleine Entente mit ihren vertrauens. darauf allein zugeschnitten, will auf das Dreiparteiensystem treffenden Fragen. Peretti della Rocca erklärte, die sehr tech- pollen Beziehungen zu sämtlichen Alliierten beizubehalten und weiter durchaus nicht paffen. Allerlei Reformgedanken tauchen auf. nische Antwort, die die franzöfifche Regierung auf die deutsche mit diefen zufammenzuwirken. Sie find mehr denn je entschlossen, Macdonald hat in einem Artikel die Frage einer gese- Denkschrift erteilt habe, wolle die Frage nicht erschöpfen, und im Rahmen der gegenwärtigen europäischen Lage diejenigen Strölichen Mindest dauer des Parlaments oder aber des fie bedeute teinen Abschluß. Wie Poincaré bereits am 15. De- mungen zu unterstüßen, die die Aufrechterhaltung der Rechtes des Barlamentes, feine Auflösung selbst zu entschei zember 1923 erklärt habe, sei die französische Regierung bereit, jeber- Berträge und die Befestigung des für die drei Staaten der den( was bisher formal das Recht des Königs, fat­zeit deutsche Anregungen entgegenzunehmen und diese fachlich zu Kleinen Entente gleichermaßen unentbehrlichen Friedens anstreben. tisch das des Premierministers war) zur Disfuffion Im Laufe des heutigen Bormittags wird zunächst weiter über gestellt. Andere empfehlen, die Rechte der Minorität inner­Die auf der allgemeinen Tagesordnung stehenden Fragen verhandelt halb des Parlaments zu erweitern und als ein Mittel dazu Gleichzeitig und unter denselben Formen wurde gestern in werden, bevor man zur Prüfung derjenigen Punkte übergeht, die die Befugnisse der Parlamentsausschüsse das kontinentale Brüssel die belgische Antwort dem dortigen deutschen Geschäfts. Die internationale Lage vom besonderen Standpunkt jedes einzelnen System der fachlichen Gliederung der Barlamentsarbeit in den träger übermittelt, wobei ihm ebenfalls entsprechende Erklärungen der drei Länder bestimmen. Ausschüssen ist dem englischen Unterhaus so gut wie unbe der bel ischen Regierung abgegeben wurden. Die belgische Antwort fannt zu vergrößern. Auch macht sich eine Tendenz gel­entspricht, wie in Paris erklärt wird, in den Hauptzügen der tend, die parlamentarische Fraktionsdisziplin, die für konti­franzöfifchen, fie ist nur etwas umfangreicher. Athen , 11. Jannar ( WTB.). Venizelos hat das Amt des Pre- mentale Begriffe ohnedies loder erscheint, noch mehr gegen die persönliche Meinungsfreiheit des einzelnen Abgeordneten zurücktreten zu lassen. Indes wird wohl noch viel Waffer die Themse hinunterfließen, ehe aus diesen man­nigfachen Vorschlägen eine wirkliche Parlamentsreform wird; einstweilen bedeuten die zählebigen parlamentarischen For­men Englands im Augenblick ebenso viele parlamentarische Schwierigkeiten.

crörtern.

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Venizelos Premierminister.

Paris , 11. Januar. ( WTB.) Havas berichtet über die Unter- mierministers angenommen. redung von Hoesch mit Beretti della Rocca: Die Unterredung dauerte Stunden. Peretti entwickelte die Ansichten, die in der französischen Antwort niedergelegt sind. Er ergänz'e fie durch Erläuterungen und Rommentare, über die sich die franzöfifche Regierung von vorn herein mit dem belgischen Rabinett verständigt hatte.

Jn Tofio haben Unruhen und Kundgebungen gegen die Dynastie Ein Koreaner warf eine Bombe gegen das stattgefunden. augenblicklich unbewohnte faiserliche Palais; sie ist jedoch nicht zur Explosion gelangt. Der japanische Besagungsterror in Rorea fchreit zum Himmel.

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