Nr. 23 ♦ 41. Jahrgang
Seilage öes vorwärts
Dienstag, 15. Januar 1424
Vor dem Landgericht Potsdam sah man gestern Herrn r>. Kähne jun., den Sohn des Schlohherrn aus Petzow , dem er als Förster dient, wieder auf der Anklagebank. Von der Derwun- dung. die er vor einiger Zeit im Kampf mit«zwei Glindowern er- litt, ist er so völlig genesen, doh ihm nichts anzumerken ist. Nicht um v. Kahnes Anteil an jener nächtlichen Schießerei handelte es sich in diesem Prozeß. Er hatte Berufung«ingelegt gegen das Urteil des Schöffengerichts Werder , von dem er im Sep- tember lS2Z wegen Mißhandlung des Arbeiters Lucas aus Mindow, Nötigung gegen Frau Lucas durch Bedrohung mit der Schußwaffe, Mißhandlung und Beleidigung des Bankangestellten Toroeler aus Charlottenburg , Nötigungsversuch gegen Torgeler und seine Be- gleiter durch Bedrohung mit der Schußwaffe zu neun Mona- ten Gefängnis und wegen verbotenen Waffentragens(weil der Waffenschein ihm abgencmimen ist) zu 600 000 Papiermark Geldstrafe verurteilt worden war. In der vielstündigen Berufungsverhandlung unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors Wartung, die wieder eine bcträcht« liche Zuhörerschar aus dem Gebiet derer v. Kähne herbeigelockt hatte, ergab sicki aus den Zeuaenaussaoen dasselbe Bild, wie in den beiden Verhandlungen vor dem Schöffengericht: das Bild eines Großgrundbefitzersohues, der seinem Herren« und Mochtbewußtsein„standesgemäß" die Zügel schießen läßt. Auf der Anklagebank war abcr v. Kähne noch mehr als bisher be- müht, sich einer gewisien Zahmheit zu befleißigen, die schon in dem zweiten Schöffengerichtstermiv an ihm aufgefallen war, und er milderte die frühere Grobf-WälHigkeit seiner Redeweise, soweit ihm das möglich war. Das dürste ihm bei der Strafkammer des Land- gerichts, die sein Auftreten in dem ersten Sckiöffengertchtstermin nicht kannte, zustatten gekommen sein. Von den ihm zur Last ge- legten Straftaten blieb nach der Darstellung, die der schon dreimal megen Körperverletzung vorbestrost« v Kähne selber gab, sehr wenig übrig. Die Eheleute Lucas, die er im März 1922 bei einem Holzdieb stahl antraf, hätten in verdächtiger Weise das Beil gegen ihn erhoben— daran hielt er fest. Bei dem Ringen mit Lucas fei nur feine Jaust„ein paar mal gegen deflen Kinn, Zähne und Rase gekommen". Von der„anständigen V e r l« d« r u n g", die er vor dem Schöffengericht im ersten Termin mit sichtlicher Genugtuung ge« schildert hatte, sagte er nichts mehr. Er erzählt« nicht mehr, daß Lucas„Backpfeifen kriegte, wo es hintraf und faß". Nur dos räumt« er ein, daß er ihn„ein Paar links und rechts ge- geben" habe. Ihm, wie die Eheleute Lucas bekundeten,«inen Strick um den Hals geworfen zu haben, bestritt er. Den Strick habe«r ihm über den Kops geworsen, um ihm die Arm« zu binden. Die Eheleute blieben unter Eid bei ihrer gegenteiligen Darst-.'llung. Er habe Lucas so geschlagen, daß der zeitweilig d i« Besinnung verlor. Di« um Hilfe rufende Frau habe er bedroht, sie über den Haufen zu schießen, wenn sie nicht„die Sahna uze hielte". Auch ein paar Waldarbeite- rinnen bekimdeten, daß v. Kähne sie, als sie auf die Hilferufe herbei- eilten, durch Bedrohung mit der Schußwaffe verscheucht hob«. Der bei dem Gutsnachbar v. Rrchow angestellte Förster, dem v. Kähne die Eheleute Lucas zuführte, erinnert« sich nich», daß sie dort auf den Vorwurf, das Beil erhoben zu haben, geschwiegen hätten, In dem Fall Torgeler, der sich im Januar 1923 ablpielte. wollt« «v Kähne sich ebenso auf sein vermeintlickxs Recht berufen. Er habe Torgeler mit einer von ihm geführten Gruppe des Eharlrttenbürger Wandervogelvereins„Frischauf" auf Ackerland seines. Bauers ge- troff-m, sie durch einen„S' a na l f ch u h" gestellt, den sich„arro- gant" benehmenden Torgeler einen„dummen Jungen" genannt und auf besten Bemerkung„Erlauben Sie mall"-ihm„ein paar ge» t le bt". Torgeler sei dabei, weil„wohl der Boden etwas uneben war", zu Fall gekommen. Als die jungen Leute nicht auf dem Weg, den e r vorschrieb, zurückgehen wellten, habe er ihnen aesagt:„Wenn Ihr nicht Order pariert. kriegt Ihr de« Hosenboden voll!" Schon das Auftreten Torgelers und feiner Begleiter von Gericht
widerlegte v. Kühnes Behauptung eines„arroganten" Be- nehmens. Sie bekundeten unter Eid, daß v. Kähne ihn, der sich höflich entschuldigte,„Lausejunge " geschimpft und ihn m i l der Faust in das Gesicht und gegen die Schläfe geschlagen habe, so daß er hinstürzte und sich später übergab. Sie seien nicht auf Acker, sondern auf einem durch Fahrgleise ge- � kennzeichne�n Feldweg gegangen, v. Kähne aber Hab« sie nachher über den Acker zurückgetrieben, indem er drohte, ihnen sonst ein« Kugel in die Knochen zu schießen". Der Berteidiger Rechtsanwalt Neumond versucht«, den An- geklagten a.'s Opfer einer„politischen Hetze' hinzustellen. Die Eheleute Lucas, Verwandte des durch v. Kähne sen. angeschossenen Arbeiters Nietert aus Glindow seien unglaubwürdig. Der Ange- klagt«, den er dem Gericht als„sittlich hochstehenden Menschen"«mpsahl, müste im Fall Lucas gänzlich sveigesprochcn werden, im Fall Torgeler verdiene er höchstens eine mäßige Geld- strafe. Erster Staatsanwalt G« r l a ch forderte, die Berufung zu verwerfen. Der Angeklagte fei in allen Punkten überführt, feine Straftaten feien so roh. daß«in Exempel statuiert werden müsse. Das Gericht kam noch langer Beratung za dem Urteil., die Nötigung gegen Frau Lucas durch Bedrohung mit der Schuh- waffe könne man nicht für bewiesen holten, darum müsse v. Kähne in diesem Punkt freigesprochen werden. Bewiesen sei dagegen alles übrig«, doch habe man diese Straftaten milder zu beurteilen. Die Strafe für Mißhandlung von Lucas, Mißhandlung und Be- leidigung von Torgeler, Nötigungsversuch gegen Torgeler und seine Begleiter wurde auf zusammen nur 7 Wochen Gefängnis bemesien. Wegen des verbotenen Waffentragens blieb es bei 600 000 Papiermart Geldstrafe.
Neues stäütistbes Steuerbukett. Im Haushaltausschuß haben die Parteien gestern wieder lang und breit darüber geknobelt, wie man das Loch in den städtischen Kassen stopfen und den Beamten zu ihren Gehältern verhelfen könnte. Der Magistrat hält an seinem Vorschlag auf Er- höhung d<es Grund st euerzuschlags von 33� aus 100 Proz. fest. Er erhofft davon für das laufende Quartal einen Mehrertrag von rund S Millionen Goldmark. Außerdem beantragt er die Erhebung der Lohnfummensteuer m Höh« von 2 Proz. statt wie augenblicklich 1 Proz. Das würde ein Mehr von 1V Millionen ausmachen. Außerdem wurde im Haushallausschutz angeregt, min- bestens für dieses Quartal die Hunde st euer zu verdoppeln� so daß die armen Hundebesttzer in Berlin in diesem Quartal noch ein» mal S M. zu berappen hätten. Das bedeutet für die Kaste eine weiter« Goldmillion. Außerdem soll die Bergnügungs» st c u e r erhöht werden, wodurch vielleicht noch eine halbe Million zu beschaffen wäre. Alles in allem hat sich aber herausgestellt, daß die Lage der Stadt Berlin in der Uebergangszeit zwar immer noch außerordentlich schwierig ist, a b er doch nicht so schwieri g. wie sie noch vor wenigen Tagen ge ßch-i l d erb wurde. Ein« neue Ucberstcht, die der Kämmerer gestern über die Finanz- gebarung des laufenden Quartal« gab, zeigt bei ei Nein Ausgaben- bedarf von rund 60 Millionen Goldmark steuerliche Einnahmen von 22 Millionen Werksiiberschüsie, van 2 Millionen Reichsbesoi- dungszuschüss«. von 3V Millionen und sonstig« Einnahmen von IS bis 16 Millionen, insgesamt von rund 43 Millionen. Es ließe sich also das Loch vielleicht doch noch stopfen. Allerdings ist der Ausgang der Steuerberatung noch vollkommen ungewiß. Die sozialdemokratische Fraktion hat nach wie vor gegen die Erhöhung der Grundsteuer die allerschärfsten Bedenken. Es soll allerdings«in sogenannter �ärteparagroph angenommen wer- den. der den Magistrat berechtigt im Fall« offensichtlicher Zahlungs- Unfähigkeit von der Einziehung der Steuer Abstand zu nehmen.
Es bleibt aber trotz alledem die Tatsache bestehen, daß die Grund- stcuer heute nichts anderes ist als eine ganz gewöhnlich« Miet- sieuer, wie sie unsozialer nicht gedacht werden kann. Ob die an- deren Vorschläge, Erhöhung der Hundesteuer, Vergnügungssteuer, Gewerbe-, Lohnsummensteuer ein« Mehrheit finden werden, ist noch unsicher. Donnerstag vormittag sollen die Verhandlungen im städttschen Haushaltausschuß fortgesetzt werden. ★ lieber die Wahl des Vor st«Hers hoben gestern morgen Verhandlungen der bürgerlichen Parteien stattgesunden. Nach Aeußerungen der in kommunalen Dingen sehr weit rechtsstehenden „Germania " muß man allerdings damit rechnen, daß diese Der- Handlungen aussichtslos sind Da der deutschnationale Stadtver- ordnetenoorsteher-Stellvertreter Fabion sein Amt nicht niedergelegt hat und die Sitzung am Donnerstag leiten will, so kann man sich auf einen schönen Krach allererster Ordnung gefaßt machen. Die Deutsch nationalen wollen nämlich an der Theorie fest- halten, daß der Dorsteher nicht Donnerstag, sondern erst Donners- tag in acht Tagen zu wählen ist. Bei dem Kräfteverhältnis im Rathaus führt das natürlich zu den heftigsten Auseinanderletzungen und zur Arbeitsunfähigkeit des Etadtnarlaments, was der Zweck der liebung fein dürfte. Die..Vossische Zeitung", die bisher die Bürgerblocknolitik geflissentlich unterstützt hat. scheint jetzt endlich zu der Erlei'chtung gekommen zu sößi. daß diese dauernden Bor - stoße nur Verwirrung schaffen, die Einsetzung eines Stvatskom- missars erleichtern und eventuell die Auflösung der Stadiverord- netenversammlung erzwingen soll. Es war nicht uninteressant, z» sehen, wie im Ratbaus gestern morgen die beiden Oberdemagogen, der Pfarrer Koch von dm Deutschnationalen und Herr Schu- macher von den Kommunisten, sich zu ihren gegenseitigen Wahl« erfolgen in Sachsen gratulierten und sich versicherten, daß ihre beiden revoluttonären Parteien bei allen Wahlen die größten Erfolg« haben würden. Wir glauben allerdings, daß setzt ein Teil der Mittelrarteien kuriert sein dürste und durch Wahl des sozialdemo- kratischen Koudidaten endlich freie Bahn für vernünftige Arbeit im Rathaus geschaffen werden kann. Die Gpfer der Glätte. verschärftes Vorgehen gegen das Unterlassen de» Streuen». Die wiederholten Slufsorderungen zur Änssührung der Polizei- Verordnung, die die Beseitigung von Eis und Schnee von den Bürger- steigen und die Abstumpfung durcki Sandstrenen vorschreibt, haben noch immer nicht den gewünschten Erfolg gehabt. Vielmehr werden täglich neue zahlreiche llnsäve gemeldet, die auf das Nnrerlossen des Slreuens zurückzuführen sind. Der Kommandeur der Schutz« voüzei, Kaupisch, hat daher auf Grund persönlicher BesichttoungS« fahrten einen st r e n g e n Sonderbeiehl an sämtliche Reviere und Inspektionen erlassen, der die Reviervorfteher perfön- sich für die Durchführung der Polizeiverordnung � mir allen Mitteln verantwortlich macht. DaS Slraßen- pirblikum wird gebeten, die in seinem Interesse liegenden Be- mühungen der Polizei durch Benachrichtigung über vor- handene Mißstände zu unlerstützen. Der gefällige Sezirksvorsteher. von den eigenen Arbeitskollegen reingelegt. Die letzte Schwurgerichtsverhandlung beim L<tnd> gericht II, Vi« gestern stattfand, richtete sich gegen den Bezirksvor- steher A. aus Neukölln wegen Amtsverbrechens. Der Angeklagte ! wurde beschuldigt, falsche Amtsbeirrkundunoen ausgestellt zu haben, , durch die mehrere Personen zgm Bezug« städtischen Fleische� das j nur für Minderbemittelte bestimmt war, kamen. !. Seine Arbeits k oll« ge n mißgönnten ihm dos Ehrenamt des Bezirkevorstehers, weil sie der, Mei- nung waren, daß er sich dadurch selbst die Vergünstigungen aus den kommunalen Lebensmittelzuweitungen verschaffen könne. Um ihn . ouf die Probe zu stellen, beschlossen sie, dem Bezirksvor- � st eher und Kollegen e in e F gl l e zu stellen. Sie baten ihn, auch ihnen Fleisch anzuweisen. Anscheinend� um zu zeigen, welchen Einfluß er besitz«, stellte der Angeklagte ihnen auch in seiner Zuständigkeit die Bescheinigungen aus, daß sie berechtigt seien, das billige Fleisch zu beziehen.- Nachdem die ehrenwerten Kollegen sich wohlweislich zunächst ihr Fleisch gesichert hatten, erstatteten sie gegen den gefälligen Ange- klagten Anzeig«. Nach der Aussage des als Zeuge vernom-
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Die Lofokfischer. vornan von 3oHan Loser.
Das mußte durch Lesen unterdrückt werden. Jetzt wollte er weiter— neue Examen machen, höher hinauf. Er hatte ein Gefühl beim Rudern, wenn man ein bestimmtes Ziel hat, das man erreichen muß. Da kommt ein Brief von der Mutter, mit kleinen, hilf- losen Buchstaben, und meldet, daß der Bater auf dem Losot gestorben ist. Er hatte lange ein Geschwür am Schenkel ge- habt, das er nicht beachtete, so daß es eines Tages ganz schlimm wurde und es mit ihm im Krankenhause endete. Lars kam heim und sah zum erstenmal wieder nach vielen Jahren die kleinen Häuser im Schnee begraben Wie Elezeus Hylla war der Vater in einem Sarge heim- gekommen. Er log jetzt in der Scheune, und in der Kälte standen Lars und die Mutter dort oben und hatten den Sarg- decket abgehoben. �. ,r Der Vaier lag da in einem welßen Hemd, mit gefalteten Händen. Der kurze Bollbart war ergraut, das helle Haar lockig wie früher. Und erst jetzt hatte Lars soviel gelernt, daß er verstand, wie männlich schön dieser Kopf war. Das Gesicht war zerfurcht, die Söhne hatten ihm auch wohl Kummer ge- macht, aber jetzt sah er wieder so sanft aus— als könne er Marja sehen, obwohl die Augen geschlossen waren. Und wie Lars dastand, war es. als fragten diese ge- schlossenen Augen:„Bist du jetzt fein geworden. Lars?" * Damals war Tosten, der dritte Sohn, siebzehn Jahre alt. Er war schon zwei Winter mit dem Dater gefahren, und im Frühling stand er auf dem Bootssührerplatz und steuerte die „Robbe " vom Losot heimwärts. �. 2Ibcr die Mutter holte auch ihn an Land. Im selben Frübjahr verkauften sie Boote und Gerätschaften und das Haus auf Myran. und dann kam der große Tag für sie— sie zog um. Kristavers Mutter war schon vor Iahren gestorben. Maria hatte nur noch die vier Kinder, jetzt kehrte sie der See den Rücken— endlich. Sie führte selber die Glockenkuh. Tosten saß hoch oben auf dem beladenen Wagen und hielt die Zügel, die Schafe wurden von den anderen Kindern zusammengehalten. Sic kehrte der See den Rücken— endlich,
Sie hatte es eilig. Sie sah nicht, daß die anderen sich immer wieder umdrehten und zurückblickten. Frühlingshauch ging auch von der See aus, ein Geruch von feuchtem Sande, von Tang und Fischen. Aber als sie am Lindenhof vorbeikamen, breitete sich die Gemeinde vor ihnen aus, und hier begann es nach Laubwald, nach großen Aeckern, nach Blumen zu duften. Dann kamen sie in das Tal, die Sonne schien, hier waren waldige Höhen, Bachgeriesel, ein Duft von Bogelkirschcn und Tannen. Nein, war das ein Tag! Die Berge schützten im Norden und Westen— die wilden Winterstürme würden nicht hierherkommen, die bösen Jahre waren vorüber. „Mutter, weinst du." sagte der kleinste Junge. „Ick) kann auch lachen," sagte sie, trocknete die Augen und lachte. Hier ging sie und führte eine alle Kuh, das war Nußland mit dem weißen Kopf und den schönen mit Messingknöpfen verzierten Hörnern. Sie war fünfzehn Jahre all. aber Marja hatte sich nicht von ihr trennen mögen. Sie ging etwas schwerfällig, aber als sie ein Stück ins Tal hinaufgekommen waren, hob sie den Kopf und begann ! zu wittern— sie erinnerte sich der Sommerweide dort oben, wo sie in vielen Sommern gewesen war, und sie schlug so gut sie konnte einen leichteren Schritt an. Dann kamen sie an den kleinen Hof. Zwei graue Häuser. Haus und Stall, inmitten kleiner Becker und Wiesen an einem : Hang. Hier in der Nähe war sie aufgewachsen, sie fühlte sich ' hier heimisch, hier war sie endlich daheim. „Aber— aber hier ist es doch so dunkel," seufzte Ionetta, als sie in das Haus kamen. „Unsinn." sagte die Mutter. Und dann jammerte der kleinste Junge:„Ist hier kein Meer. Mutter?"� Nun lebten sie also an dem neuen Ort. Für sie waren die Tage gut. Kein Sturm, keine Angst, keine schäumenden Wellen, die sie wach hielten. Sie faltete am Abend die Hände, wenn sie zu Bett ging. Endlich fand sie ihren Gott wieder. Aber als der Winter kam, war Tosten störrisch. Er dachte daran, daß er jetzt auf der„Robbe" Bootssührer hätte sein können. Er mußte ouf den Höfen im Taglohn arbeiten, um einen Schilling zu verdienen, aber an Land war er kein sehr geschickter Arbeiter. Er ging wie im Halbschlaf umher, er sehnte sich nach dem vsienen Meer und einem wirklichen Sturm, und mit bösen Augen sah er die Mutter an, die ihn von der See weggelockt hatte.
Sie wollten den Hos vergrößern, sagte sie. Jawohl— aber das Geld dazu? Er begriff nicht, daß man Geld damit l verdienen kann, indem man in der Erde wühlt— Geld ge- i winnt man beim guten Fischfang, bei einem Glücksfall, der ganz unvermutet kommt, wie eine Lotterie. So faßte der Vater den Verdienst auf. So war es auf der See. Jetzt in den Winterabenden saßen die Kinder um den ! Ofen und wollten vom Vater hören. Und die Mutter— die verkroch sich förmlich in die Dunkel- heit und wollte nicht antworten. Da mußte Tosten erzählen. Und sie sah. wie aller Augen sich an seinem Munde festsaugten.„Der Bater! Die See! Der Losot! Erzähle uns mehr!" Der kleinste Junge machte aus einem Holzpantoffel ein Lofotboot, der Fußboden war der Westfjord, das Boot hieß die„Robbe". Marja seufzte. Kristaver war tot, aber jetzt war er an der Reche, die Kinder zu sich hinüberzuziehen. Würde er sie ihr eines Tages wegnehmen und wieder auf die See hinaus- schicken? Das sollte nicht geschehen. Da versuchte sie sie auf ihre Weise anzulocken, sie ver- suchte, das Haus zu schmücken, sie arbeitete selber schwer und verschonte sie mit Arbeit, soweit es tunlich war— hätte sie sie nur lehren können, sich hier so wohl zu fühlen, wie sie selber sich fühlle. Und sie wollte nicht eingestehen, daß sie selber oft in der Nacht wach lag und auf etwas Unbestimmtes lauschte. Begann auch sie die Wellen, die Sturme, die Angst zu vermissen? War sie gegen Kristaver so gewesen, wie sie hätte sein müssen? Hatte sie falsch daran getan, Myron, die Boote, alles, wofür er gekämpft hatte, zu verkaufen? Hatte sie die Kinder Heimat- los gemacht? Die Nacht ist lang. Im Laufe des Sommers ging sie hinunter. Sie fand einen Dorwand, das alte Heim wieder aufzusuchen, in dem jetzt neue Menschen wohnten. Sie stand und blickte über die See hin, die blank und schimmernd in der Sonne lag. Nie vorher hatte sie gesehen, daß sie so schön sein kann. Nie hatte sie begriffen, wie hell sie alles umher macht, und daß die Dellen nicht immer schäumen, sondern auch lullen und säuseln, wie kleine Kinder singen Sie schaute hinüber. Ja, ist das nicht wunderlich? Als sie wieder zum Tal hinausging, da war sie gewisser- maßen bei Kristaver zu Besuch gewesen. (Schluß folgt.)